Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 26.02.2013, Az.: 4 A 734/12
Beurteilungsspielraum bei der Feststellung der Denkmaleigenschaft eines Kirchengebäudes
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 26.02.2013
- Aktenzeichen
- 4 A 734/12
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2013, 55273
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2013:0226.4A734.12.0A
Rechtsgrundlagen
- § 3 Abs. 2 NDschG
- § 4 Abs. 5 NDSchG
Amtlicher Leitsatz
Bei der Feststellung der Denkmaleigenschaft nach § 4 Abs. 5 NDSchG steht dem Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege ein Beurteilungsspielraum zu.
Tenor:
Der Bescheid des Beklagten vom 22.12.2011 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Ausweisung der Ev.-luth. Corvinuskirche als Baudenkmal.
Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks M.-straße 28 in Hannover-Stöcken, das u. a. mit einem Kirchengebäude und einem freistehenden Glockenturm bebaut ist. Das Kirchengebäude wurde 1960 - 62 nach einem preisgekrönten Entwurf des ehemaligen Regierungsbaumeisters Roderich Schröder über einem fünfeckigen Grundriss mit gefaltetem Zeltdach errichtet. Die Innenausstattung weist Details wie eine schwebend konstruierte Emporentreppe und ein Kirchengestühl in Beton-/Holzkonstruktion auf. Der Glockenturm wurde einem italienischen Campanile nachempfunden. Die Kirche ist in ihrer architektonischen Gestaltung bis heute unangetastet und mit allen Bau- und Ausstattungsdetails nahezu vollständig erhalten.
Im September 2011 erfuhr der Beklagte von den Plänen der Klägerin, die Corvinuskirche abzureißen und das Grundstück zu veräußern. Nach vorheriger Anhörung der Klägerin wurde die Corvinuskirche Anfang November 2011 wegen ihres Zeugnis- und Schauwertes für Bau- und Kunstgeschichte in die Liste der Baudenkmale der Landeshauptstadt Hannover eingetragen.
Unter dem 08.12.11 bat die Klägerin um einen rechtsmittelfähigen Feststellungsbescheid. Mit Bescheid vom 22.12.11 stellte der Beklagte fest, dass es sich bei der Corvinuskirche um ein Baudenkmal handele und die Ausweisung das Kirchengebäude einschließlich Innenausstattung und den Glockenturm umfasse. Die Kirche erreiche mit ihrer ungewöhnlichen Formensprache und der Materialkombination aus Sichtbeton, Ziegeln, Schiefer und Holz Modellcharakter für viele Kirchenbaukommissionen weit über die Region hinaus. Besonders seien der fünfeckige Grundriss, das gefaltete Zeltdach, die Fensterelemente in aneinandergereihten Betonrahmen, die Hängekonstruktion der Emporendecke, das Gestühl in seiner Beton-Holzkonstruktion, der Sockelbereich des Altarraums und vieles mehr. Städtebaulich bedeutsam sei die Kirche mit ihrem freistehenden Glockenturm wegen ihrer exponierten Lage auf einem Eckgrundstück. Der Turm sei einem Campanile nachempfunden, zitiere so eine südländische Kultur und setze auch ein Zeichen für kulturelle Freiheit in einem Europa der immer offener werdenden Grenzen.
