Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 12.12.1994, Az.: 5 A 30/94
Beiträge als Mitglied der Industriekammer und Handelskammer als Grundbeitrag und Umlage in Form eines Prozentsatzes der Bewerbesteuermeßbeträge; Vorliegen eines Gewerbeunternehmens; Erteilung einer Maklererlaubnis
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 12.12.1994
- Aktenzeichen
- 5 A 30/94
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1994, 11104
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGLUENE:1994:1212.5A30.94.0A
Rechtsgrundlagen
- § 3 Abs. 3 IHKG
- § 2 Abs. 1 S. 2 Gewerbesteuergesetz
- Art. 85 EG-Vertrag
- Art. 130 EG-Vertrag
Verfahrensgegenstand
Veranlagung zum Grundbeitrag 1994
Prozessführer
Institut ... für Finanzmathematik und Wirtschaftsberatungs GmbH,
vertr.d.d. Geschäftsführerin ...,
Prozessgegner
die Industrie- und Handelskammer Lüneburg-Wolfsburg, Am Sande 1, Lüneburg,
In dem Rechtsstreit
hat die 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Lüneburg
auf die mündliche Verhandlung vom 12. Dezember 1994
durch
den Präsidenten des Verwaltungsgerichts ...
den Richter am Verwaltungsgericht ... und
die Richterin am Verwaltungsgericht sowie
die ehrenamtlichen Richter ... und ...
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Die Klage wird abgewiesen.
- 2.
Die Klägerin tragt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
- 3.
Die Berufung wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Beitragserhebung durch die Beklagte für das Jahr 1994.
Mit Gesellschaftsvertrag vom 25. Juni 1992 wurde die Klägerin als GmbH mit Sitz in ... errichtet. Alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführer in der Klägerin ist Frau ... Gegenstand des Unternehmens sind nach § 2 des Gesellschaftsvertrages:
- 1.
Erstellung von mathematischen Gutachten,
- 2.
Erstellung von DV-Programmen,
- 3.
Beratung über Fragen der Vermögensbildung und Altersversorgung,
- 4.
Vermittlung von Erwerbsverträgen, Grundstücken und grundstücksgleichen Rechten sowie die Vermittlung von ähnlichen Geschäften und Geschäften, die damit zusammenhängen,
- 5.
Beteiligung an Gesellschaften mit selbem oder ähnlichem Gesellschaftszweck.
Gemäß § 6 des Gesellschaftsvertrages begann das erste Geschäftsjahr der Klägerin am 1. August 1992. Die Klägerin meldete sich am 9. Juli 1992 bei der Samtgemeinde ... mit der Tätigkeit "Repräsentant der Investor- und Treuhand-Beratungsgesellschaft mbH" gewerberechtlich an. Am 6. August 1992 beantragte sie beim Landkreis Uelzen die Erteilung einer Maklererlaubnis.
Mit Bescheid vom 16. Februar 1994 forderte die Beklagte die Klägerin auf, den Jahresgrundbeitrag zur beklagten Kammer für das Jahr 1994 in Höhe von 250,00 DM zu zahlen. Dagegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 17. Februar 1994 Widerspruch ein. Zur Begründung gab sie an, daß sie nicht Mitglied der Beklagten sei. Bei der Beklagten gebe es keine Pflichtmitgliedschaft, da sie keinen legalen Zweck verfolge und somit sowohl das IHKG als auch die Beitragsordnung nichtig seien. Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 3. März 1994 zurück, weil die Klägerin entgegen ihrer Auffassung Pflichtmitglied und als solches beitragspflichtig sei.
Die Klägerin hat am 21. März 1994 Klage erhoben. Zur Begründung tragt sie vor, daß die Tätigkeit der Beklagten nach Artikel 85 EG-Vertrag verboten sei. Die Beklagte sei nicht in der Lage, die ihr aufgetragenen Leistungen außerhalb der Wettbewerbsbeeinflussung zu erbringen oder diese neutral wahrzunehmen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 16. Februar 1994 in der Fassung des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 3. März 1994 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Der angefochtene Beitragsbescheid der Beklagten vom 16. Februar 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. März 1994 ist rechtmäßig.
