Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 18.08.2020, Az.: 1 B 3782/20

Abschiebungsandrohung; offensichtlich unbegründet; Wochenfrist

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
18.08.2020
Aktenzeichen
1 B 3782/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 72074
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Eine Abschiebungsandrohung in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet, bei der die einwöchige Ausreisefrist erst mit der Bekanntgabe der Ablehnung eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO zu laufen beginnt, genügt den unionsrechtlichen Anforderungen. Die Abweichung von den Vorgaben des nationalen Rechts führt nicht zu einer Verletzung subjektiver Rechte.

Tenor:

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Der Antrag, den Beschluss des Einzelrichters der Kammer vom 23. September 2019 – 1 B 3893/19 – abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller – 1 A 3892/19 – gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid der Antragsgegnerin vom 15. August 2019 anzuordnen, wird abgelehnt.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

Die Antragsteller begehren im Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO vorläufigen Rechtsschutz hinsichtlich einer Abschiebungsandrohung. Die Antragsgegnerin lehnte mit Bescheid vom 15. August 2019 die Anträge der Antragsteller auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Anerkennung als Asylberechtigte sowie subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen. Unter Nr. 5 des Bescheides wurde folgende Regelung getroffen:

"Die Antragsteller werden aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Sollten die Antragsteller die Ausreisefrist nicht einhalten, werden sie in die Republik Armenien abgeschoben. Die Antragsteller können auch in einen anderen Staat abgeschoben werden, in den sie einreisen dürfen oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet ist."

Die Antragsteller haben am 26. August 2019 Klage erhoben und um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Die Antragsgegnerin hat daraufhin unter dem 29. August 2019 die Abschiebungsandrohung wie folgt geändert:

"Der Antragsteller wird aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Ablehnung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO zu verlassen."

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in der geänderten Fassung ist mit Beschluss des Einzelrichters der Kammer vom 23. September 2019 – 1 B 3893/19 – abgelehnt worden. Die Antragsteller begehren mit ihrem am 6. Juli 2020 gestellten Antrag unter Hinweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Februar 2020 – 1 C 19.19 – eine Abänderung des Beschlusses. Der Einzelrichter sei von einer Vereinbarkeit der nationalen Regelungen mit dem europäischen Rechtsrahmen ausgegangen. Durch die abgeänderte Abschiebungsregelung sei indessen kein mit dem europäischen Rechtsrahmen vereinbarer Zustand hergestellt worden. Zudem habe die Corona-Pandemie mittlerweile auch Armenien wieder erreicht. Der Antragsteller zu 3. sei gravierend vorerkrankt und anfällig für Viruserkrankungen, so dass zum jetzigen Zeitpunkt ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Versagung von Abschiebungsverboten bestünden.

II.

1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist nicht begründet. Prozesskostenhilfe erhält gemäß §§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO, 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Der Abänderungsantrag bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt.

2. Der (sinngemäße) Antrag, den Beschluss des Einzelrichters der Kammer vom 23. September 2019 – 1 B 3893/19 – abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller – 1 A 3892/19 – gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid der Antragsgegnerin vom 15. August 2019 in der geänderten Fassung vom 29. August 2019 anzuordnen, hat keinen Erfolg.

Gemäß § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache Beschlüsse über Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO jederzeit ändern oder aufheben. Nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO kann jeder Beteiligte die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

a) Der Antrag ist zulässig.

