Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 17.11.2015, Az.: 13 A 3354/15

Abschiebeschutz; Asyl; Bosnien-Herzegowina; Medizinische Versorgung; Psychiatrische Erkrankung; PTBS

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
17.11.2015
Aktenzeichen
13 A 3354/15
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 44861
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die Klage wird als offensichtlich unbegründet abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Die Kläger, eine Familie mit einem Kind, begehren die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Sie stammen aus Bosnien-Herzegowina. Der Kläger zu 2.) gibt an, Roma zu sein, die Klägerin zu 1.) gibt an, moslemischer Religion zu sein.

In der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge führten die Kläger zu 1.) und 2.) im Wesentlichen aus, als Roma und Moslem diskriminiert worden zu sein. Außerdem habe man Anfang des Jahres 2014 an einer Kundgebung teilgenommen; als die Kundgebung von der Polizei aufgelöst worden sei, sei dabei auch der Kläger zu 2.) geschlagen worden. Die Klägerin zu 1.) habe als junges Mädchen 1995 das Massaker von Srebrenica miterleben müssen, ihr Vater sei erschossen worden.

Mit Bescheid vom 20.10.2014 des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, zugestellt am 25.10.2014, lehnte die Beklagte die Anträge der Kläger als offensichtlich unbegründet ab.

Die Kläger haben am 03.11.2014 Klage erhoben.

Sie tragen vor, Roma würden in Bosnien diskriminiert sie könnten dort nicht Präsident und nicht in das Parlament gewählt werden. Die Klägerin zu 1.) leide an einer PTBS. Dazu übersandten sie ärztliche Bescheinigungen der Ärztin X.Y. vom 15.01.2015 und vom 30.06.2015.  In der mündlichen Verhandlung erklärte die Klägerin zu 1.), sie sei während des Massakers von Srebrenica von Soldaten vergewaltigt worden.

Die Kläger beantragen,

1. den Bescheid vom 20.12.2014 aufzuheben;

2. festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG bei ihnen vorliegen;

3. festzustellen, dass sie Flüchtlinge im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates der Europäischen Union sind;

4. festzustellen, dass Abschiebungshindernisse gem. § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bei ihnen vorliegen;

5. festzustellen, dass sie subsidiären Schutz im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates der Europäischen Union genießen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Im Laufe der mündlichen Verhandlung wurde ein Gutachten zur Reisefähigkeit der Klägerin zu 1.) des Dipl.-Psych. B.C. in das Verfahren eingeführt, dass der Landkreis Diepholz noch im Laufe der Verhandlung per Telefax übermittelte.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Um Wiederholungen zu vermeiden, wird auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Bescheid Bezug genommen, denen das Gericht folgt, § 77 Abs. 2 AsylVfG.

Lediglich ergänzend weist das Gericht daraufhin, dass dies erst recht vor dem Hintergrund gilt, dass Bosnien und Herzegowina zwischenzeitlich vom Gesetzgeber als sicherer Herkunftsstaat eingestuft worden ist (§ 29a Abs. 2 AsylG i.V.m Anlage II des AsylG). Diese veränderte Rechtslage hat das Gericht gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Gemäß § 29a Abs. 1 AsylG ist der Asylantrag eines Ausländers aus einem Staat im Sinne des Art. 16a Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) (sicherer Herkunftsstaat) als offensichtlich unbegründet abzulehnen, es sei denn, die von dem Ausländer angegebenen Tatsachen oder Beweismittel begründen die Annahme, dass ihm abweichend von der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat politische Verfolgung droht.

Das im Klageverfahren neu vorgebrachte Argument, Roma seien in Bosnien-Herzegowina nicht passiv wahlberechtigt, vermag der Klage nicht zu Erfolg verhelfen. Insoweit wird auf die Gründe des den Beteiligten bekannten Beschlusses vom 13.01.2015 - 15 B 58/15 - verwiesen, die auch im Klageverfahren durchgreifen.

Soweit die Klägerin zu 1.) vorträgt, sie leide an PTBS, vermag dies der Klage - auch hinsichtlich von Abschiebeschutz nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG letztendlich ebenfalls nicht zum Erfolg zu verhelfen. Im Heimatland der Kläger ist nach dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes eine medizinische Versorgung für alle Rückkehrer in ihrem aktuellen Wohnort gewährleistet. Grundsätzlich sind in Bosnien-Herzegowina alle Arbeitstätigen, Rentner und als arbeitslos gemeldeten Personen gesetzlich krankenversichert. Das Krankenversicherungsgesetz (der Föderation) deckt aber nur Rückkehrer ab, die bereits vor ihrer Ausreise krankenversichert waren. Dies ist bei der Klägerin der Fall

