Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 14.07.2009, Az.: L 8 SO 209/08 ER

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
14.07.2009
Aktenzeichen
L 8 SO 209/08 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2009, 43505
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2009:0714.L8SO209.08ER.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Oldenburg - 06.11.2008 - AZ: S 2 SO 144/08 ER

In dem Rechtsstreit

...

hat der 8. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen

am 14. Juli 2009 in Celle

durch die Richter Scheider- Vorsitzender - und Wimmer sowie die Richterin Huss

beschlossen:

Tenor:

  1. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Oldenburg von 3. November 2008 geändert. Die Beigeladene wird im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes verpflichtet, ihre Zustimmung gemäß § 13 Abs. 2 Sätze 6 und 7 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) zur Wahl des Antragstellers des nicht zugelassenen Leitungserbringers Fachstelle für Gewaltprävention C., D., zu erteilen und vorläufig - unter dem Vorbehalt der Rückforderung-Kostenerstattung zu leisten.

  2. Diese Verpflichtung ist zunächst begrenzt für fünf (probatorische) Sitzungen.

  3. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

  4. Die Beigeladene erstattet den Antragsteller ein Zehntel seiner notwendiger außergerichtlichen Kosten.

  5. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.

  6. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

GRÜNDE

1

Die gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Oldenburg (SG) vom 6. November 2008 ist zum Teil - in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang - begründet; im Übrigen ist sie zurückzuweisen.

2

Der Antragsteller hat in diesem vorläufigen Rechtsschutzverfahren glaubhaft gemacht, dass er Anspruch gegenüber der Beigeladenen auf Kostenerstattung gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 SGB V für seine Krankenbehandlung gemäß §§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 28 Abs. 3 SGB V hat (psychotherapeutische Behandlung). Der Anspruch ist zunächst beschränkt auf fünf probatorische Sitzungen. Die vorläufige Verpflichtung der Beigeladenen beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 75 Abs. 5 SGG.

3

Streitgegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob die Antragsgegnerin als Sozialhilfeträgerin oder die Beigeladene als Krankenkasse des Antragstellers dessen Kosten für seine Teilnahme an einer Therapie in der Fachstelle für Gewaltprävention in C. in Bezug auf die Thematik "sexualisierte Gewalterfahrung" zu übernehmen hat. Der am 22. Februar 1988 geborene Antragsteller erhält Arbeitslosengeld II nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuch Zweites Buch ... - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Durch das Amtsgericht Oldenburg (Urteil vom 15. Juli 2008 - 53 Ds 88 AR 15775/08 -) wurde der Antragsteller des Besitzes von kinderpornografischen Schriften für schuldig befunden. Ihm wurde auferlegt, die oben genannte Therapie durchzuführen. In den Gründen wurde ausgeführt, dass nach dem Ergebnis der Beweisnahme feststehe, dass sich der Anklagte - der Antragsteller - des Besitzes von kinderpornografischen Schriften schuldig gemacht habe. Da der Angeklagte - der Antragsteller - noch einem Jugendlichen gleichstehe, sei das Jugendstrafrecht anzuwenden. Dem Gericht erscheine es angezeigt, dem Angeklagten - dem Antragsteller - aufzuerlegen, eine Therapie in der Fachstelle für Gewaltprävention in C. in Bezug auf die Thematik "sexualisierte Gewalterfahrung" durchzuführen. Diese Therapie scheine für den Angeklagten - den Antragsteller - dringend erforderlich, da er sich der Thematik "sexualisierte Gewalterfahrung" dringend stellen müsse, auch wegen eigener negativer Erlebnisse aus der Zeit, in der er in einem Kinderheim in Schortens gewesen sei. Er sei dringlich zu ermahnen, die Auflage umgehend zu erfüllen, da anderenfalls Dauerarrest zur Erzwingung angeordnet werden müsse.

4

Der Grad der Behinderung (GdB) des Antragstellers beträgt 70 (organisches Psychosyndrom).

