Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 22.07.2005, Az.: 3 B 784/05
Rechtmäßigkeit der Ausschreibung einer Stelle als Vorsitzender Richter; Auswahlermessens des Dienstherrn bei der Besetzung von Richterstellen
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 22.07.2005
- Aktenzeichen
- 3 B 784/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 23723
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGSTADE:2005:0722.3B784.05.0A
Rechtsgrundlagen
- Art. 33 Abs. 2 GG
- § 4 Abs. 1 Nds.RiG
- § 8 Abs. 1 S. 1 NBG
- § 29 Abs. 1 a Nds.RiG
- § 123 VwGO
Verfahrensgegenstand
Besetzung der Stelle eines Vorsitzenden Richters am Landgericht
Amtlicher Leitsatz
- 1)
Steht bei Ausscheiden des gewählten Vorsitzenden des Prädialrats durch Amtsniederlegung ein stellvertretender Vorsitzender (Gerichtspräsident mit der zweithöchsten Stimmenzahl - § 38 Abs. 2 Satz 1 Nds.RiG) nicht zur Verfügung, weil es bei der letzten Präsidialratswahl keinen weiteren Kandidaten für das Amt des Vorsitzenden gab, so ist aus Gründen der kontinuierlichen Handlungsfähigkeit des Präsidialrats bis zur Nachwahl eines Präsidialratsvorsitzenden ein Verhinderungsfall nach § 38 Abs. 4 Nds.RiG anzunehmen (wie VG Lüneburg, B. v. 16. 06. 2005 - 1 B 22/05)
- 2)
Für die Zeit bis zum Eintritt eines nachgewählten Vorsitzenden in den Präsidialrat nimmt das dienstälteste, bei gleichem Dienstalter das lebensälteste Mitglied die Aufgaben des Vorsitzenden wahr.
- 3)
Ordnungsgemäß besetzt im Sinne des § 29 Abs. 1 a Nds.RiG ist der Präsidialrat bei der ordentlichen Gerichtsbarkeit im genannten Verhinderungsfall nur in der Besetzung 1 + 6, in dem für das andere Mitglied, welches das Amt des Vorsitzenden übernimmt, "der nicht gewählte Richter mit der höchsten Stimmenzahl "(erstes Ersatzmitglied) an seine Stelle tritt (§ 38 Abs. 3 S. 3, 2. Alt.Nds.RiG).
- 4)
Ist schon die Ladung des ersten Ersatzmitgliedes - aus welchen Gründen auch immer - unterblieben, kann zur Heilung des Besetzungsfehlers nicht auf die Vorschriften über die Beschlussfähigkeit zurückgegriffen werden (§ 40 Abs. 2 Nds.RiG).
- 5)
Zur Wahrung des Abstimmungs- und Beratungsgeheimnisses im Präsidialrat muss die Kausalität für eine andere mögliche Entscheidung nach Beratung und Abstimmung (hier: Zustimmung zum Auswahlvorschlag für die Besetzung eines Amtes R 2) in der ordnungsgemäßen Besetzung mit 7 statt fehlerhaft mit nur mit 6 stimmberechtigten Mitgliedern vermutet werden.
Das Verwaltungsgericht Stade - 3. Kammer - hat
am 22. Juli 2005
beschlossen:
Tenor:
- 1)
Dem Antragsgegner wird untersagt, dem Beigeladenen vor einer erneuten Auswahlentscheidung unter Beteiligung des ordnungsgemäß besetzten Präsidialrates der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Niedersachsen das Amt eines Vorsitzenden Richters am Landgericht (Besoldungsgruppe R 2) zu übertragen und die entsprechende Ernennungsurkunde auszuhändigen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
- 2)
Der Streitwert wird auf 17.887,45 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller, geb. am F., ist Richter am Landgericht (G. - R 1; z. Zt. abgeordnet an das BMJ seit November 2004) mit einem auf den 02. August 1999 festgesetzten allgemeinen Dienstalter. Er wendet sich gegen die auf seine Bewerbung vom 21. Juni 2004 getroffene Auswahlentscheidung für die am 15. Mai 2004 ausgeschriebene Stelle eines Vorsitzenden Richters am Landgericht (H. - R 2), die durch Ausscheiden eines Strafkammervorsitzenden frei geworden war. Diese soll nach Mitteilung des Antragsgegners vom 14. April 2005 dem Beigeladenen, geb. am 08. Mai 1964, Richter am Landgericht (I. - R 1) mit einem auf den 22. Februar 1996 festgesetzten allgemeinen Dienstalter, übertragen werden. Mit Schreiben vom 27. April 2005 hat der Antragsteller Widerspruch gegen die Entscheidung eingelegt. Mit dem Antrag vom 28. April 2005 verfolgt er sein Ziel weiter: Dem Antragsgegner soll im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt werden, dem Beigeladenen die Stelle eines Vorsitzenden Richters am Landgericht J. zu übertragen und die entsprechende Ernennungsurkunde auszuhändigen. Der Antragsteller sieht mit der Auswahl des Beigeladenen seinen Bewerberverfahrensanspruch formell- wie materiellrechtlich verletzt.
