Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 08.12.1988, Az.: 12 A 191/88

Voraussetzung für die Heranziehung des Halters eines Personenkraftwagens zur Erstattung der Kosten wegen Abschleppens seines verbotswidrig abgestellten Fahrzeuges

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
08.12.1988
Aktenzeichen
12 A 191/88
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1988, 12878
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1988:1208.12A191.88.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Schleswig - 26.07.1988 - AZ: 3 A 92/88

Fundstellen

  • MDR 1990, 396
  • NVwZ-RR 1989, 647-648 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Abschleppkosten.

Prozessführer

der Frau ...

Prozessgegner

die Polizeidirektion ... 45-47,

Der 12. Senat des Oberverwaltungsgerichts für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein
hat am 8. Dezember 1988
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Schoof,
die Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Gehrmann und
Radke sowie
die ehrenamtlichen Richter Streiber und Warn
ohne mündliche Verhandlung
für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 3. Kammer - vom 26. Juli 1988 wird geändert.

Der Bescheid der Beklagten vom 16. November 1987 und der Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 1988 werden aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin ist Halterin des Pkw ....

2

Der Sohn der Klägerin parkte dieses Fahrzeug am 3. Oktober 1987 gegen 1.00 Uhr nachts im Bereich der Fußgängerzone in der ... Straße in ... um eine nahegelegene Gaststätte zu besuchen. Der Eingangsbereich der Fußgängerzone ist mit dem Zeichen 241 und 267 StVO gekennzeichnet; außerdem befindet sich dort ein Zusatzschild "Anlieferverkehr frei 13.00 Uhr bis 15.00 Uhr und 19.00 Uhr bis 10.00 Uhr".

3

Beamte des zweiten Polizeireviers ... stellten den Verkehrsverstoß um 1.00 Uhr fest. Sie ließen das Fahrzeug um 2.00 Uhr durch ein Abschleppunternehmen Fa. H. ... entfernen; es entstanden 137,13 DM Abschleppkosten.

4

Mit Leistungsbescheid vom 16. November 1987 forderte die Beklagte die Klägerin auf, die Abschleppkosten von 145,36 DM (8,32 DM Handlung durch einen Beauftragten gemäß § 3 Abs. 2 VVKO vom 18.03.1985 (GVOBl S. 82) sowie Entgelt an Beauftragte von 137,13 DM) zu zahlen. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Bescheid vom 23. Februar 1988 zurück.

5

Die Klägerin hat Klage erhoben und vorgetragen:

Die Abschleppmaßnahme sei unverhältnismäßig gewesen; am 3. Oktober 1987 habe ihr Sohn das Fahrzeug geparkt, um eine Gaststätte zu besuchen; nachts um 1.00 Uhr habe keine Veranlassung zum Abschleppen des Pkw bestanden, da zu diesem Zeitpunkt von dem Fahrzeug keinerlei konkrete Gefährdungen für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgegangen seien. Insbesondere werde nachts kein Fußgängerverkehr gestört, denn nur wenige Gaststättenbesucher hielten sich zur Nachtzeit noch in diesem Bereich der Kieler Innenstadt auf; der Pkw sei im übrigen zwischen Pollern abgestellt gewesen, die den für Fußgänger vorgesehenen Bereich von der für den Anlieferverkehr bestimmten Zone abgrenzten; bei verständiger Würdigung der Gesamtumstände hätte die Polizei zu dem Schluß kommen müssen, daß der Pkw im Laufe der Nacht nach Schließung der dortigen Gaststätten entfernt worden wäre; wäre dies gleichwohl nicht geschehen, hätte ein Abschleppen am nächsten Morgen ausgereicht.

6

Die Klägerin hat beantragt,

die Bescheide vom 16. November 1987 und 23. Februar 1988 aufzuheben.

7

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 26. Juli 1988 die Klage abgewiesen und sich dem Rechtsstandpunkt der Beklagten angeschlossen; es hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Streitsache gemäß § 131 Abs. 2 Nr. 1 VwGO die Berufung zugelassen.

9

Die Klägerin hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt und beantragt sinngemäß,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach ihrem in erster Instanz gestellten Antrag zu erkennen.

10

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

11

Auf den Inhalt der Schriftsätze der Parteien wird zur Ergänzung Bezug genommen.

12

Die Verwaltungsvorgänge der Beklagten haben dem Senat vorgelegen; auf ihren Inhalt wird ebenfalls Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

13

Der Senat kann in der Sache ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Parteien auf sie verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).

14

Die Berufung ist statthaft, denn das Verwaltungsgericht hat sie zugelassen (Art. 2 § 4 Abs. 1, Abs. 2 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit vom 31. März 1978 (BGBl I S. 446) in der Fassung des Gesetzes vom 4. Juli 1985 (BGBl I S. 1274) Art. 1 Nr. 1).