5

Mit Antrag vom 28. Juli 2008 begehrte der unter Betreuung stehende Antragsteller die Übernahme der Kosten zur Durchführung der Auflage (richtig Weisung gemäß § 10 Jugendgerichtsgesetz<JGG>) von der Antragsgegnerin. Als Bezieher von Arbeitslosengeld II verfüge er über keine Mittel, um die Kosten der Weisung selbst zu tragen. Dieses Begehren lehnte die Antragstellerin mit Bescheid vom 11. August 2008 ab, weil dafür der Einsatz von Leistungen nach § 73 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) nicht gerechtfertigt sei. Der dagegen gerichtete Widerspruch ist bislang nicht beschieden.

6

Der Antragsteller hat am 29. August 2008 beim SG Oldenburg um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht, um die Kosten der Teilnahme an den therapeutischen Gesprächen bei der Fachstelle für Gewaltprävention in C. zu erhalten und um damit die Weisung aus dem amtsgerichtlichen Urteil zu erfüllen. Die Erfüllung der Weisung könnte sich so gestalten, dass er ein- bis zweimal wöchentlich entsprechende Gespräche in C. führe und zwar über einen Zeitraum zwischen einem Jahr und drei Jahren. Pro Sitzung fielen Kosten in Höhe von 65,00 € an, zusätzlich die Fahrkosten von Oldenburg nach C.. Es liege auf der Hand, dass er für die Kosten der Weisung nicht selbst aufkommen könne, da ansonsten keinerlei Mittel für seine Lebenshaltung verblieben. Die Erfüllung der Weisung liege im öffentlichen Interesse. Es bestehe die Gefahr des Widerrufs der Weisung durch das Jugendgericht und der Anordnung von Jugendarrest. Das SG hat den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit Beschluss vom 6. November 2008 abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, dass bereits ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht worden sei. Das Amtsgericht Oldenburg - Jugendgericht - habe keinerlei Maßnahmen zur Erzwingung der Weisung eingeleitet. Es sei nicht ersichtlich, dass entsprechende Maßnahmen in Kürze drohten. Die Befürchtung, der Antragsteller werde erneut Straftaten begehen, sofern er nicht sofort an der Gesprächstherapie teilnehme, sei rein spekulativ. Auch ein Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft gemacht. Die Voraussetzungen des § 73 SGB XII könnten nicht bejaht werden.

7

Gegen den ihm am 11. November 2008 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 10. Dezember 2008 Beschwerde eingelegt, mit der er sein Begehren weiter verfolgt. Zur begehrten Kostenübernahme sei entweder die Antragsgegnerin als Sozialhilfeträger oder seine Krankenkasse verpflichtet. Jugendhilfeleistungen kämen nicht in Betracht. Ein entsprechendes Begehren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes habe das Verwaltungsgericht Oldenburg mit Beschluss vom 20. November 2008 rechtskräftig abgelehnt - 13 B 2813/08-. Im Laufe des Beschwerdeverfahrens wurde die Krankenkasse des Antragstellers beigeladen. Sie hält sich nicht für leistungsverpflichtet, weil das Therapiezentrum kein zugelassener Leistungserbringer, die Therapie nicht ärztlich verordnet und § 13 Abs. 2 SGB V bereits aus formalen Gründen nicht einschlägig sei, da es an der Wahlrechtserklärung des Antragstellers fehle. Kostenträger für die Durchführung der Maßnahme sei das Land Niedersachsen als für den Strafvollzug zuständiger Träger, welches daher beigeladen werden müsse.

8

Die Antragsgegnerin vertritt die Ansicht, dass vorrangig die Beigeladene zur Leistungsgewährung zuständig sei.

9

Aufgrund des bekanntgewordenen Sachverhalts hat der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Die Beigeladene muss vorläufig Leistungen der Krankenbehandlung erbringen.

