Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 07.12.1988, Az.: 19 OVG L 10/87
Anforderungen an Wirksamkeit einer Personalratswahl; Umfang der Rechte eines Personalrats; Vorliegen eines wesentlichen Wahlrechtsverstoßes; Gruppenprinzip für die Lehrerpersonalräte
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 07.12.1988
- Aktenzeichen
- 19 OVG L 10/87
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1988, 19979
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:1988:1207.19OVG.L10.87.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Schleswig - 20.10.1987 - AZ: PL 6/87
Rechtsgrundlagen
- § 16 PersVG
- § 20 Abs. 2 S. 1 PersVG
- § 85 Nr. 2 PersVG
Verfahrensgegenstand
Wahlanfechtung
In der Personalvertretungssache
hat der Fachsenat für Personalvertretungssachen des Landes Schleswig-Holstein beim Oberverwaltungsgericht für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein
auf die mündliche Verhandlung vom 7. Dezember 1988
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Dembowski,
die Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Hamann und Ladwig sowie
die ehrenamtlichen Richter Riemke und Röder
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - Fachkammer für Landespersonalvertretungssachen - vom 20. Oktober 1987 geändert.
Die vom 9. bis 12. März 1987 bei den Beruflichen Schulen des Kreises ... in ... durchgeführte Personalratswahl wird für ungültig erklärt.
Die Kosten des Verfahrens tragt der Beklagte; Insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
I.
Der Wahlvorstand für die Personalratswahl bei den Beruflichen Schulen des Kreises ... in ... esuchte am 23. Januar 1987 durch Anschlag "die im Kollegium vertretenen Gruppen (Angestellte und Beamte)", innerhalb einer Woche zu entscheiden, ob die Vertreter in getrennten Wahlgängen oder in einer gemeinsamen Wahl ermittelt werden sollten. Nachdem eine Entscheidung über eine gemeinsame Wahl nicht herbeigeführt wurde, wählten die 52 wahlberechtigten Beamten und 23 wahlberechtigten Angestellten vom 9. bis 12. März 1987 ihre Vertreter in jeweils getrennten Wahlgängen. Das Wahlergebnis wurde in der Wahlniederschrift vom 16. März 1987 bekanntgegeben.
Der Kläger hat am 18. März 1987 Klage erhoben und geltend gemacht: Die Wahl sei für ungültig zu erklären, weil die nach Gruppen getrennte Wahl gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht verstoße. § 85 Nr. 2 des Personalvertretungsgesetzes des Landes Schleswig-Holstein - PersVG - verbiete es, innerhalb der Lehrergruppen nach Beamten und Angestellten zu unterscheiden. Die Vorschrift hebe das sonst im Personalvertretungsrecht geltende Gruppenprinzip für die Lehrerpersonalräte ausdrücklich auf. Der Verstoß habe auch Einfluß auf das Wahlergebnis gehabt.
Der Kläger hat beantragt,
die vom 9. bis 12. März 1987 durchgeführte Personalratswahl für ungültig zu erklären.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen,
und vorgetragen: Die getrennte Wahl sei rechtmäßig. § 85 Nr. 2 PersVG hebe das Gruppenprinzip für die Lehrerpersonalräte nicht auf. Eine gemeinsame Wahl hätte auch kein anderes Wahlergebnis erbracht. Im übrigen hätte der Kläger bis zur Wahl genügend Zelt gehabt, gegen das Wahlverfahren Widerspruch einzulegen.
