Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 16.05.2023, Az.: 1 Ws 124/23 (MVollz

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
16.05.2023
Aktenzeichen
1 Ws 124/23 (MVollz
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 18793
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Lüneburg - 28.03.2023 - AZ: 162 StVK 70/22

Amtlicher Leitsatz

Bei der einmaligen unterbliebenen Weiterleitung eines ausgehenden Schreibens von einem im Maßregelvollzug Untergebrachten liegt regelmäßig kein derart schwerwiegender Grundrechtseingriff vor, der ein Feststellungsinteresse im Sinne des § 115 Abs. 3 StrVollzG begründet.

In der Maßregelvollzugssache
des S. H.,
geboren ...,
zurzeit im Maßregelvollzugszentrum N. - M.,
...,
- Antragstellers und Beschwerdeführers -
- Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwältin N. aus D. -
gegen die Psychiatrische Klinik Lüneburg,
...,
vertreten durch deren Leiter
- Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin -
wegen Weiterleitung eines ausgehenden Schreibens
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle nach Beteiligung des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht XXX, die Richterin am Oberlandesgericht XXX und den Richter am Oberlandesgericht XXX am 16. Mai 2023 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lüneburg vom 28. März 2023 wird als unzulässig verworfen, weil die Überprüfung des angefochtenen Beschlusses weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten ist (§§ 116 Abs. 1, 138 Abs. 2 StVollzG).

Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat der Antragsteller zu tragen.

Der Streitwert wird auf bis zu 500,- € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller befand sich zunächst von Oktober 2022 bis zu seiner Verlegung am 15. Dezember 2022 in das Maßregelvollzugszentrum M. im Maßregelvollzug bei der Antragsgegnerin.

Mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 21. Dezember 2022 beantragte der Antragsteller festzustellen, dass die nicht erfolgte Weiterleitung seines als Einschreiben gekennzeichneten Schreibens an seinen Verteidiger - Rechtsanwalt W. aus H. - vom 6. Dezember 2022 rechtswidrig gewesen sei und diesen in seinen Rechten verletzt habe. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den vorbezeichneten Antrag verwiesen.

Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lüneburg hat mit Beschluss vom 28. März 2023 den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unzulässig zurückgewiesen.

Die Kammer hat dazu ausgeführt, es fehle dem Antragsteller an einem berechtigten Interesse an der Feststellung, weil aufgrund der zwischenzeitlichen Verlegung eine Wiederholungsgefahr nicht bestehe. Auch die Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses stehe nicht im Raum. Es liege ebenfalls keine schwerwiegende Grundrechtsverletzung vor. Zwar seien bei Untergebrachten die Beschränkungen des Postverkehrs aufgrund der damit verbundenen Einschränkung des Brief- und Postgeheimnisses unter strenger Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes anzuwenden. Im zugrundeliegenden Fall sei eine Weiterleitung aber in der irrtümlichen Annahme unterblieben, dass das Einschreiben in eine Filiale der Deutschen Post hätte eingeliefert werden müssen. Insofern sei die erfolgte Grundrechtsverletzung nicht als schwerwiegend einzuordnen und ein entsprechendes Feststellungsinteresse nicht gegeben. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluss der Strafvollstreckungskammer Bezug genommen.

Gegen diesen Beschluss, welcher der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers am 4. April 2023 zugestellt wurde, wendet sich der Antragsteller mit seiner Rechtsbeschwerde vom 25. April 2023, die am selben Tage beim Landgericht Lüneburg einging. Der Antragsteller beantragt, die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer aufzuheben sowie die Rechtswidrigkeit der unterbliebenen Weiterleitung und die Verletzung des Antragstellers in seinen Rechten festzustellen. Der Antragsteller macht geltend, er sei durch das Verhalten der Antragsgegnerin in seinem Grundrecht aus Art. 10 GG verletzt worden. Denn die Antragsgegnerin sei gehalten gewesen, das Schreiben des Antragstellers vom 6. Dezember 2023 unverzüglich und mit dem vom Antragsteller begehrten Dienstleister Deutsche Post AG weiterzuleiten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Rechtsbeschwerdeschrift verwiesen.

