Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 18.05.2017, Az.: 5 K 160/15
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 18.05.2017
- Aktenzeichen
- 5 K 160/15
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2017, 43854
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2017:0518.5K160.15.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 27.09.2018 - AZ: V R 28/17
Rechtsgrundlagen
- Art. 295 Abs. 1 Nr. 4 EGRL 112/2006
- Art. 296 Abs. 1 EGRL 112/2006
- § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UStG 2005
- UStG VZ 2008
- UStG VZ 2009
Fundstellen
- EFG 2017, 1483-1485
- KÖSDI 2017, 20478
- MwStR 2017, 560
- Umsatzsteuer direkt digital 2017, 22
Amtlicher Leitsatz
Die Verarbeitung von Hofmilch zu Joghurt unter Zusatz eines zugekauften Fruchtanteils von 14% unterfällt der Durchschnittsbesteuerung nach § 24 UStG.
Tatbestand
Streitig ist die Besteuerung von Umsätzen aus der Veräußerung von Fruchtjoghurt mit einem Fruchtanteil von 14 %.
Die Klägerin betreibt allgemeine Landwirtschaft mit Milcherzeugung und -verarbeitung. Sie verfügte in den Streitjahren über ca. 80 Milchkühe. Produziert wurden jährlich rund 650.000 Liter Milch, von denen rund 10.000 Liter in die Joghurtproduktion gingen.
Auf dem Hofgelände befindet sich ein altes Gebäude. Dort stehen 2 Tanks mit einem Fassungsvermögen von 450 Litern und 350 Litern. Der kleinere Tank wird überwiegend für die Joghurtherstellung eingesetzt. Für die Joghurtherstellung wird die Milch zunächst auf knapp 80° erhitzt (Pasteurisierung). Nach Abkühlung der Milch auf 44° werden die Bakterienkulturen zugefügt. Der Prozess der Joghurtherstellung benötigt dann rund 16 Stunden. Die Abfüllung des so hergestellten Naturjoghurts erfolgt zum Teil händisch in wiederverwertbare Plastikbecher, zum Teil auch maschinell über einen sog. Rundläufer. Für die Herstellung von Fruchtjoghurt werden eingekaufte Fruchtmischungen (3kg-Gebinde) zugeführt, händisch vermischt und anschließend händisch oder maschinell abgefüllt.
Im Rahmen einer Außenprüfung kam der Prüfer zu dem Ergebnis, dass der von der Klägerin erzeugte Fruchtjoghurt mit einem zugekauften Fruchtanteil von 14 % als Erzeugnis der 2. Verarbeitungsstufe anzusehen sei und deshalb kein landwirtschaftliches Erzeugnis im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 2 UStG vorliege.
Dementsprechend unterwarf das Finanzamt diese Umsätze (2008 [ab 1.7.]: 18.093,-- € / 2009: 37.391 €) der Regelbesteuerung mit 7 %.
Hiergegen wendet sich die Klägerin. Sie trägt vor, die Umsätze aus dem Verkauf des Fruchtjoghurts seien der Pauschalierung nach 24 UStG zuzurechnen.
Ob ein Produkt noch als landwirtschaftliches Produkt der 1. Verarbeitungsstufe anzusehen sei, richte sich nach der Ansicht des Durchschnittsverbrauchers. Für den Durchschnittsverbraucher sei Joghurt gleich Joghurt.
Diese Auslegung ergebe sich auch aus Abschn. 24.2 Abs. 3 Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE). Dort sei aus Vereinfachungsgründen folgendes geregelt:
"Werden selbst erzeugte Produkte untrennbar mit zugekauften Produkten vermischt, unterliegt die Lieferung des Endprodukts aus Vereinfachungsgründen noch der Durchschnittssatzbesteuerung, wenn die Beimischung des zugekauften Produkts nicht mehr als 25 % beträgt"
Bei Anwendung dieser Vorschrift sei der zugekaufte Fruchtanteil in Höhe von 14 % unschädlich. Die Umsätze des Fruchtjoghurts seien daher der Durchschnittsbesteuerung zuzurechnen.
Die Klägerin beantragt,
die Umsatzsteuer wie folgt festzusetzen:
2008 | 2009 |
---|
Umsatzsteuer zum allgemeinen Steuersatz | 311,22 € |
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Umsatzsteuer für innergemeinschaftliche Erwerbe | 753,34 € | 785,61 |
---|
Gesamt | 1.064,56 € | 785,61 € |
---|
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, dass es sich bei dem veräußerten Fruchtjoghurt nicht um ein reines Milcherzeugnis, sondern um ein Produkt der 2. Verarbeitungsstufe handele, das gemäß BMF-Schreiben vom 16. Januar 2008 durch die Be- oder Verarbeitung seinen landwirtschaftlichen Charakter verloren habe.
Die in Abschnitt 24.2 UStAE aufgeführten Beispiele zeigten, dass lediglich untrennbare Beimischung des gleichen Produkts unter die Nichtbeanstandungsgrenze von 25 % fielen.