Am 18.01.12 hat die Klägerin Klage erhoben, die sie im Wesentlichen wie folgt begründet: Die Corvinuskirche sei weder geschichtlich noch künstlerisch, wissenschaftlich oder städtebaulich so bedeutsam, dass sie erhalten werden müsse. Sie beruhe zwar auf einem preisgekrönten Entwurf, sei aber unter Mithilfe eines Gutachterausschusses, zu dem u. a. Dieter Oesterlen gehört habe, entscheidend umgearbeitet worden. Zudem müsse die Corvinuskirche in die Gesamtschau der zahlreichen zwischen 1953 und 1964 in Hannover errichteten Kirchen - über 30 - eingeordnet werden. Dabei falle auf, dass die Kirche die innovativen Architekturkonzepte der hervorragenden Architekten Dieter Oesterlen und Peter Hübotter und deren wegweisende Bauten lediglich aufgegriffen habe. So seien der vieleckige Grundriss, die gewählte Materialkombination, die Deckenkonstruktion, die Konstruktion der Bänke und der hängenden Emporentreppe sowie der Bodenbelag von der wenige Jahre zuvor eingeweihten St. Martinskirche von Oesterlen übernommen worden. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der jüngeren Architekturgeschichte in Deutschland stehe noch in den Anfängen. Angesichts der großen Zahl von Kirchenneubauten müsse bei der Denkmalausweisung darauf geachtet werden, dass die Bauten originär für eine wegweisende Entwicklung stünden. Dieser Bedeutung werde die Corvinuskirche nicht gerecht. Ihr komme zwar eine kulturell-künstlerische Bedeutung zu und sie müsse wohl auch als urhebergeschütztes Werk der Baukunst eingestuft werden. Aus der Vielzahl der gleichzeitig entstandenen Kirchenbauten rage sie aber nicht in besonderem Maße heraus. Auch der Verweis auf die städtebauliche Bedeutung sei nicht nachvollziehbar. Kirchen seien mehrheitlich freistehende Solitärbauten und wiesen in der Regel eine exponierte Lage auf.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 22.12.11 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er betont, dass die Corvinuskirche einen ästhetisch-gestalterischen Willen verkörpere. Insoweit sei es unerheblich, wenn sie als Leistung Mehrerer anzusehen sei und Bezüge zu anderen Bauten aufweise. Diese Umstände verdeutlichten vielmehr die Verankerung des Bauwerkes in der Epoche seiner Entstehung. Ein Typenbauwerk, das in baugleicher Weise an mehreren Stellen ausgeführt worden sei, stelle die Corvinuskirche jedenfalls nicht dar. Die von der Klägerin weiter angenommenen Wertekategorien - Einleiten oder maßgebliches Mitprägen einer Architekturepoche als herausragendes Werk seiner Zeit - kenne das Niedersächsische Denkmalschutzgesetz nicht. Entgegen der Auffassung der Klägerin seien auch wissenschaftliche Grundlagen für die Bewertung von Nachkriegsbauten vorhanden. Es gebe hierzu mehrere Grundlagenwerke und eine - wenn auch noch nicht abgeschlossene - Vorschlagsliste der Architektenkammer. Neben der Corvinuskirche seien landesweit bereits acht weitere Kirchenneubauten der 1960er Jahre in die Liste geschützter Baudenkmale eingetragen; angesichts der Vielzahl der Bauten stehe eine weitere Erfassung und Unterschutzstellung als wichtige denkmalfachliche Aufgabe für die nächsten Jahre an. In städtebaulicher Hinsicht sei die Corvinuskirche für das Erscheinungsbild ihres Standortes, ihres Stadtteilbereichs, der Straßensituation und des sie umgebenden Platzes prägend.
Die Kammer hat die Corvinuskirche in Augenschein genommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die als Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg. Der feststellende Bescheid des Beklagten vom 22.12.11 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO.
Rechtsgrundlage des feststellenden Verwaltungsaktes ist § 4 Abs. 5 NDSchG. Danach hat das Landesamt für Denkmalpflege für ein Baudenkmal, das nach dem 30.09.11 in das Verzeichnis der Baudenkmale eingetragen worden ist, auf Antrag des Eigentümers seine Eigenschaft als Baudenkmal festzustellen. Die Corvinuskirche ist nach dem 30.09.11 in das Verzeichnis eingetragen worden, so dass der Beklagte in zeitlicher Hinsicht ermächtigt war, ihre Denkmaleigenschaft festzustellen. In materieller Hinsicht ist die Frage, ob es sich bei der Corvinuskirche und ihrem Glockenturm um ein Baudenkmal handelt, anhand § 3 Abs. 2 NDschG zu beantworten. Danach sind Baudenkmale bauliche Anlagen (§ 2 Abs. 1 NBauO), Teile baulicher Anlagen, Grünanlagen und Friedhofsanlagen, an deren Erhaltung wegen ihrer geschichtlichen, künstlerischen, wissenschaftlichen oder städtebaulichen Bedeutung ein öffentliches Interesse besteht. Die nach diesen Maßgaben erfolgte Feststellung des Beklagten, am Erhalt der Corvinuskirche bestehe wegen ihrer baukünstlerischen/-geschichtlichen und städtebaulichen Bedeutung ein öffentliches Erhaltungsinteresse, ist gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar (dazu unter 1). Sie basiert teils auf einer nur unzureichend ermittelten Tatsachengrundlage, teils auf einem unzutreffenden Verständnis der gesetzlichen Vorgabe und ist daher rechtlich zu beanstanden (dazu unter 2).
