Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 08.08.2008, Az.: 17 WF 110/08
Mindestmaß an beiderseitigem Nachgeben sowie verbindliche und verfahrensbeendende Regelung in einem Sorgerechtsstreit als Voraussetzungen der Entstehung einer Einigungsgebühr; Umfang der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein gerichtliches Sorgerechtsverfahren im Hinblick auf einen Vergleich über ein gerichtlich nicht anhängiges Umgangsrecht
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 08.08.2008
- Aktenzeichen
- 17 WF 110/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 20408
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2008:0808.17WF110.08.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Lüneburg - 15.07.2008
Rechtsgrundlagen
- Nr. 1000 VV RVG
- Nr. 1003 VV RVG
- § 48 Abs. 3 S. 1 RVG
Fundstellen
- AGS 2008, 543-545 (Volltext mit red. LS)
- AGS 2009, 336
- FamRZ 2009, 715-716 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 2008, X Heft 44 (amtl. Leitsatz)
- NJW-RR 2009, 1230-1232
- OLGR Celle 2009, 162-163
Verfahrensgegenstand
Elterliche Sorge für das Kind xxx
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Die Entstehung einer Einigungsgebühr setzt auf beiden Seiten ein Mindestmaß an Nachgeben voraus, das sich aber nicht notwendigerweise auf das streitige Rechtsverhältnis beziehen muss.
- 2.
Eine Einigungsgebühr im Sorgerechtsverfahren entsteht nicht, wenn die Einigung der Parteien nicht zu einer verbindlichen und verfahrensbeendenden Regelung des Sorgerechtsstreits führt.
- 3.
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein gerichtliches Sorgerechtsverfahren umfasst nicht den Abschluss eines Vergleiches zum gerichtlich nicht anhängigen Umgangsrecht.
In der Familiensache
...
hat der 17. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
am 8. August 2008
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ....... sowie
durch
die Richterin am Oberlandesgericht ....... und
den Richter am Oberlandesgericht .......
beschlossen:
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Bezirksrevisorin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Lüneburg vom 15. Juli 2008 abgeändert.
Die Erinnerung des Antragstellervertreters gegen den Festsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Lüneburg vom 4. Juni 2008 wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Die Parteien sind geschiedene Eheleute, die für das gemeinsame Kind K. die gemeinsame elterliche Sorge ausüben. In einem isolierten Sorgerechtsverfahren wurde die Antragstellerin, die eine Übertragung der Alleinsorge für K. auf sich begehrte, von dem Rechtsanwalt S. vertreten. Der Antragsgegner ist dem Sorgerechtsantrag entgegengetreten.
Im Anhörungstermin am 21. Mai 2008 wurde der Antragstellerin zu gerichtlichem Protokoll ratenzahlungsfreie Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt S. beigeordnet. Nach der Anhörung des Kindes und nach dem Bericht des Jugendamtes wurde das Folgende zu Protokoll genommen:
"Die Sach und Rechtslage wird erörtert. Es besteht zwischen den Anwesenden Einigkeit darüber, dass Umgangskontakte des Antragsgegners mit dem gemeinsamen Sohn K. wieder angebahnt werden sollen mit Hilfe des Kreisjugendamts. Der Antragstellervertreter erklärt: Im Hinblick auf die anzubahnenden Umgangskontakte soll ein Sorgerechtsantrag heute nicht gestellt werden."
Rechtsanwalt S. hat im Festsetzungsverfahren beantragt, zu seinen Gunsten auch eine Einigungsgebühr festzusetzen. Die Urkundsbeamtin (Rechtspflegerin) hat dies durch Beschluss vom 4. Juni 2008 abgelehnt. Auf die Erinnerung des Rechtsanwaltes S. hat der Familienrichter die Entscheidung der Rechtspflegerin abgeändert und eine 1,0 Einigungsgebühr in Höhe von 189 EUR nebst Umsatzsteuer in Höhe von 35,91 EUR festgesetzt. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass eine Einigungsgebühr nach VVRVG Nr. 1003 entstanden sei, weil die Parteien den Streit über das Sorgerecht in der Weise beigelegt hätten, dass sie sich auf der einen Seite über die Wiederanbahnung der Umgangskontakte geeinigt hätten und die Antragstellerin dafür ihren Antrag auf Übertragung der Alleinsorge nicht weiter verfolgt habe. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Bezirksrevisorin.
II.
Die gemäß §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 RVG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Landeskasse hat in der Sache Erfolg.
1.