10

Der vorläufige Rechtsschutz richtet sich bei der vorliegenden Fallgestaltung nach § 86b Abs. 2 SGG. Danach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte; einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

11

Hier kommt eine Regelungsanordnung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Hierzu muss glaubhaft gemacht werden, dass das geltend gemachte Recht des Antragstellers gegenüber der Antragsgegnerin bzw der Beigeladenen besteht (Anordnungsanspruch) und dass der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung wesentliche, in § 86b Abs. 2 SGG näher gekennzeichnete Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund).

12

Der Antragsteller hat den Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.

13

Anspruchsgrundlage des Antragstellers auf Übernahme der Behandlungskosten in der Fachstelle für Gewaltprävention C. ist § 13 Abs. 2 SGB V. Nach § 13 Abs. 2 Satz 1 SGB V können Versicherte Kostenerstattung anstelle von Sach- oder Dienstleistungen wählen. Kostenerstattung bedeutet, dass der Versicherte sich medizinischen Sach- und Dienstleistungen selbst beschaffen muss und er Vergütungsansprüchen der Leistungserbringer ausgesetzt ist, die dann im Wege des Rückgriffs bei der Krankenversicherung liquidiert werden können (vgl. Kingreen in Becker/Kingreen, Kommentar zum SGB V, 2008, § 13 Rdnrn. 2, 7 ff). Die Wahl der Kostenerstattung kann gemäß § 13 Abs. 2 Satz 5 SGB V auch auf eine Einzelfall bezogene Leistung beschränkt werden (vgl. Kruse in Lehr- und Praxiskommentar SGB V, 3. Aufl. 2009, § 13 Rdnrn. 8 ff). Demnach kann der Antragsteller die Wahl der Kostenerstattung beschränken auf seine Behandlung bei der Fachstelle für Gewaltprävention C..

14

Es erscheint offensichtlich, dass es sich bei der beabsichtigten Behandlung in der Fachstelle für Gewaltprävention um Krankenbehandlung gemäß §§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 28 Abs. 3 SGB V handelt, und zwar in Form einer psychotherapeutischen Behandlung. Zwar ist die Wahl der Fachstelle zurückzuführen auf die Weisung in dem amtsrichterlichen Urteil. Daraus ist nicht der Schluss zu ziehen, dass das Amtsgericht allein eine erzieherische Maßnahme angestrebt hat. Vielmehr ergibt sich auch aus der fachärztlichen Bescheinigung des F. (Nervenarzt, Kinder- und Jugendpsychiater, Psychotherapie) vom 8. Juni 2009, dass beim Antragsteller ein erheblicher psychotherapeutischer Behandlungsbedarf besteht, und zwar aufgrund einer langjährig nachweisbaren seelischen Behinderung und einer in ihrem sozialen Kontakt- und Beziehungsverhalten retardierten Persönlichkeit. Der Arzt F. hat folgende Diagnosen mitgeteilt:

  1. Kombinierte Störungen der Sozialverhaltens und der Emotionen

  2. Dissoziierte Intelligenz

  3. Lernbehinderung

  4. Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität

  5. Organische Persönlichkeitsstörung mit Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen mit aggressiven Impulsdurchbrüchen

  6. Verdacht auf impulsive Persönlichkeitsstörung

  7. DD: Organische affektive Störung bei anamnestisch bekannter minimaler cerebraler Dysfunktion

  8. Alkoholmissbrauch

  9. Verdacht: Ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung

  10. Anpassungsstörungen/Reaktion auf Belastung.

15

Daraus ergibt sich unzweifelhaft der psychotherapeutische Behandlungsbedarf. Die sich daraus ergebenden Kosten der psychotherapeutischen Krankenbehandlung sind von der Krankenkasse und damit von der Beigeladenen zu tragen.

