Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 20.02.2017, Az.: 13 W 68/16 (Kart)

Aussetzung eines Rechtstreits im Hinblick auf die Veröffentlichung eines Vorlagebeschlusses

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
20.02.2017
Aktenzeichen
13 W 68/16 (Kart)
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 14601
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2017:0220.13W68.16KART.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 11.05.2016 - AZ: 18 O 159/13

Fundstellen

  • AG 2017, 436-438
  • MDR 2017, 600-601

Amtlicher Leitsatz

1. Eine Aussetzung eines Rechtsstreits im Hinblick auf den bekanntgemachten Vorlagenbeschluss kommt dann nicht in Betracht, wenn die Beweisaufnahme über das Feststellungsziel vor dem Ausgangsgericht bereits vollständig oder nahezu abgeschlossen ist, so dass in einem solchen Fall bereits Entscheidungsreife vorliegt bzw. die Entscheidungsreife in unmittelbarer Zukunft herbeigeführt werden kann.

2. Eine Aussetzung kommt gleichfalls dann nicht in Betracht, wenn das Gericht schon umfangreich, ggf. durch Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis erhoben hat und es unzumutbar erscheint, auf die bisher gewonnenen Beweisergebnisse zu verzichten.

Redaktioneller Leitsatz

3. Nach der Bekanntmachung des Vorlageschlusses im Klageregister setzt das Prozessgericht von Amts wegen alle bereits anhängigen Verfahren aus, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von den geltend gemachten Feststellungszielen abhängt (§ 8 Abs. 1 S. 1 KapMuG). Das gilt auch dann, wenn bereits begonnen wurde, zu den Feststellungszielen des Vorlagebeschlusses Beweis zu erheben.

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Klägerinnen gegen den Aussetzungsbeschluss der 18. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 11. Mai 2016 wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu 100 Millionen Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Mit ihrer am 29. Dezember 2011 erhobenen Klage begehren die Klägerinnen von der Beklagten Schadensersatz in Höhe von 1.962.249.057,39 € wegen der von ihnen behaupteten Unrichtigkeit der Pressemitteilung vom ... 2008. Mit dieser Pressemitteilung informierte die Beklagte über ihre Zielsetzung, ihre damals bestehende Beteiligung an der V. AG von 42,6 % und zusätzlichen 31,5 % cash gesettelten Optionen auf V.-Stammaktien im Jahr 2009 auf 75 % aufzustocken und damit den Weg frei für einen Beherrschungsvertrag zu machen. Die Beklagte habe aber - so der Vortrag der Klägerinnen - im Zeitpunkt der Pressemitteilung gewusst, dass sie mangels ausreichender finanzieller Mittel den Abschluss eines Beherrschungsvertrags nicht würde durchsetzen können und ein solcher auch wegen des Fortbestehens des V.-Gesetzes unrealistisch sei.

Mit Schriftsatz vom 30. November 2012 haben die Klägerinnen die geltend gemachten Schadensersatzansprüche ferner auf kartellrechtliche Anspruchsgrundlagen gestützt und damit begründet, dass die Beklagte eine beherrschende Stellung auf dem relevanten Markt für V.-Stammaktien innegehabt und diese marktbeherrschende Stellung missbräuchlich ausgenutzt habe.

Das Landgericht hat mit dem Hinweis- und Beweisbeschluss vom 11. März 2015 die Beweiserhebung über folgende Behauptungen der Klägerinnen angeordnet:

1. "Hatten die Mitglieder des Aufsichtsrates der P. ... H. ... am Tag der Aufsichtsratssitzung vom ... 2008 Kenntnis davon, dass aufgrund des Kursverlaufs der V.-Stammaktie und der nicht ausreichenden Liquidität eine Übernahme von 75 % der V.-Stammaktien im Laufe des Jahres 2009 nicht realistisch war?

2. Beabsichtigten die Vorstände der P. ... H. ... mit dem Beschluss vom ... 2008 unter Übermittlung der Presseerklärung vom .... 2008, durch die Vorspiegelung einer Übernahmeabsicht von 75 % der V.-Stammaktien im Laufe des Jahres 2009 einen "short squeeze" auszulösen, eine Ausübung der gegebenen Put-Optionen zu verhindern, sich durch die Auflösung eigener Call-Optionen Liquidität zu verschaffen und Gewinne mitzunehmen?"

