Sozialgericht Aurich
v. 06.10.2016, Az.: S 13 SO 70/15

Bibliographie

Gericht
SG Aurich
Datum
06.10.2016
Aktenzeichen
S 13 SO 70/15
Entscheidungsform
Gerichtsbescheid
Referenz
WKRS 2016, 35708
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der Bescheid vom 13.10.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.11.2015 wird aufgehoben. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte vom Kläger Auskünfte gemäß § 117 Abs. 1 des 12. Buches des Sozialgesetzbuches - Sozialhilfe (SGB XII) verlangen kann.

Hintergrund des Auskunftsbegehrens des Beklagten ist, dass die Mutter der Ehefrau des Antragstellers (also seine Schwiegermutter) seit dem 06.03.2015 Leistungen nach dem SGB XII in Form der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel und der Hilfe zur Pflege nach dem 7. Kapitel in Höhe von durchschnittlich 295,92 Euro pro Monat nach Aufnahme in eine stationäre Pflegeeinrichtung von der Beklagten erhält. Auf die Aufforderung der Beklagten zur Offenlegung ihrer eigenen wirtschaftlichen Verhältnisse teilte die Ehefrau des Klägers mit, dass sie kein eigenes Einkommen, kein Konto und keinen Grundbesitz habe. Ein Insolvenzverfahren mit Restschuldbefreiung sei durchgeführt. Auf die Erinnerung des Antragstellers vom 02.10.2015 legte sie einen Beschluss des Amtsgerichts Aachen vom 15.10.2013 über die Erteilung der Restschuldbefreiung vor (Aktenzeichen 93 IK 307/07). Mit streitigem Bescheid vom 13.10.2015 forderte die Beklagte den Kläger auf, Auskünfte über seine wirtschaftlichen Verhältnisse zu erteilen. Die Beklagte stützte die Aufforderung auf die Regelung des § 117 SGB XII. Sie verwies insbesondere darauf, dass die Auskünfte erforderlich seien, um die Unterhaltsfähigkeit der Ehefrau des Klägers abschließend prüfen zu können. Mit gleichem Bescheid ordnete der Beklagte die sofortige Vollziehung an. Eine zeitnahe Feststellung eventueller Unterhaltsansprüche liege im zwingenden öffentlichen Interesse, es sei zu verhindern dass öffentliche Leistungen durch ein langes Rechtsbehelfsverfahren gebunden würden. Der Kläger legte mit Schreiben vom 09.11.2015 Widerspruch gegen den Bescheid ein, welcher mit einem Widerspruchsbescheid vom 10.11.2015 zurückgewiesen wurde. Mit weiterem Bescheid vom 12.11.2015 hob der Beklagte den Widerspruchsbescheid vom 10.11.2015 auf und erlies zugleich den neuen streitigen Widerspruchsbescheid vom 12.11.2015, mit dem der Widerspruch wiederum zurückgewiesen wurde. In diesen Entscheidungen vertrat der Beklagte weiter die Auffassung, dass die Sozialhilfe von dem in § 2 SGB XII geregelten Subsdidiaritätsgrundsatz geprägt sei. Ein Unterhaltsanspruch der Sozialhilfe empfangenden Person, der Mutter der Ehefrau des Klägers, sei gemäß § 94 SGB XII auf ihn, den Beklagten, übergegangen. Die Ehefrau des Klägers sei in jedem Fall zum Unterhalt verpflichtet. Nach § 117 SGB XII hätten auch nicht getrennt lebende Ehegatten Auskunft zu erteilen.

Am 23.11.2015 erhob der Kläger die hier zu beurteilende Klage. Des Weiteren begehrte er die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (SG Aurich Beschluss vom 10.12.2015, - S 13 SO 69/15 ER). Das Sozialgericht Aurich gab dem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes mit Beschluss vom 10.12.2015 statt, indem es die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den hier streitigen Bescheid vom 13.10.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.11.2015 anordnete.

Diese Entscheidung wurde im Ergebnis durch das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen mit der Beschwerdeentscheidung bestätigt. (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 07.03.2016 - L 8 SO 4/16 B ER)

Der Kläger ist der Auffassung, dass von vornherein feststehe, dass er seiner Schwiegermutter nicht zum Unterhalt verpflichtet sei. Ebenso wenig sei er seiner Ehefrau in der Gestalt zum Unterhalt verpflichtet, dass ein Ergebnis resultieren könne, dass der Beklagte die Ehefrau zu Unterhaltsleistungen aus ihrem Unterhalt für ihre eigene Mutter heranziehen könne. Die Ehefrau habe keinerlei Einkünfte oder Vermögen. Es stehe fest, dass sie selbst keine Unterhaltsleistungen erbringen könne. Daraus ergebe sich, dass die Voraussetzungen des § 117 Abs. 1 SGB XII in Bezug auf die Erforderlichkeit der Auskunft zur Durchführung des SGB XII nicht erfüllt seien.

