Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 14.10.2009, Az.: 5 A 3272/08

Kapitalentschädigung; Repatriierung; Russlanddeutsche

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
14.10.2009
Aktenzeichen
5 A 3272/08
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2009, 44169
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2009:1014.5A3272.08.0A

Amtlicher Leitsatz

Nach dem Zweiten Weltkrieg im Beitrittsgebiet in Gewahrsam genommene und nach Russland verschleppte "repatriierte" Russlanddeutsche haben auch bei Vorliegen einer Häftlingshilfebescheinigung keinen Anspruch auf Kapitalentschädigung nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StrRehaG,

Tatbestand

1

Der am D. 1937 in E./Odessa/Ukraine geborene Kläger begehrt Kapitalentschädigung nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz für die Zeit von 1945 bis zum 31.12.1989.

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Die Eltern des Klägers waren deutsche Volkszugehörige. Im Jahr 1944 wurde die Familie von deutscher Seite aus der Ukraine in den Warthegau umgesiedelt. Im September erwarb 1944 sein Vater und am 15. November 1944 erwarben seine Mutter, sein Bruder und er die deutsche Staatsangehörigkeit im Wege der Einbürgerung durch die Einwandererzentrale Wiesenstadt/Wartheland. Im Rahmen der Kriegsereignisse gelangte die Familie nach F./Brandenburg, wo sein Vater im Februar 1945 verstarb. Von dort aus wurde die Familie durch die sowjetische Besatzungsmacht nach Sibirien verschleppt, wo sie in der Region Altai unter Kommandanturbewachung Zwangsarbeit leisten musste. Ab 1959 lebte der Kläger wieder in der Ukraine.

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Im Jahr 1999 erhielt er, nachdem er 1995 von den russischen Behörden die Bescheinigung über die Rehabilitierung und 1998 vom Bundesarchiv den Nachweis über die Einbürgerung im Jahr 1944 erhalten hatte, vom Landkreis G. den deutschen Staatsangehörigkeitsausweis. Er konnte ihm erst im November 2001 übermittelt werden. Nach Übersendung des deutschen Reisepasses im Februar 2002 zog er zusammen mit seinem 1969 geborenen Sohn im April 2002 ins Bundesgebiet und nahm seinen Wohnsitz im Landkreis H..

4

Der Beklagte bescheinigte der Landesversicherungsanstalt mit Datum vom 16.06.2004, dass der Kläger Vertriebener im Sinne des § 1 Abs. 2 BVFG sei. Des Weiteren bescheinigte er der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge in Bonn mit Schreiben vom 21.06.2004, dass der Kläger, der dort einen Antrag auf Unterstützungsleistungen nach § 18 Häftlingshilfegesetz gestellt hatte, wegen des von ihm erlittenen Gewahrsams-Zwangsaufenthalts in der ehemaligen UdSSR von 1945 bis zum 31.12.1989 zum Personenkreis nach § 1 Abs. 1 Häftlingshilfegesetz - HHG - gehöre und Ausschließungsgründe nach § 2 HHG nicht vorlägen. Der Kläger erhielt eine Kopie von der Bescheinigung.

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Mit Antrag vom 04.12.2007 beantragte der Kläger beim Beklagten Kapitalentschädigung nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) für die Gewahrsamszeit von 1945 bis zum 31.12.1989, unter Hinweis auf die Direktive des NKWD vom 11.10.1945 als Grund für die administrative Repression. Im Rahmen der Anhörung zu der beabsichtigten Ablehnung des Antrages führte der Kläger aus, für ihn bestehe eine Häftlingshilfebescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG. Er erfülle die Voraussetzungen des § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes - StrRehaG -, denn er sei im Beitrittsgebiet verhaftet, von sowjetischen Stellen interniert und nach Sibirien verschleppt worden. Damit liege ein politischer Gewahrsam vor. Dass er einen Teil des politischen Gewahrsams außerhalb der damaligen sowjetischen Besatzungszone verbracht habe, sei unerheblich.

