Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 01.11.2023, Az.: 2 Ws 293/23
Geltung der allgemeinen Versuchsregelungen bei Straftaten gegen sexuelle Selbstbestimmung; § 22 StGB als Maßstab für Abgrenzung zwischen Vorbereitung und Versuch der Zwangsprostitution; Konkrete Gefährdung des Tatopfers als Verlassen im Sinne des § 232a Abs. 1 StGB
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 01.11.2023
- Aktenzeichen
- 2 Ws 293/23
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2023, 55530
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2023:1101.2WS293.23.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 22.09.2023 - AZ: 63 KLs 17/23
Rechtsgrundlagen
- § 232a Abs. 1 StGB
- § 232a Abs. 2 StGB
- § 22 StGB
- § 23 StGB
- § 240 Abs. 1 StGB
- § 203 StPO
- § 473 Abs. 4 StPO
Fundstellen
- StV 2024, 314-318
- ZAP 2024, 71-72
- ZAP EN-Nr. 055/2024
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Für die Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch bei der Zwangsprostitution nach § 232a Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt. StGB gilt der allgemeine Maßstab des § 22 StGB.
- 2.
Die Tathandlung des "Veranlassens" in § 232a Abs. 1 StGB überschreitet nur dann die Schwelle des nach § 232a Abs. 2 StGB strafbaren Versuchs, wenn sie dem tatbestandlichen Erfolg, der Aufnahme der Prostitution, unmittelbar vorgelagert, also das Tatopfer konkret gefährdet ist (Anschluss BGH, B. v. 01.06.2022, 1 StR 65/22)
Tenor:
1.
Der Beschluss der 17. großen Strafkammer des Landgerichts Hannover vom 22.09.2023 wird aufgehoben, soweit darin die Zulassung der Anklage der Staatsanwaltschaft Hildesheim vom 20.06.2023 sowie die Eröffnung des Hauptverfahrens bzgl. der in der Anklageschrift unter Ziffer 4 genannten Tat abgelehnt wurde.
2.
Die Anklage wird bzgl. der unter Ziff. 4 der Anklageschrift genannten Tat mit der Maßgabe ebenfalls zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren vor der 17. großen Strafkammer des Landgerichts Hannover eröffnet, dass
a)
der Angeklagte wegen des in der Anklageschrift genannten konkreten Tatvorwurfs einer versuchten Nötigung hinreichend verdächtig ist,
b)
bei den aufgeführten Vorschriften die Bestimmungen der § 232a Abs. 2 und 3 StGB entfallen und die Bestimmungen der § 240 Abs. 1 und 3 StGB hinzutreten.
3.
Im Übrigen wird das Rechtsmittel als unbegründet verworfen.
4.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Angeklagte. Jedoch wird die Beschwerdegebühr um 1/2 ermäßigt. In diesem Umfang hat die Landeskasse die ihm durch die sofortige Beschwerde entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
I.
Die Staatsanwaltschaft Hildesheim hat gegen den Angeklagten am 20.06.2023 Anklage bei der großen Strafkammer des Landgerichts Hannover erhoben und beantragt, das Hauptverfahren dort zu eröffnen.
Die Anklageschrift legt dem Angeklagten zur Last, im Zeitraum von Dezember 2019 bis zum 31.03.2022 durch zwei Straftaten - Taten 1 und 4 der Anklageschrift - jeweils versucht zu haben, eine andere Person unter 21 Jahren zu veranlassen, die Prostitution aufzunehmen und dabei bei der Tat 4 der anderen Person zu diesem Zweck mit einem empfindlichen Übel gedroht zu haben. Weiterhin wird dem Angeklagten vorgeworfen, durch eine weitere Tat - Tat 2 der Anklageschrift - eine andere Person, die der Prostitution nachging, ausgebeutet und im Hinblick darauf Beziehungen mit ihr unterhalten zu haben, die über den Einzelfall hinausgingen. Darüber hinaus wird dem Angeklagten zur Last gelegt, bei einer weiteren Tat - Tat 3 der Anklageschrift - durch dieselbe Handlung eine andere Person unter 21 Jahren dazu veranlasst zu haben, die Prostitution aufzunehmen sowie sie ausgebeutet und im Hinblick darauf Beziehungen mit ihr unterhalten zu haben, die über den Einzelfall hinausgingen. Wegen der näheren Einzelheiten des zugrunde liegenden Sachverhalts wird auf die Ausführungen der Anklageschrift Bezug genommen.