Die Bezirksrevisorin beanstandet zu Recht die Festsetzung einer Einigungsgebühr im Sorgerechtsverfahren.
a)
Allerdings ist die Entstehung einer Einigungsgebühr im isolierten Sorgerechtsverfahren grundsätzlich möglich. Zwar unterliegen die Sorgerechtsregelung nicht der Verfügungsbefugnis der Parteien. Andererseits machen die in der Neuregelung des § 1671 Abs. 2 BGB zum Ausdruck gekommene Stärkung des Vorschlagsrechts der Eltern und die damit einhergehende Einschränkung des gerichtlichen Prüfungsumfanges deutlich, dass die Eltern unter bestimmten Voraussetzungen durchaus verbindliche Regelungen zum Sorgerecht treffen können, von denen das Gericht in seiner danach zu treffenden Entscheidung nicht abweichen kann. Dies rechtfertigt nach ganz herrschender und zutreffender Auffassung die Zuerkennung einer Einigungsgebühr für den Anwalt, der durch seine Bemühungen an der Beilegung eines zuvor bestehenden Streits über das Sorgerecht mitgewirkt hat (OLG Stuttgart FamRZ 2007, 1832. OLG Zweibrücken FamRZ 2006, 637 [OLG Zweibrücken 14.12.2005 - 2 WF 220/05]. OLG Nürnberg FamRZ 2005, 741, 743 [OLG Nürnberg 02.12.2004 - 7 WF 3907/04]. OLG Koblenz FamRZ 2005, 1846 f. [OLG Koblenz 11.03.2005 - 7 WF 105/05]).
b)
Die Entstehung einer Einigungsgebühr im gerichtlichen Sorgerechtsverfahren scheitert unter den obwaltenden Umständen aber schon am Fehlen einer verbindlichen und verfahrensbeendenden Regelung über den Streitgegenstand. Die im Namen der Antragstellerin abgegebene Protokollerklärung, heute im Hinblick auf die anzubahnenden Umgangskontakte keinen Sorgerechtsantrag zu stellen, erschöpft sich jedenfalls nach dem reinen Wortlaut in dem Zugeständnis, den anhängigen Sorgerechtsstreit vorläufig nicht weiter fördern zu wollen. Schlichte Vereinbarungen zur Prozessführung, wonach der Rechtsstreit einstweilen nicht weiter geführt werden soll, lösen indessen keine Einigungsgebühr aus (MüllerRabe in: Gerold/Schmidt, RVG 18. Auflage Nr. 1000 RVGVV Rdn. 161. vgl. auch OLG Karlsruhe FamRZ 1999, 388 [OLG Karlsruhe 14.07.1998 - 18 WF 9/98]. OLGR Koblenz 2005, 753, 754. Hartmann Kostengesetze 37. Auflage Nr. 1000 RVGVV Rdn. 55 Stichwort ,Zwischenvergleich').
c)
Im Übrigen wäre eine Einigungsgebühr nach VVRVG Nr. 1000, 1003 im Sorgerechtsverfahren hier selbst bei einer unzweifelhaft verfahrensbeendenden Maßnahme - etwa einer Antragsrücknahme - nicht zur Entstehung gelangt.
Anders als noch unter der Geltung des § 23 BRAGO muss ein zwischen den Parteien bestehender Streit über ein Sorgerechtsverhältnis nach VVRVG Nr. 1000 nicht mehr zwingend durch ein gegenseitiges Nachgeben beseitigt werden. Andererseits reichen ein vollständiges Anerkenntnis oder ein vollständiger Verzicht weiterhin nicht zur Entstehung einer Einigungsgebühr nicht aus, so dass zwangsläufig ein Mindestmaß an gegenseitigem Nachgeben erforderlich bleibt. Insoweit kann eine Einigungsgebühr entstehen, wenn beide Elternteile nach einer Einigung über den Fortbestand der elterlichen Sorge von gegenläufigen Sorgerechtsanträgen Abstand nehmen (OLG Koblenz FamRZ 2005, 1846 [OLG Koblenz 11.03.2005 - 7 WF 105/05]) oder wenn sich die Parteien auf einen Vorschlag gegenüber dem Gericht verständigen, dem auf Übertragung der elterlichen Alleinsorge antragenden Elternteil des Sorgerecht nur für einen Teilbereich zur alleinigen Ausübung zu überlassen (OLG Nürnberg NJW 2005, 2021 f.). Das erforderliche Mindestmaß an Nachgeben wird aber regelmäßig nicht dadurch erreicht, dass der Antragsteller eines Sorgerechtsverfahrens von der begehrten einseitigen Übertragung der Alleinsorge schlicht Abstand nimmt, weil der Antragsgegner in diesem Falle mit seinem auf Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge gerichteten Rechtsschutzziel voll durchdringt.