16

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 SGB V für die Bewilligung der Kostenerstattung liegen vor. Die Kenntnisnahme der Wahl gemäß § 13 Abs. 2 Satz 2 SGB V hat die Beigeladene spätestens durch die Vorgänge im vorläufigen Rechtsschutzverfahren erhalten. Die Informationspflichten des § 13 Abs. 2 Sätze 3 und 4 SGB V treffen in erster Linie den Leistungserbringer; eine spezielle Pflicht der Krankenkasse, den Antragsteller - den Versicherten - vor seiner Entscheidung zu beraten, besteht nicht mehr (vgl. Kingreen, aaO, Rdnr 8). Allerdings muss sich der Antragsteller bewusst machen, dass Anspruch auf Erstattung höchstens in der Höhe der Vergütung besteht, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung zu tragen hätte, § 13 Abs. 2 Satz 9 SGB V. Der Antragsteller trägt daher das Risiko, dass er eine höhere Vergütung selbst bezahlen muss.

17

Die Problematik besteht hier im Wesentlichen darin, dass es sich bei der Fachstelle für Gewaltprävention um keinen zugelassenen Leistungserbringer nach den §§ 95 ff SGB V handelt und dort ein zugelassener psychologischer Psychotherapeut im Sinne des § 28 Abs. 3 Satz 1 SGB V nicht vorhanden ist. Die Vorschrift des § 13 Abs. 2 Satz 6 und 7 SGB V regelt insoweit, das nicht im Vierten Kapitel (§§ 96ff SGB V) genannte Leistungserbringer nur nach vorheriger Zustimmung der Krankenkasse in Anspruch genommen werden können; eine Zustimmung kann erteilt werden, wenn medizinische oder soziale Gründe eine Inanspruchnahme dieser Leistungserbringer rechtfertigen und eine zumindest gleichwertige Versorgung gewährleistet ist.

18

Die Krankenkasse - die Beigeladene - hat eine entsprechende Zustimmung nicht erteilt. Sie wird in diesem vorläufigen Rechtsschutzverfahren ersetzt durch den Richterspruch. Zwar handelt es sich bei der Zustimmung um eine Ermessensentscheidung der Krankenkasse; doch wäre eine andere Entscheidung als die Zustimmung ermessensfehlerhaft, sodass insoweit eine Ermessensschrumpfung auf Null eingetreten ist.

19

Zwar sind nach Auskunft der Fachstelle für Gewaltprävention C. vom 8. Mai 2009 dort keine approbierten Ärzte bzw psychologischen Psychotherapeuten tätig. Doch arbeiten dort außer Diplom-Sozialpädagogen mit Zusatzausbildungen ein Diplom-Psychologe mit einer derzeit laufenden Zusatzausbildung zum psychologischen Psychotherapeuten und ein psychotherapeutischer Heilpraktiker mit Zusatzausbildungen, die über eine staatliche Anerkennung zur psychotherapeutischen Heilbehandlung verfügen. Damit erscheint eine zumindest gleichwertige Versorgung im Sinne des § 13 Abs. 2 Satz 7 SGB V als gewährleistet. Nach der Fachärztlichen Bescheinigung des Arztes F. vom 8. Juni 2009 sind für den Antragsteller spezifische psychotherapeutische Hilfen erforderlich, welche sich an gewaltpräventiven Prinzipien orientieren müssten. Nach seiner Kenntnis sei im Oldenburger Raum, in welchem der Antragsteller wohnt, approbierte Psychotherapeuten mit diesen Kenntnissen nicht vorhanden; nach seiner Kenntnis bieten die Mitarbeiter der Fachstelle für Gewaltprävention die nötigen Voraussetzung zur entsprechenden Behandlung des Antragstellers. Insoweit ist glaubhaft gemacht, dass die erforderliche Krankenbehandlung des Antragstellers nicht in Oldenburg, sondern in C. bei der Fachstelle für Gewaltprävention durchgeführt werden muss, sodass medizinische Gründe die Inanspruchnahme des Leistungserbringers Fachstelle für Gewaltprävention rechtfertigen.