Die Beitragsfestsetzung der Beklagten beruht auf §§ 1 und 2 der Beitragsordnung der Beklagten vom 18. Dezember 1956 (BGBl. I, 920) in der Fassung vom 1. Dezember 1977 ("Mitteilungen" der Kammer Nr. 1/78, S. 27). Die Heranziehung der Mitglieder einer Industrie- und Handelskammer zur Zahlung von Beiträgen nach Maßgabe einer von der Kammer erlassenen Beitragsordnung ist grundsätzlich zulässig. Die Beitragsordnung verstößt nicht gegen die Regelungen des IHKB. Dies gilt auch im Hinblick darauf, daß nach § 2 Abs. 1 Beitragsordnung die Beiträge als Grundbeitrag und Umlage in Form eines Prozentsatzes der Bewerbesteuermeßbeträge zu erheben sind. Zwar ist nach § 3 Abs. 3 IHKG in der Fassung vom 21.12.1992 (BHBl. I, S. 2133) die Bemessung der Beiträge nicht mehr anhand des Gewerbesteuermeßbetrages, sondern anhand des Gewerbeertrages vorzunehmen. Diese Regelung, die nach Artikel 6 des Gesetzes zur Änderung von Gesetzen auf dem Gebiet des Rechts der Wirtschaft vom 21.12.1992 am 1. Januar 1994 in Kraft getreten ist, gilt nach der Übergangsvorschrift des § 13 a Abs. 2 IHKG jedoch dann nicht, wenn das der Beitragserhebung zugrundeliegende Bemessungsjahr vor dem 1. Januar 1994 liegt. In diesem Fall werden die Beiträge auf der Grundlage der am 31. Dezember 1993 geltenden Fassung dieses Gesetzes erhoben. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Denn nach der Haushaltssatzung der Beklagten für das Rechnungsjahr 1994 vom 11. November 1993 ist das Jahr 1992 das maßgebliche Bemessungsjahr. Es ist daher nicht zu beanstanden, daß § 2 Abs. 1 Beitragsordnung der am 31. Dezember 1993 geltenden Fassung des IHKG entspricht.
Die Klägerin ist entgegen ihrer Auffassung Pflichtmitglied der Beklagten und damit gemäß § 1 Abs. 1 Beitragsordnung beitragspflichtig. Die Kammerzugehörigkeit der Klägerin bestimmt § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern vom 18. Dezember 1956 (BGBl. I S. 920, zuletzt geändert durch Artikel 2 Wirtschaftsrechts-Änderungsgesetz (ÄndG) vom 21.12.1992 (BGBl. I S. 2133) - IHKG -). Danach gehören zu den Industrie- und Handelskammern, sofern sie zur Gewerbesteuer veranlagt sind, unter anderem juristische Personen des privaten Rechts, welche im Bezirk der Kammer entweder eine gewerbliche Niederlassung oder eine Betriebsstätte oder eine Verkaufsstelle unterhalten. Die Klägerin ist als GmbH eine juristische Person mit Sitz in Gerdau und damit Kammerangehörige. Insbesondere ist sie auch zur Gewerbesteuer veranlagt. Nach § 2 Abs. 1 S. 1 Gewerbesteuergesetz vom 21.03.1991 (BGBl. I S. 814 ff) zuletzt geändert durch Gesetz vom 27.12.1993 (BGBl. I S. 2378) unterliegt der Gewerbesteuer jeder stehende Gewerbebetrieb, soweit er im Inland betrieben wird. Unter Gewerbebetrieb ist dabei nach § 2 Abs. 1 S. 2 Gewerbesteuergesetz ein gewerbliches Unternehmen iSd Einkommensteuergesetzes zu verstehen. Gemäß § 2 Abs. 2 S. 1 Gewerbesteuergesetz gilt darüber hinaus als Gewerbebetrieb stets und in vollem Umfang die Tätigkeit der Kapitalgesellschaften. Insofern unterliegt die Klägerin nach § 2 Abs. 2 S. 1 Gewerbesteuergesetz allein durch ihre Gesellschaftsform als Kapitalgesellschaft der Gewerbesteuer, ohne daß es auf die Art ihrer unternehmerischen Tätigkeit ankäme.