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Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 27.05.2008 ab und führte dazu aus, die Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG müsse erteilt worden sein, weil der Betroffene im Zusammenhang mit der Errichtung oder Aufrechterhaltung der kommunistischen Gewaltherrschaft im Beitrittsgebiet dort in Gewahrsam genommen oder gehalten worden sei. Russlanddeutsche, die in das Deutsche Reich umgesiedelt und nach Beendigung des 2. Weltkrieges aus der ehemaligen sowjetisch besetzten Zone - SBZ - in die UdSSR verschleppt worden seien, seien nicht im Zusammenhang mit der Errichtung oder Aufrechterhaltung der kommunistischen Gewaltherrschaft im Beitrittsgebiet verschleppt worden, sondern wegen ihrer deutschen Volkszugehörigkeit. Die Verschleppung sei als Repatriierungsfall einzuordnen. Der Bescheid wurde am 29.05.2009 zugestellt.

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Der Kläger hat am Montag, dem 30.06.2008 Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt und vertieft er, seine Familie sei 1945 von der sowjetischen Besatzungsmacht gemäß der Direktive des NKWD der UdSSR vom 11.10.1945 in die UdSSR gewaltsam verschleppt worden und habe dort unvorstellbare Leiden und Schäden erlitten. Erst im April 2002 habe er als deutscher Staatsbürger ins Bundesgebiet zurückkehren können Er könne, da er auf dem Gebiet der ehemaligen SBZ bzw. DDR verhaftet und von sowjetischen Stellen interniert worden sei, nach dem StrRehaG Ansprüche auf Haftentschädigung geltend machen, auch wenn er einen Teil seines politischen Gewahrsams in sowjetischen Lagern außerhalb der SBZ verbracht habe. Das stelle keine Repatriierung dar.

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Der Vertreter des Klägers beantragt,

  1. den Bescheid des Beklagten vom 27.05.2008 aufzuheben und dem Kläger für die erlittene Gewahrsamszeit von 1945 bis zum 31.12.1989 Kapitalentschädigung nach § 17 i.V.m. § 25 Abs. 2 Nr. 2 des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes zu gewähren.

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Die Vertreterin des Beklagten beantragt,

  1. die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung wiederholt und vertieft der Beklagte seine Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid. Die Verschleppungen aus der damaligen SBZ in die UdSSR seien im Rahmen der "Heimschaffungsforderung" der Sowjetunion und nicht im Zusammenhang mit der Errichtung oder Aufrechterhaltung der kommunistischen Gewaltherrschaft im Beitrittsgebiet erfolgt.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge, ferner auf die Gerichtsakte 5 A 2378/05, verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben worden.

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Die Klage bleibt aber ohne Erfolg. Der Bescheid des Beklagten vom 27.05.2008 lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Kapitalentschädigung nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz wegen der Verschleppung aus der ehemaligen SBZ auf das Gebiet der ehemaligen UdSSR.

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Gemäß § 25 Abs. 2 StrRehaG, in Kraft getr. am 04.11.1992, i. d. F. der Bekanntmachung vom 17.12.1999 (BGBl. I S. 2664), zul. geänd. d. G. v. 22.12.2003 (BGBl. I S. 2834), wird eine Kapitalentschädigung nach § 17 StrRehaG auch Personen gewährt, die eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 Häftlingshilfegesetz erhalten haben. Für die vom Kläger erlittene Gewahrsamszeit von 1945 bis zum 31.12.1989 liegt die vom Beklagten ausgestellte Häftlingshilfebescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG vor. Dabei ist es unschädlich, dass er sie wegen des Fristablaufs für die Antragstellung nicht mehr selbst erlangen konnte, sondern die Bescheinigung lediglich der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge ausgestellt wurde.

