Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 17.04.2015, Az.: 15 B 1883/15

Entziehung; Fahrerlaubnis; Rückwirkung; Tattagprinzip; Übergangsregelung; Umrechnung

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
17.04.2015
Aktenzeichen
15 B 1883/15
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 45013
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Gegen die Übergangsregelung des § 65 Abs. 3 Nr. 3 StVG, nach der für Entscheidungen, die bis zum 30.04.2014 begangene Zuwiderhandlungen ahnden und erst ab dem 01.05.2014 im Fahreignungsregister gespeichert werden, das neue Recht gilt, bestehen verfassungsrechtliche Bedenken.

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 12.01.2015 (15 A 1013/15) wird angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 EURO festgesetzt.

Gründe

I.

Der D. geborene Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klasse B.

Der Antragsteller ist seit dem E. Inhaber der Fahrerlaubnis der Klasse B, wobei diese zunächst auf Probe erteilt worden war.

Im Verkehrszentralregister waren laut Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamts vom 15.01.2013 zu diesem Zeitpunkt folgende Zuwiderhandlungen des Antragstellers eingetragen, die mit 8 Punkten bewertet wurden:

Tatdatum

Datum Rechtskraft

Art der Zuwiderhandlung

Punkte

03.11.2010

22.12.2010

Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 29 km/h

3 Punkte

27.10.2011

15.12.2011

Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 23 km/h

1 Punkt

31.01.2012

11.04.2012

Unterschreitung des einzuhaltenden Mindestabstands

1 Punkt

31.01.2012

11.04.2012

Verbotswidrige Benutzung eines Mobiltelefons als Führer eines Kraftfahrzeugs

1 Punkt

15.02.2012

11.04.2012

Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 24 km/h

1 Punkt

08.10.2012

28.12.2012

Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 25 km/h

1 Punkt

Aufgrund dieser Verkehrszuwiderhandlungen verwarnte der Antragsgegner den Antragsteller gem. § 4 Abs. 3 Nr. 1 StVG a.F. mit Schreiben vom 23.01.2013.

Das Kraftfahrt-Bundesamt teilte mit Schreiben vom 12.08.2014 dem Antragsgegner eine weitere Verkehrszuwiderhandlung des Antragstellers mit, die im nunmehr geltenden Fahreignungsregister gespeichert worden sei, sodass die unverbindliche Wertung nach Anlage 13 zu § 40 FeV insgesamt 6 Punkte ergebe.

Tatdatum

Datum Rechtskraft

Art der Zuwiderhandlung

Punkte

10.05.2014

29.07.2014

Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 42 km/h

2 Punkte

Die Punktwertung ergibt sich nach den übersandten Unterlagen aus den bereits zuvor mitgeteilten Eintragungen im Verkehrszentralregister, sodass das Kraftfahrt-Bundesamt bei seiner Umrechnung der alten Punktwertung in das seit dem 01.05.2014 geltende Fahreignungs-Bewertungssystem von 8 Punkten (alt) ausging, die es in 4 Punkte (neu) umrechnete. Unter Hinzurechnung des letzten Verkehrsverstoßes ermittelte das Kraftfahrt-Bundesamt den mitgeteilten Punktestand von 6 Punkten (neu).

Aufgrund dieser Verkehrszuwiderhandlungen verwarnte der Antragsgegner den Antragsteller gem. § 4 Abs. 5 Nr. 2 StVG n.F. mit Schreiben vom 11.09.2014.

Das Kraftfahrt-Bundesamt teilte mit Schreiben vom 12.11.2014 dem Antragsgegner eine weitere Verkehrszuwiderhandlung des Antragstellers mit, welche am 11.11.2014 im Fahreignungsregister gespeichert worden sei, sodass sich für diesen nunmehr insgesamt 8 Punkte ergäben.

Tatdatum

Datum Rechtskraft

Art der Zuwiderhandlung

Punkte

06.12.2012

07.10.2014

Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 86 km/h

2 Punkte

Der Antragsgegner hörte den Antragsteller mit Schreiben vom 01.12.2014 zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis wegen des Erreichens von 8 Punkten an.