Der Angeklagte hat sich bisher nicht zur Sache eingelassen.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 22.09.2023 hat die zuständige 17. große Strafkammer des Landgerichts Hannover die Anklage bzgl. der in der Anklageschrift genannten Taten 2 und 3 zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Hinsichtlich der Taten 1 und 4 hat sie die Zulassung der Anklage und die Eröffnung des Hauptverfahrens aus rechtlichen Gründen nach § 204 Abs. 1 StPO abgelehnt. Sie ist der Auffassung, dass bei diesen Taten kein hinreichender Tatverdacht nach § 203 StPO gegeben sei, da die dem Angeklagten zur Last gelegten Tathandlungen nicht die Schwelle zur strafbaren Begehung einer versuchten Zwangsprostitution zum Nachteil einer anderen Person unter 21 Jahren nach §§ 232a Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt. StGB überschritten hätten.
Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Hildesheim, mit der sie das Anklageziel, die Zulassung der Anklage und die Eröffnung des Hauptverfahrens auch hinsichtlich der Tatvorwürfe zu Ziff. 1 und 4 der Anklageschrift weiterverfolgt.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt,
den angefochtenen Beschluss aufzuheben, soweit darin die Zulassung der Anklage und die Eröffnung des Hauptverfahrens hinsichtlich der Tatvorwürfe zu Ziff. 1 und 4 der Anklageschrift abgelehnt wurde und stattdessen die Anklage auch bzgl. dieser Tatvorwürfe zuzulassen sowie das Hauptverfahren vor der 17. großen Strafkammer des Landgerichts Hannover zu eröffnen.
Der Angeklagte und sein Verteidiger hatten hinsichtlich der angefochtenen Entscheidung des Landgerichts rechtliches Gehör.
II.
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist nach §§ 210 Abs. 2, 311 Abs. 2 StPO zulässig und führt in der Sache teilweise zum Erfolg.
Während das Landgericht die Zulassung der Anklage und die Eröffnung des Hauptverfahrens bzgl. des Tatvorwurfs zu Ziff. 1 der Anklageschrift mit zutreffenden Erwägungen abgelehnt hat, hält die auch bzgl. des Tatvorwurfs zu Ziff. 4 der Anklageschrift erfolgte Ablehnung der beschwerderechtlichen Prüfung teilweise nicht stand.
1.
Das Gericht beschließt nach § 203 StPO die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn ein Angeschuldigter nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens einer Straftat hinreichend verdächtig ist. Nach der Rechtsprechung des BGH ist ein hinreichender Tatverdacht anzunehmen, wenn bei vorläufiger Tatbewertung auf Grundlage des Ermittlungsergebnisses die Verurteilung in einer Hauptverhandlung mit vollgültigen Beweismitteln wahrscheinlich ist (vgl. BGH, Beschl. v. 15.10.2013 - StB 16/13 -, juris, mwN). Der ermittelte Sachverhalt muss insoweit zur sicheren Überzeugung des zur Eröffnung berufenen Gerichts die objektiven und subjektiven Voraussetzungen eines gesetzlichen Straftatbestandes erfüllen und eine entsprechende Sanktionierung erwarten lassen (vgl. Wenske in MüKo StPO, 1. Aufl. 2016, § 203 Rd. 34 mwN).
Der Senat hat als Beschwerdegericht das Wahrscheinlichkeitsurteil des Landgerichts und dessen rechtliche Bewertung in der angefochtenen Entscheidung in vollem Umfang nachzuprüfen und die Voraussetzungen der Eröffnung selbstständig zu würdigen (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 23.08.2023 - StB 51/23 -, juris, mwN).
