Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 19.08.1994, Az.: 7 B 55/94
Zustimmung zum Abtransport eines im Atomkraftwerk Philippsburg beladenenen Castor-Behälters; Erteilung einer atomrechtlichen Aufbewahrungsgenehmigung; Änderung und Ergänzung einer Aufbewahrungsgenehmigung für ein Transportbehälterlager ; Gefährdung des grundgesetzlich geschützten Rechts auf Unversehrtheit an Leib und Leben durch einen Transport eines mit abgebrannten Brennelementen eines Kernkraftwerks gefüllten Castor-Behälters; Abgrenzung zwischen Individualrechtsschutz und Popularrechtsschutz
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 19.08.1994
- Aktenzeichen
- 7 B 55/94
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1994, 11102
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGLUENE:1994:0819.7B55.94.0A
Rechtsgrundlagen
- § 4 AtG
- § 6 AtG
- § 19 Abs. 3 AtG
- Art. 19 Abs. 4 GG
Verfahrensgegenstand
Transportverbot von hochradioaktivem Abfallstoff im Castor-Behälter
In der Verwaltungsrechtssache
hat die 7. Kammer des Verwaltungsgerichts Lüneburg
am 19. August 1994 beschlossen:
Tenor:
- 1)
Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.
- 2)
Der Streitwert wird auf 8.000,00 DM
(In Worten: achttausend Deutsche Mark) festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt den Erlaß einer einstweiligen Anordnung, mit der dem Antragsgegner untersagt werden soll, die Zustimmung zum Abtransport des im Atomkraftwerk Philippsburg beladenenen Castor-Behälters zu erteilen.
Die Beigeladene hat in einem Waldgebiet ca. 1.5 km südlich der Ortschaft ... im Landkreis ... bauliche Anlagen aufgrund Ihr vom Landkreis ... unter dem 27. Juli 1981 bzw. 24. Februar und 16. April 1982 erteilter Baugenehmigungen errichtet, darunter eine Lagerhalle zur Aufnahme von Transportbehältern, in denen bestrahlte Brennelemente enthalten sind (sog. Transportbehälterlager). Unter dem 5. September 1983 hatte ihr die seinerzeit zuständig gewesene Physikalisch-Technische Bundesanstalt die atomrechtliche Aufbewahrungsgenehmigung nach § 6 AtG erteilt. Durch "1. Nachtrag zur Aufbewahrungsgenehmigung vom 05.09.1983" vom 6. September 1988 wurde die Genehmigung ergänzt und teilweise geändert. Durch die inzwischen zuständig gewordene Antragsgegnerin wurde der Beigeladenen sodann unter dem 27. April 1994 die "2. Änderung und Ergänzung der Aufbewahrungsgenehmigung für das Transportbehälterlager ..." erteilt. Wegen dieser sind bei der erkennenden Kammer die Verfahren 7 A 95/94 und 7 B 43/94 anhängig.
Die Beigeladene beabsichtigt nunmehr, einen Castor vom Typ II a, der im Kernkraftwerk ... mit abgebrannten Brennelementen beladen worden ist, in das Transportbehälterlager ... das bisher ungenutzt ist, einzulagern. Die Antragsgegnerin erteilte der Deutschen Bahn AG am 17. Juni 1994 die Beförderungsgenehmigung gemäß § 4 AtG.
Der Antragsteller macht im wesentlichen geltend, er werde durch den vorgesehenen Transport eines mit abgebrannten Brennelementen des Kernkraftwerks ... gefüllten Castor-Behälters durch den Kreis ... in seinen grundgesetzlich geschützten Rechten auf Unversehrtheit an Leib und Leben gefährdet. Denn der Castor werde das vierzigfache Radioaktivitätsinventar enthalten als bei der Atombombenexplosion in Hiroshima frei geworden sei. Von ihm gehe daher eine unzulässige Gefährdung der Bevölkerung aus. Er selbst müsse damit rechnen, in den Einwirkungsbereich von Maßnahmen zum Schutz des Behältertransportes zu gelangen. Für den Behältnistransport fehle es an einem Bedürfnis, er sei mindestens so gut - wenn nicht besser - dort aufgehoben, wo er herkomme. Denn die Castor-Lagerhallen in Gorleben seien Insbesondere gegen Flugzeugabsturz, der angesichts der zunehmenden Übungsflüge von Kampfflugzeugen auch im Raum ... nicht auszuschließen sei, nicht ausgelegt. Auch biete die Deutsche Bahn AG, wie zahlreiche tödliche Unfälle in der letzten Zeit gezeigt hätten, keine Garantie für eine sichere Abwicklung des Transportes.