Mit Schreiben vom 07.01.2015 trug der Antragsteller durch seinen Prozessbevollmächtigten vor, bezüglich des Verkehrsverstoßes vom 06.12.2012, welcher zwar erst am 07.10.2014 rechtskräftig geahndet worden sei, sei das Tattagsprinzig zu beachten. Für diesen Verstoß wären deshalb nach altem Recht 4 Punkte entstanden. Zum Zeitpunkt der Umrechnung am 01.05.2014 wären damit insgesamt 12 Punkte für ihn eingetragen gewesen, welche in 5 Punkte neu umzurechnen gewesen wären. Unter Hinzurechnung der 2 Punkte für den letzten Verkehrsverstoß vom 10.05.2014 würden sich deshalb nur 7 Punkte ergeben. Eine Entziehung der Fahrerlaubnis komme daher derzeit nicht in Betracht.

Der Antragsgegner entzog dem Antragsteller mit Bescheid vom 12.01.2015 mit sofortiger Wirkung die Fahrerlaubnis der Klasse B und aller darin enthaltenen Klassen und forderte ihn auf, seinen Führerschein sofort abzugeben. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Antragsteller sei als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen, da er 8 Punkte im Fahreignungsregister erreicht habe. Zu Recht seien lediglich 8 Punkte (alt) in 4 Punkte (neu) umgerechnet worden. Der Verkehrsverstoß vom 06.12.2012 sei erst nach dem 01.05.2014 rechtskräftig geahndet und im Fahreignungsregister gespeichert worden. Deshalb sei dieser Verstoß nach neuem Recht zu behandeln und mit 2 Punkten (neu) zu bewerten gewesen. Insgesamt ergebe sich daher ein Punktestand von 8 Punkten, welcher eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach sich ziehe.

Der Antragsteller hat am 13.02.2015 Klage erhoben und am 26.03.2015 um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein bisheriges Vorbringen.

Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 12.01.2015 anzuordnen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er wiederholt und vertieft die Begründung seiner angefochtenen Verfügung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakten und den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig und begründet.

Die Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG hat kraft Gesetzes nach § 4 Abs. 9 StVG i.V.m. § 80 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 VwGO keine aufschiebende Wirkung. Die ebenfalls verfügte Verpflichtung zur unverzüglichen Ablieferung des Führerscheins ist ebenfalls sofort vollziehbar (§ 3 Abs. 2 Satz 3 StVG, § 47 Abs. 1 FeV). Es bedurfte daher keiner Begründung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 3 VwGO.

Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 - 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen, im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Das Gericht trifft dabei eine originäre Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens dagegen nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer Interessenabwägung.

Unter Anwendung dieser Grundsätze hat der Antrag Erfolg. Ob die Klage des Antragstellers gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis durch Bescheid des Antragsgegners vom 12.01.2015 begründet ist, ist nach der hier gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung als offen anzusehen. Die deshalb vorzunehmende Interessenabwägung fällt zugunsten des Antragstellers aus.

Ob der Antragsgegner dem Antragsteller dessen Fahrerlaubnis zu Recht entzogen hat, ist derzeit nicht hinreichend absehbar.

Für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Fahrerlaubnisentziehungsverfahren ist maßgeblich auf den Zeitpunkt der (letzten) behördlichen Entscheidung, das heißt hier auf den Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Verfügung vom 12.01.2015 abzustellen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 24.07.2014 - 12 ME 105/14 -, juris Rnr. 11). Damit sind vorliegend das StVG und die auf diesem beruhenden Rechtsverordnungen in der seit dem 05.12.2014 geltenden Fassung anwendbar.

Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich jemand als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG gilt der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wenn sich 8 oder mehr Punkte ergeben. In diesem Fall hat die Fahrerlaubnisbehörde zwingend die Fahrerlaubnis zu entziehen.

Ob der Antragsteller vorliegend als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen ist, weil die ihn betreffenden Eintragungen im Fahreignungsregister derzeit  bereits 8 Punkte ergeben, ist zumindest fraglich.

Nach der Übergangsbestimmung des § 65 Abs. 3 Satz 1 StVG werden die Regelungen über das Verkehrszentralregister und das Punktsystem in die Regelungen über das Fahreignungsregister und das Fahreignungs-Bewertungssystem u.a. wie folgt überführt:

Nach Nr. 3 des § 65 Abs. 3 StVG sind auf Entscheidungen, die bis zum Ablauf des 30.04.2014 begangene Zuwiderhandlungen ahnden und erst ab dem 01.05.2014 im Fahreignungsregister gespeichert werden, dieses Gesetz und die auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen in der ab dem 01.05.2014 geltenden Fassung anzuwenden.

