Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 01.12.2023, Az.: 2 OAus 86/23

Vollstreckbarer Haftbefehl; Hausarrest; Auslieferung nach Italien: Haftbefehl mit Anordnung eines Hausarrests als Grundlage des Europäischen Haftbefehls

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
01.12.2023
Aktenzeichen
2 OAus 86/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 45692
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2023:1201.2OAUS86.23.00

Fundstelle

  • NStZ-RR 2024, 85-86

Amtlicher Leitsatz

Auch der Haftbefehl einer italienischen Justizbehörde mit der Anordnung eines Hausarrests anstelle der Untersuchungshaft stellt eine vollstreckbare Inhaftnahmeanordnung im Sinne von § 83a Abs. 1 Nr. 3 IRG dar.

In dem Auslieferungsverfahren
gegen den albanischen und italienischen Staatsangehörigen
J. T.,
geboren am ...,
wohnhaft ...,
zurzeit Justizvollzugsanstalt C...
- Rechtsbeistand: Rechtsanwalt K., H. -
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Celle durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht XXX, den Richter am Oberlandesgericht XXX und den Richter am Landgericht XXX am 1. Dezember 2023 beschlossen:

Tenor:

Der Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 17. November 2023 bleibt aufrechterhalten.

Die Auslieferungshaft hat fortzudauern.

Gründe

I.

Die italienischen Justizbehörden betreiben auf der Grundlage einer Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS) die Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafverfolgung. Das Ersuchen beruht auf dem Europäischen Haftbefehl des Ermittlungsrichters bei dem Untersuchungsgericht in Venedig vom 07.11.2023 (3544/2021 R.G.N.R. - 7223/2022 R.G. G.I.P.). Zudem wird mitgeteilt, dass ein vollstreckbarer nationaler Haftbefehl des Untersuchungsrichters des Ermittlungsrichters bei dem Untersuchungsgericht in Venedig vom 29.09.2023 (3544/2021 R.G.N.R. - 7223/2022 R.G. G.I.P.) vorliegt. In der SIS-Ausschreibung heißt es dazu: "This A form concerns the arrest warrant (ordinance of precautionary custody under house arrest) no. 3544/2021 R.G.N.R. - 7223/2022 R.G. G.I.P. issued on 29.09.2023 by the magistrate in charge of preliminary investigation at the court of Venezia."

Der Verfolgte wurde am ... in H. vorläufig festgenommen. Bei seiner Anhörung durch das Amtsgericht Hannover am selben Tag hat er der vereinfachten Auslieferung nicht zugestimmt und auch nicht auf die Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes verzichtet. Das Amtsgericht hat im Ergebnis der Anhörung eine Festhalteanordnung gegen den Verfolgten nach § 22 Abs. 3 S. 2 IRG erlassen.

Der Senat hat sodann mit Beschluss vom 17.11.2023 die förmliche Auslieferungshaft gegen den Verfolgten angeordnet. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Gründe der vorgenannten Entscheidung Bezug genommen.

Mit Schriftsatz seines Rechtsbeistands vom 24.11.2023 hat der Verfolgte die Außervollzugsetzung des Auslieferungshaftbefehls beantragt. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, dass die italienischen Behörden nicht die Inhaftierung, sondern den Hausarrest angeordnet hätten, was einer Außervollzugsetzung unter z.B. einer täglichen Meldeauflage entspreche. Es bestehe keine Fluchtgefahr, weil der Verfolgte seit vielen Jahren in H. lebe und ein g. Restaurant in S. betreibe, was die italienischen Behörden offenbar in ihrer Entscheidung erkannt und deshalb lediglich einen Hausarrest angeordnet hätten. Auf die weiteren Ausführungen wird Bezug genommen.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt,

den Auslieferungshaftbefehl in Vollzug zu belassen.

II.

Der vom Verfolgten gemäß § 23 IRG gestellte Antrag auf Außervollzugsetzung des Auslieferungshaftbefehls gem. § 25 Abs. 1 IRG war zurückzuweisen. Die förmliche Auslieferungshaft hat fortzudauern, weil die Voraussetzungen der förmlichen Auslieferungshaft und ihres Vollzuges weiterhin vorliegen.

1.

Die Auslieferung erscheint auch gegenwärtig nicht von vornherein unzulässig. Insoweit wird zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen in dem Auslieferungshaftbefehl in vollem Umfang Bezug genommen.