Über seinen Widerspruch gegen die der Deutschen Bundesbahn erteilte Transportgenehmigung sei noch nicht entschieden worden. Da nicht sicher sei, daß die Antragsgegnerin nicht den Sofortvollzug der Transportgenehmigung anordne, und zudem der weitere Transport von Atommüll nicht auszuschließen sei, habe er weiterhin ein schutzwürdiges Interesse an einer gerichtlichen Anordnung.
Der Antragsteller beantragt,
den Antragsgegner zu verpflichten, die Zustimmung zum Abtransport des im Atomkraftwerk ... beladenen Castor-Behälters nicht zu erteilen.
"Außerdem darf diese Zustimmung auch nicht von der weisungsbefugten vorgesetzten Behörde, dem Bundesministerium für Reaktorsicherheit erteilt werden, da die Voraussetzungen für die Zustimmung, die ordnungsgemäße, sichere Beladung, die eine dauerhafte Aufbewahrung im Brennelementlager ... ermögliche, nicht gegeben sind."
Der Antragsgegner hat einen Antrag nicht gestellt. Er hat erklärt, er werde die Zustimmung zu einem Abtransport des zur Zeit mit neun Brennelementen des Kernkraftwerks ... beladenen Castor-IIa-Behälters bis auf weiteres nicht erteilen, unbeschadet der sonstigen Nebenbestimmungen zur Aufbewahrungsgenehmigung, weil das Niedersächsische Innenministerium die Beigeladene gebeten habe, den Transport bis Ende August 1994 zu verschieben. Abgesehen davon habe es bei der Beladung des Behälters erhebliche Probleme gegeben, so daß er eine weitere Begutachtung durch den TÜV ... für erforderlich halte und auch die Baden-Württembergische atomrechtliche Aufsichtsbehörde sowie die Physikalisch-Technische Bundesanstalt eingeschaltet habe.
Erst nach Eingang der erbetenen Berichte werde er prüfen können, ob die Voraussetzungen für eine Zustimmung der Aufsichtsbehörde unter Berücksichtigung aller Nebenbestimmungen der Aufbewahrungsgenehmigung erfüllt sind und ob und gegebenenfalls welche Maßnahmen durch die Aufsichtsbehörde nach § 19 Abs. 3 AtG möglich und geboten erscheinen.
Die durch Beschluß vom 27. Juli 1994 Beigeladene hält den Antrag mangels Betroffenheit und mangels Vorliegens eines Anordnungsgrundes für unzulässig.
Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
1.
Der Antrag ist unzulässig, soweit der Antragsteller begehrt, dem weisungsbefugten Bundesminister für Umwelt zu untersagen, die Zustimmung zum Castor-Behälter-Transport zu erteilen bzw. den Antragsgegner anzuweisen, diese zu erteilen. Denn dieser Antrag ist gegen den unzuständigen Antragsgegner gerichtet. Gegen ihn kann eine auf den Bundesminister für Umwelt bezogene einstweilige Anordnung nicht ergehen.
2.
Dem Antragsteller fehlt für den Antrag das Rechtsschutzinteresse, denn der Antragsgegner hat ausdrücklich erklärt, eine Zustimmung gegenwärtig nicht erteilen zu können. Er tut demnach das, was der Antragsteller von ihm begehrt.
Sollte der Antragsteller den Antrag dahingehend verstanden wissen wollen, daß dem Antragsgegner für alle Zeiten die Erteilung der Zustimmung untersagt werde, so wäre der Antrag mangels Rechtsschutzinteresses ebenfalls unzulässig. Denn sind die Zustimmungsvoraussetzungen erfüllt, muß der Antragsgegner die Zustimmung erteilen, sonst handelte er rechtwidrig. Es steht niemandem, insbesondere auch nicht dem Antragsteller zu, von einer Behörde ein rechtswidriges Verhalten verlangen zu dürfen. Dafür stellt die Rechtsordnung gerichtlichen Rechtsschutz nicht zur Verfügung.
3.
Abgesehen von Vorstehendem hat der Antragsteller nicht dargetan, geschweige denn glaubhaft gemacht, daß es einer vorläufigen Regelung bedarf, etwa um der Gefahr vorzubeugen, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte oder es zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis notwendig ist, wenn diese Regelung, um wesentliche Nachtelle abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (§ 123 Abs. 1 VwGO). Was der Antragsteller insoweit als Anordnungsgrund, nämlich angebliche von dem Castor-Behälter ausgehende Gefahren, vorträgt, ist so allgemein gehalten, daß eine konkrete Beeinträchtigung, die gerichtliches Einschreiten erforderlich machte, nicht erkennbar wird.