Das Niedersächsische Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als unzulässig mangels Feststellungsinteresse zu verwerfen.

II.

Die form- und fristgerecht (§ 118 StVollzG) erhobene Rechtsbeschwerde erweist sich bereits als unzulässig. Denn ein Feststellungsinteresse ist hier nicht gegeben.

Die Strafvollstreckungskammer hat in dem angefochtenen Beschluss zunächst zutreffend eine Wiederholungsgefahr verneint. Denn eine solche muss sich konkret abzeichnen und den Umständen nach muss zu erwarten sein, dass die Vollzugsbehörde künftig ohne gerichtliche Entscheidung wiederum so verfahren werde (Laubenthal in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetz, 7. Aufl. 2020, 12. Kapitel Rechtsbehelfe). Vorliegend fehlt es hingegen an konkreten Anhaltspunkten, dass der Antragsteller alsbald wieder in den Maßregelvollzug bei der Antragsgegnerin gelangt und daher eine Wiederholung des zugrundeliegenden Vorgangs zu befürchten steht.

Auch ein berechtigtes Interesse aus anderen Gründen im Sinne des § 115 Abs. 3 StVollzG ist nicht gegeben. Insbesondere reicht die vom Antragsteller schlüssig vorgetragene Verletzung eines Grundrechts (hier Art. 10 GG) allein nicht aus, ein Feststellungsinteresse zu begründen (vgl. OLG Celle 1 Ws 266/91, ZfStrVO 1993, 185).

Denn Grundrechtsverletzungen begründen nur dann ein Feststellungsinteresse, wenn es sich um schwerwiegende Eingriffe handelt (BVerfG ZfStrVo 2002, 176; BVerfG NStZ-RR 2004, 59 [BVerfG 12.09.2003 - 2 BvR 1220/03]; BVerfG NJW 2011, 137; BVerfG, Beschl. vom 28.2.2013 - 2 BvR 612/12 = NStZ 2014, 631). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die diskriminierenden Folgen einer Maßnahme über deren Erledigung hinaus andauern oder eine Resozialisierung beeinträchtigt ist oder eine Verletzung der Menschenwürde in Rede steht (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 15. Juli 2010 - 2 BvR 1023/08 -, BVerfGK 17, 420-428).

Diese Voraussetzungen erfüllt die einmalig unterbliebene Weiterleitung eines Schreibens des Antragstellers an seinen Verteidiger nicht. Obgleich sein Grundrecht aus Art. 10 GG tangiert worden ist, handelt es sich bei dem in Rede stehenden Vorfall bei der Eingriffsintensität nur um eine geringfügige Beeinträchtigung, zumal dieser auf Unkenntnis bei der Antragsgegnerin beruhte, dass die Beförderung eines Einschreibens auch durch Einwurf in einen Briefkasten bewirkt werden kann; eine zielgerichtete Beförderungsverhinderung ist gerade nicht erfolgt. Die Strafvollstreckungskammer hat insofern zutreffend ausgeführt, dass bei Kenntnis der Annahmebedingungen der Deutschen Post für die Einlieferung von Einschreibesendungen eine Weiterleitung in Form des Einwurfs in den nahegelegenen Briefkasten - wie es die ständige allgemeine Praxis der Antragsgegnerin bei normalen Postsendungen mit der Deutschen Post AG ist - erfolgt wäre. Der Antragsteller hat auch zu etwaigen weiteren Folgen der unterbliebenen Weiterleitung nichts vorgetragen, sodass ein eventueller schwerwiegender Grundrechtsverstoß unter diesem Gesichtspunkt ebenfalls nicht ersichtlich ist.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 2 Satz 1 StVollzG.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 1 Abs. 1 Nr. 8, 52 Abs. 1, 60, 63 Abs. 3 Nr. 2, 65 GKG. Anhaltspunkte für eine höhere Festsetzung - wie vom

Antragsteller begehrt - wegen Bedeutung der Sache ergeben sich aus den vorstehenden Ausführungen nicht.