Soweit der Verfolgte vorträgt, es sei nicht berücksichtigt worden, dass die italienischen Behörden nicht die Inhaftierung, sondern einen Hausarrest angeordnet hätten, dringt er mit diesem Vorbringen nicht durch. Auch der Haftbefehl einer Justizbehörde zum Zwecke des Vollzuges eines Hausarrests anstelle der Untersuchungshaft stellt eine vollstreckbare Inhaftnahmeanordnung im Sinne von § 83a Abs. 1 Nr. 3 IRG dar.

a)

Eine Ausschreibung des Verfolgten zur Festnahme mit dem Ziel seiner Auslieferung im Schengener Informationssystem gilt gem. § 83a Abs. 2 IRG als Europäischer Haftbefehl, wenn sie die in § 83a Abs. 1 Nr. 1 bis 6 bezeichneten Angaben enthält. Erforderlich ist demnach gem. § 83a Abs. 1 Nr. 3 IRG die Angabe, ob ein vollstreckbares Urteil, ein Haftbefehl oder eine andere vollstreckbare justizielle Entscheidung mit gleicher Rechtswirkung vorliegt. Diese vollstreckbare Inhaftnahmeanordnung muss von einem nationalen Gericht bzw. einer gleichgestellten Justizbehörde erlassen worden sein, ein von einer Polizei- oder Verwaltungsbehörde erlassener Haftbefehl ist insoweit nicht ausreichend (vgl. Hackner in: Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Auflage 2020, § 83a IRG Rn. 9; EuGH, Urteil vom 10.11.2016 - C-453/16 PPU, Rn. 32, beck-online). Zur Gewährleistung des in § 1 Abs. 2 Rb-EuHB niedergelegten Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung justizieller Entscheidungen muss zudem sichergestellt sein, dass dem Erlass eine Prüfung des Tatverdachts und der sonstigen Haftvoraussetzungen vorausgegangen ist (vgl. Hackner in: Schomburg/Lagodny, a.a.O.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26. Juli 2007 - 1 AK 2/07 -, Rn. 5, juris).

Nach diesem Maßstab hat der Senat keine Zweifel, dass der Ausschreibung im Schengener Informationssystem eine vollstreckbare Inhaftnahmeanordnung zugrunde liegt. Der Ziffer 240. der in englischer Sprache vorliegenden Ausschreibung ist zu entnehmen, dass das Formular einen am 29.09.2023 von dem Ermittlungsrichter bei dem Untersuchungsgericht in Venedig erlassenen Haftbefehl (3544/2021 R.G.N.R. - 7223/2022 R.G. G.I.P.) betrifft, auf dem der Europäische Haftbefehl vom 07.11.2023 basiert. Der Senat hat keine Veranlassung davon auszugehen, dass der gerichtlichen Entscheidung nicht die erforderliche Prüfung des Tatverdachts und der sonstigen Haftvoraussetzungen vorausgegangen sein könnte.

b)

Soweit nach dem Wort Haftbefehl ("arrest warrant") der Klammerzusatz ("ordinance of precautionary custody under house arrest") den Rückschluss zulässt, die italienische Inhaftierungsanordnung solle in der Form eines Hausarrestes vollzogen werden, wirkt sich die im ersuchenden Staat vorgesehene Vollzugsform auf die Anordnung der Auslieferungshaft nicht aus.

Die Auslieferungshaft dient allein der Unterstützung der ausländischen Strafverfolgung (Ambos/König/Rackow, Rechtshilferecht in Strafsachen, IRG § 15 Rn. 182, beck-online). Die Zulässigkeit der Auslieferung knüpft demnach in § 83a Abs. 1 Nr. 3 IRG lediglich an die unter a) dargestellten Voraussetzungen an. Bezüglich der Art und Weise des nach dem nationalen Recht des ersuchenden Staats vorgesehenen Vollzuges enthalten weder § 83a Abs. 1 Nr. 3 IRG noch Art. 8 Abs. 1 c Rb-EuHB konkrete Voraussetzungen, sodass nach dem in Art. 1 Abs. 2 Rb-EuHB verankerten Prinzip der gegenseitigen Anerkennung auch keine weitergehenden Anforderungen zu stellen sind.

Im Falle der Auslieferung zur Strafverfolgung muss der Haftbefehl vollziehbar sein (vgl. Vogel in: Grützner/Pötz/Kreß/Gazeas/Brodowski, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 135. Lieferung, 12/2023, a) Haftbefehl, Rn. 28). Das kann jedenfalls im Einzelfall auch bereits für einen außer Vollzug gesetzten Haftbefehl gelten, weil das Gericht mit der Außervollzugsetzung sinngemäß auch eine Aufrechterhaltung des Haftbefehls beschließt, sodass nur ein aufgehobener oder sonst ungültiger Haftbefehl als Grundlage eines Auslieferungsersuchens ausscheidet (vgl. BGH, Beschluss vom 30.01.1973, Az.: 4 ARs 28/72, GA 1973, 242, a.A.: Vogel in: Grützner/Pötz/Kreß/Gazeas/Brodowski, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 135. Lieferung, 12/2023, a) Haftbefehl, Rn. 28; Ambos/König/Rackow, Rechtshilferecht in Strafsachen, IRG § 10 Rn. 111, beck-online). Davon ist jedenfalls dann auszugehen, wenn es - etwa nach der Nichtbefolgung von Auflagen oder Weisungen - für die Inhaftierung einer weiteren Anordnung des Gerichts nicht bedarf (vgl. BGH, a.a.O.).