20

Die Zustimmung ist ebenso auf die sozialen Gründe des § 13 Abs. 2 Satz 7 SGB V zu stützen. Der Antragsteller ist aufgefallen durch den Besitz von kinderpornografischen Schriften. Diese Fehlleistung beruht offenbar auch auf negativen Erlebnissen aus seiner Zeit in einem Kinderheim mit der Folge einer seelischen Behinderung, wie sie in der fachärztlichen Bescheinigung näher beschrieben worden ist. Der Antragsteller bedarf dringend einer psychotherapeutischen Behandlung, um ein sozial unauffälliges Leben führen zu können. Auch dieses rechtfertigt die Inanspruchnahme der Fachstelle für Gewaltprävention C. als nichtzugelassener Leistungserbringer und indiziert die Zustimmung nach § 13 Abs. 2 Satz 7 SGB V.

21

Soweit dem Antragsteller eine bis zu dreijährige Behandlung mit zwei wöchentlichen Sitzungen vorschwebt, ist das derzeit zu weitgehend. Vor Beginn der eigentlichen psychotherapeutischen Behandlung sind nach §§ 28 Abs. 3, 93 Abs. 6a SGB V probatorische Sitzungen durchzuführen, also Sitzungen, die der psychologische Psychotherapeut mit dem Ziel abhält abzuklären, ob eine Krankheit vorliegt, die psychotherapeutisch zu behandeln ist, wobei zwischen fünf und acht Sitzungen zur Abklärung der Behandlungsdürftigkeit abrechnungsfähig sind (vgl. Lang in Becker/Kingreen, a.a.O., § 28 Rdnr. 50, 58; Adelt in Lehr- und Praxiskommentar SGB V, a.a.O., § 28 Rdnrn. 38 ff). Für die nötige Abklärung erscheinen zunächst 5 Sitzungen als ausreichend.

22

Nach Abschluss der probatorischen Sitzungen hat der Psychotherapeut gemäß § 28 Abs. 3 Satz 2 SGB V vor dem Beginn der Behandlung dem Konsiliarbericht eines Vertragsarztes zur Abklärung einer somatischen Erkrankung einzuholen. Aus diesem gesetzlichen Regelungszusammenhang erklärt sich die eingeschränkte Verpflichtung in diesem vorläufigen Rechtsschutzverfahren.

23

Die Erwägung der Beigeladenen, die hier fraglichen Kosten seien vom Land Niedersachsen - Staatskasse - zu tragen, greift nicht durch. Der Jugendrichter hat dem Antragsteller die Weisung auferlegt, eine Therapie in der Fachstelle für Gewaltprävention in C. durchzuführen. Soweit im Urteil von Auflage die Rede ist, erscheint das verfehlt. Nach § 15 Abs. 1 JGG kann der Richter dem Jugendlichen Auflagen auferlegen, und zwar nach Kräften den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen, sich persönlich bei dem Verletzten zu entschuldigen, Arbeitsleistungen zu erbringen oder einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung zu zahlen. Die Maßnahme Durchführung einer Therapie fällt offensichtlich nicht unter diese Tatbestandsvoraussetzungen.

24

Vielmehr liegt in der Sache eine Weisung gemäß § 10 JGG vor. Danach kann der Richter dem Jugendlichen insbesondere auferlegen, Weisungen zu befolgen, die sich auf den Aufenthaltsort beziehen, bei einer Familie oder in einem Heim zu wohnen, eine Ausbildungs- oder Arbeitsstelle anzunehmen, Arbeitsleistungen zu erbringen, sich der Betreuung oder Aufsicht einer bestimmten Person (Betreuungshilfe) zu unterstellen, an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen, sich zu bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen (Täter-Opfer-Ausgleich), den Verkehr mit bestimmten Personen oder den Besuch von Gast- oder Vergnügungsstätten zu unterlassen oder an einem Verkehrsunterricht teilzunehmen. Diesem Katalog lässt sich die Weisung Teilnahme an einer Therapie zuordnen.