Unter dem 17. Mai 2017 hat die Klägerin eine Stellungnahme des "Verbandes für handwerkliche Milchverarbeitung im ökologischen Landbau e.V." vom 15. Mai 2017 vorgelegt. Wegen des Inhalts wird auf Blatt 56 - 59 der Gerichtsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet
I. Die Umsatzsteuerbescheide 2008 und 2009 in der Fassung vom 15. März 2013 in der Gestalt des Einspruchsbescheides vom 11. Mai 2015 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die streitbefangenen Leistungen in Höhe von netto 18.093 € (2008) und 37.391 € (2009) unterliegen der Pauschalbesteuerung und sind daher zu Unrecht vom Beklagte der Regelbesteuerung unterworfen worden.
1. Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG in der in den Streitjahren geltenden Fassung wird für "die im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs ausgeführten Umsätze" vorbehaltlich der Sätze 2 bis 4 die Steuer für die nicht näher bezeichneten --hier einschlägigen-- "übrigen Umsätze" auf 10,7 % der Bemessungsgrundlage festgesetzt. Die Vorsteuerbeträge werden, soweit sie den "übrigen Umsätzen" zuzurechnen sind, auf 10,7 % der Bemessungsgrundlage für diese Umsätze festgesetzt; ein weiterer Vorsteuerabzug entfällt (§ 24 Abs. 1 Sätze 3 und 4 UStG). Durch diese Regelungen gleichen sich Steuer und Vorsteuer aus, so dass der Landwirt im Ergebnis für diese Umsätze keine Umsatzsteuer zu entrichten hat.
Als land- und forstwirtschaftlicher Betrieb gelten nach § 24 Abs. 2 Satz 1 UStG
"1. die Landwirtschaft, die Forstwirtschaft, der Wein-, Garten-, Obst- und Gemüsebau, die Baumschulen, alle Betriebe, die Pflanzen und Pflanzenteile mit Hilfe der Naturkräfte gewinnen, die Binnenfischerei, die Teichwirtschaft, die Fischzucht für die Binnenfischerei und Teichwirtschaft, die Imkerei, die Wanderschäferei sowie die Saatzucht;
2. Tierzucht- und Tierhaltungsbetriebe, soweit ihre Tierbestände nach den §§ 51 und 51a des Bewertungsgesetzes zur landwirtschaftlichen Nutzung gehören."
Zum land- und forstwirtschaftlichen Betrieb gehören nach § 24 Abs. 2 Satz 2 UStG auch die Nebenbetriebe, die dem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb zu dienen bestimmt sind.
2. § 24 UStG ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH richtlinienkonform entsprechend Art. 25 der Richtlinie 77/388/EWG - bzw. seit dem 1. Januar 2007 nach Art. 295 ff. der MwStSystRL - auszulegen (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 21.01.2015 XI R 13/13, BStBl II 2015, 730).
Nach Art. 296 Abs. 1 der MwstSystRL können die Mitgliedstaaten auf landwirtschaftliche Erzeuger, bei denen die Anwendung der normalen Mehrwertsteuerregelung oder ggf. der Sonderregelung des Kapitels 1 auf Schwierigkeiten stoßen würde, als Ausgleich für die Belastung durch die Mehrwertsteuer, die auf die von Pauschallandwirten bezogenen Gegenstände und Dienstleistungen bezahlt wird, eine Pauschalregelung anwenden.
a) Als "landwirtschaftliche Erzeugnisse" gelten nach Art. 295 Abs. 1 Nr. 4 der MwStSystRL alle Gegenstände, die im Rahmen der in Anhang VII aufgeführten Tätigkeiten von den land-, forst- oder fischwirtschaftlichen Betrieben der einzelnen Mitgliedstaaten erzeugt werden. "Tierzucht und Tierhaltung in Verbindung mit Bodenwirtschaft" ist in Nr. 2 des Anhangs VII ausdrücklich als landwirtschaftliche Erzeugung benannt.
b) Den in Anhang VII aufgeführten Tätigkeiten der landwirtschaftlichen Erzeugung gleichgestellt sind die Verarbeitungstätigkeiten, die ein Landwirt bei im Wesentlichen aus seiner landwirtschaftlichen Produktion stammenden Erzeugnissen mit Mitteln ausübt, die normalerweise in land-, forst- oder fischwirtschaftlichen Betrieben verwendet werden (Art. 295 Abs. 2 MwStSystRL).
Was die für die Verarbeitungstätigkeit eingesetzten "Mittel" anbelangt, dürfte die Aussage im Richtlinientext, dass diese normalerweise in landwirtschaftlichen Betrieben verwendet werden müssen, dahin auszulegen sein, dass die Verarbeitung nicht zu Erzeugnissen mit nach der Verkehrsanschauung nichtlandwirtschaftlichem Charakter führen darf (Windecker, in Schwarz /Widmann /Radeisen, UStG, § 24 Rn. 145).
aa) Lediglich Erzeugnisse der 1. Verarbeitungstufe (vgl. 24.2. Abs. 2 Satz 2 UStAE und R 15.5 Abs. 3 EStR) dürften noch den Begriff der Verarbeitungstätigkeit im Sinne des Artikels 295 Abs. 2 der MwStSystRL erfüllen. Denn durch die Verarbeitung zu einem Produkt der 2. oder 3. Verarbeitungsstufe verlieren die Erzeugnisse ihren landwirtschaftlichen Charakter (vgl. vgl. 24.2. Abs. 2 Satz 3 UStAE und BMF-Schreiben vom 16. Januar 2008, BStBl. I 2008, 293).
