Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 19.11.2010, Az.: 11 B 2917/10
Niederlassungserlaubnis; Erlöschen; Treu und Glauben; Wiedereinreisefrist; Verlängerung; Antrag; Kausalität
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 19.11.2010
- Aktenzeichen
- 11 B 2917/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 41264
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOLDBG:2010:1119.11B2917.10.0A
Rechtsgrundlagen
- AufenthG 51 I Nr 7
- BGB 133
- BGB 242
Amtlicher Leitsatz
Die Niederlassungserlaubnis erlischt durch einen mehr als sechsmonatigen Auslandsaufenthalt auch dann, wenn der Ausländer auf Grund politischer Verfolgung in Haft genommen wird. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn es für den Ausländer offensichtlich ausgeschlossen gewesen ist, die Verlängerung der Wiedereinreisefrist zu beantragen.
Bei der Frage, ob ein Schreiben als Antrag auf Verlängerung der Wiedereinreisefrist zu werten ist, ist ein eher großzügiger Maßstab anzulegen. Die Nichtbehandlung eines Antragses auf Verlängerung der Wiedereinreisefrist kann unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben dazu führen, dass sich die Ausländerbehörde auf das Erlöschen des Aufenthaltstitels nicht berufen kann. Erforderlich ist dafür, dass das Verhalten der Ausländerbehörde für die nicht rechtzeitige Verlängerung der Ausreisefrist zweifelsfrei ursächlich gewesen ist. Daran fehlt es, wenn in dem Antrag ein unzutreffendes Ausreisedatum genannt wird.
Erlöschen der Niederlassungserlaubnis
Tenor:
Die vorläufige Dienstenthebung des Antragstellers durch den Bescheid vom 08.10.2010 wird ausgesetzt.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist unbegründet, weil das einstweilige Rechtsschutzbegehren aus den nachfolgenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§§ 166 VwGO, 114 Satz 1 ZPO).
Das Begehren des Antragstellers ist bei verständiger Würdigung (§§ 88, 122 VwGO) unter Berücksichtigung der im Hauptsacheverfahren gestellten Anträge dahingehend auszulegen, dass er in erster Linie beantragt, gem. § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung seiner Klage (11 A 2916/10) gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid der Antragsgegnerin vom 12. Oktober 2010 anzuordnen und hilfsweise erstrebt, die Antragsgegnerin im Hinblick auf die darin ebenfalls verfügte Ablehnung der Neuerteilung einer Niederlassungserlaubnis im Wege einer einstweiligen Anordnung (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO) zu verpflichten, ihn bis zur Entscheidung über die genannte Klage zu dulden.
Die so verstandenen Anträge bleiben ohne Erfolg.
In Bezug auf das Hauptbegehren überwiegt das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung das Interesse des Antragstellers vorläufig von einer Abschiebung verschont zu bleiben, weil die auf § 59 AufenthG beruhende Abschiebungsandrohung im Bescheid der Antragsgegnerin vom 12. Oktober 2010 voraussichtlich rechtmäßig ist.
Der Antragsteller ist insbesondere nicht mehr im Besitz der ihm am 19. Oktober 2005 erteilten Niederlassungserlaubnis, weil diese gem. § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erloschen ist. Dies ist nach der Vorschrift der Fall, wenn der Ausländer ausreist und nicht innerhalb von sechs Monaten oder einer von der Ausländerbehörde bestimmten längeren Frist wieder einreist. Der Antragsteller ist nach seinen eigenen Angaben am 4. Oktober 2009 nach Syrien gereist und erst am 16. September 2010 wieder nach Deutschland gekommen.
Die Regelung bezweckt, aus Gründen der Rechtsklarheit eine eindeutige Bestimmung darüber zu treffen, ob der Ausländer noch im Besitz des Aufenthaltstitels ist oder dieser unwirksam geworden ist. Es entspricht daher allgemeiner Auffassung, dass es nicht auf die Gründe ankommt, weshalb der Betroffene nicht wieder nach Deutschland zurückgekehrt ist bzw. keinen Antrag auf Verlängerung der Wiedereinreisefrist gestellt hat. Es handelt sich vielmehr um eine gesetzliche Ausschlussfrist, die nicht durch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 32 VwVfG) überwunden werden kann, so dass insbesondere unerheblich ist, ob der Betroffene durch Krankheit oder Inhaftierung an einer Rückkehr nach Deutschland gehindert war (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 9. April 2009 - 11 ME 484/08 - <juris>; VGH München, Beschluss vom 13. August 2009 - 10 ZB 09.1275 - <juris>; OVG Münster, Beschluss vom 8. Mai 2008 - 18 A 2542/06 - <juris>; Schäfer in: GK-AufenthG, Rn. 63 zu § 51).
Eine nur unter engen Voraussetzungen anzunehmende Ausnahme gilt unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben (§ 242 BGB) dann, wenn der Betroffene auf Grund höherer Gewalt keine Möglichkeit hatte, die Verlängerung der Wiedereinreisefrist zu beantragen (vgl. dazu VG Bremen, Urteil vom 30. November 2005 - 4 K 1013/05 - InfAuslR 2006, 198 <201>) . Dies ist nicht der Fall, wenn einem inhaftierten Ausländer - wie hier - die Kontaktaufnahme zur zuständigen Ausländerbehörde zumindest über Rechtsanwälte oder Familienmitglieder möglich war (vgl. OVG Lüneburg a.a.O.). Nach seinem eigenen Vortrag hatte der Antragsteller nach seiner Verurteilung in Syrien Anfang 2010 die Möglichkeit, sich an einen Rechtsanwalt zu wenden, der wiederum die Familie informiert hat. Sein Vater und sein Bruder haben ihn dann im Gefängnis besucht und sich an den in Deutschland lebenden Cousin H. gewandt.