Das Gesundheitssystem in Bosnien und Herzegowina gliedert sich in drei Bereiche. Der primäre Gesundheitsschutz umfasst medizinische Vorsorge, Notfallmedizin, Schul- und Arbeitsmedizin, Vorsorge für Mutter und Kind, hausärztliche, allgemeinärztliche und zahnärztliche Behandlung sowie Arzneimittelversorgung. Er wird durch sog. Gesundheitshäuser, Erste-Hilfe-Stationen (i.d.R. angegliedert an Ambulanzen und Krankenhäuser), Zahnarztpraxen und Apotheken sicher-gestellt. Sekundärer (fachärztlich-konsultativer) Gesundheitsschutz umfasst Diagnostik, Behandlungs- und Rehabilitationsmaßnahmen in Fällen, in denen keine stationäre Behandlung notwendig ist. Er wird durch Gesundheitshäuser, ärztliche Privatpraxen und Krankenhäuser (Kliniken) sichergestellt. Im tertiären Bereich findet man alle medizinischen Anwendungen in stationären Einrichtungen, also in Krankenhäusern und Kliniken, die überwiegend staatlich organisiert und finanziert sind. Es gibt über 300 Ambulanzen, die jeweils zwischen 2.000 und 10.000 Einwohner versorgen. Grundsätzlich existiert in jeder größeren Gemeinde (ca. 120 in Bosnien-Herzegowina) ein Gesundheitshaus, das eine medizinische Versorgung für 20.000 bis 50.000 Einwohner sicherstellen soll. Mittlerweile gibt es in der FBIH und der RS jeweils 15 staatliche Krankenhäuser. Dazu kommt ein privates Krankenhaus, eine Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe in Milici, verschiedene private Polikliniken in Sarajewo, die jedoch nur ambulante Behandlungen durchführen, sowie eine private (deutsche) Fachklinik für Kardiologie und Herzchirurgie in Fojnica. In größeren Städten gibt es einige privatärztliche Praxen.

Zwar sind nach der Auskunftslage viele – insbesondere staatliche – medizinische Einrichtungen in Bosnien und Herzegowina, vor allem außerhalb von Sarajewo, in einem schlechten Zustand. Ärzte und Pflegepersonal sind aber noch ausreichend vorhanden. Gängige Medikamente sind auf dem örtlichen Markt erhältlich und werden, soweit Krankenversicherungsschutz besteht, bei ärztlicher Verordnung von der Krankenversicherung bezahlt. Kosten für Spezialmedikamente werden in der Regel nicht erstattet. Sie können aber auf dem Importweg oder privat aus dem Ausland beschafft werden.

Grundsätzlich ist das Gericht - auch unter Berücksichtigung der von den Klägern zitierten Entscheidungen - davon überzeugt, dass hiernach die medizinische Versorgung der Klägerin im Heimatland erst einmal gesichert ist. Allerdings ist nach dem aktuellen Lagebericht allerdings auch davon auszugehen, dass es zur Behandlung von traumatisierten Personen nur wenige entsprechend qualifizierte Ärzte gibt.

Aber auch unter Berücksichtigung des aktuellen vom Landkreis Diepholz eingeholten Gutachtens vom 11.11.2015 vermag das Gericht keine erhebliche Gefahr im Sinn des § 60 Abs. 7 AufenthG zu erkennen. Der in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geregelte Abschiebungsschutz gewährleistet nicht, dass die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten im Zielland geeignet sein müssen, eine bestehende Erkrankung optimal zu versorgen oder gar auszuheilen. Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll dem Ausländer nicht eine Heilung von Krankheit unter Einsatz des sozialen Netzes der Bundesrepublik Deutschland sichern, sondern vor gravierender Beeinträchtigung seiner Rechtsgüter Leib und Leben bewahren (vgl. statt vieler: Verwaltungsgericht Augsburg, Urteil vom 30. Juli 2008 - AU 7 K07.30299 -, zit. n. jur., Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 18. Juli 2006 - 2 K 2694/06.A - zit. n. jur., m.w.N.). Es mag zwar wünschenswert sein, dass die Klägerin zu 1.) ihre Erlebnisse von 1995 in einer Psychotherapie aufarbeitet, dies bedingt jedoch noch keine erhebliche Gefahr im Sinn des § 60 Abs. 7 AufenthG. Die Klägerin hat schließlich lange Zeit trotz der Erlebnisse auch weiterhin in ihrem Heimatland leben können.

Die Frage der Reisefähigkeit der Klägerin zu 1.) stellt kein zielstaatsbezogenes Abschiebehindernis dar und ist im Rahmen eines Verfahrens gegen die Beklagte nicht zu prüfen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.