aa) Die Zulässigkeit ergibt sich allerdings nicht – wie die Antragsteller meinen – aus veränderten rechtlichen Bedingungen für die Beurteilung der angegriffenen Abschiebungsandrohung. Zwar können veränderte Umstände i. S. d. § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO (ausnahmsweise) auch durch die Änderung einer höchstrichterlichen Rechtsprechung oder die höchstrichterliche Klärung einer strittigen Rechtsfrage begründet sein (Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth von Albedyll, VwGO, 7. Aufl., § 80 Rn 153), weil sie einer veränderten Rechtslage zumindest nahekommen. Darauf heben die Antragsteller unter Hinweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Februar 2020 – 1 C 19.19 – vordergründig auch ab. Allerdings kann nicht von der zwischenzeitlich erfolgten höchstrichterlichen Klärung einer auch vorliegend entscheidungserheblichen strittigen Rechtsfrage ausgegangen werden, denn die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist zwar zeitlich nach der hiesigen Eilentscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO ergangen, sie befasst sich indessen überhaupt nicht mit einer Abschiebungsandrohung in der vorliegend von der Antragsgegnerin gewählten Form. Sie hatte vielmehr eine ursprünglich "reguläre" Abschiebungsandrohung mit kurzer Ausreisefrist nach § 36 Abs. 1 AsylG nach Bekanntgabe des Bescheides zum Gegenstand, deren Vollziehung dann nach § 80 Abs. 4 VwGO bis zum unanfechtbaren Abschluss des Klageverfahrens ausgesetzt wurde. Anlass für den Abänderungsantrag der Antragsteller war auch nicht etwa diese Entscheidung, sondern offenkundig eine (aus Sicht der Antragsteller günstige) Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts C-Stadt (Beschl. v. 22.06.2020 – 2 V 1086/20 -, juris). In dieser Entscheidung wird aus dem genannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts die Schlussfolgerung gezogen, dass an der Rechtmäßigkeit einer Abschiebungsandrohung mit einwöchiger Ausreisefrist ab Bekanntgabe der Ablehnung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO ernstliche Zweifel bestünden. Eine höchstrichterliche Klärung der Frage, wie die vorliegend formulierte Abschiebungsandrohung nach nationalem Recht und Unionsrecht zu bewerten ist, ist weder durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts erfolgt noch kann eine solche in der Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts C-Stadt erblickt werden. Bei Lichte betrachtet versuchen die Antragsteller im Gewande eines Abänderungsantrags lediglich, nach Art eines Rechtsmittels eine inhaltliche Korrektur der rechtlichen Bewertung des unanfechtbaren Eilbeschluss vom 23. September 2019 zu erreichen, nachdem sie von einer aus ihrer Sicht günstigeren erstinstanzlichen Entscheidung erfahren haben.

bb) Der Abänderungsantrag ist hingegen zulässig, soweit geltend gemacht wird, dass die Corona-Pandemie Armenien mittlerweile stark betroffen habe und der Antragsteller zu 3. unter gravierenden Vorerkrankungen leide. Diese Situation stellt eine gegenüber dem Beschluss vom 23. September 2019 veränderte Sachlage dar. Es reicht insoweit aus, dass infolge der veränderten tatsächlichen Umstände zumindest die Möglichkeit einer abändernden günstigeren Entscheidung besteht (Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth von Albedyll, VwGO, 7. Aufl., § 80 Rn. 153 m. w. N.).

b) Der Antrag ist in der Sache nicht begründet. Ohne dass dies noch entscheidungserheblich wäre, wird angemerkt, dass ein Abänderungsanspruch nicht aus einer veränderten Rechtslage resultiert (dazu aa)). Auch aufgrund einer veränderten Sachlage besteht kein Abänderungsanspruch (dazu bb)).

aa) Ein Abänderungsanspruch der Antragsteller besteht nicht wegen einer veränderten Rechtslage. Vielmehr wird die Abschiebungsandrohung in der geänderten Fassung, die sich – wie schon im Beschluss vom 23. September 2019 ausgeführt – trotz der irrtümlichen Verwendung des Singulars ersichtlich auf alle Antragsteller beziehen soll, auch unter Zugrundelegung der von den Antragstellern angeführten jüngeren Rechtsprechung im Hauptsacheverfahren aller Voraussicht nach nicht aufzuheben sein.

