Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 22.01.2014, Az.: 1 Ws 19/14

Entstehen der Befriedungsgebühr bei Rücknahme einer Berufung hinsichtlich Tätigkeit zur Förderung des Verfahrens

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
22.01.2014
Aktenzeichen
1 Ws 19/14
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2014, 10395
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2014:0122.1WS19.14.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - AZ: 40 Qs 98/13
StA Hannover - AZ: 2112 Js 36148/12
BezRev AG Hannover - AZ: 5651 E 2 59/13

Fundstellen

  • AGS 2014, 125-126
  • JurBüro 2014, 241-242
  • NJW-Spezial 2014, 157
  • NStZ-RR 2014, 128
  • NStZ-RR 2014, 6
  • RENOpraxis 2014, 54
  • RVG prof 2014, 77
  • RVGreport 2014, 155-156
  • StRR 2014, 123
  • StRR 2014, 275
  • StraFo 2014, 219-220
  • VRR 2014, 83
  • ZAP 2014, 254
  • ZAP EN-Nr. 130/2014

Amtlicher Leitsatz

Für das Entstehen der Befriedungsgebühr bei Rücknahme einer Berufung kommt es allein darauf an, ob eine auf die Förderung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit ersichtlich ist. Anders als im Revisionsverfahren bedarf es einer bereits erfolgten Vorlage der Verfahrensakten an das für das Rechtsmittel zuständige Gericht nicht.

In der Strafsache
gegen M. L.,
geboren am xxxxxx 1969 in H.,
- Verteidiger: Rechtsanwalt R., H. -
wegen Diebstahls u. a.
hier: Kostenbeschwerde
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die weitere Beschwerde der Staatskasse gegen den Beschluss der 2. großen Strafkammer des Landgerichts Hannover vom 11. November 2013 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxxxxx, den Richter am Oberlandesgericht xxxxxx und den Richter am Oberlandesgericht xxxxxx am 22. Januar 2014
beschlossen:

Tenor:

Die weitere Beschwerde wird als unbegründet verworfen.

Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Hannover verurteilte den Angeklagten am 19. März 2013 wegen Diebstahls in drei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis unter Einbeziehung weiterer Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten und darüber hinaus wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tatmehrheit mit Diebstahl in vier Fällen, wobei er in zwei Fällen tateinheitlich mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis handelte und wegen Hehlerei in zwei Fällen zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr. Hiergegen hat der Angeklagte durch einen Schriftsatz seines ihm beigeordneten Verteidigers vom 26. März 2013 Berufung eingelegt. In der Folgezeit hat der Verteidiger die Rücknahme der Berufung in Aussicht gestellt für den Fall, dass die Staatsanwaltschaft Hannover die Vollstreckungsreihenfolge der gegen den Angeklagten zu vollstreckenden Freiheitsstrafen in der Weise abändere, dass die Strafvollstreckung nach Teilverbüßung gemäß § 35 BtMG zurückgestellt werden könnte. Hierzu hat er mit der Abteilungsleiterin der Staatsanwaltschaft Hannover ein persönliches Gespräch geführt und mit Schreiben vom 19. Juni 2013 bzw. 8. Juli 2013 um die Abänderung der Vollstreckungsreihenfolge ersucht. Nachdem die Staatsanwaltschaft diesem Ersuchen nachgekommen war, hat der Verteidiger die Rücknahme der Berufung erklärt, ohne dass die Akten bis dahin dem Berufungsgericht vorgelegen hatten.

Mit Schriftsatz vom 25. Juli 2013 hat der Verteidiger die Festsetzung seiner Gebühren und Auslagen einschließlich einer Verfahrensgebühr gemäß Ziffer 4141 Abs. 1 Nr. 1, 4124 VV RVG in Höhe von 216 € zuzüglich Mehrwertsteuer beantragt. Diese Verfahrensgebühr hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle für das Berufungsverfahren abgesetzt. Auf die Erinnerung des Verteidigers hat das Amtsgericht Hannover mit Beschluss vom 25. September 2013 die Festsetzung der Gebühr beschlossen. Hiergegen hat die Bezirksrevisorin am Amtsgericht Hannover Beschwerde erhoben, die durch die Kammer in der Besetzung mit drei Richtern mit dem angefochtenen Beschluss verworfen worden ist. Zugleich hat die Kammer die weitere Beschwerde zugelassen.

Mit ihrer weiteren Beschwerde trägt die Bezirksrevisorin vor, dass nach dem Wortlaut der Ziffer 4141 Abs. 1 Nr. 3 VV RVG die Befriedungsgebühr nur entstehe, wenn sich das gerichtliche Verfahren durch Rücknahme der Berufung erledige. Dies setze den Eingang der Verfahrensakten beim Landgericht als Berufungsinstanz voraus, weil erst dann eine Hauptverhandlung vermieden werden könne. Dies sei bei der entsprechenden Konstellation im Revisionsverfahren anerkannt und müsse auch für das Berufungsverfahren Anwendung finden, um einen eindeutigen Anknüpfungspunkt für das Entstehen der Befriedungsgebühr zu bieten. Zudem sei die erhobene Berufung aufgrund sachfremder Beweggründe erhoben worden. Das Anliegen des Verteidigers hätte auch nach Rechtskraft des Urteils im Vollstreckungsverfahren erreicht werden können, sodass eine entsprechende Tätigkeit des Verteidigers durch Ziffer 4205 VV RVG abgegolten hätte werden können.