Nach diesem Maßstab stellt sich eine Festnahmeanordnung zur Durchsetzung eines Hausarrests als vollstreckbare Inhaftnahmeanordnung im Sinne von § 83a Abs. 1 Nr. 3 IRG dar. Auch ein Hausarrest, also der Freiheitsentzug an einem bestimmten Ort außerhalb einer Haftanstalt, der nicht verlassen werden darf, beschränkt die Freiheit einer Person erheblich (vgl. EuGH, Urteil vom 13. Januar 2021 - C-414/20 PPU -, Rn. 39, juris). Diese Freiheitsbeschränkung entfaltet zudem eine deutliche größere Einschränkung für den Betroffenen als die mit der Außervollzugsetzung eines Haftbefehls verbundene freie Bewegungsmöglichkeit, die allein mit der Einschränkung verbunden ist, sich einmal täglich an einem bestimmten Ort einzufinden. Der Hausarrest geht neben der örtlichen Beschränkung auch mit größerer Überwachung einher, weil zur Kontrolle von Beschuldigten eine Überwachung mittels elektronischer Fußfessel erfolgen kann (vgl. Ruggeri, Die Ermittlung und Verfolgung organisierter Kriminalität in Italien, ZStW 2017, 1185, 1190). Der Senat teilt daher nicht die Auffassung des Verfolgten, dass ein Hausarrest einer Außervollzugsetzung mit einer (ggf. sogar täglichen) Meldeauflage entspreche.

Soweit die italienische Rechtsanwältin des Verfolgten nach dem Schriftsatz des Rechtsbeistandes vom 24.11.2023 die Anordnung eines Hausarrests dahingehend "interpretiert", dass die italienischen Behörden damit einverstanden seien, dass der Verfolgte bis zum Beginn eines Prozesses auf freiem Fuß in Deutschland bleiben könne, stehen dieser Annahme bereits die objektiven Abläufe des Auslieferungsverfahrens entgegen. Es ist in einer Gesamtschau nicht ersichtlich, dass die italienischen Behörden tatsächlich kein Interesse an einer Inhaftierung des Verfolgten haben könnten. Angesichts der nationalen Festnahmeanordnung vom 29.09.2023 sowie dem nachfolgenden Erlass des Europäischen Haftbefehls vom 07.11.2023 und der schließlich am 16.11.2023 vorgenommenen SIS-Ausschreibung ist den italienischen Justizbehörden daran gelegen, eine Festnahme und Auslieferung des Verfolgten im Ausland zu erreichen, um seiner Person zur Sicherung des gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahrens habhaft zu werden. Dass den italienischen Justizbehörden in diesem Zusammenhang eine allein postalische Erreichbarkeit des zu diesem Zeitpunkt noch auf freiem Fuß befindlichen Verfolgten in Deutschland gerade nicht genügt, wird bereits daraus deutlich, dass die private Anschrift des Verfolgten in der SIS-Ausschreibung vom 16.11.2023 enthalten ist und demnach den italienischen Justizbehörden bekannt war. Von der Möglichkeit einer postalischen Ladung für das dortige Verfahren haben sie indes keinen Gebrauch gemacht.

Eine Außervollzugsetzung der förmlichen Auslieferungshaft kommt nach alledem nicht in Betracht.

2.

Die förmliche Auslieferungshaft des Verfolgten hat fortzudauern, da auch gegenwärtig die Gefahr besteht, dass er sich ohne ihren Vollzug dem Auslieferungsverfahren entziehen würde (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG). Der Senat hat bereits in dem Auslieferungshaftbefehl vom 17.11.2023 ausgeführt, dass angesichts der erheblichen Straferwartung derzeit keine ausreichenden Faktoren ersichtlich sind, die die für den Verfolgten bestehende Fluchtgefahr auch unter Berücksichtigung der Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen in ausreichendem Maße entkräften könnten. Für eine abweichende Beurteilung ist auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des Verfolgten in dem Schriftsatz seines Rechtsbeistands vom 24.11.2023 derzeit keine Grundlage gegeben. Der Wohnsitz der Familie in H. sowie die Selbständigkeit mit einem g. Restaurant in S. waren dem Senat bereits bei der Anordnung der förmlichen Auslieferungshaft bekannt und sind in der Entscheidung berücksichtigt worden.

Weniger einschneidende Maßnahmen als der Vollzug der Auslieferungshaft erscheinen hiernach nicht geeignet, deren Zweck, nämlich das Durchführen der zulässigen Auslieferung, zu gewährleisten (§ 25 IRG). Eine Außervollzugsetzung kam daher nicht in Betracht. Die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Maßnahmen steht gleichfalls nicht in Frage.

III.

Der Senat wird gemäß § 26 Abs. 1 IRG eine Haftprüfung durchführen, wenn sich der Verfolgte weitere zwei Monate in Auslieferungshaft befunden haben wird.