Der Einzelrichter hatte schon in der Vergangenheit ausdrücklich entschieden, dass eine Abschiebungsandrohung mit Ausreiseaufforderung unter kurzer Ausreisefrist nach § 36 Abs. 1 AsylG, die überhaupt erst nach Bekanntgabe einer ablehnenden Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO "anlaufen" soll und damit über die Vorgaben des nationalen Rechts hinausgeht, vor dem Hintergrund der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes vom 19. Juni 2018 – C-181/16 – ("Gnandi") und vom 5. Juli 2018 – C-269/18 – ("PPU") und deren Rezeption in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil v. 20.02.2020 - 1 C 1/19 -, juris) jedenfalls keine Verletzung subjektiver Rechte zur Folge hat (Beschl. v. 23.03.2020 - 1 B 1359/20 -, n. v.). Dass keine Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen eine so formulierte Abschiebungsandrohung aufgrund unionsrechtlicher Vorgaben zu erfolgen hat, entspricht im Ergebnis auch der Sichtweise weiterer erstinstanzlicher Entscheidungen (VG C-Stadt, Beschl. v. 22.04.2020 - 7 V 591/20 - juris Rn. 25; VG Würzburg, Beschl. v. 10.03.2020 - W 4 S 20.30289 - juris Rn. 41; VG Ansbach, Beschl. v. 11.02.2020 - AN 16 S 20.30165 - juris Rn. 30; VG Berlin, Beschl. v. 31.01.2020 - 3 L 1026.19 A - juris Rn. 16). An dieser Sichtweise wird festgehalten. Die von der Antragsgegnerin formulierte Abschiebungsandrohung mit einer Ausreisefrist von einer Woche, die erst mit der Bekanntgabe einer ablehnenden gerichtlichen Eilentscheidung zu laufen beginnen soll, ist zwar objektiv nicht mit § 36 AsylG vereinbar, verletzt aber insoweit die Antragsteller nicht in ihren subjektiven Rechten und genügt zudem den unionsrechtlichen Vorgaben. Im Einzelnen:

(1) Die geänderte Abschiebungsandrohung geht über § 36 Abs. 3 Satz 8 AsylG hinaus, wonach die Abschiebung bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung im Eilverfahren nicht zulässig ist, denn danach ist nach einer ablehnenden Eilentscheidung keine neue Ausreisefrist eröffnet. Die objektive Rechtswidrigkeit hinsichtlich des nationalen Rechts folgt zudem daraus, dass § 36 Abs. 1 AsylG weder einen vollständigen Verzicht auf eine Ausreisefrist noch deren Anlauf erst mit dem Abschluss eines Eilverfahrens zulässt (so ausdrücklich auch: BVerwG, Urt. v. 20.02.2020 – 1 C 19/19 –, juris Rn. 56). Genau die letztgenannte Alternative hat indessen die Antragsgegnerin vorliegend gewählt. Sie hat hingegen nicht den vom Bundesverwaltungsgericht für eine Vereinbarkeit mit dem nationalen Recht und dem Unionsrecht aufgezeigten Weg beschritten, die Vollziehung der "regulären" Abschiebungsandrohung einschließlich des Laufs der Ausreisefrist nach § 80 Abs. 4 VwGO (zumindest) für die Dauer eines verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens auszusetzen und dabei klarzustellen, dass die Aussetzung der Wochenfrist mit Bekanntgabe der gerichtlichen Eilentscheidung endet und daher dann zu laufen beginnt (vgl. BVerwG, a. a. O., juris Rn. 54). Das Anlaufen der Wochenfrist für die Ausreise ist hier nicht (lediglich) nach § 80 Abs. 4 VwGO ausgesetzt worden, sondern (sogar weitergehend) von vornherein mit einer aufschiebenden Bedingung versehen worden. Das Handlungsgebot der Ausreise ist damit vom Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheides auf einen künftigen Zeitraum verschoben worden. Auch wenn dies mit den Vorgaben aus § 36 AsylG nicht vereinbar ist, geht eine subjektive Rechtsverletzung mit dieser Abweichung vom nationalen Recht nicht einher, denn sie wirkt sich für die Antragsteller lediglich begünstigend aus. Hier liegt es ähnlich wie bei einem objektiv nicht im Einklang mit dem Asylgesetz stehenden Rückgriff auf die Ausreisefrist von 30 Tagen nach der Auffangregelung des § 38 Abs. 1 AsylG bei einer auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gestützten Unzulässigkeitsentscheidung (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 15.01.2019 - 1 C 15/18 -, juris Rn. 50). Die Abschiebungsandrohung mit aufschiebend bedingter kurzer Ausreisefrist stellt sich gegenüber der gesetzlich an sich vorgesehenen Abschiebungsandrohung mit sogleich anlaufender Ausreisefrist auch nicht etwa als ein "aliud" dar, wie es etwa im Verhältnis einer Abschiebungsandrohung zur Abschiebungsanordnung der Fall ist (vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Urt. v. 29.04.2015 - A 11 S 57/15 -, juris Rn. 67). Es lässt sich daher nicht überzeugend argumentieren, für die von der Antragsgegnerin gewählte Formulierung der Abschiebungsandrohung fehle es gänzlich an einer Rechtsgrundlage und darin liege wiederum eine Verletzung subjektiver Rechte begründet.