Das Landgericht hat insoweit die Vernehmung von insgesamt 21 Zeugen angeordnet und Termine zur Durchführung der Beweisaufnahme auf vier Sitzungstage vom 5. bis 8. Mai 2015 anberaumt. Wegen weiterer acht von den Klägerinnen benannten Zeugen hat das Landgericht darauf hingewiesen, dass eine Vernehmung dieser Zeugen nach dem bisherigen Sach- und Streitstand nicht in Betracht komme, da nicht ausreichend konkrete Tatsachen in das Wissen dieser Zeugen gestellt worden seien. Im Hinblick auf gegen einzelne der geladenen Zeugen damals laufende Straf- und Ermittlungsverfahren hat das Landgericht die Zeugen ... sowie ... abgeladen, nachdem sich die vorgenannten Zeugen auf ein Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 384 Nr. 2 ZPO berufen haben. Im Hinblick auf das Zeugnisverweigerungsrecht des Zeugen H. ist es zu einer Zwischenentscheidung des Landgerichts über den Umfang des Zeugnisverweigerungsrechts mit Zwischenurteil vom 21. Juli 2015 gekommen. Der Senat hat mit Beschluss vom 11. Januar 2016 (13 W 58/15) das umfassende Zeugnisverweigerungsrecht des Zeugen H. bestätigt.

Beweis erhoben hat das Landgericht bisher in der mündlichen Verhandlung vom 6. Mai 2015 und vom 7. Mai 2015 durch Vernehmung der beiden Zeugen ... und ... Nach dem Inhalt des Beweisbeschlusses steht die Vernehmung der vier Zeugen ... und ... noch aus.

Mit Vorlagebeschluss vom 13. April 2016 hat das Landgericht in Bezug auf die hiesige Beklagte u. a. folgende Feststellungsziele zur Entscheidung im Musterverfahren vorgelegt:

"VII. 1. Die Pressemitteilung der Beklagten zu 1 vom ... 2008 war unrichtig, unvollständig oder irreführend und zielte darauf ab, den Kapitalmarkt zu manipulieren, insbesondere darauf, dass Leerverkäufer von V.-Stammaktien ihre Leerverkäufe nach Kenntniserlangung dieser Pressemitteilung eindeckten.

...

XI.1. Die V.-Stammaktie stellte einen eigenständigen sachlichen und räumlich relevanten Markt im Sinne des § 19 Abs. 2 GWB dar in folgenden Zeiträumen:

...

c) Höchst hilfsweise: Vom Zeitpunkt der Bekanntgabe der Pressemitteilung vom ... 2008 bis ... 2009; hilfsweise hierzu: Vom Zeitpunkt der Bekanntgabe der Pressemitteilung vom ... 2008 bis ... 2008.

XI.2. Die Beklagte zu 1) war hinsichtlich der V.-Stammaktie marktbeherrschend im Sinne des § 19 Abs. 2 GWB in den in Ziff. 1 genannten Zeiträumen.

XI.3. In den in Ziff. 1 genannten Zeiträumen hat die Beklagte zu 1) ihre marktbeherrschende Stellung missbräuchlich ausgenutzt im Sinne des § 19 Abs. 1 GWB."

Mit Beschluss vom 11. Mai 2016 hat das Landgericht daraufhin den Rechtsstreit im Hinblick auf die Feststellungsziele, die Gegenstand des Musterverfahrens sind, ausgesetzt. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass der Rechtsstreit auch im Hinblick auf die teilweise durchgeführte Beweisaufnahme noch nicht zur Entscheidung reif sei. Eine bereits begonnene Beweisaufnahme sei nicht stets zu Ende zu führen. Angesichts des erheblichen Umfangs der Beweisaufnahme erscheine es nicht sachgerecht, von einer Aussetzung abzusehen. Die bisherige Verfahrensdauer spreche zudem für eine Aussetzung. Es sei nicht zu erwarten, dass die Fortsetzung der Beweisaufnahme weniger Zeit in Anspruch nehme als die Durchführung des Musterverfahrens. Im Übrigen seien Rechtsfragen vom Vorlagenbeschluss umfasst, die für das Verfahren entscheidungserheblich seien.

Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Klägerinnen, mit der sie die Aufhebung des Aussetzungsbeschlusses und die Fortsetzung des Verfahrens begehren. Die Klägerinnen rügen u. a., dass eine Aussetzung nach § 8 Abs. 1 KapMuG deshalb ausscheide, weil bereits mit der Beweisaufnahme begonnen und jede weitere Verzögerung des seit Dezember 2011 anhängigen Verfahren mit ihrem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz nicht zu vereinbaren sei. Die Aussetzung würde die Beweislage der Klägerinnen verschlechtern. Die Annahme des Landgerichts, der noch erforderliche Zeitaufwand für die Durchführung der Beweisaufnahme übersteige die voraussichtliche Dauer des Musterverfahrens, entbehre jeglicher Grundlage und widerspreche den Erfahrungswerten.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde der Klägerinnen hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Die sofortige Beschwerde ist statthaft und zulässig.

Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 KapMuG i. V. m. § 252 ZPO findet gegen die Entscheidungen, durch die die Aussetzung des Verfahrens angeordnet wird, die sofortige Beschwerde statt. Somit ist die Anfechtbarkeit eines Aussetzungsbeschlusses im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG gegeben (vgl. BGH, Beschluss vom 8. April 2014 - XI ZB 40/11 -, juris Rn. 25; KK-KapMuG/Kruis, 2. Aufl., § 8 Rn. 64, 65). Die sofortige Beschwerde ist form- und fristgerecht gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 KapMuG i. V. m. § 569 Abs. 1, 2 ZPO eingelegt.

2. Die sofortige Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das Landgericht hat zu Recht das vorliegende Verfahren im Hinblick auf den am 18. April 2016 bekannt gemachten Vorlagebeschluss des Landgerichts Hannover gemäß § 8 Abs. 1 KapMuG ausgesetzt.

a) Der Prüfungsmaßstab des Beschwerdegerichts ist in der Sache nicht eingeschränkt, weil es sich bei der Aussetzung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG nicht um eine Ermessensentscheidung des Prozessgerichts, sondern vielmehr um eine gebundene Entscheidung handelt (KK-KapMuG/Kruis, a. a. O., § 8 Rn. 66). Es unterliegt daher der uneingeschränkten Kontrolle des Beschwerdegerichts, ob ein Aussetzungsgrund gegeben ist (KK-KapMuG/Kruis, a. a. O.).

b) Die Aussetzung des Verfahrens setzt nicht voraus, dass in dieser Sache ein Musterverfahrensantrag gestellt wurde (§ 8 Abs. 1 Satz 2 KapMuG).

c) Nach der Bekanntmachung des Vorlagebeschlusses im Klageregister setzt das Prozessgericht von Amts wegen alle bereits anhängigen Verfahren aus, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von den geltend gemachten Feststellungszielen abhängt (§ 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG).

(1) Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 17/8799, Seite 20) ist die Frage, ob die Entscheidung eines Rechtsstreits von den im Musterverfahren geltend gemachten Feststellungszielen abhängt, grundsätzlich durchaus abstrakt zu beurteilen; deshalb genüge es, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von den Feststellungszielen abhängen könne. Nicht erforderlich sei, dass die Entscheidung nach Klärung sämtlicher übriger Anspruchsvoraussetzungen und Rechtsfragen nur noch von den Feststellungszielen abhängt. Der Bundesgerichtshof hat zum Verständnis des Begriffs "Abhängigkeit" hingegen ausgeführt (Beschluss vom 2. Dezember 2014 - XI ZB 17/13 -, juris Rn. 14; Beschluss vom 8. April 2014 - XI ZB 40/11 -, juris Rn. 24):

"Soweit die Gesetzesbegründung zu § 8 KapMuG abweichend von der Senatsrechtsprechung (vgl. Senatsbeschluss vom 11. September 2012 - XI ZB 32/11 -, WM 2012, 2146 Rn. 13) die Abhängigkeit grundsätzlich abstrakt beurteilen und dem Prozessgericht im Hinblick auf die Aussetzung einen Beurteilungsspielraum einräumen will (vgl. BT-Drucksache 17/1809 Seite 20), so bestehen dagegen im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Grundsatz effektiven Rechtsschutzes Bedenken (vgl. Wolf/Lange, NJW 2012, 3751, 3753)."

