Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 18.09.2003, Az.: 3 B 393/03
Abschiebestopp; konkrete Gefahren; Kosovo; Memorandum of Understanding; Ägypter
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 18.09.2003
- Aktenzeichen
- 3 B 393/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 48203
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 2 Abs 1 AsylbLG
- § 123 Abs 1 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Nach dem zwischen Bundesinnenminister Schily und dem Sonderbeauftragten des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für das Kosovo am 31.03.2003 geschlossenen "Memorandum of Unterstanding" benötigen Angehörige der ethnischen Minderheit der "Ägypter" im Kosovo keinen internationalen Schutz mehr und können ab April 2003 in das Kosovo zurückgeführt werden, soweit sie aus einer in der Anlage zum Memorandum genannten Region stammen. Dementsprechend können mangels entgegenstehender humanitärer Gründe aufenthaltsbeendende Maßnahmen grundsätzlich vollzogen werden und auch eine freiwillige Ausreise grundsätzlich erfolgen.
2. Die Gewährung von Leistungen analog dem BSHG gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG kommt lediglich in Betracht, wenn die Betroffenen für ihre Person konkrete Gefahren bei einer Rückkehr nachweisen.
Tenor:
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.
Gründe
Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der der Antragsgegner verpflichtet werden soll, den Antragstellern vorläufig (wiederum) Leistungen gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG in entsprechender Anwendung des BSHG zu gewähren, ist nicht begründet.
Die Antragsteller haben den für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) erforderlichen Anordnungsanspruch, d.h. die überwiegende Wahrscheinlichkeit für die materielle Berechtigung ihres Begehrens, nicht glaubhaft gemacht.
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen werden, wenn diese Regelung, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Da nach Wesen und Zweck des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens die vorläufige Regelung grundsätzlich die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorwegnehmen darf, kann eine Verpflichtung zur Erbringung von Geldleistungen - wie sie im vorliegenden Fall von den Antragsteller/n begehrt wird - im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur ausgesprochen werden, wenn die Antragsteller die tatsächlichen Voraussetzungen für einen entsprechenden Anspruch (Anordnungsanspruch) und weiterhin glaubhaft machen, sie befinden sich wegen fehlender anderer Geldmittel in einer existentiellen Notlage und seien deswegen - mit gerichtlicher Hilfe - auf die sofortige Befriedigung ihres Anspruchs dringend angewiesen (Anordnungsgrund).
Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes angezeigten summarischen Prüfung steht den Antragstellern der geltend gemachte Anspruch nicht zu.
Die Voraussetzungen für eine Gewährung von Leistungen gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG analog dem BSHG liegen nicht (mehr) vor. Nach § 1 Abs. 1 AsylbLG ist das BSHG auf Leistungsberechtigte entsprechend anzuwenden, die über die Dauer von insgesamt 36 Monaten, frühestens beginnend am 1. Juni 1997, Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten haben, wenn die Ausreise nicht erfolgen kann und aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, weil humanitäre, rechtliche oder persönliche Gründe oder das öffentliche Interesse entgegenstehen.
Zwischen den Beteiligten ist nicht umstritten, dass die Antragsteller zu den Leistungsberechtigten nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 bzw. Nr. 5 AsylbLG gehören und dass sie die Wartezeit des § 2 Abs. 1 AsylbLG von 36 Monaten erfüllen.
Mit Beschluss der erkennenden Kammer vom 29.10.2002 (3 B 73/02) war der Antragsgegner verpflichtet worden, den Antragstellern ab dem 01.10.2002 vorläufig Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG in entsprechender Anwendung des BSHG zu gewähren. Zur Begründung ist darauf abgestellt worden, dass seinerzeit eine Rückführung der Antragsteller, die der ethnischen Minderheit der „Ägypter“ im Kosovo angehören, nicht möglich war, da die UNMIK-Verwaltung im Kosovo einer Rückführung dieser ethnischen Minderheiten nicht zustimmte. Damit waren sowohl aufenthaltsbeendende Maßnahmen als auch die freiwillige Rückkehr aus den humanitären Gründen des letzten Halbsatzes des § 2 Abs. 1 AsylbLG nicht möglich, weshalb Leistungen analog BSHG zu gewähren waren.
Diese Situation hat sich nach dem vom Bundesminister des Innern der Bundesrepublik Deutschland und dem Sonderbeauftragten des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für das Kosovo geschlossenen Memorandum Of Understanding vom 31.03.2003 geändert. Dort ist unter Ziff. 3 und 4 Folgendes ausgeführt:
„3. Aufgrund der Verbesserungen bei den Sicherheitsbedingungen im Kosovo, die sich lokal unterscheiden, stimmen Bundesminister Schily und der Sonderbeauftragte Steiner darin überein, dass gewisse Angehörige bestimmter ethnischer Minderheitengruppen keinen internationalen Schutz mehr benötigen und daher ab April 2003 in das Kosovo zurückgeführt werden können.
4. Innerhalb des ersten Jahres wird Deutschland insgesamt bis zu 1000 Personen zurückführen. Diese Zahl beinhaltet Angehörige der Minderheiten der Türken, Bosniaken, Gorani, Torbesh ebenso wie Ashkali und Ägypter, für die das nachstehend erwähnte Prüfverfahren gilt. Aufgrund der Sicherheitssituation der Angehörigen der Minderheiten der Ashkali und Ägypter werden Personen dieser Minderheiten abhängig vom Ergebnis eines von UNMIK durchgeführten individuellen Prüfverfahrens zurückgeführt.“
Zur Durchführung des angesprochenen individuellen Prüfverfahrens hat das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport unter dem 09.04.2003 und 18.07.2003 im Erlasswege geregelt, welche Personen auf welchem Wege und mit welchen Unterlagen für eine zwangsweise Rückkehr in ihre Heimatgebiete anzumelden sind.
In Anbetracht des oben zitierten Memorandums of Understanding geht das Gericht davon aus, dass die ethnische Minderheit der Ägypter, zu der die Antragsteller gehören, soweit sie aus einer in der Anlage zum Memorandum genannten Region stammen (hier aus Pec), zunächst grundsätzlich bei einer Rückkehr in den Kosovo nicht mehr gefährdet sind und deshalb keinen internationalen Schutz durch einen allgemeinen Abschiebestopp benötigen. Dementsprechend können mangels entgegenstehender humanitärer Gründe aufenthaltsbeendende Maßnahmen grundsätzlich vollzogen werden und auch eine freiwillige Ausreise grundsätzlich erfolgen. Die grundsätzliche Ausreise ist lediglich dann tatsächlich nicht möglich, wenn die UNMIK für den einzelnen Ausländer nach Durchführung eines individuellen Prüfverfahrens Zweifel an einer gefahrlosen Rückkehr in seine Heimatregion hat. In Anbetracht dieses Regel-Ausnahmeverhältnisses und der Tatsache, dass die Antragsteller dafür darlegungs- und beweispflichtig sind, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, kommt die Weitergewährung von Leistungen analog BSHG lediglich dann in Betracht, wenn diese konkret für ihre Person Gefahren bei einer Rückkehr nachweisen. Ein solcher Nachweis ist im vorliegenden Verfahren nicht erfolgt, so dass die Einstellung der Leistungen analog BSHG und die Bewilligung von Leistungen gemäß §§ 3-7 AsylbLG ab 01.08.2003 nicht zu beanstanden sind.
Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt die Kammer auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge Bezug.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.