Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 27.11.2023, Az.: 1 Ws 289/23 (StrVollz)

Gefangenenpost; Weiterleitung; Verzögerung; Unverzüglichkeit; Unverzügliche Weiterleitung von Schreiben an einen Strafgefangenen

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
27.11.2023
Aktenzeichen
1 Ws 289/23 (StrVollz)
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 45690
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2023:1127.1WS289.23STRVOLLZ.00

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 24.10.2023 - AZ: 71 StVK 58/23

Amtlicher Leitsatz

Schreiben an einen Strafgefangenen sind gemäß § 31 Abs. 2 NJVollzG im Grundsatz spätestens am Arbeitstag nach deren Eingang weiterzuleiten. Eine Abweichung von diesem Regelfall bedarf einer besonderen, auf den Einzelfall bezogenen Begründung. Verzögerungen, gegen die die Vollzugsbehörde hinreichende Vorkehrungen hätte treffen können, rechtfertigen eine Ausnahme vom Regelfall nicht.

In der Strafvollzugssache
des J. R.,
geboren am ...,
zurzeit in der Justizvollzugsanstalt H.,
- Antragstellers und Beschwerdeführers -
gegen die Justizvollzugsanstalt H.,
vertreten durch den Anstaltsleiter,
- Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin -
wegen Weiterleitung von Briefen
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle nach Beteiligung des Zentralen juristischen Dienstes für den niedersächsischen Justizvollzug durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht XXX, den Richter am Oberlandesgericht XXX und den Richter am Oberlandesgericht XXX am 27. November 2023 beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Der Beschluss der 1. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hannover vom 24. Oktober 2023 wird aufgehoben.

  2. 2.

    Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an dieselbe Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen.

  3. 3.

    Der Streitwert wird für beide Instanzen auf bis zu 500 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller befindet sich im Vollzug einer Freiheitsstrafe. Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 20. Juni 2023, den er am 10. Juli 2023 erweitert hat, hat er die Feststellung begehrt, dass die Weiterleitung mehrerer an ihn gerichteter Briefe durch die Antragsgegnerin verspätet und deshalb rechtswidrig gewesen sei.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer den Antrag als unbegründet zurückgewiesen. Nach ihren Feststellungen ist ein am 17. Juni 2023 - einem Samstag - bei der Antragsgegnerin eingegangener Brief erst am 21. Juni 2023 - einem Mittwoch - an den Antragsteller ausgehändigt worden. Ferner sind zwei am 29. Juni 2023 - einem Donnerstag - eingegangene Briefe erst am 3. Juli 2023 - einem Montag - an ihn ausgehändigt worden. Die Strafvollstreckungskammer hat darin keinen Verstoß gegen § 31 Abs. 2 NJVollzG erblickt und zur Begründung ausgeführt, dass die Antragsgegnerin die Weiterleitung nicht schuldhaft verzögert habe. Denn im ersten Fall beruhe der Zeitablauf nach den Darlegungen der Anstalt auf "personalorganisatorischen Gründen" und im zweiten Fall auf einer Überprüfung der eingegangenen Post zur Suchtmittelkontrolle.

Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.

II.

Die Rechtsbeschwerde hat (jedenfalls vorläufig) Erfolg. Die Überprüfung auf die in zulässiger Form erhobene Sachrüge führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer gemäß § 119 Abs. 4 Satz 3 StVollzG.

1.

Die form- und fristgerecht (§ 118 StVollzG) erhobene Rechtsbeschwerde ist zulässig. Es ist geboten, die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen, um einer Wiederholung des nachfolgend aufgezeigten Rechtsfehlers entgegenzuwirken.

2.

Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Bewertung der Strafvollstreckungskammer, wonach die streitgegenständliche Weiterleitung der Briefe trotz der zeitlichen Verzögerung noch unverzüglich im Sinne des § 31 Abs. 2 NJVollzG erfolgt sei, wird von den bisherigen Feststellungen nicht getragen.

a)

Das Gebot des § 31 Abs. 2 NJVollzG verpflichtet die Vollzugsbehörde, ein- und ausgehende Schreiben unverzüglich, das heißt ohne schuldhaftes Zögern, weiterzuleiten (vgl. BT-Drs. 7/918, S. 60). Dies kann unter Umständen die Weiterleitung von Schreiben noch am Tag ihres Eingangs erfordern, im Grundsatz sind die Schreiben spätestens am darauffolgenden Arbeitstag weiterzuleiten (vgl. Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 2. November 2021 - 204 StObWs 279/21 -, juris, m. w. N.; BeckOK Strafvollzug Nds/Reichenbach NJVollzG § 31 Rn. 3; BeckOK Strafvollzug Bund/Bosch, StVollzG § 30 Rn. 2; Arloth, § 30 Rn. 4; Arloth/Krä,StVollzG § 30 Rn. 3; Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetz, 9. Kapitel Rn. 45).

Dieser Grundsatz schließt die Möglichkeit nicht aus, im Einzelfall auch eine verzögerte Weiterleitung von Schreiben als unverschuldet und deshalb gemäß § 31 Abs. 2 StVollzG noch als rechtmäßig anzusehen. Eine solche Abweichung vom Regelfall bedarf jedoch einer besonderen, auf den Einzelfall bezogenen Begründung. Der Zentrale juristische Dienst des niedersächsischen Justizvollzuges hat zutreffend ausgeführt, dass eine derartige Ausnahme unter unvorhersehbaren und unvermeidlichen Umständen in Betracht kommt, nicht aber bei Verzögerungen, die in der betreffenden Anstalt "üblich geworden sind" und gegen die die Vollzugsbehörde hinreichende Vorkehrungen hätte treffen können.

b)

Hieran gemessen rechtfertigen die Feststellungen der Strafvollstreckungskammer nicht die Bewertung, dass die verzögerte Weiterleitung der Briefe unverzüglich erfolgt ist.

Die Übergabe des am 17. Juni 2023 Briefes erfolgte erst am dritten Arbeitstag nach seinem Eingang. Die Begründung der Anstalt und ihr folgend der Strafvollstreckungskammer, dass dies auf "personalorganisatorischen Gründen" beruht habe, genügt für eine Rechtfertigung der Verzögerung nicht. Diese allgemein gehaltene Wendung erlaubt weder eine einzelfallbezogene Nachprüfung des konkreten Geschehensablaufs und seiner Ursachen noch eine Bewertung, ob die Antragsgegnerin die Verzögerung durch hinreichende organisatorische Vorkehrungen hätte vermeiden können.

Dasselbe gilt für die Weiterleitung der am 29. Juni 2023 eingegangenen Briefe, die am zweiten Arbeitstag nach ihrem Eingang übergeben wurden. Die allgemein gehaltene Begründung der Verzögerung mit einer Überprüfung der Post zur Suchtmittelkontrolle ist für sich genommen nicht ausreichend. Denn es versteht sich nicht von selbst, dass eine derartige Kontrolle eine Verzögerung der Weiterleitung um einen ganzen Arbeitstag bedingt (vgl. Patzak, NStZ 2023, 184 [BGH 18.01.2022 - 2 ARs 223/21] zur Drogenanalyse im Vollzugsalltag "innerhalb weniger Sekunden"; OLG Celle, Beschluss vom 22. Dezember 2022 - 3 Ws 512/22 (StrVollz) -, juris, zur Weiterleitung am nächsten Arbeitstag trotz Postkontrolle). Um eine solche Verzögerung rechtfertigen zu können, bedürfte es näherer Feststellungen zu den konkreten Abläufen, an denen es im angefochtenen Beschluss fehlt.

3.

Da der Senat auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen keine eigene Sachentscheidung treffen kann, war die Sache zur weiteren Sachaufklärung und neuen Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen (§ 119 Abs. 4 Satz 3 StVollzG).

III.

Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf §§ 1 Nr. 8, 63 Abs. 3, 65 GKG.