Richtig ist indessen der rechtliche Ausgangspunkt des Amtsgerichts, dass sich das Mindestmaß gegenseitigen Nachgebens nicht notwendigerweise auf das streitige Rechtsverhältnis (hier: Sorgerecht) selbst beziehen muss (vgl. zu § 779 BGB: Palandt/Sprau BGB 66. Auflage § 779 Rdn. 9). Eine Einigungsgebühr nach VVRVG Nr. 1000, 1003 kann deshalb auch dann entstehen, wenn sich die Parteien im Zuge einer Verständigung über außerhalb des gerichtlichen Sorgerechtsverfahrens liegende Streitfragen (etwa umgangsrechtlicher oder finanzieller Natur) darauf einigen, die gemeinsame elterliche Sorge beizubehalten und der auf Übertragung der Alleinsorge antragende Elternteil daraufhin von seinem Sorgerechtsantrag Abstand nimmt. Auch dies setzt aber voraus, dass derjenige Elternteil, der im Sorgerechtsverfahren als Antragsgegner mit seinem Rechtsschutzziel der Beibehaltung der elterlichen Sorge durchdringt, an anderer Stelle ein Mindestmaß an Nachgeben zeigt. Dafür ist hier auch in Ansehung der zum Umgangsrecht protokollierten Erklärungen nichts ersichtlich. Wie sich aus den im Verfahren gewechselten Schriftsätzen der Parteien ergibt, hat weder die Antragstellerin das Recht des Vaters zum Umgang mit K. in Abrede genommen noch hat der Antragsgegner für sich beansprucht, keinen Kontakt zu K. zu wünschen oder zu einem Umgang mit K. nicht verpflichtet zu sein. Die allgemein gehaltene Vereinbarung, unter Einschaltung des Jugendamtes Umgangskontakte des Antragsgegners mit dem Kind K. anzubahnen, lässt deshalb nicht erkennen, inwieweit dadurch überhaupt der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beigelegt worden wäre. Möglicherweise kontroverse Positionen der Parteien zu Umfang und Ausgestaltung des Umgangsrechts sind in dieser Vereinbarung gerade nicht geregelt. Es liegt daher auch in Bezug auf andere - außerhalb des gerichtlichen Sorgerechtsverfahrens liegende - Gegenstände kein Entgegenkommen des Antragsgegners vor, welches den Verzicht der Antragstellerin auf die Weiterverfolgung ihres ursprünglich auf Übertragung der Alleinsorge gerichteten Antrages als Gegenstand einer Einigung im Sinne von VVRVG Nr. 1000, 1003 erscheinen ließe.
2.
Zutreffend ist im Übrigen die Auffassung der Bezirksrevisorin, dass die Vergütung einer Einigungsgebühr (und ggf. einer Differenzprozessgebühr) aus der Staatskasse für die Vereinbarung zu dem nicht vor Gericht anhängigen Umgangsrecht auf jeden Fall daran scheitern müsste, dass sich die Prozesskostenhilfebewilligung hierauf nicht erstreckt.
Verfahren betreffend die elterliche Sorge für ein Kind sowie Verfahren über die Regelung des Umgangs mit einem Kind sind gesonderte Verfahrensgegenstände. Für eine Vereinbarung über die im gerichtlichen Sorgerechtsverfahren nicht anhängige Umgangsregelung ist daher eine gesonderte Bewilligung der Prozesskostenhilfe sowie die Beiordnung des Rechtsanwalts erforderlich (OLGR Zweibrücken 2002, 214. OLG Koblenz FamRZ 2001, 1394 [OLG Koblenz 08.02.2001 - 15 WF 2/01]. OLG München FamRZ 2000, 1389 [OLG München 11.08.1999 - 11 WF 1088/99]. OLG Nürnberg JurBüro 1986, 1533). Die gegenteilige Auffassung stützte sich auf einen aus § 122 Abs. 3 Satz 1 BRAGO (Erstreckung der Prozesskostenhilfe in Ehesachen) abgeleiteten allgemeinen Rechtsgedanken, wonach das Umgangsrecht beim Abschluss eines Vergleichs auch in isolierten Verfahren als Bestandteil des Personensorgerechts anzusehen sei (OLG Stuttgart FamRZ 1999, 389 [OLG Stuttgart 03.03.1998 - 8 WF 59/97]. vgl. auch Hartmann a.a.O. § 48 RVG Rdn. 78). Diesem Gedanken ist durch § 48 Abs. 3 Satz 1 RVG der Boden entzogen worden, weil nunmehr die elterliche Sorge und die Regelung des Umgangs auch bezüglich der Erstreckung der Prozesskostenhilfe in Ehesachen ausdrücklich als gesonderte Verfahrensgegenstände benannt sind.