1) Nach Auffassung der Kammer steht dem mit besonderem Sachverstand einer staatlichen Denkmalfachbehörde ausgestatteten Beklagten bei der Feststellung der Denkmaleigenschaft nach § 4 Abs. 5 NDSchG ein Beurteilungsspielraum zu. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Grundsätzlich gebietet Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, dass die Gerichte Entscheidungen der Verwaltung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vollständig nachprüfen und zwar auch im Anwendungsbereich relativ unbestimmter Gesetzestatbestände und -begriffe (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.05.07 - 3 C 8/06 -, [...] mit Nachweisen hins. der Rspr. des BVerfG). Um einen solchen unbestimmten Rechtsbegriff wertenden Inhalts handelt es sich bei dem Begriff des Kulturdenkmals. Entsprechend ist in der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung geklärt, dass dessen Anwendung grundsätzlich einer vollen gerichtlichen Überprüfung zugänglich ist und die Frage, ob Kulturdenkmale im öffentlichen Interesse zu erhalten sind, von den Verwaltungsgerichten selbständig zu beurteilen ist. Ein Beurteilungsspielraum, der die gerichtliche Kontrolle einschränken könnte, besteht insoweit nicht (so schon BVerwG, Urt. v. 22.04.66 - IV C 120.65 -; vgl. etwa Thüringer OVG, Urt. v. 30.10.03 - 1 KO 433/00 -; SächsOVG, Urt. v. 17.09.07 - 1 B 324/06 -; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 29.06.92 -1 S 2245/90 -; st. Rspr. des OVG Lüneburg, zuletzt Urt. v. 23.08.12 - 12 LB 170 -, Urt. v. 26.03.99 - 1 L 1302/97 -; jeweils m. w. N, jeweils [...]).
Die oben zitierte Rechtsprechung betrifft jedoch ausschließlich Verfahren, in denen sich der Eigentümer eines - vermeintlichen - Baudenkmals und die zuständige Denkmalschutzbehörde über Erhalt, Veränderung oder Beeinträchtigungen eines Baudenkmals bzw. steuerrechtliche Vergünstigungen für ein Baudenkmal streiten. In Niedersachsen wirkt der Beklagte in derartigen Verfahren als staatliche Denkmalfachbehörde nur in seiner Funktion als fachlicher Berater der Denkmalschutzbehörden mit, § 21 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 NDSchG. Für die übrigen Bundesländer gilt entsprechendes (vgl. Kleine-Tebbe in Kleine-Tebbe/Martin, Denkmalrecht Niedersachsen, 2. Aufl. 2013, § 21 Anm. 1). Führen derartige Streitigkeiten zu gerichtlichen Verfahren, ist der Beklagte entweder über § 99 VwGO oder über den Weg der Beiladung beteiligt und vermittelt dem Gericht u. a. das erforderliche Fachwissen für die Beurteilung der Denkmaleigenschaft eines Bauwerks.