Nicht ersichtlich - und nicht glaubhaft gemacht - ist vor allem aber ein Anordnungsanspruch. Denn grundsätzlich kann auch einstweiliger Rechtsschutz nach § 123 VwGO nur gewährt werden, wenn eine subjektive Betroffenheit des Antragstellers glaubhaft gemacht ist. Gerichtlicher Rechtsschutz steht nur in Gestalt von Individualrechtsschutz zur Verfügung (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG). Einen Popularrechtsschutz, d.h. ein Antragsrecht für jedermann, Interessen der Allgemeinheit wahrzunehmen, ist der deutschen Rechtsordnung fremd. Darauf läuft aber das Begehren des Antragstellers hinaus, denn was er geltend macht, sind allgemeine, im wesentliche unsubstantielle Behauptungen über mögliche Gefährdungen durch den Transport, ohne dies durch konkrete Tatsachen zu untermauern. Er stützt sich dabei nur auf Pressemeldungen, die keinen individualisierbaren, gerade Rechte des Antragstellers berührenden greifbaren Inhalt haben. Dazu hätte es der begründeten Darlegung bedurft, daß gerade er einer die Dosisgrenzwerte des § 45 StrSchVO bzw. des § 28 Abs. 3 StrlSchVO überschreitenden Belastung ausgesetzt würde (BVerwG, Beschl. v. 05.08.1993 - Buchholz 451.171 Nr. 44).
Der Antragsteller wohnt in ... bei .... Der Ort liegt ca. 13 km Luftlinie von dem Transportbehälterlager entfernt. Die 3. Kammer Lüneburg des Verwaltungsgerichts Stade hat in dem Beschluß vom 12. April 1990 - 3 VG D 70/88, bestätigt durch Beschluß des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 7. Februar 1991 - 7 M 39/90, u.a. festgestellt, daß die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die Aufbewahrung von Kernbrennstoffen im Transportbehälterlager Gorleben getroffen worden ist. Das Gericht hat eingehend dargelegt, daß mit unzulässigen Radioaktivitätsfreisetzungen im Normalbetrieb des Transportbehälterlagers nicht zu rechnen sei und daß die gegen die überhaupt möglichen Störfälle getroffenen Vorkehrungen eine Beschädigung der Transportbehälter ausgeschlossen erscheinen lassen. Denn selbst bei schwersten Störfällen, wie "Absturz schwerer Lasten", etwa eines Deckenträgers, "Absturz eines Flugzeuges mit Auftreffen eines Triebwerkes auf einen Transportbehälter und anschließendem Kerosinbrand" und "Erdfall über dem Gipshut ..., werden die Grenzwerte der Strahlenschutzverordnung bei weitem unterschritten. Was dort für den ungünstigen Aufpunkt der Begrenzung des Betriebsgeländes dargelegt ist, muß erst recht für den so weit entfernt wohnenden Antragsteller gelten. Daß jene Beurteilung unrichtig ist, ist weder substantiiert dargetan noch sonst ersichtlich.
Ob der Antragsgegner befugt ist, aus Gründen der allgemeinen Schadensvorsorge und des Minimierungsgebotes nach § 19 Abs. 3 AtG i.V.m. § 28 Abs. 1 StrlSchV die Einlagerung des Castor-Behälters in Gorleben zu unterbinden, mag dahinstehen. Jedenfalls würde dies keine korrespondierenden Ansprüche des Antragstellers begründen. Denn das sog. Minimierungsgebot hat keine drittschützende Wirkung (BVerwG, Urt. v. 22.12.1980 - NJW 1981, 1393; Urt. v. 19.12.1985 - DVBl. 1986, 190). Daraus erwächst dem Antragsteller mithin keine schutzfähige Rechtsposition, die er durch gerichtlichen Rechtsschutz gegenüber dem Antragsgegner durchsetzen könnte.
Soweit der Antragsteller Gefährdung durch den Transport befürchtet, ist zwar nicht eindeutig feststellbar, ob er davon nicht zumindest stärker betroffen werden könnte als andere, wen die Eisenbahnstrecke ... nahe seinem Wohnort vorbeiführt. Abgesehen davon, daß es außerordentlich zweifelhaft erscheint, ob von einem vorbei transportierten Castor-Behälter eine die Grenzwerte des § 45 StrlSchVO - nur diese haben drittschützende Wirkung (BVerwG, Urt. v. 22.12.1980, a.a.O.) - überschreitende unzulässige Strahlenbelastung ausgehen würde, erwachsen dem Antragsteller daraus jedenfalls keine Ansprüche etwa auf Einschreiten des Antragsgegners gegen die Inhaberin der Transportgenehmigung, die Deutsche Bahn AG, denn insoweit ist der Antragsgegner nicht Aufsichtsbehörde, da die Zuständigkeiten nach § 24 Abs. 1 Satz 2 AtG insoweit den Landesbehörden entzogen sind.
Der Antrag war deshalb abzulehnen mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, die der Beigeladenen entstandenen außergerichtlichen Kosten für erstattungsfähig zu erklären (§ 162 Abs. 3 VwGO), weil sie sich durch Antragstellung einem Kostenrisiko ausgesetzt und in der Sache Erfolg gehabt hat.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird auf 8.000,00 DM