15

Die Voraussetzungen des § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StrRehaG sind unstreitig nicht gegeben, da der Kläger nicht von einem deutschen Gericht verurteilt wurde und auch nicht sonstigen strafrechtlichen Maßnahmen durch ein deutsches Gericht ausgesetzt war. Aber auch nach § 17 i. v. m. 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StrRehaG stehen dem Kläger Leistungen auf Kapitalentschädigung nicht zu. Leistungen werden hiernach Betroffenen gewährt, für die die Bescheinigung gewährt wurde, weil sie im Zusammenhang mit der Errichtung oder Aufrechterhaltung der kommunistischen Gewaltherrschaft im Beitrittsgebiet dort ohne Verurteilung durch ein deutsches Gericht oder ohne eine der in § 1 Abs. 5 genannten strafrechtlichen Maßnahmen in Gewahrsam genommen oder in Gewahrsam gehalten wurden.

16

Mit dieser Regelung wurde einerseits die Leistungsgewährung auf den Personenkreis erweitert, dessen rechtsstaatswidrige Freiheitsentziehung auf Hoheitsakten nichtdeutscher Behörden oder Gerichten beruhte. Damit wurden auch die Betroffenen mit in die Entschädigung einbezogen, die durch die sowjetische Besatzungsmacht, der eigentlichen Machthaberin in der DDR, innerhalb der DDR (bzw. der SBZ) inhaftiert oder nicht selten außer Landes verschleppt wurden, deren Hoheitsakte die Bundesrepublik aus völkerrechtlichen Gründen aber nicht aufheben kann (Peiler in Potsdamer Kommentar, § 25 StrRehaG, Rdnr. 12). Diese Opfer der sowjetischen Besatzungsmacht erhalten andererseits Leistungen nach dem StrRehaG aber nur dann, wenn die Ingewahrsamnahme im Zusammenhang mit der Errichtung oder Aufrechterhaltung der kommunistischen Gewaltherrschaft im Beitrittsgebiet erfolgte. Diese Einschränkung auf innenpolitische Gründe des Ingewahrsams war im Regierungsentwurf noch nicht vorgesehen (BT-Drs. 12/1680, 10). Das zeigt die Begründung des Rechtsausschusses zu der gegenüber dem Gesetzesentwurf abgeänderten Fassung (BT-Drs. 12/2820, 32), worin es heißt: "Die Änderung stellt klar, dass entsprechend dem räumlichen und gegenständlichen Bezug des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes die Kapitalentschädigung nur Inhabern einer Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG gewährt werden kann, deren politischer Gewahrsam auf Interessen beruhte, die in der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone bzw. DDR wurzelten. Die Klarstellung ist vor allem erforderlich, um eine klare Abgrenzung zum Kriegsfolgenrecht zu ziehen." Nicht alle Maßnahmen sowjetischer Stellen sollten ausgleichsfähig sein, vielmehr nur solche Maßnahmen, die der Sicherung des gerade im Entstehen begriffenen kommunistischen Regimes in Ostdeutschland dienten.