Entgegen der Auffassung der Klägerin verstößt die auf dem IHKG beruhende Pflichtmitgliedschaft nicht gegen höherrangiges Recht. Die Pflichtmitgliedschaft in den Industrie- und Handelskammern ist insbesondere mit Artikel 2 Abs. 1 GG vereinbar. Nach § 1 Abs. 1 IHKG haben die Industrie- und Handelskammern die Aufgabe, das Gesamtinteresse der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirkes wahrzunehmen, für die Förderung der gewerblichen Wirtschaft zu wirken und dabei die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend zu berücksichtigen; dabei obliegt es ihnen u.a. durch Vorschläge, Gutachten und Berichte, die Behörden zu unterstützen und zu beraten. Weiterhin können sie nach § 1 Abs. 2 IHKG Einrichtungen zur Förderung der Wirtschaft, insbesondere auf dem Gebiet der Berufsausbildung und des Prüfungswesens, schaffen und ihnen obliegen nach § 1 Abs. 3 IHKG bestimmte Aufgaben der Wirtschaftsverwaltung. Bei diesen Aufgaben, die unter die Komplexe "Vertretung der gewerblichen Wirtschaft" und "Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben auf wirtschaftlichem Gebiet" gefaßt werden können, handelt es sich um legitime öffentliche Aufgaben, die nur auf dem Prinzip der Pflichtmitgliedschaft aufbauend sachgerecht erfüllt werden können. Die sich aus dem Organisationszwang ergebende Freiheitsbeschränkung der Mitglieder ist demgegenüber unbedeutend (BVerfG, Beschluß v. 19.12.1962 - 1 BvR 541/57 -, BVerfGE 15, 235).
Daß die Tätigkeit der Beklagten entsprechend dem Vortrag der Klägerin gegen Artikel 85 EG-Vertrag verstößt, ist der Kammer nicht ersichtlich. Artikel 85 EG-Vertrag ist ein Kartellverbot, das sich an Unternehmen bzw. Unternehmensvereinigungen richtet. Dazu gehört die Beklagte nicht. Sie ist kein Zusammenschluß verschiedener Unternehmen, sondern eine Körperschaft des öffentlichen Rechts (§ 3 Abs. 1 IHKG), der die oben genannten Aufgaben obliegen und die nicht selbst erwerbswirtschaftlich wie ein Unternehmen tätig wird. Ein Verstoß gegen Artikel 130 EG-Vertrag, der die Industriepolitik durch die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten beschreibt, ist ebensowenig erkennbar. Daher besteht auch kein Anlaß, das Verfahren dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen.
Gegen die Höhe des mit 250,00 DM festgesetzten Grundbeitrages bestehen keine Bedenken. Hierbei handelt es sich um den Grundbeitrag nach § 2 Abs. 1 Beitragsordnung, der in der Haushaltssatzung der Beklagten vom 11. November 1993 festgelegt worden ist. Verstöße gegen das Äquivalenzprinzip und den Gleichheitssatz sind nicht ersichtlich. Danach darf die Höhe der Beiträge nicht im Mißverhältnis zu dem Vorteil stehen, den sie abgelten sollen, und einzelne Mitglieder dürfen nicht im Verhältnis zu anderen übermäßig hoch belastet werden. Diese Grundsätze sind hier nicht verletzt worden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 15 k Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11 ZPO. Die Berufung war nicht zuzulassen, da keine Gründe für eine Zulassung nach § 131 Abs. 3 VwGO vorlagen.
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 250,00 DM (in Worten: Zweihundertfünfzig Deutsche Mark) festgesetzt.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluß ist die Beschwerde an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 100,00 DM übersteigt. Sie ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten nach Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache oder anderweitiger Erledigung des Verfahrens schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem
Verwaltungsgericht Lüneburg,
Fuchsweg 9, 21337 Lüneburg,
Postfach 2941, 21319 Lüneburg,
oder bei dem
Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht,
Uelzener Straße 40, 21335 Lüneburg,
Postfach 2371, 21313 Lüneburg,
eingelegt wird.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.