Nach Nr. 4 des § 65 Abs. 3 StVG sind Personen, zu denen bis zum Ablauf des 30.04.2014 im Verkehrszentralregister eine oder mehrere Entscheidungen gespeichert worden sind, bei einem Punktestand von 8 - 10 Punkten so in das Fahreignungs-Bewertungssystem einzuordnen, dass für sie ein Punktestand von 4 Punkten gilt und damit die Stufe 1: Ermahnung (§ 4 Absatz 5 Satz 1 Nummer 2) erreicht ist. Bei einem Punktestand von 11 - 13 Punkten erfolgt eine Umrechnung auf 5 Punkte, was ebenfalls der Stufe 1 entspricht. Diese am 01.05.2014 erreichte Stufe wird für Maßnahmen nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem zugrunde gelegt, wobei die Einordnung allein nicht zu einer Maßnahme nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem führt.

Danach ging der Antragsgegner zunächst zu Recht davon aus, dass der Antragsteller am 01.05.2014 einen umrechnungsfähigen Punktestand von 8 Punkten aufwies. Diese 8 Punkte (alt) rechnete der Antragsgegner gem. § 65 Abs. 3 Nr. 4 StVG korrekt in einen Punktestand von 4 Punkten (neu) um. Ebenso korrekt rechnete der Antragsgegner für den Verkehrsverstoß vom 10.05.2014 für den Antragsteller 2 Punkte (neu) hinzu. Da dieser Verstoß erst nach In-Kraft-Treten der neuen Gesetzeslage begangen, rechtskräftig geahndet und gespeichert  wurde, bestehen diesbezüglich keine Besonderheiten.

Den Verkehrsverstoß vom 06.12.2012, rechtskräftig geahndet am 07.10.2014, bewertete der Antragsgegner nach der neuen Gesetzeslage, denn dieser Verstoß wurde erst am 11.11.2014 im Fahreignungs-Register gespeichert. Nach § 65 Abs. 3 Nr. 3 StVG ist deshalb auf diesen Verstoß bereits das StVG und die FeV in der ab dem 01.05.2014 geltenden Fassung anzuwenden. Nach Nr. 3.2.2 der Anlage 13 zu § 40 FeV ist die vom Antragsteller begangene Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 86 km/h (Nr. 11.1.10 BKat) mit 2 Punkten (neu) zu bewerten.

Damit würden sich für den Antragsteller insgesamt 8 Punkte (neu) ergeben, sodass ihm gem. § 4 Abs. 5 Nr. 3 StVG zwingend die Fahrerlaubnis zu entziehen wäre.

Wenn jedoch der Verkehrsverstoß vom 06.12.2012 entgegen der gesetzlichen Regelung des § 65 Abs. 3 Nr. 3 StVG noch nach altem Recht gewertet würde, würde dies zu einem anderen Ergebnis führen. Der Verstoß wäre nach altem Recht (Nr. 4.3 der Anlage 13 zu § 40 FeV) mit 4 Punkten zu bewerten gewesen, sodass der Antragsteller dann am 01.05.2014 12 Punkte (alt) erreicht hätte, welche in 5 Punkte (neu) umzurechnen gewesen wären. Nach Hinzurechnung der 2 Punkte (neu) für den Verstoß vom 10.05.2014 würden sich dann insgesamt nur 7 Punkte (neu) ergeben, sodass eine Entziehung der Fahrerlaubnis derzeit noch nicht in Betracht käme.

Die Rechtsfolge „Entziehung der Fahrerlaubnis“ hängt damit in Fällen wie dem vorliegenden, in denen der Verkehrsverstoß noch vor dem 01.05.2014 begangen wurde, davon ab, wie schnell die rechtskräftige Ahnung dieses Verstoßes erfolgt und wie schnell das Kraftfahrtbundesamt die Speicherung vornimmt: erfolgt die Speicherung vor dem 01.05.2014 kommt eine Entziehung der Fahrerlaubnis noch nicht in Frage, erfolgt die Speicherung nach dem 01.05.2014, führt dies zur zwingenden Entziehung der Fahrerlaubnis. Zwar hat der Betroffene auf den Zeitpunkt der rechtskräftigen Ahndung durch das (Nicht-)Einlegen von Rechtsmitteln zumindest noch einen gewissen Einfluss, wobei vorliegend entgegen der Auffassung des Antragsgegners die zeitliche Hinauszögerung der rechtskräftigen Ahndung für den Antragsteller gerade nicht zu einer Besser-, sondern zu einer Schlechterstellung geführt hat. Auf die Bearbeitungsgeschwindigkeit des Kraftfahrtbundesamtes bei der Speicherung hat der Betroffene jedoch keinen Einfluss. In Fällen des Verstoßes und der rechtskräftigen Ahndung vor dem 01.05.2015 und lediglich der Speicherung im Fahreignungs-Register nach dem 01.05.2015 hängt damit die Rechtsfolge „Entziehung der Fahrerlaubnis“ von Umständen ab, die für den Betroffenen nicht beeinflussbar sind. Die Rechtsfolge „Entziehung der Fahrerlaubnis“ tritt damit für den Betroffenen völlig zufällig oder ggf. sogar bewusst durch beschleunigte oder verzögerte Bearbeitung im Kraftfahrtbundesamt ein.