Mit der Gesetzesnovelle vom 26.05.11 (Nds. GVBl. S. 135) hat der Gesetzgeber mit § 4 Abs. 5 NDSchG dieser außerhalb des Systems der staatlichen Denkmalschutzbehörden stehenden Fachbehörde eine eigenständige Kompetenz zum Erlass feststellender Verwaltungsakte zugewiesen. Nach Auffassung der Kammer wurde dem Beklagten damit gleichzeitig ein Beurteilungsspielraum eingeräumt, so dass die gerichtliche Nachprüfung für diesen besonderen Fall der Feststellung der Denkmalfähigkeit auf die Einhaltung der rechtlichen Grenzen dieses Spielraums beschränkt ist. Ob § 4 Abs. 5 NDSchG eine sog. Beurteilungsermächtigung enthält, ist durch Auslegung des Gesetzes zu ermitteln und kann unter anderem dann angenommen werden, wenn der zu treffenden Entscheidung in hohem Maße wertende Elemente anhaften und das Gesetz für sie deshalb ein besonderes Verwaltungsorgan für zuständig erklärt, das weisungsfrei, mit besonderer fachlicher Legitimation und in einem besonderen Verfahren entscheidet (so BVerwG, Urt. v. 16.05.07, a. a. O. mit zahlreichen Nachweisen hinsichtlich der Rspr. des BVerwG).
So liegt der Fall hier. Die im Rahmen des § 4 Abs. 5 NDSchG zu treffende Entscheidung enthält in hohem Maße wertende Elemente und ist deshalb dem mit besonderer fachlicher Qualifikation ausgestatteten Beklagten zugewiesen. Denn ob einem Bauwerk Denkmalqualität zukommt, ist nach dem Urteil eines sachverständigen Betrachters zu entscheiden, dessen Maßstab von einem breiten Kreis von Sachverständigen getragen wird (so OVG Lüneburg, Urt. v. 23.08.12 - 12 LB 170/11 -, [...] m. w. N. hins. der st. Rspr). Eine fachgerechte Einschätzung kann nur mit Blick auf die historischen und baugeschichtlichen Hintergründe des zu schützenden Baudenkmals in seiner Epoche fundiert abgegeben werden. Über den Begriff des "öffentlichen Interesses" fordert sie aber auch die Berücksichtigung gegenläufiger Interessen, wie etwa die Erhaltungspflicht des Eigentümers, die optimale Nutzung der nur begrenzt vermehrbaren bebaubaren Fläche oder der nur begrenzt zur Verfügung stehenden öffentlichen Gelder für den Denkmalschutz (vgl. hierzu Wiechert in Schmalz/Wiechert, NDSchG, 2. Aufl. 2011, § 3 Rn 37). Sie erfordert daher neben hoher Sachkunde einen über den Einzelfall hinausreichenden Überblick und die Fähigkeit, unterschiedliche denkmalwürdige Bauwerke ihrer Wertigkeit entsprechend einzuordnen. Da dem Beklagten nach § 21 Abs. 1 NDSchG die Erfassung, Erforschung und Dokumentation aller Kulturdenkmale in Niedersachsen obliegt und er die wissenschaftlichen Grundlagen für die Denkmalpflege zu schaffen hat, verfügt er über das erforderliche Fachwissen und langjährige Erfahrung. Er vermittelt in Niedersachsen in erster Linie das für die denkmalrechtliche Bewertung eines Bauwerkes erforderliche Fachwissen (so st. Rspr. des OVG Lüneburg, 26.11.92 - 6 L 24/90 -, [...] m. w. N.). Es erscheint der Kammer daher sachgerecht, ihm für die in eigener Kompetenz getroffene Feststellung der Denkmaleigenschaft eines Bauwerkes einen Beurteilungsspielraum einzuräumen.
Mit Art. 19 Abs. 4 GG ist die Annahme eines Beurteilungsspielraums für den Beklagtenvereinbar. Denn der Grundsatz, dass Verwaltungsentscheidungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vollständig gerichtlich zu überprüfen sind, gilt nicht ausnahmslos: In engen Grenzen und aus guten Gründen darf der Gesetzgeber eine Beurteilungsermächtigung vorsehen (so BVerwG, Urt. v. 16.05.07, a. a. O. mit zahlreichen Nachweisen hinsichtlich der Rspr. des BVerfG). Derartig gute Gründe hat das Bundesverwaltungsgericht wegen der besonderen fachlichen Qualifikation der Behörde zum Beispiel angenommen bei der Sinnenprüfung für Wein (Urt. v. 16.05.07, a. a. O.) oder für die Überprüfung, ob ein Vorhaben den Erhaltungszustand der Population einer geschützten Art beeinträchtigt (Urt. v. 09.06.10 - 9 A 20/08 -, [...]).