Der Kläger beantragt schriftlich,

den Bescheid des Kreises D. vom 13.10.2015 in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid vom 12.11.2015 gefunden hat, aufzuheben.

Der Beklagte beantragt schriftlich,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, dass die Auskunftspflicht nach § 117 Abs. 1 SGB XII nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift auch den Kläger als Ehegatten der Unterhaltspflichtigen treffe. Die Lasten der Haushalts- und Lebensführung werden von den Ehegatten gemeinsam getragen, somit seien zur Ermittlung der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit die Einkommens- und Vermögensverhältnisse beider Eheleute zu überprüfen. Nur diejenigen Personen gegenüber denen ein Anspruch offensichtlich nicht infrage käme könnten erfolgreich gegen ein Auskunftsverlangen gemäß § 117 SGB XII vorgehen. Dies sei beim Kläger nicht der Fall. Die Ehefrau sei Tochter der Hilfebedürftigen und damit Verwandte in gerader Linie gemäß 1601 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) unstreitig zum Unterhalt verpflichtet. Ebenso sei sie gemäß § 1605 Abs. 1 BGB zur Auskunft verpflichtet. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Ehegatten könnten einen Taschengeldanspruch der Unterhaltspflichtigen begründen. Das könne wiederum zur Leistungsfähigkeit führen.

Gegenstand der Entscheidungsfindung war die Gerichtsakte des Verfahrens, die Gerichtsakte des beigezogenen Verfahrens mit dem Aktenzeichen S 13 SO 69/15 ER sowie die von den Beteiligten überreichten Unterlagen.

Entscheidungsgründe

Nachdem die Beteiligten zum Erlass eines Gerichtsbescheides ohne mündliche Verhandlung gem. § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angehört wurden, war eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid ohne mündliche Verhandlung möglich. Die Sache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf und der Sachverhalt ist geklärt.

Die zulässige Klage ist begründet. Der angegriffene Bescheid vom 13.10.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.11.2015 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Das Vorbringen des Beklagten bezüglich der grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 117 SGB XII auf die Situation des Klägers als Ehegatte einer Unterhaltsverpflichteten trifft zu. Entsprechend dem Vorbringen des Beklagten ist der Wortlaut insoweit eindeutig und stellt ebenfalls auch auf Ehegatten von Unterhaltspflichtigen ab. Ebenso trifft die Einschätzung des Beklagten zu, dass der geltend gemachte Auskunftsanspruch nicht zwingend voraussetzt, dass ein Unterhaltsanspruch in zivilrechtlicher Hinsicht tatsächlich zweifelsfrei besteht.

Jedoch stellt ein Auskunftsanspruch eine Vorstufe zu einem Anspruch auf Leistungen dar. Ohne Annahme eines theoretisch denkbaren Anspruches im Einzelfall, dessen Höhe oder Bestehen durch die Auskunft ermittelt werden soll, ist der Auskunftsanspruch nicht in rechtmäßiger Weise geltend zu machen. Zur Auskunft verpflichtet ist nur, wer als Unterhaltsschuldner des Sozialhilfeempfängers in Betracht kommt (vergleiche Schoch in LPK SGB XII 10. Auflage 2015 § 117 Rn. 13; Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 21.01.1993 - 5 C 22/90; Urteil vom 05.08.1986 - 5 B 33/86). Diese Regelung findet einen gesetzlichen Niederschlag im hier anwendbaren § 117 Abs. 1 Satz 1 SGB XII am Ende. Dort ist ausgeführt, dass ein Auskunftsanspruch nur dann annehmbar ist, wenn die Durchführung dieses Buches, also des SGB XII, es erfordert. Durch die Regelung wird dem grundgesetzlichen Recht auf informationelle Selbstbestimmung Rechnung getragen. In dieses Recht darf nur aufgrund berechtigter Interessen des Leistungsträgers eingegriffen werden. Dementsprechend gilt im Rahmen des § 117 SGB XII die sogenannte Negativevidenz, dass ein Auskunftsanspruch - wie auch der Antragsgegner vorträgt - nur dann nicht durchsetzbar ist, wenn der Leistungsanspruch im konkreten Fall nicht einmal in irgendeiner denkbaren Weise besteht. (Vergleiche BSG Beschluss vom 20.12.2012 - B 8 SO 75/12 B zit. nach ).

