Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 06.01.2014, Az.: 2 Ws 366/13

Gerichtliche Zuständigkeit für Entscheidungen über Maßnahmen zur Festnahme eines Verurteilten i.R.d. Vollstreckung einer Jugendstrafe

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
06.01.2014
Aktenzeichen
2 Ws 366/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2014, 11986
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2014:0106.2WS366.13.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Nienburg - AZ: 3 VRJs 41/12
StA Verden - AZ: 510 Js 3195/10

Fundstelle

  • StraFo 2014, 172-173

Amtlicher Leitsatz

Zur Entscheidung über Maßnahmen zur Festnahme eines Verurteilten nach § 457 Abs. 3 StPO ist auch bei der Vollstreckung von Jugendstrafe das Gericht des ersten Rechtszuges zuständig. Das Jugendgerichtsgesetz begründet keine Zuständigkeit des Vollstreckungsleiters für solche Entscheidungen.

In der Strafvollstreckungssache
gegen E. B.,
geboren am xxxxxx 1990 in N.,
z. Zt. unbekannten Aufenthalts,
wegen schwerer räuberischer Erpressung u. a.
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxxxxx, die Richterin am Oberlandesgericht xxxxxx und die Richterin am Landgericht xxxxxx am 6. Januar 2014
beschlossen:

Tenor:

Für die Entscheidung über die Anordnung der Telekommunikationsüberwachung ist das Amtsgericht Nienburg/Weser - Jugendschöffengericht - zuständig.

Gegen diese Entscheidung ist keine Beschwerde gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO).

Gründe

I.

Das Jugendschöffengericht des Amtsgerichts Nienburg/Weser verhängte am 25. Mai 2011 gegen den Verurteilten wegen gemeinschaftlicher räuberischer Erpressung u. a. eine Jugendstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten. Der Verurteilte wurde der Jugendanstalt Hameln am 3. August 2012 zugeführt. Mit Beschluss vom 17. April 2013 stellte der Vollstreckungsleiter für die Jugendanstalt Hameln beim Amtsgericht Hameln mit Zustimmung des Gerichts des ersten Rechtszuges die Vollstreckung nach § 35 Abs. 1 BtMG für die Dauer eines Jahres zugunsten der Durchführung einer Drogenentwöhnungsbehandlung des Verurteilten zurück. Die Zurückstellung der Strafvollstreckung widerrief er mit Beschluss vom 24. September 2013 und ordnete die Vollstreckung der Restjugendstrafe an, weil der Verurteilte die Behandlung abgebrochen hatte. Er erließ ferner unter dem 26. September 2013 einen Vollstreckungshaftbefehl. Der Vollstreckungsleiter der Jugendanstalt Hameln beim Amtsgericht Hameln trat der Anregung der Polizei N. bei, die Überwachung der Telekommunikation zur Festnahme des Verurteilten anzuordnen, weil der Verurteilte unbekannten Aufenthalts sei und über einen unüberschaubaren Verwandten- und Bekanntenkreis verfüge. Er übersandte die Akten zur Entscheidung an das Amtsgericht Nienburg/Weser. Das Amtsgericht Nienburg/Weser erklärte sich für unzuständig und legte die Akten dem Oberlandesgericht Celle zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vor.

II.

Das Amtsgericht Nienburg/Weser - Jugendschöffengericht - ist für die Entscheidung über die Anordnung der Telekommunikationsüberwachung zum Zweck der Festnahme des Verurteilten zuständig.

1.

Die Zuständigkeit des Jugendschöffengerichts des Amtsgerichts Nienburg/Weser ergibt sich aus der Regelung des § 457 Abs. 3 Satz 3 StPO. Danach trifft das Gericht des ersten Rechtszuges die notwendig werdenden gerichtlichen Entscheidungen für Maßnahmen, die bestimmt und geeignet sind, den Verurteilten festzunehmen. Die Anordnung der Telekommunikationsüberwachung nach § 100a StPO ist bestimmt und geeignet, den Verurteilten festzunehmen. Sie bedarf einer richterlichen Anordnung (§ 100b StPO). Das Jugendschöffengericht des Amtsgerichts Nienburg/Weser ist das Gericht des ersten Rechtszuges.