(2) Die Abschiebungsandrohung mit einem in die Zukunft verschobenen Handlungsgebot stellt sich – gerade wegen der skizzierten Abweichung vom nationalen Recht – als mit dem Unionsrecht vereinbar dar. Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 19. Juni 2018 – C-181/16 –, juris Rn. 61 f. zu Rückkehrentscheidungen Folgendes ausgeführt:

"In diesem Zusammenhang haben die Mitgliedstaaten zu gewährleisten, dass der Rechtsbehelf gegen die Ablehnung des Antrags auf internationalen Schutz seine volle Wirksamkeit entfaltet, wobei der Grundsatz der Waffengleichheit zu wahren ist, so dass während der Frist für die Einlegung des Rechtsbehelfs und, falls er eingelegt wird, bis zur Entscheidung über ihn u. a. alle Wirkungen der Rückkehrentscheidung auszusetzen sind. Insoweit genügt es nicht, dass der betreffende Mitgliedstaat davon absieht, die Rückkehrentscheidung zwangsweise umzusetzen. Vielmehr müssen alle Rechtswirkungen dieser Entscheidung ausgesetzt werden, und daher darf insbesondere die in Art. 7 der Richtlinie 2008/115 vorgesehene Frist für die freiwillige Ausreise nicht zu laufen beginnen, solange der Betroffene ein Bleiberecht hat. Zudem kann er während dieses Zeitraums nicht gemäß Art. 15 der Richtlinie für die Zwecke der Abschiebung inhaftiert werden."