Solche guten Gründe liegen auch hier vor. Die nach § 4 Abs. 5 NDSchG getroffene Feststellung, dass einem Bauwerk Denkmalqualität zukommt, ist im gerichtlichen Verfahren in ihrem sachlich-fachlichen Kern nicht ohne einen Sachverständigen überprüfbar. Wäre dieselbe Frage Gegenstand eines Verfahrens zwischen Bürger und Denkmalschutzbehörde - etwa um die Erhaltungspflicht -, wäre in erster Linie der Beklagte als Denkmalfachbehörde zur Abgabe einer sachverständigen Stellungnahme berufen. In aller Regel würde das Gericht der Bewertung durch diese Fachbehörde folgen. Sie wäre allerdings einer "gegebenenfalls auch kritischen gerichtlichen Würdigung nicht gänzlich entrückt. Da es sich um die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe handelt, muss das Sachverständigenurteil mindestens die rechtsstaatlichen Grenzen einhalten, die auch der Inanspruchnahme eines behördlichen Beurteilungsspielraums gezogen waren. Zu solchen Grenzen gehören die folgenden Anforderungen: Die Sachverständigenstellungnahme muss in sich widerspruchsfrei sein, von einem zutreffenden Sachverhalt ausgehen und dem Gleichheitssatz entsprechen." (so OVG Lüneburg, Bes. v. 13.05.1996, - 6 L 1350/95 -, [...]). Der Beklagte als Fachbehörde steht dem Gericht in Streitigkeiten nach § 4 Abs. 5 NDSchG in der Funktion als "Sachverständiger" aber nicht zur Verfügung, da er selbst als handelnde Behörde am Verfahren beteiligt ist. Der streitgegenständliche feststellende Verwaltungsakt verkörpert hier seine in den sonstigen Streitfällen als Fachbehörde abgegebene gutachterliche Stellungnahme zur Denkmaleigenschaft eines Bauwerkes. Insoweit erscheint es der Kammer nur konsequent, den vom OVG Lüneburg in der oben zitierten Entscheidung vom 13.05.96 entwickelten Rechtsgedanken fortzuführen und dem Beklagten im Rahmen seiner Entscheidung nach § 4 Abs. 5 NDSchG einen Beurteilungsspielraum einzuräumen.
Hinzu kommt, dass die sachverständige Bewertung der Denkmaleigenschaft eines Bauwerkes im Streitfall durch das Gericht nicht ohne weiteres vollständig nachvollziehbar ist, wenn es nicht zufällig selbst sachverständig besetzt ist. Da eine denkmalfachliche Stellungnahme - wie oben gezeigt - in hohem Maße wertende Elemente enthält, müsste eine vollständige Überprüfung wiederum einem Sachverständigen überlassen bleiben, der die Entscheidung des Beklagten auf einem vergleichbar hohen Kenntnisstand beurteilen könnte. Liegt dann - wie hier - eine der Einschätzung des Beklagten widersprechende Bewertung der ebenfalls mit hohem denkmalfachlichen Sachverstand ausgestatteten Stadtkirchenkanzlei vor, gerät der Grundsatz des Prozessrechts, dass die Beweisaufnahme dem Gericht selbst obliegt und dass ein Sachverständigengutachten dem Gericht lediglich die Kenntnis der maßgeblichen Tatsachen vermittelt, an seine Grenzen.