Unter Zugrundlegung dieser Grundsätze gelangt der Senat vorliegend zu dem Ergebnis, dass bei den angeklagten Taten 1 und 4 ein hinreichender Tatverdacht des Angeklagten wegen versuchter Zwangsprostitution zum Nachteil einer anderen Person unter 21 Jahren nach §§ 232a Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt, Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB nicht gegeben ist, bei der Tat 4 jedoch hinreichender Tatverdacht wegen versuchter Nötigung nach §§ 240 Abs. 1 und 3, 22, 23 Abs. 1 StGB besteht.
a)
Das Landgericht hat bzgl. der Taten 1 und 4 einen hinreichenden Tatverdacht der versuchten Zwangsprostitution zum Nachteil einer anderen Person unter 21 Jahren nach § 232a Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt. StGB zu Recht verneint und ist dabei zutreffend davon ausgegangen, dass die dem Angeklagten vorgeworfenen Tathandlungen nicht über das Vorbereitungsstadium hinausgegangen sind.
Nach § 232a Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt. StGB macht sich u.a. strafbar, "...wer eine andere Person unter 21 Jahren veranlasst, die Prostitution aufzunehmen". Die Strafbarkeit des Versuchs ist in § 232a Abs. 2 StGB bestimmt, ohne dass dort nähere Voraussetzungen für die Annahme eines Versuchs normiert sind. Der Bundesgerichtshof hat in seinem vom Landgericht der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegten Beschluss vom 01.06.2022 (vgl. BGH, Beschl. v. 01.06.2022 - 1 StR 65/22) bzgl. der Abgrenzung des strafbaren Versuchs der schweren Zwangsprostitution nach § 232a Abs. 3 StGB von straflosen Vorbereitungshandlungen ausgeführt, dass sich die Beurteilung, ob der Täter bereits die Schwelle zum Versuch überschritten habe, am allgemeinen Maßstab des § 22 StGB orientiere. Sie bestimme sich danach, ob der Täter nach seiner Vorstellung bereits unmittelbar zur Verwirklichung der schweren Zwangsprostitution angesetzt habe. Die hierzu vom Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsätze sind auf den vorliegend zu prüfenden Tatbestand der nach § 232a Abs. 2 StGB strafbaren versuchten Zwangsprostitution zum Nachteil einer anderen Person unter 21 Jahren nach § 232a Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt. StGB unmittelbar anwendbar. Denn auch diese Tatbestandsvariante ist wie die in § 232a Abs. 3 StGB geregelten Tatbestände der schweren Zwangsprostitution als Erfolgsdelikt ausgestaltet und dient dem gleichen Schutzzweck.
Nach den vom Bundesgerichtshof in der o.g. Entscheidung vom 01.06.2022 und in ständiger Rechtsprechung angewendeten Rechtsgrundsätzen setzt ein Täter i.S. von § 22 StGB unmittelbar zur Tat an, wenn sein Verhalten nach seinem Tatplan im ungestörten Fortgang ohne weitere Zwischenschritte zur Tatbestandsverwirklichung führen oder in einem unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ihr stehen soll. Dies könne schon anzunehmen sein, bevor der Täter eine dem gesetzlichen Tatbestand unterfallende Handlung vornehme. Das von dem Täter zur Verwirklichung seines Vorhabens Unternommene müsse zu dem in Betracht kommenden Straftatbestand in Beziehung gesetzt werden. Ob er zu der in diesem Sinne "entscheidenden" Rechtsgutverletzung angesetzt oder sich noch im Stadium der Vorbereitung befunden habe, hänge von seiner Vorstellung über das "unmittelbare Einmünden" seiner Handlungen in die Erfolgsverwirklichung ab. Gegen ein Überschreiten der Schwelle zum Versuch spreche es im Allgemeinen, wenn es zur Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolges noch eines "neuen Willensimpulses" bedürfe. Wesentliches Kriterium für die Abgrenzung zwischen Vorbereitungs- und Versuchsstadium sei, inwieweit das geschützte Rechtsgut aus Sicht des Täters konkret gefährdet sei. Voraussetzung für die Annahme eines Versuchs sei, dass der Täter aus seiner Sicht die Schwelle des "jetzt geht`s los" überschritten habe (vgl. BGH, aaO; Beschl. v. 19.05.2021 - 6 StR 28/21; Urteil v. 08.12.2021 - 5 StR 236/21; Urteil v. 17.03.2021 - 4 StR 223/21 -, zitiert nach juris, jeweils mwN). Bei Erfolgsdelikten sei neben der tatbestandlichen Handlung zudem eine Wertung erforderlich, ob die in Rede stehende Handlung den Erfolgseintritt unmittelbar herbeiführen solle oder noch weitere Akte notwendig seien.