Die Zustimmung des Präsidialrates vom 12. April 2005 zur Ernennung des Beigeladenen (entsprechend dem Besetzungsvorschlag der OLG-Präsidentin vom 18. Februar 2005 und des Antragsgegners vom 21. März 2005) sei - unter dem Vorsitz von dessen dienstältestem Mitglied - VRiOLG K. - nicht wirksam erteilt. Nach Niederlegung des Amtes des Vorsitzenden des Präsidialrates der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Niedersachsen durch PräsLG L. am 25. Oktober 2004 habe zwar ein vom Gesetz vorgesehener Vorsitzender (Präsident mit dem zweithöchstem Stimmenanteil bei der Wahl zur laufenden Amtsperiode im Dezember 2003) nicht das Amt übernehmen können, weil seinerzeit kein weiterer Präsident kandidiert hatte. Da das Gesetz einen solchen Fall nicht regele, hätte die - inzwischen am 18. April 2005 durchgeführte - Nachwahl des Präsidialratsvorsitzenden abgewartet werden müssen und auch können, denn seit der Ausschreibung der Stelle seien ohnehin 11 Monate vergangen.
In der Sache habe der Antragsgegner die Leistungskriterien für die Auswahlentscheidung nicht wie erforderlich ausgeschöpft, sondern habe "zu früh" auf Hilfskriterien abgestellt. Zwar könne bei "um ein Kreuz abweichenden Einzelmerkmalbewertungen" von "im wesentlichen gleichen" drei (Gesamt-)Beurteilungen ausgegangen werden. Die Anlassbeurteilungen für das vorliegende Auswahlverfahren lauteten je auf "besser als sehr gut" (28. Dezember 2004 beim Antragsteller; 10. Januar 2005 beim Beigeladenen), die Anlassbeurteilungen für das Auswahlverfahren für eine im Juni 2004 beim LG M. besetzte R 2 -Stelle ebenso auf "besser als sehr gut" (10. März 2004 beim Antragsteller; 12. März 2004 beim Beigeladenen) und die Erprobungsbeurteilungen (für einen Richter am OLG) auf "sehr gut geeignet" (30. Juli 2003 beim Antragsteller; 31. Juli 2002 beim Beigeladenen). Bei den jeweils letzten Regelbeurteilungen aber, die als nächstes heranzuziehen seien, habe er - der Antragsteller - bereits 2002 ein "besser als sehr gut" erreicht und der Beigeladene nur ein " sehr gut geeignet". Letztlich hätte er schon von seinen Examensergebnissen einen erheblichen Vorsprung im Verhältnis zum Beigeladenen nämlich im ersten Staatsexamen: gut - 11,9 Punkte (der Beigeladene: ausreichend - 5,7 Punkte) und im 2. Staatsexamen: voll befriedigend - 10,24 Punkte (der Beigeladene: befriedigend - 8,03 Punkte). Bei vorrangiger Berücksichtigung aller Leistungskriterien hätte somit nicht auf den ohnehin geringen Unterschied im Lebens- und allgemeinen Dienstalter als Hilfskriterium zurückgegriffen werden dürfen.
Wenn jedenfalls nach dem Besetzungsbericht und nach der nachgefragten Entscheidungsbegründung zudem auf die fast 9-jährige Erfahrung des Beigeladenen als Strafrichter abgestellt werde, von der er selbst nur 2 Jahre (teilweise) aufweisen könne, so stehe das im Gegensatz zur allgemeinen Ausschreibung einer "R 2 - Stelle beim Landgericht" und man übergehe die Entscheidung des Präsidiums nach der Amtsübertragung, ob ihm tatsächlich die "freie" Strafkammervorsitzendenstelle übertragen werde. Abgesehen davon sei er - für Strafrecht - seit 1996 Prüfer beim Landesjustizprüfungsamt (1. Staatsexamen).