Das bedeutet, dass jedenfalls dann, wenn die Sache ohne weitere Beweiserhebungen und ohne Rückgriff auf die Feststellungsziele eines Musterverfahrens entscheidungsreif ist, eine Abhängigkeit im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG fehlt (BGH, Beschluss vom 24. März 2016 - III ZB 75/15 -, juris Rn. 14; Beschluss vom 25. Februar 2016 - III ZB 74/15 -, juris Rn. 14; Beschluss vom 28. Januar 2016 - III ZB 88/15 -, juris Rn. 14; KK-KapMuG/Kruis, a. a. O., § 8 Rn. 29, 32). Grund dafür ist, dass durch das Musterverfahren in solchen Fällen keine weiteren Erkenntnisse zu erwarten sind, die für die Entscheidung des Rechtsstaats erheblich werden können, und es den Prozessparteien deswegen auch nicht zuzumuten ist, den Ausgang eines Musterverfahrens abzuwarten (BGH, Beschluss vom 24. März 2016, a. a. O.; Beschluss vom 20. Februar 2016, a. a. O.; Beschluss vom 28. Januar 2016, a. a. O.). Eine Entscheidungsreife des Rechtsstreits i. S. d. § 300 Abs. 1 ZPO in dem vorliegenden Verfahren wird weder von den Klägerinnen noch von dem Landgericht angenommen. Das Landgericht hat am 11. März 2015 einen Beweisbeschluss erlassen und bisher noch nicht alle dort aufgeführten Zeugen vernommen. Die Klägerinnen gehen selbst davon aus, dass die Beweisaufnahme in dem Verfahren noch fortzusetzen ist.

(2) Ist der Rechtsstreit in dem vorgenannten Sinne noch nicht ohne Rückgriff auf die Feststellungsziele zur Entscheidung reif, wird es im Anschluss an die Gesetzesbegründung nicht als erforderlich angesehen, dass im Zeitpunkt der Aussetzungsentscheidung bereits feststehen müsse, dass die Entscheidung in jedem Fall von der Beantwortung der Feststellungsziele im Musterverfahren abhängen wird (KK-KapMuG/Kruis, a. a. O., § 8 Rn. 28; Söhner, ZIP 2013, 7, 10).

Daraus folgt, dass - die Schlüssigkeit des Klägervorbringens vorausgesetzt (KK-KapMuG/Kruis, a. a. O., § 3 Rn. 41 und § 8 Rn. 29; a. A. OLG München, Beschluss vom 27. August 2013 - 19 U 5140/12, juris Rn. 13ff.) - das Vorliegen aller anderen Anspruchsvoraussetzungen vom Gericht unterstellt werden kann, ohne diese vor der Aussetzung abschließend ggf. durch Beweisaufnahme positiv festzustellen (KK-KapMuG/Kruis, a. a. O., § 3 Rn. 40). Ob dabei die Durchführung einer nicht umfangreichen Beweisaufnahme zur einfachen Klärung der Entscheidungserheblichkeit zulässig (dafür BT-Drucksache 17/8799, Seite 20; Söhner, ZIP 2013, 7, 10[FG Köln 17.04.2013 - 7 K 244/12]) oder sogar - im Hinblick auf das Gebot des effektiven Rechtsschutzes - geboten ist, kann der Senat im Ergebnis dahingestellt bleiben lassen. In dem vorliegenden Verfahren ist zwischen den Parteien die Behauptung der Klägerinnen, die Pressemitteilung vom ... 2008 sei unrichtig, unvollständig und/oder irreführend, streitig. Diese Behauptung ist aber gerade Gegenstand der in dem Vorlagebeschluss vom 13. April 2016 enthaltenen Feststellungsziele in Komplex VII. Es geht hier daher nicht um durch Fortsetzung der Beweisaufnahme zu treffende Feststellungen von außerhalb des Musterverfahrens liegende Anspruchsvoraussetzungen, sondern um den Gegenstand des Feststellungsziels selbst.

(3) Der Aussetzung nach § 8 Abs. 1 KapMuG durch das Landgericht steht auch nicht entgegen, dass in diesem Verfahren bereits angefangen wurde, zu dem Feststellungsziel VII. 1. des Vorlagebeschlusses Beweis zu erheben.

In der Gesetzesbegründung zu § 3 KapMuG (BT-Drucksache 17/8799 Seite 18) heißt es:

"Ist über ein Feststellungsziel schon Beweis erhoben, so kann es gemäß Abs. 1 Nr. 1 nicht mehr Gegenstand einer erneuten Beweiserhebung im Musterverfahren sein, da die Entscheidung des Rechtsstreits nicht mehr von der Feststellung im Musterverfahren abhängt."