15

Das angefochtene Urteil ist zu ändern.

16

Der Leistungsbescheid der Beklagten vom 16. November 1987 sowie der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 23. Februar 1988 sind als rechtswidrig aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

17

Die Heranziehung der Klägerin zur Leistung der Kosten für das sofort vollzogene Abschleppen ihres Personenkraftwagens als Maßnahme der Ersatzvornahme im Sinne von §§ 196, 204 Landesverwaltungsgesetz - LVwG - in der Fassung vom 19. März 1979 (GVOBl S. 182) verstieß gegen allgemeine Grundsätze des Verwaltungshandelns durch Verwaltungsakt (§§ 71 ff LVwG). Die Beklagte hat den Grundsatz nicht beachtet, daß das Verwaltungshandeln nicht zu einer Beeinträchtigung des einzelnen führen darf, die zu dem beabsichtigten Erfolg in einem offenbaren Mißverhältnis steht (§ 73 Abs. 2 LVwG).

18

Ein Halter eines Personenkraftwagens darf zur Erstattung der Kosten wegen Abschleppens seines verbotswidrig abgestellten Fahrzeuges - nur herangezogen werden, wenn der übrige Verkehr - Fußgänger- oder Fahrzeugverkehr - durch das Fahrzeug am betreffenden Ort gefährdet oder doch zumindest erheblich behindert wird und weder Halter noch Fahrer kurzfristig erreichbar sind. Die Entscheidung über die Abschleppmaßnahme hängt dabei von den Umständen des einzelnen Falles ab.

19

Das Fahrzeug der Klägerin war von ihrem Sohn verbotswidrig in der Fußgängerzone in der ... Straße in ... abgestellt worden. Die Dänische Straße ist zur Fußgängerzone erklärt worden; die eingangs der Straße aufgestellten Verkehrsschilder (§ 41 Abs. 2 Nr. 5 Zeichen 241 StVO) bezeichnen die Verkehrsfläche, die befahren werden darf, als Fußweg (Fußgängerzone) und stellen ein Verbot dar, den Fußgängerweg (Fußgängerzone) mit einem Kraftfahrzeug zu befahren; zugleich enthält das Verbot gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 2 VwGO das sofort vollziehbare Gebot, das Fahrzeug aus der Verbotszone zu entfernen (BVerwGE 27, 181 (183) [BVerwG 09.06.1967 - VII C 18/66];  59, 221 (226), [BVerwG 13.12.1979 - 5 C 1/79]BVerwG, Beschl, vom 07.11.1977 - 7 B 135/77 -, NJW 1978, 656). Von Verkehrsteilnehmern, die keine Fußgänger sind, wird nicht nur die Unterlassung der Benutzung des betreffenden Straßenbereichs gefordert, sondern es gilt auch das Gebot, nach einer Zuwiderhandlung gegen dieses Verbot den verkehrswidrigen Zustand soweit wie möglich zu beseitigen, also ein rechtswidrig abgestelltes Fahrzeug alsbald zu entfernen (BVerwG NJW 1978, 656, 657) [BVerwG 07.11.1977 - VII B 135/77]. Diesem Gebot ist der Sohn der Klägerin nicht nachgekommen.

20

Die Beklagte als Polizeibehörde war nach pflichtgemäßem Ermessen gehalten, Maßnahmen der Gefahrenabwehr zu treffen (§ 171 VwGO). Nur bei Vorliegen einer Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung oder zur Abwehr einer im einzelnen Fall bevorstehenden Gefahr für die Öffentliche Sicherheit und Ordnung durfte sie das Mittel der Ersatzvornahme anwenden (§§ 173 Abs. 1, 174 Abs. 1 LVwG). Die Kostenpflicht der Klägerin als Halterin und damit als Verantwortlicher im Sinne von § 186 Abs. 1 LVwG trat nur bei Vorliegen der allgemeinen Grundsätze für das Verwaltungshandeln (Grundsatz der Gesetzmäßigkeit, Ermessen, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit) ein; nur eine rechtmäßige Anordnung der Ersatzvornahme führte zur Kostenpflicht in Höhe des von der Beklagten geltend gemachten Betrages (§ 204 Abs. 2 LVwG iVm der Vollzugs- und Vollstreckungskostenordnung - VVKO - vom 18. März 1982 GVBl S. 82).

21

Es war nach Sachlage nicht geboten, bereits um 2.00 Uhr nachts die Ersatzvornahme durch Abschleppen des verkehrswidrig abgestellten Fahrzeugs der Klägerin durchzuführen. Dies ergibt sich aus dem Sinn und Zweck des Verbots, in Fußgängerzonen wie der in der ... straße in ... zu parken. Nachts in der Zeit von 1.00 bis 2.00 Uhr verursacht ein parkendes Fahrzeug in der Fußgängerzone keine Störung der öffentlichen Ordnung oder gar eine Gefahr für die öffentliche Ordnung im Sinne des § 173 Abs. 1 LVwG, die die von der Beklagten angeordnete Abschleppmaßnahme rechtfertigte.