Der Antragsteller beantragt,
der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, dem Beigeladenen die Stelle eines Vorsitzenden Richters am Landgericht (R 2 BBesG) am Landgericht N. zu übertragen, bis über die Auswahlentscheidung rechtskräftig entschieden ist
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen
und erwidert:
Die Auswahlentscheidung zu Gunsten des Beigeladenen sei sowohl formell als auch materiell rechtsfehlerfrei ergangen. Sie entspreche dem Grundsatz der Bestenauslese gemäß Art 33 Abs. 2 GG, § 4 Abs. 1 Nds.RiG, § 8 Abs. 1 S. 1 NBG und bewege sich innerhalb des dem Dienstherrn zustehenden Auswahlermessens.
Der Präsidialrat sei ordnungsgemäß besetzt gewesen. Mit der Amtsniederlegung des früheren Vorsitzenden des Präsidialrates, des vormaligen Präsidenten des Landgerichts in Göttingen, O., am 21. Oktober 2004 hätte ein weiterer Präsident "mit der zweithöchsten Stimmenzahl" als Vorsitzender nicht nachrücken können, weil sich bei den Wahlen in der aktuellen Wahlperiode ein solcher nicht einmal als Kandidat hatte aufstellen lassen. Diese im Niedersächsischen Richtergesetz ausdrücklich nicht geregelte Konstellation sei als Verhinderungsfall im Sinne des § 38 Abs. 4 Nds.RiG gewertet worden, sodass das dienstälteste Präsidialratsmitglied den Vorsitz übernommen habe. Das entspreche ganz herrschender Übung in allen Fällen der Nichtbesetzung von Behördenleiterstellen, auch und gerade in der Justiz. Das Amt sei dann durch den jeweils dienstältesten Richter wahrzunehmen. Wegen der notwendigen Dauer eines (Nach-)Wahlverfahrens einerseits und der zum Teil darunter liegenden engen Fristen nach dem Richtergesetz (z.B. bei Entlassungsverfahren von Proberichtern) könne und dürfe ein handlungsunfähiger Präsidialrat auch nicht hingenommen werden. Die Besetzung des Präsidialrates mit den 6 gewählten "weiteren Richtern" (§ 29 Abs. 1 a Nds.RiG) unter Einschluss des dienstältesten Richters als Vorsitzenden sei ordnungsgemäß. Das Nachwahlverfahren für den Präsidialratsvorsitzenden sei gleichwohl eingeleitet und inzwischen durchgeführt worden (am 18. April 2005) und der Präsident des Landgerichts P. (Stellvertreter: Präsident des Landgerichts Q.) sei seit dem 29. April 2005 im Amt.
Die Auswahl des Beigeladenen sei auch materiell rechtmäßig: Bei geringen Abweichungen in der Einstufung von Einzelmerkmalen (sowohl zu Gunsten, als auch zu Lasten des Antragstellers) in den Anlassbeurteilungen zum aktuellen Auswahlverfahren, bei den vorangegangenen Anlassbeurteilungen für eine 2004 ausgeschriebene Stelle R 2, für die weder Antragsteller noch Beigeladener Berücksichtigung gefunden hätten, und bei den Erprobungsbeurteilungen beim OLG - bei deren eingeschränkter Aussage für die Eignung zum Vorsitzenden Richter - ergäbe sich im Wesentlichen ein Leistungsgleichstand, was der Antragsteller als solches auch ernsthaft nicht bestreite. Greife man auf die davor liegenden Regelbeurteilungen beider Bewerber aus dem Jahre 2002 zurück, ergäbe sich zunächst tatsächlich ein Vorsprung des Antragstellers mit "besser als sehr gut" gegenüber dem Beigeladenen mit "sehr gut geeignet". Das werde aber dadurch relativiert, dass der Beigeladene kontinuierlich seine Leistungen gesteigert habe, was entsprechende textliche Zusätze sowie die Verbesserungen in den Einzelbewertungen und in den Gesamteinschätzungen eindrucksvoll belegten. Ohne daher dem Präsidium des LG vorzugreifen, habe der Antragsgegner von der zum Zeitpunkt der Auswahlentscheidung wahrscheinlichsten Verwendung des ausgewählten Bewerbers auszugehen und das hieße hier von der als Strafkammervorsitzender, weil eine solche Stelle beim LG R. - bekanntermaßen für alle Bewerber - frei geworden und Anlass für das Ausschreibungs- und Besetzungsverfahren gewesen sei. Deswegen habe der Antragsgegner der breiteren strafrichterlichen Erfahrung des Beigeladenen, auch als stellvertretender Vorsitzender einer Strafkammer und in der Erprobung beim OLG, einen Eignungsvorsprung beigemessen und schließlich das höhere Dienst - und Lebensalter des Beigeladenen mit in die Auswahlentscheidung einfließen lassen dürfen.