Bzgl. des Tatbestands der versuchten schweren Zwangsprostitution nach § 232a Abs. 3, 22, 23 Abs. 1 StGB hat der Bundesgerichtshof in der angeführten Entscheidung vom 01.06.2022 ausgehend von den vorgenannten Grundsätzen ausgeführt, dass nur solche Tathandlungen dem Versuchsbeginn unterfallen, die dem tatbestandlichen Erfolg der Aufnahme bzw. Fortsetzung der Prostitution, also dem Anbieten von sexuellen Handlungen gegen Entgelt in der Absicht, solche mit wechselnden Personen zu wiederholen, unmittelbar vorgelagert sind. Diese Auslegung ist nach Auffassung des Senats auch der vorliegenden Konstellation bei der Prüfung einer versuchten Zwangsprostitution zum Nachteil einer anderen Person unter 21 Jahren nach § 232a Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt.; Abs. 3; 22, 23 Abs. 1 StGB zugrunde zu legen. Denn auch hier besteht der im Gesetz bestimmte tatbestandliche Erfolg in der Aufnahme bzw. Fortsetzung der Prostitution durch das Tatopfer.
Den von der Staatsanwaltschaft und der Generalstaatsanwaltschaft gegen die vom Bundesgerichtshof zur Abgrenzung zwischen straflosen Vorbereitungshandlungen und einem strafbaren Versuch der schweren Zwangsprostitution nach § 232a Abs. 3 StGB entwickelten Grundsätze und deren Anwendung auf den vorliegenden Fall erhobenen Einwände vermag der Senat nicht beizutreten.
aa)
Zum einen steht der Wortlaut der Regelung in § 232a Abs. 2 StGB der Anwendung der vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätze zur Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch der schweren Zwangsprostitution nach § 232a Abs. 3 StGB auf den hier in Rede stehenden Tatbestand der versuchten Zwangsprostitution zum Nachteil einer anderen Person unter 21 Jahren nach § 232a Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt. StGB nicht entgegen. In § 232a Abs. 2 StGB ist - wie in den gleichlautenden Versuchsregelungen in §§ 174 ff. und 182, 184a-184e, 232 (1) Nr. 1a StGB für andere Straftaten gegen die sexuelle Selbststimmung - lediglich bestimmt, dass der Versuch strafbar ist. § 232a Abs. 2 StGB enthält mithin keine Regelung zu vom allgemeinen Maßstab des Versuchs nach § 22 StGB abweichenden Voraussetzungen der Strafbarkeit der versuchten Zwangsprostitution zum Nachteil einer anderen Person unter 21 Jahren nach § 232a Abs. Nr. 1, 1. Alt. StGB. Folglich hat die Abgrenzung zwischen straflosen Vorbereitungshandlungen und strafbarem Versuch auch hier gemäß dem in der o.g. Entscheidung des Bundesgerichtshofs angewendeten Maßstab zu erfolgen.
bb)
Dem steht entgegen der Beschwerdebegründung auch der Wille des Gesetzgebers nicht entgegen.