22

Fußgängerzonen sind in Städten verkehrsberuhigte Zonen, in denen sich während der Zeit des starken Passantenverkehrs Fußgänger frei von sonst vorhandenem Kraftfahrzeugverkehr bewegen dürfen, um zu Geschäften zu gehen oder um die Bauten einer Stadt und ihre sonstigen kulturellen Zeugnisse zu erleben. In Fußgängerzonen soll der Fußgänger außerhalb der Zeiten, in denen in beschränktem Umfang Verkehr zum Zweck der An- und Ablieferung zugelassen ist, regelmäßig nicht mit Fahrzeugen rechnen. Tagsüber während der Dauer des starken Fußgängerverkehrs besteht in aller Regel eine gegenwärtige Gefahr, daß Personen verletzt werden können, wenn in solchen Zonen außerhalb der zugelassenen Zeiten Fahrzeuge verkehren; dies ist vor allem der Fall, wenn sie zum Parken in diese Zonen hineinfahren oder wieder hinausfahren. Die Polizei ist deshalb gehalten, während der Dauer des Fußgängerverkehrs tagsüber rechtswidrig abgestellte Fahrzeuge grundsätzlich als Gefahr anzusehen und entsprechende Maßnahmen zu treffen. Aus diesen Erwägungen sind Abschleppmaßnahmen der Polizei in Fußgängerzonen regelmäßig für geboten und erlaubt gehalten worden (zur älteren Rechtsprechung Knöll, DVBl 1980 S. 1027, 1030; vgl. jetzt auch OVG Münster, Urt. vom 16.02.1982 - 4 A 78/81 - NJW 1982, S. 2277; OVG Koblenz, Urt. vom 15.03.1988 - 7 A 44/86 - NVwZ 1988 S. 658; zum Parken in München, Fußgängerzone bei der Frauenkirche vgl. VGH München, Beschl, vom 23.05.1984, NJW 1984 S. 2962).

23

Wenn dagegen während der Nachtstunden kein Fußgängerverkehr in der Fußgängerzone stattfindet, so ist die öffentliche Ordnung und Sicherheit entweder überhaupt nicht oder nur sehr geringfügig gestört. Dies war offenbar am 3. Oktober 1987 in den Nachtstunden der Fall; von der Beklagten wird nicht vorgetragen, daß zu dieser Zeit nennenswerter Fußgängerverkehr auf der Straße stattfand; es ist auch nicht vorgetragen oder sonst ersichtlich, daß in den frühen Morgenstunden gegen 2.00 Uhr der Anlieferverkehr durch das abgestellte Fahrzeug beeinträchtigt war, was auch bereits wegen des Abstellens zwischen zwei Pollern nicht denkbar erscheint. Es sind auch keine Anhaltspunkte für die Annahme vorhanden, daß um diese Zeit mit Fußgängern oder Kraftfahrzeugverkehr in der Zone gerechnet werden mußte, weil etwa irgendeine Veranstaltung geplant war. Vielmehr galt die normale Ausnahmeregelung für den Anlieferverkehr ab 13.00 Uhr bis 15.00 Uhr und ab 19.00 Uhr bis 10.00 Uhr, also auch während der Nachtstunden. Das verbotswidrig abgestellte Fahrzeug konnte somit ohne Beeinträchtigung öffentlicher Interessen an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bis in die frühen Morgenstunden an dem betreffenden Platz verbleiben. Die Belastung der Klägerin mit den Vollzugskosten wirkte nach der Lage des Falles für diese unverhältnismäßig belastend und war damit rechtswidrig im Sinne des § 73 Abs. 2 LVwG. Es hätte genügt, wenn die Polizei abgewartet hätte, ob das Fahrzeug auch noch in den frühen Morgenstunden an dem betreffenden Platz parkte; dann hätte noch ausreichend Zeit zur Verfügung gestanden, um die Entfernung des Fahrzeugs zur Vermeidung einer Störung der öffentlichen Ordnung, möglicherweise auch der öffentlichen Sicherheit, zu veranlassen. Die in der Rechtsprechung bereits entschiedenen Fälle betreffen übrigens das Abstellen von Kraftfahrzeugen in Fußgängerzonen entweder in den Mittagsstunden oder in den Abendstunden (VGH München, a.a.O., 18.48 Uhr, OVG Koblenz, a.a.O., gegen 22.00 Uhr).

24

Nach allem hat die Berufung Erfolg. Das angefochtene Urteil ist daher zu ändern.

25

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO iVm § 708 Nr. 10 ZPO.

Schoof
Dr. Gehrmann
Radke