Demnach hat eine Aussetzung zu unterbleiben, wenn zu der im Musterverfahren zu behandelnden Frage bereits Beweis erhoben wurde (KK-KapMuG/Kruis, a. a. O., § 8 Rn. 31, vgl. auch § 3 Rn. 44; Söhner, ZIP 2013, 7, 8). Zur Begründung der vorgenannten Ansicht wird ausgeführt, dass es nicht von vornherein ausgeschlossen werden könne, dass bei einer erneuten Beweisaufnahme vor dem Oberlandesgericht ein abweichendes Ergebnis erzielt würde; allerdings solle die Möglichkeit eines Musterverfahrens nicht dazu dienen, eine bereits erfolgte Beweisaufnahme zu entwerten. Es gäbe keinen Grund zur Annahme, dass eine Beweisaufnahme vor dem Oberlandesgericht regelmäßig zu anderen oder gar "richtigeren" Ergebnissen führe als eine Beweisaufnahme durch das Ausgangsgericht, sodass es an einem legitimen Interesse des Antragstellers an der Durchführung des Musterverfahrens fehle. Es sei insoweit von einer fehlenden Entscheidungserheblichkeit zu sprechen (KK-KapMuG/Kruis, a. a. O., § 3 Rn. 44).

Der Senat schließt sich der vorgenannten Ansicht an, soweit die Beweisaufnahme über das Feststellungsziel vor dem Ausgangsgericht bereits vollständig oder nahezu abgeschlossen ist, so dass in einem solchen Fall bereits Entscheidungsreife vorliegt bzw. die Entscheidungsreife in unmittelbarer Zukunft herbeigeführt werden kann. Eine Aussetzung kommt gleichfalls dann nicht in Betracht, wenn das Gericht schon umfangreich, ggf. durch Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis erhoben hat und es unzumutbar erscheint, auf die bisher gewonnenen Beweisergebnisse zu verzichten. Bei der Entscheidung, ob das Verfahren ausgesetzt oder eine (weitere) Beweisaufnahme durchgeführt wird, ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber die Beteiligung an einem Musterverfahren nicht freistellt, sondern als Zwang ausgestaltet hat (BGH, Beschluss vom 16. Juni 2009 - XI ZB 33/08 -, juris Rn. 13; KK-KapMuG/Kruis, a. a. O., § 8 Rn. 1; Wolf/Lange, NJW 2012, 3751, 3753). Bei der Entscheidung ist mithin der Anspruch der Prozessparteien auf effektiven Rechtsschutz und das aus Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK resultierende Beschleunigungsgebot zu berücksichtigen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. April 2014 - XI ZB 40/11 -, juris, Rn. 24; Beschluss vom 2. Dezember 2014 - XI ZB 17/13 -, juris Rn. 14). Dies gilt insbesondere für Rechtsnachteile, die der Kläger durch die Aussetzung des Verfahrens erleiden kann. Vergehen bis zum Abschluss des Musterverfahrens mehrere Jahre, kann es u. U. zu Beweisschwierigkeiten des Klägers kommen, so wenn Zeugen verstorben sind oder sich wegen Zeitablaufs nicht mehr genau erinnern können (vgl. BGH, Beschluss vom 11. September 2012 - XI ZB 32/11 -, juris Rn. 13). Dem entspricht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 5. August 2013 - 1 BvR 2965/10 -, juris Rn. 20) für die Aussetzung eines Verfahrens nach § 148 ZPO, bei dem das Gericht bei der Aussetzungsentscheidung sein Ermessen auszuüben und die mögliche Verfahrensverzögerung mit den Gesichtspunkten der Verfahrensökonomie und der Vermeidung sich widersprechender Entscheidungen abzuwägen hat. Dabei haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen.

Die Klägerinnen stellen hier maßgeblich darauf ab, dass das Landgericht bereits mit der Beweisaufnahme begonnen habe und die Durchführung des Musterverfahrens erheblich längere Zeit in Anspruch nehme, als die Fortsetzung der Beweisaufnahme vor dem Landgericht. Dies greift vorliegend auch unter Beachtung des Beschleunigungsgebots nicht durch. Zwar hätte das Landgericht nach dem Stand des Verfahrens zum Zeitpunkt der Aussetzungsentscheidung nur noch vier weitere Zeugen zu vernehmen. Vor dem Hintergrund aber, dass die ehemaligen Vorstandsmitglieder der Beklagten ... und ... in dem gegen sie gerichteten Strafverfahren von dem Landgericht Stuttgart inzwischen rechtskräftig freigesprochen worden sind, liegt es ersichtlich im Interesse der Klägerinnen, die Frage zu klären, ob sich die von ihr benannten und bisher nicht vernommenen Zeugen weiterhin auf die geltend gemachten Zeugnisverweigerungsrechte berufen können. Diesbezüglich erscheint es naheliegend, dass es insoweit zu Zwischenstreiten kommen wird, die das Verfahren vor dem Landgericht weiter verzögern würden. Nach ihrer Beschwerdebegründung gehen die Klägerinnen selbst davon aus, dass "aufgrund jüngster Erkenntnisse" Zeugen neu zu laden seien. Mit einem baldigen Abschluss der Beweisaufnahme über das zwischen den Parteien streitige Feststellungsziel ist daher nicht zu rechnen, so dass die Durchführung des Musterverfahrens zur Klärung dieses Feststellungsziels für die Klägerinnen zumutbar erscheint. Zudem sind bisher lediglich zwei Zeugen vernommen worden, so dass nicht von einer fortgeschrittenen, einer Aussetzung entgegenstehenden Beweisaufnahme auszugehen ist.