Die Einführung des Straftatbestandes des § 232a StGB geht auf die Beschlussempfehlung und den Bericht des Bundestagsausschusses für Recht und Verbraucherschutz vom 06.07.2016 (BT-Drs. 18/9095) zu dem zuvor in den Bundestag eingebrachten Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 15.04.2015 zurück. Zur Begründung der vorgeschlagenen Einführung des § 232a StGB wird in dem Ausschussbericht folgendes ausgeführt (vgl. BT-Drs. 18/9095, S. 32f.):
"... Schutzgut des § 232a StGB-E ist u. a. die sexuelle Selbstbestimmung als Freiheit einer von Zwang freien Bestimmung über die Ausübung von Prostitution sowie prostitutionsnaher sexueller Kontakte (vgl. zu § 232 StGB Fischer, a.a.O., § 232, Rn. 2a). Dieses Schutzgut wird in unlauterer Weise tangiert, wenn der Täter die freie Bestimmung des Opfers beeinträchtigt, d. h. er es zu einer Entscheidung "veranlasst", die es ohne sein Dazutun und ohne die Ausnutzung der schlechten Lage des Opfers nicht getroffen hätte. ... Dabei ist "Veranlassen" weit zu verstehen, so dass es genügt, dass das Handeln des Täters mitursächlich für die Entscheidung des Opfers ist. Erfasst werden letztlich alle Formen der psychischen Beeinflussung, welche die Entschließung des Opfers zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution oder anderer ausbeutender sexueller Handlungen hervorgerufen, d. h. diese provoziert bzw. ausgelöst hat. Einer besonderen Intensität oder Hartnäckigkeit bedarf es dazu nicht. Erfasst werden z. B. das - nicht notwendig wiederholte - Drängen oder Überreden des Opfers, ggf. auch mittels Versprechungen, das Anwerben, der Einsatz von Autorität sowie einfache Aufforderungen. Der Begriff des "Veranlassens" ist dabei vor allem auch weiter als etwa das Merkmal des "Bestimmens", welches nicht den Fall erfasst, dass das Opfer durch List der Prostitution zugeführt wird."
Zur Begründung der in § 232a Abs. 2 StGB geregelten Strafbarkeit der versuchten Begehung der Zwangsprostitution nach § 232a Abs. 1 StGB heißt es in dem Ausschussbericht (vgl. BT-Drs. 18/9095, S. 34):
"§ 232a Absatz 2 StGB-E sieht eine Regelung der Strafbarkeit des Versuchs vor, die bislang auch § 232 Absatz 2 StGB enthält."
In § 232 Abs. 2 StGB aF war bzgl. der versuchten Begehung des Tatbestandes des "Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung" nach § 232 Abs. 1 StGB a.F. ebenfalls lediglich bestimmt: "Der Versuch ist strafbar."
Aus dem Vorstehenden wird ersichtlich, dass der Gesetzgeber zwar den in § 232a Abs. 1 StGB verwendeten Begriff "Veranlassen" als Beschreibung des erfassten tatbestandlichen Verhaltens in dem in der Gesetzesbegründung erläuterten weiten Sinne verstanden wissen wollte. Eine darüber hinaus von dem allgemeinen Maßstab des § 22 StGB für die Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch abweichende Regelung für den strafbaren Versuch der Zwangsprostitution nach § 232a Abs. 1 und 2 StGB hat er offenkundig nicht beabsichtigt. Hätte der Gesetzgeber insoweit bereits die Ausführung einer von dem Begriff des Veranlassens erfassten Handlung für die Annahme eines Versuchs ausreichen lassen wollen, mithin auf das nach dem allgemeinen Maßstab des § 22 StGB bei Erfolgsdelikten zusätzliche Erfordernis der konkreten Gefährdung des geschützten Rechtsguts verzichten wollen, hätte er dies nach Auffassung des Senats sowohl im Wortlaut des § 232a Abs. 2 StGB, als auch in der Gesetzesbegründung klar zum Ausdruck gebracht. Dies lässt sich auch nicht ableiten aus der Formulierung in dem o.g. Ausschussbericht (vgl. BT-Drs. 18/9095, S. 33, 1. Absatz) ableiten:
"... Eine Versuchsstrafbarkeit kommt im Übrigen genau dann in Betracht, wenn die Handlungen des Täters nicht zum Erfolg geführt haben oder sich die Mitursächlichkeit der Handlungen des Täters für die Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution durch das Opfer zumindest nicht nachweisen lässt, aber wenigstens eine entsprechende Einwirkungshandlung des Täters auf ein Opfer, das sich in einer Zwangslage oder auslandsspezifischen Hilflosigkeit befand. ..."
