Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 03.11.2010, Az.: 11 B 2702/10
Flüchtlingseigenschaft; Widerruf; Zustellung; Heilung; Akteneinsicht; Vollmacht
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 03.11.2010
- Aktenzeichen
- 11 B 2702/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 41254
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOLDBG:2010:1103.11B2702.10.0A
Rechtsgrundlagen
- 60 I AufenthG
- §§ 10 II
- 73 AsylVfG
- 8 VwZG
Amtlicher Leitsatz
Für die Zustellung eines Bescheides des Bundesamtes, mit welchem die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft widerrufen wird, ist die Regelung des § 10 Abs. 2 AsylVfG, wonach der Betroffene eine Übersendung unter der letzten von ihm mitgeteilten Anschrift gegen sich gelten lassen muss, nicht anwendbar (im Anschluss an VGH München, Urteil vom 11. Januar 2010 - 9 B 08.30223 -juris).
Eine Heilung der fehlenden Zustellung dieses Bescheides ist zwar grds. durch die Einsicht eines von dem betroffenen Ausländer beauftragten Rechtsanwalts in die Ausländerpersonalakte, in der sich der Widerrufsbescheid des Bundesamtes befindet, möglich. Die dem Rechtsanwalt erteilte Vollmacht muss sich dann aber auch auf die Entgegennahme eines solchen Bescheides beziehen und darf nicht nur auf Verfahren gegen die Ausländerbehörde beschränkt sein.
Tenor:
Der Gebührenbescheid des Beklagten vom 28. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. April 2010 wird aufgehoben, soweit er einen Betrag von mehr als 35,10 € festsetzt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu 1/5 und der Beklagte zu 4/5.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Das einstweilige Rechtsschutzbegehren des Antragstellers ist bei verständiger Würdigung (§§ 122, 88 VwGO) dahingehend auszulegen, dass er gem. § 80 Abs. 5 VwGO die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage (11 A 2701/10) gegen den mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 8. September 2010 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung verfügten Widerruf seiner Aufenthaltserlaubnis und die Entziehung des Reiseausweises für Flüchtlinge sowie die Androhung der Abschiebung in die Türkei erstrebt.
Diese Anträge sind in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet, bleiben aber im Übrigen ohne Erfolg.
Soweit der Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz gegen den Widerruf seiner Aufenthaltserlaubnis und den Entzug des Reiseausweises für Flüchtlinge begeht, kann dies schon deshalb keinen Erfolg haben, weil sowohl der genannte Aufenthaltstitel als auch das Reisedokument auch ohne die Entscheidungen der Antragsgegnerin inzwischen bereits abgelaufen wären, da sie lediglich bis zum 14. Oktober 2010 befristet waren. Ob der Antragsteller im Klageverfahren ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit dieser Verfügungen hat (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO) kann dahinstehen. Denn eine solche Entscheidung über vergangene Verhältnisse scheidet in einem auf eine vorläufige Regelung für die nächste Zukunft gerichteten einstweiligen Rechtsschutzverfahren aus (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, Rn. 131 zu § 80 m.w.N.).
Dagegen überwiegt das Interesse des Antragstellers bis zur Entscheidung über seine Klage in der Bundesrepublik Deutschland verbleiben zu können das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Abschiebungsandrohung im Bescheid der Antragsgegnerin vom 8. September 2010. Denn diese ist gegenwärtig sehr wahrscheinlich rechtswidrig.
Der Aufenthaltsbeendigung des Antragstellers steht nämlich derzeit entgegen, dass ihm durch den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 8. Mai 2000 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist und deshalb ein Abschiebungsverbot besteht (§ 60 Abs. 1 AufenthG = § 51 Abs. 1 AuslG). Der mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17. Februar 2010 u.a. verfügte Widerruf dieser Rechtsstellung ist bisher nicht wirksam geworden.
Der Antragsteller trägt insoweit zu Recht vor, dass er diesen Bescheid nicht erhalten habe. Ausweislich der dem Gericht vom Bundesamt übermittelten Postzustellungsurkunde war er nämlich am Tage eines Zustellungsversuches, dem 23. Februar 2010, unter seiner früheren Anschrift in W. nicht erreichbar ("unbekannt verzogen"), so dass ihm die Verfügung des Bundesamtes nicht ausgehändigt worden ist. Ein weiterer Zustellungsversuch ist offenbar vom Bundesamt nicht unternommen worden. Die Zustellungsfiktion nach § 10 Abs. 2 AsylVfG, wonach der Ausländer Zustellungen unter der letzten von ihm mitgeteilten Anschrift gegen sich gelten lassen muss, gilt nach ihrer Zielrichtung nur im Anerkennungsverfahren nicht jedoch im Falle einer Aufhebung einer bestandskräftigen Anerkennungsentscheidung nach § 73 AsylVfG (vgl. VGH München, Urteil vom 11. Januar 2010 - 9 B 08.30223 - <juris, Rn. 15>; Funke-Kaiser in: GK-AsylVfG, Rn. 16 zu § 10; Marx, AsylVfG, 6. Aufl. 2005, Rn. 99 zu § 10).
Die fehlende Zustellung des Bescheides des Bundesamtes vom 17. Februar 2010 ist auch nicht gem. § 8 VwZG durch die Einsichtnahme eines früheren Bevollmächtigten des Antragstellers in die Ausländerakte der Antragsgegnerin im August 2010 geheilt worden. Nach der genannten Vorschrift gilt ein Dokument in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist.
Zwar kann die Bekanntgabe eines Bescheides grds. auch durch die Gewährung von Akteneinsicht in die Ausländerakte bewirkt werden (vgl. OVG Magdeburg, Beschluss vom 22. Juni 2009 - 2 M 86/09 - <juris, Rn. 22>). Der damals für den Antragsteller tätige Rechtsanwalt Hausin hatte aber keine Vollmacht zur Entgegennahme des Bescheides des Bundesamtes vom 17. Februar 2010 (§ 7 VwZG). Der Umfang einer Vollmacht bestimmt sich nach der Auslegungsregel des § 133 BGB danach wie der Empfänger sie bei objektiver Würdigung verstehen durfte (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. April 1994 - 8 C 1.94 - <juris, Rn. 10> m.w.N.). Rechtsanwalt H. ist von dem Antragsteller nach der mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 29. Juni 2010 durchgeführten Anhörung zum Widerruf der Aufenthaltserlaubnis beauftragt worden. Die Vollmachtsurkunde vom 13. Juli 2010 bezog sich zwar allgemein auf das "Aufenthaltsrecht pp." Sie war aber personell ausdrücklich auf Verfahren des Antragstellers gegen die Antragsgegnerin beschränkt.
Ob die übrigen Voraussetzungen für eine Heilung des Zustellungsmangels erfüllt wären (vgl. dazu: BVerwG, Urteil vom 18. April 1997 - 8 C 43.95 -BVerwGE 104, 301 <juris, Rn. 27 ff.>), kann danach ebenso dahinstehen, wie eine Beurteilung der übrigen von den Beteiligten aufgeworfenen Gesichtspunkte.