Im Falle der "qualifizierten" Antragsablehnung als "offensichtlich" unbegründet bedeutet dies, dass die Rechtswirkungen der Rückkehrentscheidung nur bis zu der Entscheidung über ein vorläufiges Bleiberecht im vorläufigen Rechtsschutzverfahren, also nicht bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens, auszusetzen sind (BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2020 - 1 C 19/19 -, juris Rn. 27). Der unionsrechtliche Begriff der "Aussetzung" ist dabei nicht etwa deckungsgleich mit dem prozessualen Aussetzungsbegriff i. S. d. § 80 Abs. 4 Satz 1 VwGO, so dass nur eine ausdrücklich nach dieser Bestimmung ergangene behördliche Entscheidung den unionsrechtlichen Anforderungen genügen könnte. Es genügt aus unionsrechtlicher Sicht vielmehr jedwede behördliche Entscheidung, die die Rechtswirkungen der (formell) sogleich mit der ablehnenden Entscheidung verbundenen Abschiebungsandrohung mit Ausreiseaufforderung und Ausreisefrist (materiell) suspendiert. Eine solche Entscheidung, mit der das eigentliche Handlungsgebot (Ausreise) überhaupt erst in der Zukunft beginnen sollte, ist indessen hier getroffen worden. Der Einzelrichter vermag auch nicht davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin trotz der der Verschiebung des eigentlichen Handlungsgebots (Ausreise) in die Zukunft anderweitige Regelungsgehalte der Abschiebungsandrohung unter Nr. 5 des Bescheides in sogleich vollziehbarer Weise bestehen lassen wollte und konnte. Ein solches Verständnis wäre aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Dritten in der Rolle der Erklärungsempfänger schlichtweg fernliegend, denn bevor ein Handlungsgebot überhaupt zur Entstehung gelangt, kann eine Umsetzbarkeit desselben durch ein Zwangsmittel und auch eine Vollziehbarkeit der darauf gerichteten Zwangsmittelandrohung nicht angenommen werden. Zwar hat die Antragsgegnerin erklärt, die Änderung mit Blick auf die ungeklärte Rechtsfrage vorzunehmen, ob "die Ausreisefrist noch nicht mit Bekanntgabe des Ablehnungsbescheides des Bundesamtes zu laufen beginnen darf", also zur Begründung "nur" auf die Ausreisefrist abgestellt (mit dieser Erwägung wohl gegen eine Auslegung der Erklärung in dem hier vertretenen Sinne: VG Regensburg, Beschl. v. 01.07.2020 - RO 4 S 20.30992 - juris Rn. 29). Die Antragsgegnerin hat aber sogleich deutlich gemacht, mit der vorgenommenen Änderung der Abschiebungsandrohung die sich aus der "Gnandi"-Entscheidung ergebenden Anforderungen für ihre Entscheidungspraxis umsetzen zu wollen. Diese fordert indessen gerade einer Aussetzung aller Rechtswirkungen der Rückkehrentscheidung. Dass die Antragsgegnerin gleichwohl ausschließlich die Ausreisefrist, nicht jedoch weitere sich ergebende Folgen auf einen künftigen Zeitpunkt verschieben wollte, sich also bewusst auf eine nur teilweise Befolgung dieser Entscheidung beschränkt hat, erscheint fernliegend. Die Änderung ist vielmehr dahingehend zu verstehen, dass von der getroffenen Rückkehrentscheidung vor Anlauf der Wochenfrist nach Bekanntgabe der ablehnenden Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes überhaupt keine die Antragsteller belastenden rechtlichen Wirkungen (Erlöschen der Aufenthaltsgestattung und daraus resultierende Leistungseinschränkungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, Möglichkeit der Anordnung von Abschiebungshaft; vgl. zu den Wirkungen etwa Wittkopp, ZAR 2018, 325) ausgehen sollten. Dieses Verständnis beinhaltet auch nicht etwa eine – nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts unzulässige – Umdeutung einer objektiv rechtswidrigen Abschiebungsandrohung in eine rechtmäßige Abschiebungsandrohung nach § 36 Abs. 1 AsylG unter gleichzeitiger Aussetzung des Vollzugs nach § 80 Abs. 4 VwGO (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 15.01.2019 - 1 C 15/18 -, juris Rn. 50). Die geänderte Nr. 5 des Bescheides wird vielmehr lediglich aus objektiver Sicht des Erklärungsempfängers der zutreffende Erklärungsgehalt beigemessen. Der Erklärungsempfänger kann ersichtlich nicht davon ausgehen, dass ihn negative rechtliche Folgen wegen der Nichtbefolgung einer Handlungspflicht treffen sollen, die (noch) gar nicht besteht. Eine solche Sichtweise wäre sowohl dem allgemeinen Vollstreckungsrecht als auch der Zwangsmittelsystematik des Asyl- und Aufenthaltsrechts fremd.

bb) Ein Abänderungsanspruch der Antragsteller besteht auch nicht wegen einer veränderten Sachlage. Die Corona-Pandemie lässt nicht die Feststellung zu, dass nunmehr Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG bestünden.