Aus der vorstehenden Formulierung ergibt sich insoweit lediglich, dass der fehlende Taterfolg oder die fehlende Kausalität grundlegende Voraussetzung dafür ist, mangels Tatbestandsvollendung die Versuchsstrafbarkeit überhaupt zu prüfen. Sie lässt das für eine Versuchsstrafbarkeit bei Erfolgsdelikten geltende Erfordernis der konkreten Gefährdung des geschützten Rechtsguts unberührt.
cc)
Auch Sinn und Zweck des Straftatbestandes der Zwangsprostitution zum Nachteil einer anderen Person unter 21 Jahren in § 232a Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt. StGB gebietet keine vom allgemeinen Maßstab des Versuchs in § 22 StGB abweichende Auslegung der Versuchsregelung in § 232a Abs. 2 StGB. Schutzgut des § 232a StGB ist nach der Intention des Gesetzgebers - wie bereits ausgeführt - die sexuelle Selbstbestimmung als Freiheit einer von Zwang freien Bestimmung über die Ausübung der Prostitution sowie über prostitutionsnahe sexuelle Kontakte. Eine strafwürdige Missachtung des Willens und der Entscheidungsfreiheit liegt aber nicht bereits in der aktiven Einflussnahme auf das Opfer zur Herbeiführung der generellen Bereitschaft zur Prostitutionsausübung also solche. Denn hierdurch wird die Willensentschließungsfreiheit des Tatopfers noch nicht endgültig beeinträchtigt (siehe für den vergleichbaren Fall des unmittelbaren Ansetzens zu § 177 Abs. 1 Var. 3 StGB: BGH, Beschl. v. 14.02.2023 - 2 StR 403/22 -, juris, Rd. 47). Durch die vom Täter mittels tatbestandsmäßigem "Veranlassen" hervorgerufene generelle Bereitschaft des Tatopfers zur Prostitution wird das Tatopfer nicht gebunden, nach diesem Entschluss zu handeln und gemäß § 232a Abs. 1 StGB die Ausübung der Prostitution aufzunehmen bzw. sie fortzusetzen. Vielmehr hat das Tatopfer weiterhin die Möglichkeit, den generellen Entschluss zu revidieren und sich anders zu entscheiden. Erst wenn das Tatopfer aufgrund andauernder Einflussnahme des Täters den Entschluss fasst, mit der Prostitution konkret zu beginnen, also einer Person sexuelle Dienste gegen Entgelt und in der Absicht anzubieten, dies künftig auch anderen Personen anzubieten, ist eine strafwürdige, konkrete Gefährdung der sexuellen Selbstbestimmungsfreiheit des Tatopfers gegeben, mithin durch den Täter die Schwelle zum strafbaren Versuch der Zwangsprostitution überschritten. Die bis dahin unternommene Einflussnahme des Täters verletzt noch nicht den von § 232a Abs. 1 Nr. 1, 1.Alt. StGB erfassten Schutzbereich der sexuellen Selbstbestimmung und der Entscheidungsfreiheit des Tatopfers bzgl. der Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution.
dd)
Schließlich spricht auch die Gesetzessystematik nicht gegen die vom Bundesgerichtshof in der genannten Entscheidung vom 01.06.2022 bzgl. der Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch der schweren Zwangsprostitution nach § 232a Abs. 3 StGB angewendeten Grundsätze sowie gegen deren Übertragung auf die im vorliegenden Fall erforderliche Prüfung der versuchten Zwangsprostitution zum Nachteil einer anderen Person unter 21 Jahren nach § 232a Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt.; Abs. 2 StGB.