Ob die Regelung des § 65 Abs. 3 Nr. 3 StVG vor diesem Hintergrund einer verfassungsrechtlichen Prüfung Stand hält, bedarf einer umfänglichen Prüfung im Hauptsacheverfahren (vgl. zu einer ähnlichen Fragestellung VG Freiburg, Beschl. v. 20.06.2014 - 5 K 1143/14 -, juris Rnr. 3). Es reicht in diesem Zusammenhang auch nicht, lediglich einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG, der für Strafvorschriften ein absolutes Rückwirkungsverbot normiert, auszuschließen, (vgl.: OVG Lüneburg, Beschl. v. 28.01.2015 - 12 ME 189/14 -, V.n.b.). Dass das Mehrfachtäter-Punktesystem, welches der Gefahrenprävention dient, nicht dem Art. 103 Abs. 2 GG unterfällt, bezweifelt auch das erkennende Gericht nicht (vgl.: Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Urt. v. 03.04.2006 - 3 A 49/06 -, juris Rn. 27).

Zweifel bestehen vielmehr daran, ob die „unechte Rückwirkung“ der Übergangsregelung des § 65 Abs. 3 Nr. 3 StVG mit dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzgebot aus Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG im Einklang steht (vgl. zu diesem Institut: BVerfG, Urt. v. 05.02.2004 - 2 BvR 2029/01 -, juris Rn. 166 ff.).  Denn auch eine sog. „unechte Rückwirkung“ ist nicht völlig unbedenklich und nicht ohne weiteres zulässig. Die Grenzen gesetzgeberischer Regelungsbefugnis ergeben sich hierbei vielmehr aus einer Abwägung zwischen dem Gewicht der berührten Vertrauensschutzbelange und der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Gemeinwohl (BVerfG, a.a.O., Rn. 172). Zwar war das Ziel der umfassenden Änderung des StVG, die bislang komplizierten, unübersichtlichen und wenig transparenten Regelungen zum Punktesystem und zum Verkehrszentralregister durch einfachere und transparentere Regelungen zu ersetzten und somit auch einen Beitrag zur Verbesserung der Verkehrssicherheit zu leisten (Bundestagsdrucksache 17/12636, Seite 1). Die Begründung für die hier in Zweifel gezogene Regelung des § 65 Abs. 3 Nr. 3 besteht jedoch allein aus dem Hinweis, dass die Vorschrift aus Praktikabilitätsgründen für die Handhabung der Umstellung im Kraftfahrtbundesamt erforderlich sei (Bundesratsdrucksache 17/12636, Seite 50).  Ob allein solche Praktikabilitätsgründe ausreichen, um die hier vorliegende „unechte Rückwirkung“ mit den o.a. Konsequenzen für die Betroffenen zu rechtfertigen, ist zumindest zweifelhaft und bedarf der vertieften Prüfung im Hauptsacheverfahren (vgl. zu ebenfalls geäußerten Zweifeln an den Übergangsregelungen: VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 02.09.2014 - 10 S 1302/14 -; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 02.03.2015 - 16 B 104/15 -; VG Berlin, Beschl. v. 09.02.2015 - 11 L 590.14 -; alle juris sowie die erkennende Kammer, Beschl. v. 24.09.2014 - 15 B 10977/14 und Beschl. v. 25.03.2015 - 15 B 1616/15).

Sind danach die Erfolgsaussichten der Klage des Antragstellers offen, so vermag das erkennende Gericht ein überwiegendes Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der angefochtenen Fahrerlaubnisentziehung nicht anzunehmen, zumal dem Gericht nicht bekannt ist, dass der Antragsteller nach seinem zuletzt geahndeten Verkehrsverstoß vom 10.05.2014 weitere Verstöße begangen hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 und § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und Nr. 46.6 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NVwZ-Beilage 2/2013, 57).