17

Der Kläger, dessen politischer Gewahrsam außer Frage steht, zählt zu dem von der Einschränkung in § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StrRehaG betroffenen Personenkreis. Er gehört zu den sog. repatriierten Russlanddeutschen (dazu im Folgenden Kapinoe, EALG-VermG-LAG, Länderinformation, Die frühere Sowjetunion, Stand 2009, 5 ff, Rdnr. 16-33): Entgegen der Aufteilung Osteuropas zwischen Hitler und Stalin im Nichtangriffspakt vom 23.08.1939 fiel die deutsche Wehrmacht am 22.06.1941 in die Sowjetunion ein. Daraufhin wurden durch Dekret des Präsidiums des Obersten Sowjets vom 28.08.1941 "Über die Umsiedlung der Deutschen des Wolgagebietes" die deutschen Volkszugehörigen, die dort in der Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik in einem geschlossenen Siedlungsgebiet gelebt hatten, in die verschiedensten Teile Sibiriens deportiert (obwohl der ihnen gemachte Vorwurf, sie hätten unter ihnen lebende Spione und Diversanten, die auf ein aus Deutschland zu gebendes Signal Sabotageakte auszuführen hätten, nicht gemeldet, nicht der Wahrheit entsprach, so Kapinos, a.a.O., Rdnr. 27). Dieser Maßnahme entgingen aufgrund des schnellen Vormarsches der deutschen Wehrmacht ca. 350 000 der vorwiegend in der westlichen Ukraine lebenden deutschen Volkszugehörigen. Sie wurden vor dem Rückzug der deutschen Wehrmacht von den deutschen Stellen 1944 vorwiegend in den Warthegau umgesiedelt. Durch Einzeleinbürgerung erhielten sie die deutsche Staatsangehörigkeit. Im Januar 1945 flüchteten sie vor der heranrückenden Front und gelangten bis in das Deutsche Reich. Ca. 250 000 Personen wurden ab März/April 1945, z. T. auch aus den westlichen Besatzungszonen, wieder in die Sowjetunion deportiert und in den nördlichen und östlichen Gebieten interniert. Sie wurden zu hohen Lagerstrafen verurteilt.

18

Die massenweise Zurückverschleppung der Russlanddeutschen, die die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hatten und auf das Gebiet aller Besatzungszonen gelangt waren, erfolgte - die Quellenlage ist hier unsicher - möglicherweise aufgrund einer (geheimen) Vereinbarung im Rahmen des Potsdamer Abkommens vom 02.08.1945 (so die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland, wonach jede Besatzungsmacht "ihre" Bürger ins eigene Land zurückbringen durfte und für jeden ehemaligen Sowjetbürger deutscher Nationalität, der aus Deutschland deportiert wurde, 200 US-Dollar Kopfgeld als Kriegsschuld für Deutschland angerechnet wurde, www.deutscheausrussland.de) oder evtl. aufgrund eines Geheimvertrages im Rahmen der Konferenz von Jalta am 11.02.1945 mit geheimer Präzisierung am 21.05.1945 in Halle (Von der Brelie, Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 13.08.2005, auch in www.russianroots.da/images/wstory7.pdf).

19

Die ab Sommer-Herbst 1945 in der Sowjetunion aus Deutschland repatriierten deutschen Volkszugehörigen wurden sofort in die Verbannungsgebiete der übrigen Deutschen bzw. in die nordwestlichen Regionen des Landes eingewiesen. Die Direktive vom 11.10.1945, die in der Rehabilitierungsbescheinigung des Klägers vom 06.04.1995 als Rechtsgrundlage für die Erfassung in den Sondersiedlungsgebieten genannt ist, sah ihre Registrierung in den Verbannungsorten als Sondersiedler vor (Direktive des NKVD (NKWD) der UdSSR Nr. 181 über die Registrierung aller repatriierten Bürger der UdSSR deutscher Nationalität, die in den Aussiedlungsorten eingetroffen sind, als Sondersiedler in allen Sondersiedlungen, zitiert nach: Deportation, Sondersiedlung, Arbeitsarmee, Deutsche in der Sowjetunion 1941 bis 1956, Hrsg. Eisfeld/Herd, Göttingen, 1996). Diese Gruppe wurde vom Volkskommissariat des Innern (NKVD/NKWD) als "repatriierte Deutsche" bezeichnet, im Gegensatz zu den dort als "Volksdeutsche" bezeichneten Deutschen, die während des Krieges die deutsche Staatsbürgerschaft erlangt hatten, aber auf zurückerobertem sowjetischem Territorium aufgegriffen worden waren und zusammen mit ihren Familienangehörigen bereits ab Januar 1944 in die Sondersiedlungen eingewiesen wurden (Deportation, Sondersiedlung, Arbeitsarmee, a.a.O., 20). So heißt in dem Dekret des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 13.12.1955 (Deportation, Sondersiedlung, Arbeitsarmee, a.a.O, 454):... "1. Deutsche und ihre Familienangehörigen, die in der Zeit des Großen Vaterländischen Krieges in eine Sondersiedlung verschickt worden sind, sind aus der Zugehörigkeit zur Sondersiedlung zu entlassen...Das gleiche gilt für deutsche Bürger der UdSSR, die nach ihrer Repatriierung aus Deutschland in eine Sondersiedlung verwiesen worden sind."