Zum einen enthält der als Verbrechen ausgestaltete Tatbestand der schweren Zwangsprostitution in § 232a Abs. 3 StGB keine eigene Regelung zum Versuchsbeginn, so dass sich dieser allein nach dem allgemeinen Maßstab des § 22 StGB richtet. Zum anderen entspricht die in § 232a Abs. 2 StGB enthaltene Normierung der Strafbarkeit des Versuchs der Zwangsprostitution nach § 232a Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt. StGB den gleichlautenden Versuchsbestimmungen in §§ 174 ff. und 182, 184a-184e, 232 (1) Nr. 1a StGB für andere Straftaten gegen die sexuelle Selbststimmung. Auch in diesen Bestimmungen sind keine vom allgemeinen Maßstab des Versuchsbeginns nach § 22 StGB abweichenden Regelungen enthalten, insbesondere keine Vorverlagerung des Anknüpfungspunktes für den Versuchsbeginn auf die Tathandlung als solche. Insofern fügt sich die vom Bundesgerichtshof in der o.g. Entscheidung vorgenommene Auslegung bzgl. der Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch der schweren Zwangsprostitution nach § 232a Abs. 3, 22, 23 Abs. 1 StGB und die Übertragung dieser Auslegungsgrundsätze auf die versuchte Zwangsprostitution zum Nachteil einer anderen Person unter 21 Jahren nach § 232a Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt. StGB widerspruchsfrei in die Systematik der genannten Vorschriften zum Schutz der sexuellen Selbstbestimmung in §§ 174 ff. und 182, 184a-184e, 232 (1) Nr. 1a StGB ein.
ee)
Im Ergebnis der vorstehenden Erwägungen scheidet vorliegend die Annahme eines hinreichenden Tatverdachts gegen den Angeklagten bei den angeklagten Taten 1 und 4 wegen versuchter Zwangsprostitution zum Nachteil einer anderen Person unter 21 Jahren nach §§ 232a Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt.; 22 StGB aus. Denn nach dem aktenkundigen Ermittlungsergebnis haben die Tatopfer, die Zeuginnen M. und L., trotz der Einflussnahme und des Drängens des Angeklagten die Aufnahme der Prostitutionsausübung durchgängig abgelehnt.
b)
Bei der dem Angeklagten in der Anklageschrift zur Last gelegten Tat 4 besteht jedoch ein hinreichenden Tatverdacht wegen versuchter Nötigung nach § 240 Abs. 1 und 3 StGB.
Der angefochtene Beschluss verhält sich hierzu nicht und lässt insoweit die nach § 204 Abs. 1 StPO gebotene tatsächliche und rechtliche Würdigung des Ergebnisses der Ermittlungen vermissen.
Die durch den Senat im Beschwerdeverfahren selbständig vorzunehmende Prüfung ergibt, dass der Angeklagte nach dem aktenkundigen Ergebnis der Ermittlungen hinreichend verdächtig ist, der Zeugin L. wegen ihrer vorausgegangenen Weigerung zur Aufnahme der Prostitutionsausübung u.a. in Aussicht gestellt zu haben, eine Person damit zu beauftragen, ihr Säure in das Gesicht zu kippen, um auf diese Weise doch noch ihre Bereitschaft zur Prostitutionsausübung herbeizuführen. Seine diesbezügliche Ankündigung stellt tatbestandlich eine versuchte Nötigung dar. Denn der Versuch beginnt bei der Nötigung schon mit dem Einsatz des Nötigungsmittels. Die Tat ist bereits vollendet, wenn das Opfer mit der von ihm verlangten Handlung begonnen hat. Als versuchte Nötigung kommen daher solche Taten in Betracht, die wegen der Untauglichkeit des Nötigungsmittels oder wegen des Fehlschlagens des Versuchs nicht zur Vollendung gelangt sind. Ein Versuch ist insbesondere dann gegeben, wenn die angewendeten Nötigungsmittel das Opfer überhaupt nicht zu dem gewünschten Verhalten motivieren können bzw. das Opfer noch nicht mit der vom Täter angestrebten Handlung begonnen hat oder diese nicht infolge der Nötigung, sondern aus anderen Gründen vornimmt (vgl. Valerius in BeckOK StGB, 58. Edition Stand 01.08.2023, § 240 Rd. 65; Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 240 Rd. 37; Toepel in Kindhäuser u.a., StGB, 6. Aufl. 2023, § 240 Rd. 196; Zimmermann in Leipold u.a., Anwaltskommentar StGB, 3. Aufl. 2020, § 240 Rd. 31). In Ansehung dieses Maßstabs ist es vorliegend für die Prüfung einer versuchten Nötigung bei der dem Angeklagten vorgeworfenen Tat 4 - anders als bei der Prüfung versuchten Zwangsprostitution zum Nachteil einer Person unter 21 Jahren nach § 232a Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt., Abs. 2 StGB - ohne Belang, dass das Tatopfer, die Zeugin L., die Aufnahme der Prostitutionsausübung durchgängig abgelehnt hat. Dies erklärt sich aus den unterschiedlichen geschützten Rechtsgütern, nämlich der Freiheit der Willensentschließung und -betätigung in § 240 StGB einerseits und der sexuellen Selbstbestimmung als Freiheit einer von Zwang freien Bestimmung über die Ausübung von Prostitution sowie prostitutionsnaher sexueller Kontakte in § 232a StGB andererseits.