Weiterhin ist - ohne dass es im Ergebnis darauf ankäme - der Umstand zu berücksichtigen, dass die Feststellungsziele des Vorlagenbeschlusses auch die kartellrechtlichen Ansprüche, die die Klägerinnen zum Gegenstand ihrer Klage gemacht haben, betreffen. Bei den kartellrechtlichen Feststellungszielen handelt es sich zum Teil um Rechtsfragen, deren Klärung gleichfalls in einem Musterverfahren möglich ist (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 KapMuG). Bildet die Klärung einer Rechtsfrage den Gegenstand eines Musterverfahrens, kann die Aussetzung nicht mit der Begründung verweigert werden, es handele sich um eine nicht klärungsbedürftige Rechtsfrage (KK-KapMuG/Kruis, a. a. O., § 8 Rn. 41). Dem Ausgangsgericht ist es daher verwehrt, eine Rechtsfrage, die Gegenstand eines Feststellungsziels im Musterverfahren ist und auf derselben musterverfahrensfähigen Anspruchsbegründung (hier: Pressemitteilung vom ... 2008 als falsche und irreführende Kapitalmarktinformation) beruht, abschließend zu entscheiden.

Eine im Rahmen des § 8 Abs. 1 KapMuG mögliche Teilaussetzung (KK-KapMuG/Kruis, a. a. O., § 8 Rn. 48, 49) kommt vorliegend nicht in Betracht. Denn bei einem auf einen einheitlichen Lebenssachverhalt beruhenden Schadensersatzanspruch, der sowohl auf kartellrechtliche als auch auf andere materiell-rechtliche Anspruchsgrundlagen gestützt wird, handelt es sich um einen einheitlichen Streitgegenstand (vgl. BGH, Urteil vom 6. Februar 2013 - I ZR 13/12 - Basis3, juris Rn. 21; OLG Hamm, Beschluss vom 25. September 2014 - 4 U 136/13 -, juris Rn. 6; Schmidt in Immenga/Mestmäcker, GWB, 5. Aufl., § 87 Rn. 48).

III.

1. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens bilden einen Teil der Kosten des Ausgangsrechtsstreits, welche die in der Sache unterliegende Partei unabhängig vom Ausgang des Beschwerdeverfahrens nach §§ 91 ff. ZPO zu tragen hat (BGH, Beschluss vom 28. Januar 2016 - III ZB 88/15 -, juris Rn. 19; Beschluss vom 5. November 2015 - III ZB 69/14 -, juris Rn. 25; Senat, Beschluss vom 14. März 2016 -13 W 3/16 (Kart) -, juris Rn. 35).

2. Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen.

3. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens war auf 100 Millionen Euro festzusetzen. Grundsätzlich ist der Wert einer Beschwerde gegen einen Aussetzungsbeschluss mit einem Fünftel des Wertes des Rechtsstreits in der Hauptsache zu bemessen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2016, a. a. O.). Bei der Höhe der Klageforderung von 1.962.249.057,39 € berechnet sich ein Wert von 392.449.811,40 €. Zwar gelten nach § 23 Abs. 1 Satz 1 RVG auch für die anwaltliche Tätigkeit die für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wertvorschriften und damit auch § 39 Abs. 2 GKG, wonach der Streitwert eines Verfahrens höchstens 30 Millionen Euro beträgt. Allerdings bestimmt § 23 Abs. 1 Satz 4 RVG, dass § 22 Abs. 2 Satz 2 RVG unberührt bleibt, so dass sich der Höchstwert von 30 Millionen Euro bei mehreren Auftraggebern auf bis zu 100 Millionen Euro erhöhen kann (Mayer/Kroiß, RVG, 6. Aufl., § 23 Rn. 12). Dies ist hier angesichts der Höhe der Einzelforderungen bei den sieben Klägerinnen der Fall.