2) Die Entscheidung des Beklagten, die Corvinuskirche als Baudenkmal einzustufen, unterliegt somit nur eingeschränkter gerichtlicher Kontrolle. Die Kammer hat entsprechend den in § 114 VwGO genannten Grundsätzen zu überprüfen, ob die gültigen Verfahrensbestimmungen eingehalten worden sind, ob die Behörde von einem richtigen Verständnis des anzuwendenden Gesetzesbegriffs ausgegangen ist, ob sie den erheblichen Sachverhalt vollständig und zutreffend ermittelt hat und ob sie sich bei der eigentlichen Beurteilung an allgemein gültige Wertungsmaßstäbe sowie das Willkürverbot gehalten hat (st. Rspr. des BVerwG vgl. nur Urt. v. 16.05.07 - 3 C 8 /06 -, [...] m. w. N.). Dieser nur eingeschränkten Nachprüfung hält die Entscheidung des Beklagten nicht Stand. Hinsichtlich der angenommenen besonderen bau- und kunstgeschichtlichen Bedeutung der Corvinuskirche hat der Beklagte den Sachverhalt nicht vollständig ermittelt (dazu unter a). Den Gesetzesbegriff "städtebauliche Bedeutung" hat der Beklagte verkannt (dazu unter b). Der Frage, ob der Corvinuskirche eine wissenschaftliche Bedeutung außerhalb der Disziplinen Bau- und Kunstgeschichte zukommt, die ein öffentliches Interesse an ihrem Erhalt begründen könnte, muss die Kammer nicht nachgehen. Denn auf diesen Aspekt hat der Beklagte seine Entscheidung über die Denkmaleigenschaft der Kirche weder in der angefochtenen Entscheidung noch in der mündlichen Verhandlung gestützt.
a) Die in der angefochtenen Feststellung zum Ausdruck kommende Annahme des Beklagten, am Erhalt der Corvinuskirche bestehe aus bau- und kunstgeschichtlichen Gründen ein besonderes öffentliches Interesse, beruht auf einer nur unzureichenden Ermittlung des Sachverhaltes.
Einem Bauwerk kommt kunstgeschichtliche Bedeutung zu, wenn es ein charakteristischer Vertreter einer historischen Kunstgattung oder Stilepoche ist und als solcher die Entwicklung der Baukunst ablesbar macht (vgl. Wiechert in Schmaltz/Wiechert, a. a. O., § 3 Rn 25). Für die Kunst ist es bedeutsam, wenn es das ästhetische Empfinden in besonderem Maße anspricht oder mindestens den Eindruck vermittelt, dass etwas nicht Alltägliches oder eine Anlage mit Symbolgehalt geschaffen worden ist (so BVerwG, Urt. v. 24.06.60 - VII C 205.59 -, [...]). Der Beklagte weist insoweit zu Recht darauf hin, dass die Corvinuskirche die charakteristischen Merkmale des Nachkriegskirchenbaus aufweist: Verwendung moderner Materialien (insb. Sichtbeton), Gruppierung der Gemeinde im Halb- oder Dreiviertelkreis um den Altar, Gestaltung des Gebäudes als Zelt, Schiff oder Arche, Abkehr vom Repräsentationsbau, "Öffnung zur Welt". Dies macht sie zu einem typischen Vertreter der Stilrichtung Nachkriegskirchen der 50/60er Jahre, was letztlich auch die Klägerin nicht bestreitet. Zudem ist die Corvinuskirche noch nahezu in ihrem Ursprungszustand erhalten. Nach dem bei der Ortsbesichtigung gewonnenen Gesamteindruck der Kammer stellt die Corvinuskirche auch eine in gestalterischer Hinsicht gelungene Umsetzung der Grundsätze des Nachkriegskirchenbaus dar. Dabei ist nicht entscheidend, dass sie keine vollständig eigenständige gestalterische Leistung ihres Architekten darstellt. Der ehemalige Regierungsbaumeister Roderich Schröder hatte 1956 den Architektenwettbewerb mit seinem Entwurf gewonnen, der schon den fünfeckigen Zentralbau und den freistehenden Glockenturm vorsah. Die Innenausstattung geht bis in das Detail auf Schröders Entwürfe zurück (vgl. Entwurfsgeschichte Till Schröder). Dass die aparte Gestaltung mit dem verdrehten fünfeckigen Grundriss erst später in Zusammenarbeit mit einer Expertenkommission entstanden ist, schmälert die künstlerische Bedeutung der Kirche nicht. Das Bauwerk setzt ein künstlerisches Konzept gelungen um und ist daher um seiner selbst willen - also auch als Gemeinschaftsproduktion mehrerer Architekten - bedeutsam. Eine bau- und kunstgeschichtliche Bedeutung ist der Corvinuskirche insoweit auch nach Auffassung der Kammer nicht abzusprechen; sie ist in diesem Sinne durchaus denkmalfähig (vgl. zur Begrifflichkeit Wiechert in Schmaltz/Wiechert, NDSchG, a. a. O. § 3 Rn 33).