c)
Nach alledem war der angefochtene Beschluss in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang teilweise aufzuheben, die Anklage der Staatsanwaltschaft bzgl. der Tat 4 nach Maßgabe von Ziff. 2. a) des Beschlusstenors ebenfalls zuzulassen und das Hauptverfahren auch insoweit vor der 17. großen Strafkammer des Landgerichts Hannover zu eröffnen. Darüber hinaus war die Anklageschrift bzgl. der aufgeführten Vorschriften gemäß der Ziff. 2. b) des Beschlusstenors anzupassen.
Das weitergehende Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft war als unbegründet zu verwerfen.
3.
Für die anstehende Hauptverhandlung weist der Senat auf folgendes hin:
Sollte der Angeklagte im Ergebnis der Beweisaufnahme bei der in der Anklageschrift genannten Tat 4 den Tatbestand der versuchten Nötigung nach § 240 Abs. 1 und 3 StGB erfüllt haben, wird ein strafbefreiender Rücktritt gemäß § 24 Abs. 1, 1. Alt. StGB zu prüfen sein. Hierfür wäre es ausreichend, wenn der Angeklagte freiwillig davon abgesehen haben sollte, sein Nötigungsziel, die Aufnahme der Prostitution durch die Zeugin L. mittels Drohungen der zuvor geäußerten Art oder mit sonstigen tatbestandlichen Nötigungsmitteln weiterzuverfolgen (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 27. Juni 2018 - 4 StR 110/18 -, juris).
Sofern die Rücktrittsvoraussetzungen vorliegen sollten, wird eine Verurteilung wegen Bedrohung nach der zum Zeitpunkt der in Rede stehenden Tat 4 der Anklageschrift geltenden Regelung in § 241 Abs. 1 StGB aF zu prüfen sein. Deren tatbestandliche Voraussetzungen sind i.S. eines hinreichenden Tatverdachts derzeit gegeben. Das vom Angeklagten der Zeugin L. angedrohte Übergießen ihres Gesichts mit Säure hätte zu einer dauernden Entstellung in erheblicher Weise i.S. von § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB, mithin zu einer schweren Körperverletzung geführt. Die Androhung eines solchen Verbrechens unterfällt dem Tatbestand der Bedrohung nach § 241 Abs. 1 StGB aF.
Falls die Voraussetzungen für einen strafbefreienden Rücktritt von der versuchten Nötigung nicht gegeben sein sollten, wird in den Blick zu nehmen sein, dass nach bisheriger ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur BGH, Beschl. v. 29.06.2022 - 3 StR 161/22 -, juris, mwN) die Annahme von Tateinheit zwischen versuchter Nötigung nach § 240 Abs. 1 und 3 StGB sowie einer Bedrohung nach § 241 Abs. 1 oder 2 StGB ausscheidet, sich jedoch eine Änderung in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs andeutet (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 20.07.2022 - 4 StR 220/22 -, juris: der 4. Senat hat offengelassen, ob Tateinheit in Betracht kommt; neigt aber zur Annahme von Tateinheit aufgrund der in §§ 240 und 241 StGB geschützten unterschiedlichen Rechtsgüter).
4.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 465 analog, 473 Abs. 4 StPO.
5.
Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht eröffnet (§ 304 Abs. 4 StPO).