Der beteiligte Dienststellenleiter hat die nach Gruppen getrennte Wahl verteidigt.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 20. Oktober 1987 abgewiesen und ausgeführt: Die Durchführung der angefochtenen Wahl in nach Beamten- und Angestelltengruppen getrennten Wahlgängen stelle keinen Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften dar. Das PersVG sehe zwar bestimmte Durchbrechungen des im Personalvertretungsrecht grundsätzlich geltenden Gruppenprinzips vor. Eine solche Durchbrechung bestehe nach § 85 Nr. 2 PersVG auch für örtliche Lehrerpersonalräte. Sie gelte jedoch ausschließlich für solche Schulen, in denen "Lehrergruppen" gebildet würden, d.h. In denen Lehrkräfte verschiedener Schularten in bestimmter Anzahl vorhanden seien. Für Schulen nur einer Schulart, in deren Personalräten eine Differenzierung nach "Lehrergruppen" nicht stattfinde, greife diese Sonderregelung nicht ein; es verbleibe dort beim allgemein geltenden Gruppenprinzip. Die Kammer könne sich nicht der Auffassung anschließen, der zweite Satzteil des § 85 Nr. 2 PersVG sei isoliert zu sehen und gelte für die Personalräte aller Schulen. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem dritten Satzteil des § 85 Nr. 2 PersVG. Dieser sei zwar mißverständlich gefaßt und könne nach seinem Wortlaut darauf hindeuten, daß beim Nichtvorhandensein verschiedener "Lehrergruppen" auch keine herkömmliche Gruppenbildung erfolge. Er lasse sich aber auch in dem Sinne verstehen, daß lediglich dann, wenn wegen Nichterreichens der Mindestzahl nach § 16 Abs. 1 Satz 2 PersVG keine Lehrergruppe für eine spezielle Lehrerart gebildet werden könne, die Aufgaben der Lehrergruppenvertretungen vom Personalrat wahrzunehmen seien. An den Beruflichen Schulen des Kreises ... habe nur eine einheitliche "Lehrergruppe" im Sinne des § 83 Abs. 1 Satz 3 PersVG bestanden. Demnach seien die Personalratswahlen wie geschehen getrennt nach den Gruppen der Beamten und Angestellten durchzuführen gewesen.
Gegen dieses ihm am 4. Dezember 1987 zugestellte Urteil hat der Kläger am 18. Dezember 1987 Berufung eingelegt, zu deren Begründung er vorträgt: Bei Personalratswahlen sei gemäß § 85 Nr. 2 2. Halbsatz PersVG innerhalb der Lehrergruppen nicht nach Beamten und Angestellten zu unterscheiden. Diese Regelung lasse sich nicht zur Ausnahmevorschrift nur für solche Schulen umdeuten, in denen Lehrergruppen, d.h. Lehrkräfte verschiedener Schularten, überhaupt vorhanden seien. Für eine solche Auslegung biete das Gesetz keinen Anhalt. Die vom Verwaltungsgericht vertretene enge Auslegung des § 85 Nr. 2 2. Halbsatz PersVG lasse sich auch nicht auf die Überschrift des § 85 PersVG "Sondervorschriften" stützen. Der Gesetzestext mache deutlich, daß es sich nicht um Sondervorschriften für spezielle Schulen, an denen mehrere Lehrergruppen vertreten seien, handele, sondern um Sondervorschriften für Personalräte der Lehrer allgemein. Sowohl aus dem Text als auch aus dem Kontext des Gesetzes ergebe sich, daß die Aufhebung des Gruppenprinzips zugunsten eines nach Lehrergruppen gebildeten Prinzips ausnahmslos für alle Schulen gelten solle. Dafür spreche auch die in den §§ 82, 83 angeordnete Bildung von Lehrergruppen in den Stufenvertretungen; in beiden Vorschriften fehle ein Hinweis, daß eine Gruppenbildung gemäß § 7 PersVG nicht stattfinde; dieser Hinweis sei erst in § 85 Nr. 2 enthalten, der für alle Lehrerpersonalräte gelte. Dies entspreche auch dem Inhalt des Erlasses des Kultusministers vom 10. Januar 1975. Die angefochtene Wahl leide danach an einem Fehler. Dieser Fehler sei auch von der Art, daß er das Wahlergebnis beeinflußt haben könne; denn bei richtiger Durchführung der Wahl hätten nichtgewählte Beamtenbewerber möglicherweise entscheidende Stimmen von insoweit nicht für wahlberechtigt erachteten Angestellten erhalten.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und nach seinem in erster Instanz gestellten Antrag zu erkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
und macht geltend: Der Wahlvorstand habe die Wahl verantwortungsvoll und nach bestem Wissen durchgeführt. Er habe sich dabei insbesondere von dem Grundsatz des Minderheitenschutzes leiten lassen, der an vielen Stellen des Gesetzes erkennbar sei.