Der Beigeladene hat sich nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.
Für das weitere Vorbringen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners einschließlich der Personalakten des Antragstellers und Beigeladenen und des Vorgangs "Nachwahl des Präsidialratsvorsitzenden" Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat Erfolg.
Gemäß § 123 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht auf Antrag auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Gemäß den §§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) hat der Antragsteller sowohl die Eilbedürftigkeit der begehrten gerichtlichen Regelung (Anordnungsgrund) als auch seine materielle Anspruchsberechtigung (Anordnungsanspruch) glaubhaft zu machen.
Ein den Erlass einer einstweiligen Anordnung rechtfertigender Anordnungsgrund, die Dringlichkeit einer Entscheidung, ist gegeben. Denn durch die Übertragung der Beförderungsplanstelle an den Beigeladenen und die beabsichtigte Ernennung des Beigeladenen würde der vom Antragsteller geltend gemachte Anspruch auf fehlerfreie Auswahlentscheidung vereitelt werden. Mit Vollzug der beabsichtigten Übertragung der Planstelle würde zugleich die gerichtliche Überprüfung der schon getroffenen Auswahlentscheidung hinfällig.
Dem Antragsteller steht auch der erforderliche Anordnungsanspruch zur Seite. Er hat die nach § 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung vorausgesetzte Verletzung seines Anspruchs auf eine verfahrens- und ermessensfehlerfreie Auswahlentscheidung glaubhaft gemacht: Bei der Beschlussfassung am 12. April 2005 war der Präsidialrat mit den "nur" 6 "weiteren Richtern" (vgl. § 29 Abs. 1 a Nds.RiG) nicht ordnungsgemäß besetzt. Da die Beteiligung des Präsidialrates nach § 27 S. 1 Nr. 1 Nds.RiG auch seine Rechte als Bewerber schützt, kann der Antragsteller sich auf die Verletzung der Besetzungsvorschriften auch berufen.
1)
Entgegen der Ansicht des Antragstellers liegt ein formell-rechtlicher Verfahrensverstoß allerdings nicht schon darin, dass das dienstälteste Präsidialratsmitglied den Vorsitz übernommen hat, oder dass der Präsidialrat nach Ausscheiden des gewählten Vorsitzenden - eines Präsidenten - und ohne, dass ein Stellvertreter (Präsident mit zweithöchster Stimmenzahl - § 38 Abs. 1 Satz 1 Nds.RiG) hätte eintreten können, nur "in Eilfällen" handlungsfähig wäre. Zur Beteiligung des Präsidialrats in entsprechender Besetzung (mit 6 weiteren Richtern unter Einschluss des Dienstältesten als Vorsitzenden) hat das VG Lüneburg mit Beschluss vom 16. Juni 2005 (1 B 22/05) ausgeführt:
"Im vorliegenden Fall ist der bisherige Vorsitzende des Präsidialrates mit der Niederlegung seines Amtes aus dem Präsidialrat ausgeschieden. Bis zu der vom Antragsgegner in die Wege geleiteten Nachwahl hat es sich entgegen der Ansicht des Antragstellers nicht um eine fehlerhafte Besetzung des Präsidialrates mit der Folge der Handlungsunfähigkeit dieses Gremiums gehandelt. Die Kammer ist vielmehr mit dem Antragsgegner der Ansicht, dass lediglich eine Verhinderung im Sinne des § 38 Abs. 4 Nds. RiG vorlag. Dies ergibt sich aus Folgendem: Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 Nds. RiG tritt, wenn ein Mitglied des Präsidialrates an der Ausübung seines Amtes verhindert ist, für die Dauer der Verhinderung ein Stellvertreter an seine Stelle. Ist - wie im vorliegenden Fall durch Niederlegung seines Amtes (§ 36 Nds. RiG) - ein Mitglied aus dem Präsidialrat ausgeschieden, so gilt gemäß § 38 Abs. 1 Satz 2 Nds. RiG dasselbe für die Zeit bis zum Eintritt eines Nachfolgers. Wenn ein gewählter Vorsitzender aus dem Präsidialrat ausscheidet, übernimmt nach § 38 Abs. 3 Nds. RiG sein Stellvertreter, d. h. der Gerichtspräsident mit der zweithöchsten Stimmenzahl, das Amt des Vorsitzenden. Zum Zeitpunkt der Beschlussfassung des Präsidialrates hinsichtlich der hier streitigen Stelle war ein weiterer Gerichtspräsident aber nicht Mitglied in diesem Gremium. Bis zu einer Nachwahl liegt in einer derartigen Konstellation ein Fall der Verhinderung des Vorsitzenden, dessen Vertretung nicht möglich ist, im Sinne des § 38 Abs. 4 Nds. RiG vor. Dies folgt aus § 38 Abs. 1 Satz 2 Nds. RiG, wonach die Fälle der Verhinderung und des Ausscheidens eines Präsidiumsmitgliedes, zu denen auch ein gewählter Präsident eines Gerichts gehört, gleichgestellt werden. Folge ist nach § 38 Abs. 4 Nds. RiG, dass die Aufgaben des Vorsitzenden von dem dienstältesten, bei gleichem Dienstalter von dem lebensältesten Mitglied des Präsidialrats wahrgenommen werden".