2.

§ 457 Abs. 3 Satz 3 StPO findet auch bei der Vollstreckung von Jugendstrafe Anwendung, weil das Jugendgerichtsgesetz keine andere Regelung enthält (§ 2 Abs. 2 JGG).

a) § 83 Abs. 2 JGG findet weder unmittelbar noch entsprechend Anwendung. Nach § 83 Abs. 2 JGG ist für die bei der Vollstreckung notwendig werdenden gerichtlichen Entscheidungen gegen eine vom Vollstreckungsleiter getroffene Anordnung die Jugendkammer des Landgerichts in den Fällen zuständig, in denen der Vollstreckungsleiter selbst oder unter seinem Vorsitz das Jugendschöffengericht im ersten Rechtszug erkannt hat oder der Vollstreckungsleiter in Wahrnehmung der Aufgaben der Strafvollstreckungskammer über seine eigene Anordnung zu entscheiden hätte. Eine eigene Anordnung des Vollstreckungsleiters, gegen die eine gerichtliche Entscheidung notwendig wird, liegt nicht vor.

b) Das Jugendgerichtsgesetz begründet auch keine Zuständigkeit des Vollstreckungsleiters beim Amtsgericht Hameln. Das Jugendgerichtsgesetz regelt die Zuständigkeit des Vollstreckungsleiters. Dieser übt eine Doppelfunktion als weisungsgebundene Vollstreckungsbehörde einerseits und als unabhängiges Gericht andererseits aus. Grundsätzlich wird der Vollstreckungsleiter als Organ der Justizverwaltung tätig; er ist dann weisungsgebunden und unterliegt der Dienstaufsicht des Generalstaatsanwalts (OLG Karlsruhe, NStZ 1993, 104 [OLG Karlsruhe 17.09.1992 - 2 VAs 15/92]; LG Koblenz, NStZ-RR 1997, 53 [LG Koblenz 27.08.1996 - 2 Qs 57/96]). Als Organ der Justizverwaltung nimmt er die Aufgaben wahr, die bei der Vollstreckung von Freiheitsstrafen gegen Erwachsene der Staatsanwaltschaft obliegen. Nur in den gesetzlich vorgesehenen Fällen des § 83 Abs. 1 JGG trifft der Vollstreckungsleiter eine richterliche Entscheidung. Die Anordnung der Telekommunikationsüberwachung zur Ergreifung des Verurteilten stellt keinen der gesetzlich vorgesehenen Fälle im Sinne von § 83 Abs. 1 JGG dar. Eine Zuständigkeit des Vollstreckungsleiters der Jugendanstalt Hameln beim Amtsgericht Hameln für die Anordnung besteht mithin nicht.

c) Eine Erweiterung der richterlichen Zuständigkeit des Vollstreckungsleiters über den Wortlaut von § 83 Abs. 1 JGG hinaus auch für die Anordnung der Telekommunikationsüberwachung zur Festnahme des Verurteilten liefe dem Grundsatz der Gewaltenteilung zuwider. Der Vollstreckungsleiter der Jugendanstalt Hameln beim Amtsgericht Hameln hat als Vollstreckungsbehörde mit Zustimmung des Gerichts des ersten Rechtszuges die Zurückstellung der Strafvollstreckung beschlossen, die Zurückstellung der Strafvollstreckung widerrufen und einen Vollstreckungshaftbefehl gegen den Verurteilten erlassen. Er ist nunmehr in seiner Funktion als Vollstreckungsbehörde - wie die Staatsanwaltschaft bei Vollstreckung einer Freiheitsstrafe (dazu Löwe/Rosenberg-Graulmann-Scheerer, StPO, § 457 RN 31) - berechtigt, einen Antrag auf Anordnung der Telekommunikationsüberwachung beim Gericht des ersten Rechtszuges zu stellen (§ 457 Abs. 3 Satz 1 StPO i. V. m. § 100b StPO). Gericht des ersten Rechtszuges ist das Amtsgericht Nienburg, Jugendschöffengericht. Dieses ist auch für eine Entscheidung über eine Maßnahme nach § 100a StPO zuständig.