Der Begriff der "Verarbeitungsstufe" ist nicht i.S.d. Anzahl der Arbeitsschritte zu verstehen. Entscheidend ist vielmehr der Charakter des durch die Verarbeitung entstanden Produkts. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen ob dieses Produkt noch als Gegenstand einer der in Anhang VII der MwStSystRL abschließend genannten Erzeugertätigkeiten angesehen werden kann. Produkte, die fast ausschließlich in Gewerbebetrieben bzw. nicht landwirtschaftlichen Betrieben hergestellt werden, sind keine landwirtschaftlichen Erzeugnisse. Dies betrifft etwa Obst- und Gemüse-Konserven (so bereits BFH-Urteil vom 5. November 1959 V 15/57 U, BStBl III 1959, 493; a.A. FG München, Urteil vom 25. Januar 2007 14 K 1312/04, EFG 2007, 1200 zu Gurkensticks in Konservengläsern).
bb) Bei Milcherzeugnissen ist dementsprechend zwischen der einfachen Verarbeitung von Milch zu Butter, Quark, Sauermilcherzeugnissen oder Käse (landwirtschaftliche Verarbeitung) und der weitergehenden - landwirtschaftsuntypischen - Bearbeitung zu höherwertigen Milchprodukten wie z. B. Joghurt oder Milchmixgetränke (Bunjes/Leonard, UStG, § 24 Rn. 31) zu unterscheiden. Die weitergehende Verarbeitung von Milch zu höherwertigen Produkten, wie z. B. Joghurt und Biojoghurt mit oder ohne Zusatz von Früchten, Farbstoffen oder Vitamin oder Milchmixgetränken ist regelmäßig nur mit Hilfsmitteln (Kulturen, technische Molkereiinstallationen) möglich, die außerhalb des durch das traditionelle Bild gegebenen Rahmens der Land- und Forstwirtschaft liegen (Klenk in Sölch/Ringleb, UStG, § 24 Rz. 311).
3. Unter Anwendung dieser Rechtsgrundsätze ist der Senat im Streitfall zu der Entscheidung gelangt, dass die Verarbeitung der Milch zu Fruchtjoghurt auf dem Hof der Klägerin noch als landwirtschaftliche Verarbeitung anzusehen ist.
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung erläutert, dass die auf dem Hof vorhandenen "Mittel" (Tanks, Behälter und Abfüllanlagen) nicht speziell für die Joghurterzeugung angeschafft, sondern für die Pasteurisierung und Abfüllung der Milch (in Flaschen) ohnehin benötigt würden.
Die "Hofmilch" wird zunächst durch Erhitzen auf 72° pasteurisiert, anschließend abgefüllt und zum Verkauf angeboten. Für die Joghurtherstellung wird die Milch zunächst auf knapp 80° erhitzt (Pasteurisierung). Nach Abkühlung der Milch auf 44° werden die Bakterienkulturen zugefügt. Der Prozess der Joghurtherstellung benötigt dann rund 16 Stunden. Beide Herstellungsprozesse unterscheiden sich nur marginal und werden daher vom Beklagten zu Recht noch als landwirtschaftliche Erzeugung angesehen. Durch das Pasteurisieren und Abfüllen der Milch bleibt diese nämlich ein landwirtschaftliches Erzeugnis. Die Verarbeitung der pasteurisierten Milch zu Joghurt führt im Streitfall zu keinem anderen Ergebnis. Durch das bloße Zufügen der Bakterienkulturen und das anschließende Zuwarten (16 Stunden bis zur Produktreife) verliert das ursprüngliche Erzeugnis nicht seinen (ursprünglich) landwirtschaftlichen Charakter. Dies wird auch vom Beklagten so beurteilt.
Entgegen der Auffassung des Finanzamts führt indes die bloße händische Vermischung des Naturjoghurts mit dem zugekauften Fruchtanteil nicht zu einer anderen Beurteilung. Allein im Zusatz des Fruchtanteils vermag der Senat keine landwirtschaftsuntypische Be- oder Verarbeitung außerhalb des traditionellen Bildes des Landwirts zu erkennen. Dies gilt zumal der beigefügte Fruchtanteil von 14% sich noch innerhalb der Nichtbeanstandungsgrenze (Abschn. 24.2 Abs. 3 UStAE) des BMF bewegt.
In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass sich das Bild des traditionellen Landwirts insoweit geändert hat, als dieser - nicht zuletzt aufgrund der niedrigen Abnahmepreise durch Molkereien - vermehrt dazu übergeht, landschaftliche Erzeugnisse wie Milch, Buttermilch, Butter, Dickmilch, Käse und Joghurt selbst über ein Hofladen zu vertreiben.
II. Die Kostenscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 151, 155 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.
Die Revision ist gem. § 115 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.