Das Gericht sieht in dessen Schreiben an die Antragsgegnerin vom 17. Februar 2010 auch einen (rechtzeitigen) Antrag auf Verlängerung der Wiedereinreisefrist. Ein solches Schreiben ist nach der Auslegungsregel des § 133 BGB danach zu beurteilen, wie der Empfänger sie bei objektiver Würdigung verstehen durfte. Der Cousin des Antragstellers hatte mitgeteilt, dass der Antragsteller im Januar 2010 zu seiner sterbenskranken Mutter nach Syrien gereist und dort vom Geheimdienst verschleppt worden sei. Er, H., fühle sich verpflichtet dies mitzuteilen, weil er nicht wisse wie lange der Antragsteller sich noch im Gewahrsam der syrischen Stellen befinde. Dem war sinngemäß zu entnehmen, dass der Cousin des Antragstellers etwaige Rechtsverluste aus dessen möglicherweise längeren Auslandsaufenthalt vermeiden wollte. Einen anderen Grund, die Ausländerbehörde über den Verbleib des Antragstellers zu informieren, vermag das Gericht nach den Umständen nicht zu erkennen.
Dass die Antragsgegnerin dieses Schreiben zu Unrecht nicht als Antrag auf Verlängerung der Wiedereinreisefrist behandelt hat, vermag hier im Ergebnis an dem Erlöschen der Niederlassungserlaubnis des Antragstellers mit Ablauf des 4. April 2010 aber nichts zu ändern. Nach dem Rechtsgedankens der § 242 BGB kann sich die Behörde auf den Ablauf der Ausschlussfrist des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG nur dann nicht berufen, wenn sie einen solchen Antrag nicht ordnungsgemäß behandelt hat und dieser Fehler auch ursächlich für das Erlöschen des Aufenthaltstitels gewesen ist (vgl. dazu: Schäfer a.a.O., Rn. 64 unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 18. April 1997 - 8 C 38.95 - NJW 1997, 2966 <2969>; Urteil vom 28. März 1996 - 7 C 28.95 - BVerwGE 101, 39 <45>; Beschluss vom 27. November 1995 - 7 B 290.95 - <juris>). Da der Rückgriff auf § 242 BGB eine Ausnahme darstellt (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 1997 a.a.O.) und wegen des im Zusammenhang mit der Erlöschensregelung des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG besonders in Betracht zu ziehenden Gedankens der Rechtsklarheit sind an die Ursächlichkeit insoweit hohe Anforderungen zu stellen, d.h. es muss mit großer Wahrscheinlichkeit von einer das Erlöschen der Niederlassungserlaubnis hindernden Bestimmung einer Wiedereinreisefrist auszugehen sein, wenn der entsprechende Antrag ordnungsgemäß behandelt worden wäre.
Dies kann hier indes nicht festgestellt werden. Herr H. hatte der Antragsgegnerin nämlich im Schreiben vom 17. Februar 2010 objektiv unzutreffend mitgeteilt, dass der Antragsteller erst Anfang Januar 2010 nach Syrien gereist sei. Die Antragsgegnerin hatte danach mithin keinen Anlass über eine Verlängerung der Wiedereinreisefrist kurzfristig zu entscheiden, sondern nach den Angaben wäre hierzu eine Entscheidung bis Ende Juni 2010 ausreichend gewesen. Da eine Verlängerung der Wiedereinreisefrist nicht nachträglich nach Erlöschen des Aufenthaltstitels möglich ist (vgl. VGH Kassel, Beschluss vom 16. März 1999 - 10 TZ 325/99 - InfAuslR 1999, 454 <455>; Schäfer a.a.O., Rn. 66), hätte aber lediglich eine Entscheidung bis zum 4. April 2010 ein Erlöschen der Niederlassungserlaubnis hindern können. Darüber hinaus wäre im Hinblick auf den mitgeteilten Ausreisetermin die Wiedereinreisefrist erst für die Zeit ab Anfang Juli 2010 verlängert worden. Dies wäre für den Antragsteller aus den o.g. Gründen aber nutzlos gewesen.
Für die hilfsweise begehrte einstweilige Anordnung besteht kein Anordnungsanspruch, d.h. es fehlt das erforderliche materielle Recht des Antragstellers, weil nicht ersichtlich ist, auf welcher rechtlichen Grundlage der Antragsteller, der sich von seiner Ehefrau seit langem getrennt hat, einen neuen Anspruch auf eine Niederlassungserlaubnis haben könnte. Es ist auch nicht erkennbar, dass ein Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis etwa nach § 37 AufenthG besteht. Wegen der von ihm vorgetragenen politischen Verfolgung in Syrien erscheint es der Kammer allerdings nicht fernliegend, dass er bei der zuständigen Stelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge einen Asylfolgeantrag (§ 71 AsylVfG) stellt.