Die Schlussfolgerung des Beklagten, am Erhalt der Corvinuskirche bestehe deshalb ein besonderes öffentliches Interesse, beruht jedoch auf einer unzureichenden Tatsachenaufklärung, weil eine Inventarisierung und wissenschaftliche Erforschung der Vielzahl noch existierender Nachkriegskirchenbauten noch nicht ansatzweise vorliegt. Das Merkmal des öffentlichen Interesses erfüllt in Bezug auf die weitgefassten Voraussetzungen der Denkmalfähigkeit eine Korrektivfunktion und dient der Ausgrenzung denkmalpflegerisch unbedeutender, nur aufgrund individueller Vorlieben für denkmalwürdig gehaltener Objekte. Es bedarf deshalb in Bezug auf das konkrete Schutzobjekt einer Bewertung des Ranges seiner denkmalpflegerischen Bedeutung. Naturgemäß kommt in diesem Zusammenhang dem "Seltenheitswert" eines Bauwerkes besondere Bedeutung zu. Er kann es rechtfertigen, aus einer Vielzahl vergleichbarer Objekte bestimmte Schutzobjekte als erhaltungswürdig herauszuheben (so OVG Lüneburg, Urt. v. 26.03.99 - 1 L 1302/97 -, [...]). Kirchenbauten der 50/60er Jahre sind nicht selten; allein in Hannover gibt es nach den übereinstimmenden Bekundungen der Beteiligten an die 30 Bauwerke dieser Epoche, landesweit um ein Vielfaches mehr. All diese Kirchen setzen die oben genannten Gestaltungsmerkmale ihrer Stilepoche mehr oder weniger gelungen um und selbst der Beklagte geht davon aus, dass nicht jede dieser Kirchen erhaltenswert ist. Um ein öffentliches Interesse am Erhalt gerade der Corvinuskirche begründen zu können, müsste der Beklagte also eine hochrangige denkmalpflegerische Bedeutung dieser Kirche feststellen können, die sie aus der Vielzahl der Kirchenbauten dieser Epoche heraushebt. Dies ist aber ohne eine denkmalfachliche Inventarisierung und Bewertung zumindest eines überwiegenden Anteils der übrigen vorhandenen 50/60er Jahre Kirchen vernünftigerweise nicht möglich. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Kirchenbauten dieser Stilepoche steht erst ganz am Anfang. Erst acht Bauwerke aus dieser Zeit sind landesweit in das Verzeichnis der Baudenkmale eingetragen, es existiert eine - unvollständige - Vorschlagsliste der Architektenkammer und der Beklagte gesteht zu, dass angesichts der Vielzahl der Bauten eine weitere Erfassung und Unterschutzstellung als wichtige denkmalfachliche Aufgabe für die nächsten Jahre anstehe. Damit fehlt jedoch die Basis, auf der der Rang der denkmalpflegerischen Bedeutung der Corvinuskirche beurteilt werden kann (vgl. dazu OVG Lüneburg, Urt. v. 14.10.82 - 6 A 123/80 -, BRS 39, Nr. 135).