20

Gerade auch der Umstand, dass die Westalliierten die Rückführungsaktion der Sowjetunion - jedenfalls partiell - unterstützten bzw. den sowjetischen Kommissaren bei ihren Rückführungsaktionen freie Hand ließen (Von der Brelie, a.a.O.) zeigt, dass die Verschleppung der Russlanddeutschen unmittelbare Kriegsfolge war. Es war gerade nicht die von den westlichen Besatzungszonen abweichende besondere innenpolitische Entwicklung in der SBZ, die zu der Inhaftierung und Verschleppung der eingebürgerten Russlanddeutschen und damit auch der Familie des Klägers führte. Vielmehr entsprachen diese Rückführungen während des Zeitraums, in dem der Kläger und seine Familienangehörigen verhaftet und nach Sibirien verschleppt wurden - den Angaben seines Sohnes in der mündlichen Verhandlung zufolge fand die Verhaftung Ende Mai 1945 statt -, den Vereinbarungen der insoweit zu dieser Zeit noch partiell zusammen arbeitenden Siegermächten.

21

Anhaltspunkte dafür, dass die Verhaftung der Familie des Klägers im Beitrittsgebiet und deren spätere Verschleppung nach Sibirien ihre Ursache in den bereits im Spätsommer 1945 einsetzenden grundlegenden Veränderungen in der SBZ hin zu einer kommunistischen Diktatur haben (vgl. zu einem derartigen Fall OVG NRW, U. v. 27.01.2005, 14 A 155/04 -, -juris-), finden sich nicht. Die Familie wurde gerade nicht in einem der neun sowjetischen Speziallager in der SBZ (Mühlberg, Buchenwald, Sachsenhausen, Hohenschönhausen, Bautzen, Ketschendorf, Jamlitz, Torgau, Fünfeichen) oder in den drei Gefängnissen Neustrelitz, Lichtenberg, Frankfurt/Oder in der SBZ inhaftiert. Sie wurde auch nicht auf der Grundlage des Befehls des Volkskommissars für Innere Angelegenheiten und Generalkommissars für Staatssicherheit L.P. Berija vom 11.01.1945 inhaftiert, wonach die Bevollmächtigten des NKWD der UdSSR ... "unverzüglich die erforderlichen tschekistischen Maßnahmen durchzuführen" hatten, um sicherzustellen, dass Spionage und Diversion betreibende Agenten ..., Terroristen, Mitglieder verschiedener feindlicher Organisationen...enttarnt und festgenommen werden konnten (Schlussbericht der Enquete-Kommission vom 10.06.1998, BT Drs. 13/11000, 235 f; zu den massenhaft einsetzenden Verhaftungen: Enquete-Kommission, BT Drs. 12/7820, 191). Dafür spricht auch der von der Klägerseite geschilderte Ablauf der Ingewahrsamnahme. Das monatelange Festhalten in dem mit Stacheldraht umzäunten Lager in Luckenwalde bis zum Frühherbst 1945, der konvoigesicherte Eisenbahntransport der verhafteten, dort gesammelten Russlanddeutschen nach Sibirien und die Verpflichtung zur Zwangsarbeit, die sogar den erst 8-jährigen Kläger betraf, zeigen auf, dass es sich um eine kriegsursächliche Verschleppung handelte. Dass die repatriierten deutschen Volkszugehörigen in Sibirien häufig ein schwereres Los erwartete als ihre Landsleute, galten sie doch als Verräter und Deserteure, weil sie aus der Sicht der Sowjetunion während des Krieges nach Deutschland zu den Nationalsozialisten übergelaufen waren (BVerwG, U. v. 03.09.1980 - 8 C 8/78 - BVerwGE 60, 343 [BVerwG 03.09.1980 - 8 C 8.78]-355 und -juris-; http://de.wikipedia.org/wiki/Russlanddeutsche), steht dieser rechtlichen Würdigung nicht entgegen.