Dem schließt sich die Kammer uneingeschränkt an. Lediglich ergänzend: Für eine kontinuierliche Handlungsfähigkeit ist diese Lösung auch sach- und interessensgerecht, wie die vom Antragsgegner aufgezeigte parallele Praxis in entsprechend gesetzlich nicht geregelten Vakanz- und Vertretungsfällen auch in der Justiz (durch den dienstältesten, bei gleichem Dienstalter durch den lebensältesten Richter auf der entsprechenden Organisationsebene) belegt. Zu Recht hat somit das unstreitig dienstälteste Präsidialratsmitglied, VRiOLG S., das Amt des Vorsitzenden übernommen und ausgeübt.
2)
Aber die Verhinderung des gewählten Vorsitzenden nach § 38 Abs. 4 Nds.RiG zwingt konsequenter Weise zur Anwendung (auch) des § 38 Abs. 3 Satz 3, 2. Alt. Nds.RiG:
"Übernimmt ... (ein anderes Mitglied des Präsidialrats) ... das Amt der Vorsitzenden, so tritt der nicht gewählte Richter mit der höchsten Stimmenzahl an seine Stelle, durch dessen Eintritt der Präsidialrat den Vorschriften des § 29 entspricht"
Daraus folgt, dass die ordnungsgemäße Besetzung des Präsidialrates auch und gerade in dem in § 38 Abs. 4 Nds.RiG geregelten Verhinderungsfall wie im hier gleichzustellenden Fall allein mit 7 Personen (1 Vorsitzender, 6 weitere Richter, davon ein Ersatzmitglied) gegeben ist. Das wurde nach der fernmündlich beigezogenen dienstlichen Erklärung des amtierenden Vorsitzenden vom 19. Juli 2005 in der gesamten Übergangszeit bis zur Nachwahl eines Präsidialratsvorsitzenden so nicht gehandhabt. Das nächstberufene Ersatzmitglied ist jeweils auch nicht geladen worden. Wenn aber schon die tatsächliche und gewollte (?) Besetzung des Präsidialrats verfahrensfehlerhaft war, stellt sich die nachrangige Frage der Beschlussfähigkeit bei der konkreten Abstimmung (§ 40 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 NdsRiG) im Sinne einer Heilung nicht.
Der Verfahrensfehler kann für die Zustimmung zur materiellrechtlichen Auswahlentscheidung auch kausal gewesen sein. Bei einer vom Beratungsgeheimnis geschützten Beschlussfassung (§ 46 Nds.RiG) darf es nur auf die theoretische - rechnerische - Möglichkeit ankommen, dass in der ordnungsgemäßen Besetzung ein anderes Beschlussergebnis zu Stande hätte kommen können. Das liegt bei einer Besetzung mit 7 stimmberechtigten Mitgliedern statt mit 6 auf der Hand.
Damit erweist sich die vom Antragsgegner getroffene Auswahlentscheidung als (verfahrens-)fehlerhaft - zu Lasten des Antragstellers. Eine "wiederholte" Entscheidung setzt die Beteiligung des ordnungsgemäß nach den §§ 38 Abs. 3 S. 3, 29 Nds.RiG besetzten Präsidialrates voraus. Im Hinblick darauf verbietet sich in diesem Verfahrensstadium jede - auch nur hilfsweise - Erwägung zur materiellen Rechtmäßigkeit der angefochtenen Auswahlentscheidung.
Nach alledem musste der Antrag Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird auf 17.887,45 EUR festgesetzt.
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Satz 1 GKG (Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe R 2 BBesO in Höhe von 5.503,83 EUR x 6,5 : 2).
Fahs
Lassalle