Der beteiligte Dienststellenleiter schließt sich dem Antrag und Vorbringen des Beklagten an.
Der Vertreter des Öffentlichen Interesses stellt keinen Antrag und tritt der Rechtsansicht des Klägers bei. Er vertritt die Auffassung, daß die Regelung des § 85 Nr. 2 PersVG zwar wenig geglückt, aber systemgerecht nur i.S. des Klägers auslegbar sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten mit den Schriftsätzen der Beteiligten sowie die von ihnen vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
II.
Die zulässige Berufung hat Erfolg. Die angefochtene Personalratswahl war für ungültig zu erklären.
Der Kläger hat als Wahlberechtigter das Recht zur Anfechtung der Wahl (§ 20 Abs. 2 Satz 1 PersVG). Er hat seine Klage auch fristgerecht in der Zwei-Wochen-Frist des § 20 Abs. 2 Satz 3 PersVG erhoben. Die Klage ist in der Sache begründet, da gegen wesentliche Wahlvorschriften verstoßen worden ist und dieser Verstoß das Wahlergebnis beeinflußt haben kann (§ 20 Abs. 1 PersVG).
Das Vorliegen eines wesentlichen Wahlrechtsverstoßes ergibt sich für die hier zu beurteilende Wahl aus § 85 Nr. 2 PersVG. Diese Vorschrift ist Teil einer Regelung, die mit den Worten "Für die Personalräte der Lehrer gelten folgende Sondervorschriften" überschrieben ist. Sie ist damit im vorliegenden Fall als Spezialregelung für Lehrerpersonalräte gegenüber den allgemeinen Vorschriften des PersVG vorrangig. Im einzelnen hat die aus drei Teilsätzen bestehende Regelung des § 85 Nr. 2 PersVG folgenden Inhalt:
Mit dem in ihren ersten beiden Teilsätzen verwendeten Begriff "Lehrergruppen" knüpft sie zunächst an die vorangehenden §§ 82 und 83 PersVG an, in denen der Begriff ebenfalls vorkommt. In den genannten beiden Bestimmungen wird für die Stufenvertretungen bei den unteren Schulaufsichtsbehörden und den Lehrerhauptpersonalrat beim Kultusminister die Bildung von Lehrergruppen nach Schularten oder Gruppen von Schularten normiert. § 85 Nr. 2 PersVG erklärt in seinem ersten Teilsatz hinsichtlich dieser Lehrergruppen die Regelung über die Vertretung der Gruppen in § 16 PersVG für entsprechend anwendbar und untersagt im folgenden Teilsatz eine Unterscheidung innerhalb der Lehrergruppen nach Beamten und Angestellten. Für die Personalräte der Lehrer an Schulen ist aus diesen Bestimmungen nichts zu entnehmen. Denn für Schulen sieht das PersVG die Bildung von Lehrergruppen nicht vor. Die §§ 82 und 83 PersVG gelten nur für die in ihnen behandelten Dienststellen; sie enthalten keine allgemeine Regelung über Lehrergruppen im Schulbereich. Das wird insbesondere daran deutlich, daß die Gruppenbildung in beiden Vorschriften durchaus unterschiedlich geregelt ist. So bilden die Sonderschullehrer bei den unteren Schulbehörden eine eigene Lehrergruppe, beim Kultusminister bilden sie dagegen mit den Grund- und Hauptschullehrern zusammen eine Lehrergruppe. Dies zeigt, daß die in den §§ 82, 83 PersVG normierte Gruppenbildung sich nur auf die in diesen Vorschriften genannten Behörden bezieht und nicht generell die Bildung von Lehrergruppen im Schulbereich beinhaltet. Eine Regelung, die die Bildung von Lehrergruppen allgemein auch für Schulen vorsieht, wäre auch weitgehend unsinnig; denn an allen selbständigen Grund-, Haupt-, Realschulen und Gymnasien sind jeweils nur Vertreter einer Lehrergruppe beschäftigt, so daß die Bildung von Lehrergruppen nach Schularten hier von vornherein nicht in Betracht kommt. Anders ist es zwar bei gemäß § 81 Abs. 1 PersVG organisatorisch zu einer Dienststelle verbundenen Schulen unterschiedlicher Schularten wie den hier in Rede stehenden Beruflichen Schulen, bei denen eine ganze Anzahl berufsbildender Schularten im Sinne von § 7 Abs. 1 Nr. 3 des Schl.