Ein "absolutes" Alleinstellungsmerkmal, das die besondere Bedeutung der Corvinuskirche auch ohne eine vergleichende Untersuchung begründen könnte, liegt nicht vor. Die Gestaltung der Corvinuskirche ist - davon gehen beide Beteiligten aus - nicht in dem Sinne beispielgebend, dass sie stilbildend auf ihre Epoche eingewirkt hätte. Die Kirche nimmt vielmehr Gestaltungselemente anderer wegweisender Kirchen auf, etwa die der von Oesterlen geschaffenen St. Martinskirche in Linden. Ihr Erbauer ist architekturgeschichtlich auch nicht so bedeutsam, dass die Corvinuskirche allein aus diesem Grund wie etwa das Erstlingswerk eines überragenden Architekten eine Sonderstellung einnehmen könnte. Eine derartige Sonderstellung erwächst der Kirche auch nicht aus dem Umstand, dass der Beklagte auf Anregung der Tochter des Architekten mit der Eintragung der Corvinuskirche auf die Veräußerungswünsche der Klägerin und damit einhergehende Veränderungs- bzw. Abrisspläne reagiert hat. Der Beklagte möchte die bauliche Substanz zunächst sichern, um die Kirche später in einem Gesamtzusammenhang mit den anderen Kirchengebäuden der Epoche bewerten zu können. Es wäre aber ein Zirkelschluss anzunehmen, allein der Wunsch, die bauliche Substanz für die wissenschaftliche Bewertung einer etwa gegebenen Sonderstellung der Kirche zu erhalten, könne diese Sonderstellung bereits ausmachen. Zu einem derartigen Zweck bietet z. B. das von einer konstitutiven Wirkung der Eintragung in die Denkmalliste ausgehende Denkmalschutzgesetz Baden-Württemberg den vorläufigen Schutz nach § 17. Danach kann die höhere Denkmalschutzbehörde anordnen, dass Sachen, Sachgesamtheiten oder Teile von Sachen, mit deren Eintragung als Kulturdenkmal in das Denkmalbuch zu rechnen ist, vorläufig als eingetragen gelten. Die Anordnung tritt außer Kraft, wenn die Eintragung nicht binnen eines Monats eingeleitet und spätestens nach sechs Monaten bewirkt wird. Eine derartige Möglichkeit, ein in Frage kommendes Baudenkmal zunächst für eine eingehende Bewertung zu sichern, bietet das Niedersächsische Denkmalschutzgesetz jedoch nicht. Es dürfte im Regelfall auch nicht erforderlich sein, weil der Eintragung eines Bauwerkes in die Denkmalliste nur deklaratorische Bedeutung zukommt, § 5 Abs. 1 Satz 1 NDSchG.
b) Entgegen der Auffassung des Beklagten besteht am Erhalt der Corvinuskirche wegen städtebaulicher Bedeutung jedenfalls kein besonderes öffentliches Interesse. Den Begriff "städtebauliche Bedeutung" im Sinne des § 3 Abs. 2 NDSchG hat der Beklagte verkannt. Städtebauliche Bedeutung kommt einer Anlage zu, wenn sie durch ihre Anordnung oder Lage in der Örtlichkeit, durch ihre Gestaltung für sich allein oder zusammen mit anderen Anlagen den historischen Entwicklungsprozess einer Stadt oder Siedlung in nicht unerheblicher Weise bestimmt (VGH München, Bes. v. 04.09.12 - 2 ZB 11.587 -, [...]), das Gebäude mithin zu einer stadtgeschichtlichen oder stadtentwicklungsgeschichtlichen Unverwechselbarkeit führt (so Thür. OVG, Urt. v. 30.10.03 - 1 KO 433/00 -, [...] m. w. N. hinsichtl. der Rspr. des SächsOVG und des OVG Berlin). Der Verweis des Beklagten darauf, dass die Kirche durch ihre exponierte Stellung auf einem Eckgrundstück, ihre Gestaltung als Solitärbau und ihrem hohen freistehenden Glockenturm einen städtebaulichen Akzent setzt, reicht insoweit nicht aus.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 und 2 ZPO.
Die Berufung war nach §§ 124a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, weil der Entscheidung im Hinblick auf den dem Beklagten im Rahmen des § 4 Abs. 5 NDSchG eingeräumten Beurteilungsspielraum grundsätzliche Bedeutung zukommt.