Der Antragsgegner ist ausweislich des Akteninhaltes und seines Vorbringens sowie seines Vorgehens davon überzeugt, dass die Ehefrau des Klägers nicht leistungsfähig in Bezug auf einen Unterhaltsanspruch gegenüber ihrer eigenen Mutter, der Leistungsbezieherin, ist. Die Ehefrau hat angegeben, dass sie über keinerlei Einkommen und keinen Grundbesitz verfüge und vor allem hat sie nachgewiesen, dass bei ihr ein Insolvenzverfahren mit Restschuldbefreiung kurzfristig durchgeführt worden ist. Hierzu hat sie auch den Beschluss des Amtsgerichts vorgelegt. Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit der Angabe oder eine Veränderung der Einkommens- und Vermögenssituation seit Durchführung des Insolvenzverfahrens sind nicht erkennbar und vom Beklagten nicht vorgetragen. Das Gericht teilt diese Bewertung des Beklagten. Vor diesem Hintergrund ist es jedoch nicht erkennbar, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers für die Durchsetzung des Unterhaltsanspruchs der Mutter gegen die Ehefrau erheblich sind. Auch nach eigener Prüfung des Gerichts sind solche Ansprüche in der vorliegenden Konstellation nicht denkbar. Insbesondere umfasste der in § 1360 BGB formulierte Anspruch auf Familienunterhalt der Ehefrau des Klägers ihren Lebensbedarf und denjenigen der im Haushalt lebenden gemeinschaftlichen Kinder. Er umfasst keine Unterhaltspflicht für andere Verwandte. Dies beispielsweise nicht einmal für ein im Haushalt lebendes Stiefkind (Grandel in Herberger/Martinek/Rüssmann u.a. PK BGB 7. Auflage 2014 § 1360 Rn. 9 n.w.N.). Somit kommt ein Anspruch auf Unterhalt der Ehefrau des Klägers gegen den Kläger zur Bedienung ihrer eigenen Unterhaltspflichten unter keinem denkbaren Gesichtspunkt in Betracht. Bei fehlender eigener Leistungsfähigkeit im Sinne des § 1603 BGB kann die Ehefrau nicht gemäß § 1360 BGB Leistungen vom Kläger als ihrem Ehemann zur Bedienung ihrer eigenen Unterhaltsverpflichtungen beanspruchen. (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 07.03.2016 - L 8 SO 4/16 B ER). Dieser Bewertung des Berufungsgerichts schließt sich das erkennende Gericht an. Jedenfalls im konkreten Einzelfall der vermögens- und einkommenslosen Unterhaltsverpflichteten ist ein weitergehender Unterhaltsanspruch gegen den Ehegatten und damit hiesigen Kläger ausgeschlossen. Die Ehefrau könnte ihren eigenen Unterhaltspflichten nur durch ausschließlichen Rückgriff auf die Unterhaltsleistungen des Ehemanns, also des Klägers, erfüllen. Der Ehemann würde somit unmittelbar die Mutter der Ehefrau unterhalten.

Zwischen den Beteiligten unstreitig kommt ein Anspruch auf Verwandtenunterhalt gemäß den §§ 1601 ff. BGB der Schwiegermutter gegen den Kläger nicht in Betracht. Die Schwiegermutter ist nicht verwandt im Sinne der §§ 1601 ff. BGB. Diese Einschätzung teilt das Gericht.

Es sind ebensowenig Ansprüche aufgrund anderweitiger Unterhaltsverpflichtungen für die Zahlungen an die Schwiegermutter bekannt. Insbesondere liegen keinerlei Urkunden oder vertragliche Verpflichtungen des Klägers gegenüber seiner Schwiegermutter vor.

Die Bewertung des Gerichtes erstreckt sich auf den hier streitigen Auskunftsanspruch gem. § 117 Abs. 1 SGB XII auf sozialrechtlicher Grundlage. Bezüglich zivilrechtlicher Auskunftsansprüche trifft das Gericht keine Entscheidung. Jedoch gilt nach zivilrechtlichen Grundsätzen ebenfalls, dass das Bestehen eines Auskunftsanspruches voraussetzt, das die Geltendmachung eines Leistungsanspruches aufgrund der Auskünfte theoretisch denkbar ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) Der Beklagte ist in vollem Umfange unterlegen und hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Eine Kostenprivilegierung gemäß § 183 SGG bezüglich des Klägers scheidet aus, so dass § 197a SGG anwendbar ist. Der Beklagte ist gemäß § 64 Abs. 3 SGB X von Gerichtskosten befreit.

Die endgültige Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 4 sowie § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG). Bei einem Hauptsacheverfahren, dessen Gegenstand ein Auskunftsanspruch nach § 117 SGB XII ist, ist regelmäßig der Auffangstreitwert des § 52 Abs. 2 GKG mit 5000,00 Euro maßgeblich (BSG, Beschluss vom 14.05.2012 - B 8 SO 78/11 B -). Gründe für eine Abweichung von dieser Einschätzung sind von den Beteiligten nicht vorgetragen und für das Gericht auch nicht erkennbar.