22

Auch bei Zugrundelegung des Vortrages des Klägers, er sei zusammen mit seinen Eltern nicht durch Flucht vor der heranrückenden sowjetischen Armee Anfang 1945 auf das Beitrittsgebiet gelangt, sondern bereits im Herbst 1944 im Wege der Umsetzung der Verteilungsentscheidung der Einwanderungszentrale - seine Einbürgerung erfolgte freilich erst am 15.11.1944 -, ändert sich nichts an der Einschätzung des Gerichts, dass seine Verhaftung und Verschleppung unmittelbare Kriegsfolge war und mit der Errichtung der kommunistischen Gewaltherrschaft im Beitrittsgebiet nicht im Zusammenhang stand. Dass die während des Krieges nach Deutschland umgesiedelten, nach Kriegsende aber zurückverschleppten Volksdeutschen fast ausnahmslos durch Einbürgerung die deutsche Staatsbürgerschaft erworben hatten (Bestätigung des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit mittels Feststellungsbescheid der Einwandererzentrale, in § 10, 2. Halbs. des Gesetzes zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit vom 22.02.1955, BGBl. I, 65, § 1 f), hat die Sowjetunion ohnehin nie anerkannt (Kapinos, a.a.O., Rdnr. 30). Auch führte sie nicht zum Verlust der sowjetischen Staatsangehörigkeit (Makarov, Deutsches Staatsangehörigkeitrecht, Kommentar, 1966, 339).

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Die Einbeziehung der verschleppten Russlanddeutschen in den Leistungskatalog nach § 17 i.V.m. § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StrRehaG war vom Gesetzgeber aber gerade nicht gewollt (vg. auch VG Darmstadt, U. v. 26.11.2004 - 5 E 2974/00 (3), -juris-). Die Kommentierung in Bruns/Schröder/Tappert, (StrRehaG, § 25, Rdnr. 32), auf welche sich auch der Kläger für sein Begehren beruft, bestätigt dies: "Durch die weite Fassung des Regierungsentwurfs wären auch die Russlanddeutschen in den Leistungskatalog mit einbezogen worden. Diese Personen konnten z. T. während des 2. Weltkrieges vor der anrückenden Sowjetarmee aus der Sowjetunion nach Deutschland fliehen, oder sie wurden von der Deutschen Wehrmacht evakuiert, und sie wurden später während der sowjetischen Besatzungszeit in die Sowjetunion verschleppt (ca. 110 000 Betroffene). Bei diesen Maßnahmen handelte es sich um Folgen der "Heimschaffungsforderung" der Sowjetunion, über die sich die Besatzungsmächte grundsätzlich geeinigt hatten, und zu deren Durchführung die westlichen Besatzungsmächte der Sowjetunion sogar durch "Zuführung" Hilfe leisteten. Diese Rückführungsmaßnahmen dienten allein dem eigenen, gebietsfremden Heimatinteresse der Besatzungsmacht und nicht auch der Aufrechterhaltung oder Errichtung kommunistischer Machtstrukturen im Beitrittsgebiet. Rdnr. 33: Die Einbeziehung dieser verschleppten Deutschen in das StrRehaG hätte die Grenze zum Kriegsfolgenrecht eindeutig überschritten und zu einer Ungleichbehandlung (Bevorzugung) mit den deutschen Volkszugehörigen geführt, die nicht mehr vor der anrückenden Sowjetarmee fliehen konnten, und deshalb noch in weit stärkerem Maße den Verfolgungsmaßnahmen gegen Deutsche in der Sowjetunion ausgesetzt waren."

24

Die Klage war nach alledem mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.