25

In dem Urteil hat der Richter von der Auferlegung von Kosten und Auslagen abgesehen, §§ 74, 109 Abs. 2 JGG. Daraus kann nicht der Schluss gezogen werden, dass die Staatskasse mit den Kosten der Weisung zu belasten ist. Vielmehr entspricht es herrschender Ansicht, dass Kosten, die aufgrund einer nicht erzwingbaren jugendrichterlichen Weisung, sich beispielsweise in einem Heim der Jugendhilfe aufzuhalten, entstehen, keine gerichtlichen Auslagen darstellen und deshalb nicht von der Staatskasse zu tragen sind (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 23. Juni 2008 - 2 VAs 5/08 -NStZ-RR 2009, Seite 160; entsprechend Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 27. Mai 1997 - VAs 2/97 -NStZ-RR 1997, Seite 320; OLG Frankfurt, Beschluss vom 4. August 1995 - 3 VAs 15/95 -NStZ-RR 1996, Seite 183; siehe auch BGH, Beschluss vom 15. November 1998 - 4 StR 52/88 - BGHSt Band 36, Seite 27).

26

Die hier vorliegende Weisung ist nicht erzwingbar, d.h. sie kann nicht vollstreckt werden. Vielmehr kann Jugendarrest verhängt werden, wenn der Jugendliche bzw Heranwachsende der Weisung schuldhaft nicht nachkommt, § 11 Abs. 3 Satz 1 JGG. Mithin ist keine Rechtsgrundlage vorhanden, die Staatskasse mit den hier fraglichen Kosten zu belasten.

27

Als Kostenträger für derartige Maßnahmen kommen Träger der öffentlichen Jugendhilfe, die Krankenkassen oder auch Sozialhilfeträger in Betracht (vgl. Ossendorf, Kommentar zum JGG, 8. Aufl. 2009, § 10 Rdnr. 29; Bizer, Kostentragungspflicht für die jugendrichterliche Weisung einen Sozialen Trainingskurs zu besuchen, ZfJ 1992, Seite 616 m.w.N.).

28

Öffentliche Jugendhilfe ist in diesem vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht mehr zu erörtern, weil das Verwaltungsgericht Oldenburg eine entsprechende Verpflichtung durch den Beschluss vom 20. November 2008 abgelehnt hat. Sozialhilfeleistungen sind grundsätzlich nachrangig, § 2 Abs. 1 SGB XII. Mithin bleibt als Leistungspflichtiger die Beigeladene als Krankenkasse übrig, die aufgrund der obigen Ausführungen auch leistungspflichtig ist.

29

Den Anspruch auf die weiter geltend gemachten Fahrkosten hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 SGB V übernimmt die Krankenkasse die Kosten für Fahrten einschließlich der Transporte nach § 133, wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse aus zwingenden medizinischen Gründen notwendig sind. Derartige zwingende medizinische Gründe sind nicht ersichtlich. Vielmehr sind Fahrkosten als Kosten der allgemeinen Lebensführung vom Antragsteller selbst zu tragen. Er erhält Leistungen nach dem SGB II. In der Regelleistung des SGB II ist ein Anteil für Fahrkosten enthalten. Diesen muss er zur Bestreitung der Fahrkosten nach C. einsetzen. Sollte das Arbeitslosengeld II als nicht ausreichend angesehen werden, muss der Antragsteller nach § 23 Abs. 1 SGB II vorgehen und bei der Arbeitsgemeinschaft ein entsprechendes Darlehen beantragen.

30

Der Anordnungsgrund - also die besondere Dringlichkeit - einer sofortigen Sachentscheidung - liegt vor. Die Frage der Krankenbehandlung berührt grundrechtliche Belange des Antragstellers im Sinne des Artikel 2 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit). Ohne die Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren bestünde die Gefahr, dass der Antragsteller unangemessen lange Zeit mit der Gefahr einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes auf eine Entscheidung über seine Krankenbehandlung warten müsste.

31

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass der Antragsteller nur in einem geringen Umfang obsiegt. Aufwendungen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen sind gemäß § 193 Abs. 4 SGG nicht erstattungsfähig.

32

Gerichtskosten werden gemäß § 183 SGG nicht erhoben.

33

Der Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

Scheider
Wimmer
Huss