II.

Die weitere Beschwerde ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

1. Die Zulässigkeit der weiteren Beschwerde folgt aus § 56 Abs. 2 i. V. m. § 33 Abs. 6 RVG. Die Kammer hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage die weitere Beschwerde zugelassen. Sie ist auch innerhalb der Frist des § 33 Abs. 6 Satz 4 i. V. m. § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG erhoben worden. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200 € (§ 33 Abs. 3 Satz 1 RVG).

2. Die weitere Beschwerde ist jedoch unbegründet. Zu Recht hat die Kammer die Beschwerde der Bezirksrevisorin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 25. September 2013 verworfen. Das Amtsgericht Hannover hat die Befriedungsgebühr der Ziffer 4141 i. V. m. 4124 VV RVG zutreffend festgesetzt.

Mit der Befriedungsgebühr soll eine intensive und zeitaufwändige Tätigkeit des Verteidigers, die zu einer Vermeidung der Hauptverhandlung und damit beim Verteidiger zum Verlust der Hauptverhandlungsgebühr führt, gebührenrechtlich honoriert werden (vgl. OLG Oldenburg, NStZ-RR 2011, 96). Zutreffend hat die Kammer darauf abgestellt, dass es im Berufungsverfahren anders als im Revisionsverfahren (vgl. OLG Oldenburg a. a. O.; OLG Hamburg, StRR 2009, 239; OLG Stuttgart, Rechtspfleger 2007, 284; OLG Köln, AGS 2008, 447 [OLG Köln 18.04.2008 - 2 Ws 164/08]; OLG Brandenburg, NStZ-RR 2007, 288; OLG Koblenz, Beschluss vom 15. Mai 2008, 1 Ws 229/08; OLG Saarbrücken, JurBüro 2007, 28; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 17. Mai 2005, 1 Ws 164/05; OLG Jena, RVG-Letter 2007, 656; OLG Hamm, StraFo 2006, 474 [OLG Hamm 20.06.2006 - 4 Ws 144/06]) dabei auf den Eingang der Akten beim Rechtsmittelgericht nicht ankommt. Während im Revisionsverfahren die Durchführung einer Hauptverhandlung die Ausnahme ist und sich das Erfordernis hierfür erst dann ergibt, wenn das Revisionsgericht nicht gemäß § 349 Abs. 1, 3 oder 4 StPO im Beschlusswege entscheidet (§ 349 Abs. 5 StPO), die nach Ziffer 4141 VV RVG erforderliche Anwaltsmitwirkung an der Entbehrlichkeit einer Hauptverhandlung sich damit auch erst nach Eingang der Verfahrensakten beim Revisionsgericht feststellen lassen kann, ist die Durchführung einer Hauptverhandlung im Berufungsverfahren der Regelfall. Da auch der Wortlaut der Ziffer 4141 Abs. 1 Nr. 3 nur zwischen begonnener und nicht begonnener Hauptverhandlung, nicht aber zwischen Anhängigkeit und Nichtanhängigkeit des Verfahrens in der Rechtsmittelinstanz differenziert, kommt es für das Entstehen der Befriedungsgebühr in der Berufungsinstanz allein darauf an, ob eine auf die Förderung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit ersichtlich gewesen ist (Ziffer 4141 Abs. 2 VV RVG). Angesichts der dargelegten Verhandlungen mit dem Ziel der Abänderung einer Vollstreckungsreihenfolge als Voraussetzung für die Rücknahme der Berufung ist dies der Fall.

Die Berufung ist entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin auch kein unsachgemäßes prozessuales Mittel gewesen, um den erwünschten Erfolg zu erzielen. Hätte die Staatsanwaltschaft nämlich der Abänderung der Vollstreckungsreihenfolge nicht zugestimmt, wäre es legitim gewesen, die Berufung mit dem Ziel einer geringeren, die Anwendung des § 35 BtMG im Vollstreckungsverfahren ermöglichenden Sanktion zu erreichen. Wäre die Berufung bereits vor einer solchen Zusage von Seiten der Staatsanwaltschaft zurückgenommen worden, wäre der Angeklagte Gefahr gelaufen, im Fall einer fehlenden Bereitschaft der Staatsanwaltschaft, die Vollstreckungsreihenfolge abzuändern, sein Ziel nicht mehr erreichen zu können. Im Übrigen obliegt es nicht dem Vertreter der Landeskasse darüber zu befinden, ob ein erhobenes Rechtsmittel sachgerecht ist, wenn damit jedenfalls die Möglichkeit einer Besserstellung des Angeklagten erzielt werden kann.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.