(1) Gesundheitsbedingte Abschiebungsverbote lassen sich nicht mit dem allgemeinen Risiko begründen, bei einer Rückkehr nach Armenien an dem Corona-Virus zu erkranken und infolge fehlender Behandlungsmöglichkeiten daran zu sterben. Nach § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG sind Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen. Um solche allgemeine Gesundheitsgefahren, die im Übrigen nicht nur in Armenien, sondern auch in Deutschland und weltweit – freilich in unterschiedlich starker Ausprägung – bestehen, geht es bei den gesundheitlichen Risiken der Corona-Pandemie. Diesbezügliche Entscheidungen sind mithin der obersten Landesbehörde vorbehalten. In der Vergangenheit wurden Abschiebungen nach jeweiliger Lagebeurteilung der Corona-Pandemie indessen bereits seitens der Antragsgegnerin zeitweilig ausgesetzt. Fehlt eine solche allgemeine Entscheidung, kommt ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur zur Schließung einer verfassungswidrigen Schutzlücke in Betracht. Dies würde voraussetzen, dass die Antragsteller in Armenien aufgrund landesweit drohender Gefahren "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert" würden (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.06.2010 - 10 C 10/09 -, juris Rn. 12 ff. m. w. N.). Das ist schon im Ansatz nicht erkennbar.

(2) Unabhängig von der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG ist aber auch eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben i. S. d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu verneinen. Für die Bestimmung der "Gefahr" gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, d. h. die drohende Rechtsgutsverletzung darf nicht nur im Bereich des Möglichen liegen, sondern muss mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein. Außerdem muss die Gefahr konkret sein, was voraussetzt, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustandes alsbald nach der Rückkehr des Betroffenen in sein Heimatland eintreten wird. Schon die Infektion mit dem Corona-Virus als solche ist – trotz der in Armenien verhältnismäßig hohen Zahl von Neuinfektionen – bei Beachtung der gebotenen Schutzmaßnahmen lediglich ein unspezifisches Risiko, das jedenfalls hinter einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit deutlich zurückbleibt. Zudem sind die Antragsteller dem Risiko auch in Deutschland ausgesetzt. Diese Erwägungen gelten auch für den Antragsteller zu 3., der zwischenzeitlich in Deutschland wegen eines Nierentumors operiert wurde. Hinsichtlich dieser Vorerkrankung des Antragstellers zu 3., der konkreten Krankheitsfolgen und der Fortbehandlung liegen nach wie vor keinerlei aktuelle Atteste vor. Das ist bereits im Beschluss vom 23. September 2019 angemerkt worden. Von einer individuell erhöhten Gefahr für den Antragsteller zu 3. kann deswegen nicht ausgegangen werden.

(3) § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK kann unter dem Aspekt von Gesundheitsgefahren zu keinem günstigeren Ergebnis für die Antragsteller führen, als die Prüfung nach § 60 Abs. 7 AufenthG. Diese Vorschrift vermittelt unter dem Aspekt gesundheitlicher Gefahren nämlich einen umfassenderen Schutz, als das (bloße) Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung aus Art. 3 EMRK. Auch unter dem Aspekt der humanitären Lage in Armenien resultiert kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK. Von einer Situation extremer materieller Not kann für die Antragsteller bei einer Rückkehr nach Armenien nicht ausgegangen werden. Es ist nicht ersichtlich, dass die besondere Situation der Corona-Pandemie zu einem derartigen Zusammenbruch der armenischen Wirtschaft geführt hat, dass die Antragsteller zu einer Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht in der Lage wären. So wird berichtet, dass wirtschaftliche Aktivitäten in vielen Bereichen seit Mai 2020 wiederaufgenommen werden (Radio Free Europe/Radio Liberty, COVID-19: Armenian Government Approves Extending State Of Emergency, v. 14.05.2020, abrufbar über www.ecoi.net). Davon unabhängig ist auch die armenische Regierung nicht untätig bei der Bekämpfung sich aus der Pandemiesituation ergebender wirtschaftlicher Härten. So wurde ein wirtschaftliches Hilfspaket für Bürger und Unternehmen in Not aufgelegt (Stiftung Wissenschaft und Politik, Zwei Jahre im "Neuen Armenien", Politische Polarisierung manifestiert sich auch in Covid-19-Krise, v. 28.04.2020, abrufbar über www.ecoi.net).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 80 AsylG).