-H. Schulgesetzes organisatorisch zu einer Einheit verbunden sind. Hier wäre an sich die Bildung von Lehrergruppen der verschiedenen Schularten denkbar. Auch an derart organisierten Schulen findet jedoch eine Bildung von Lehrergruppen nicht statt. Das ergibt sich daraus, daß das Gesetz die Bildung von Lehrergruppen - wie ausgeführt - nur für die Stufenvertretungen der §§ 82 und 83 PersVG vorsieht, für Schulen jedoch nicht. Die Personalvertretungen der Lehrer an Schulen sind erst im dritten Teilsatz des § 85 Nr. 2 PersVG geregelt, wo normiert ist, wie in schulischen Dienststellen zu verfahren ist, bei denen keine Lehrergruppen bestehen. Hier obliegen die Aufgaben der Gruppenvertretungen im Sinne von §§ 7, 16 PersVG nach dem klaren Wortlaut der Regelung den Personalräten. Damit gibt es bei Schulen nicht nur keine Lehrergruppen im Sinne der §§ 82, 83 PersVG; es gibt darüber hinaus auch keine Bildung von Gruppen im Sinne von §§ 7, 16 PersVG, da für derartige Gruppen infolge der Zuweisung der Gruppenaufgaben an die Personalräte keine Aufgaben vorhanden wären.
Dieses Ergebnis wird auch durch § 85 Nr. 3 PersVG bestätigt. Danach sind im Schulbereich auf die Angestellten die für Beamte geltenden personalvertretungsrechtlichen Vorschriften anzuwenden. Diese Regelung macht deutlich, daß im Schulbereich allgemein keinerlei Unterscheidung nach Beamten- und Angestelltengruppen gewollt ist.
Der dargestellte Inhalt der gesetzlichen Regelung des § 85 Nr. 2 PersVG ergibt sich unmittelbar aus dem Zusammenhang und Wortlaut der Vorschrift. Für eine hiervon abweichende Auslegung der Regelung gibt es keinen Anhalt. Insbesondere liegen keine Gesetzesmaterialien vor, aus denen sich Hinweise für eine andere Auslegung ergeben könnten. Es ist danach davon auszugehen, daß die an einer Schute tätigen Lehrkräfte den örtlichen Personalrat ohne Bildung von Gruppen zu wählen haben (ebenso Erlaß des Kultusministers vom 16. Januar 1975 - NBl S. 30; entspr. auch z.B. § 88 NRW PersVG, § 92 a Abs. 2 Nds. PersVG). Das galt auch für die hier in Rede stehende Personalratswahl. Bei dieser Wahl wurde daher gegen Wahlrechtsvorschriften verstoßen.
Bei dem festgestellten Verstoß handelt es sich auch um einen verstoß gegen eine wesentliche Vorschrift im Sinne von § 20 Abs. 1 Satz 1 PersVG. Das folgt schon daraus, daß ein solcher Verstoß das Wahlergebnis erheblich beeinflussen kann. Ein solcher Einfluß kann auch im vorliegenden Fall nicht ausgeschlossen werden (§ 20 Abs. 1 Satz 2 PersVG).
Denn es ist nicht auszuschließen, daß bei einer gemeinsamen Wahl Angestellte Bewerbern der Beamtenliste oder Beamte Bewerbern der Angestelltenliste ihre Stimme gegeben hätten. So wäre, wenn beispielsweise elf der 23 wahlberechtigten Angestellten ihre Stimme dem auf der Beamtenliste stehenden Bewerber Häseler gegeben hätten, nicht der Beamte Körner, sondern der Beamte Häseler in den Personalrat gewählt worden. Dieses Beispiel macht den Einfluß des Wahlfehlers auf das Wahlergebnis hinreichend deutlich.
Das angefochtene Urteil war danach zu ändern, und die angefochtene Wahl war für unwirksam zu erklären.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist.
Dr. Hamann
Ladwig