Landessozialgericht Niedersachsen
Urt. v. 30.05.2000, Az.: L 3 P 82/99

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen
Datum
30.05.2000
Aktenzeichen
L 3 P 82/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 35415
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2000:0530.L3P82.99.0A

Tenor:

  1. Die Berufungen der Klägerinnen zu 1. und 2. werden zurückgewiesen.

  2. Kosten sind nicht zu erstatten.

  3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Der Rechtsstreit betrifft die Vereinbarung von Pflegesätzen für die stationäre Pflegeeinrichtung der Klägerin zu 2) für das Jahr 1999.

2

Die Klägerin zu 2) nahm im Herbst 1998 die Verhandlungen mit der Klägerin zu 1) und den Beigeladenen auf, um für das Jahr 1999 neue Pflegesätze zu vereinbaren. Die Klägerin zu 1) und die Beigeladenen boten der Klägerin zu 2) an, ab 01.01.1999 Pflegesätze auf der Basis des Schiedsspruches für 1998 zuzüglich 3 % zu zahlen. Die Verhandlungen scheiterten. Die Klägerin zu 2) stellte am 15.12.1998 bei der Beklagten einen Antrag auf Schiedsstellenentscheidung und beantragte, folgende Pflegesätze festzusetzen:

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Die Beigeladene zu 2) wiederholte mit Schriftsatz vom 13.01.1999 das Angebot der Pflegekassen und der beteiligten Sozialhilfeträger, ab 01.01.1999 Pflegesätze in Höhe von 3 % oberhalb des für 1998 geltenden Schiedsspruches zu zahlen. Daraus resultierten folgende Pflegesätze:

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Zur Begründung erläuterte die Beigeladene zu 2), dass die von der Klägerin zu 2) vorgelegten Kalkulationen erhebliche Fehler aufwiesen bzw. die Berechnungen von für die Pflegekassen und Sozialhilfeträger ungünstigen Annahmen ausgingen. Es bestehe ein Spielraum für die Erhöhung der Entgelte nur im Rahmen der unabweislichen Kostensteigerungen, die sich im Wesentlichen nur aus der Anpassung der Altenpflegeumlage und den Tarifsteigerungen zusammensetzen könnten. Das diesbezügliche Volumen sei mit maximal 3 % anzunehmen. Im Übrigen enthalte die von der Klägerin zu 2) vorgelegte Pflegesatzkalkulation zahlreiche Ungereimtheiten. Die Kosten für Leitung und Verwaltung sowie für den Wirtschaftsdienst erschienen unter Berücksichtigung der vorhandenen Pflegeplätze und des daraus resultierenden Personalschlüssels überhöht. Der Ansatz "Handwerkerleistungen ohne Material" sei entweder dem Posten "Anschaffungs- und Herstellkosten" oder "Instandhaltungskosten" zuzuschlagen, die nach den Vorschriften des SGB XI gar nicht in die Pflegesätze einbezogen werden könnten. Allenfalls könnten Kosten für einen technischen Dienst berücksichtigt werden, dafür seien indessen unter Berücksichtigung eines realistischen Personalschlüssels erheblich geringere Aufwendungen anzusetzen. Ferner habe die Klägerin zu 2) den Arbeitgeberanteil für die Sozialversicherungsbeiträge der Beschäftigten zu hoch angesetzt. Diese überhöhten Ansätze machten insgesamt ein Volumen von etwa 790 000 DM aus. Im Hinblick auf die betreuten Wachkomapatienten sei davon auszugehen, dass sie ohne Besonderheiten in die Kalkulation der Pflegesätze einzubeziehen und keineswegs besondere Vergütungen vorzusehen seien.

9

Die Beigeladene zu 1) wies in ihrem Schriftsatz vom 18.1.1999 darauf hin, dass die Klägerin zu 2) mit einer Auslastung von nur 95 % gerechnet habe, während unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten eine Auslastung der Einrichtung von etwa 98 % realistisch sei.

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Die Klägerin zu 2) wies demgegenüber darauf hin, dass für die Heimleitung erheblich höhere Vergütungen vorzusehen seien, als die Beigeladene zu 2) dies getan habe. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass die Führung eines Pflegeheimes unter den sich ständig ändernden äußeren Bedingungen erhebliche Kenntnisse auf wirtschaftlichem und rechtlichem Gebiet voraussetze, wie sie nur von einem akademisch vorgebildeten Heimleiter erwartet werden könnten. Derartiges Personal müsse auch entsprechend entlohnt werden. Die kalkulierten Kosten für die Sozialversicherungsbeiträge beinhalteten auch die Kosten für die betriebliche Altersversorgung des Pflegepersonals, die unter Berücksichtigung der Marktsituation unerläßlich sei. Die zugrundegelegte Auslastung von 95 % sei sachgerecht.

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Die Beklagte setzte unter dem 03.02.1999 für den Zeitraum vom 01.01. bis zum 31.12.1999 folgende Pflegesätze fest:

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Zur Begründung erläuterte sie, daß der Ausgangspunkt ihrer Überlegungen nicht ein sogenannter externer Vergleich mit den Entgelten anderer Einrichtungen sei, sondern die selbst vorgelegten Kalkulationsunterlagen der Antragstellerin, der Klägerin zu 2). Diesen Kalkulationen sei die Beigeladene zu 2) für die beteiligten Kostenträger mit überzeugenden Argumenten entgegengetreten. Die Fremdvergabe von Verwaltung und Heimleitung sowie des Wirtschaftsdienstes könne nur dann hingenommen werden, wenn dies kostengünstiger sei. Die diesbezüglichen Ansätze der Klägerin zu 2) könnten aus diesem Grunde nicht übernommen werden. Auch die Kritik in Bezug auf das technische Personal greife durch. Die berechneten Sozialvericherungsbeiträge seien ebensowenig hinzunehmen, denn die Kosten für eine betriebliche Altersversorgung seien nicht in diesem Rahmen aufzunehmen, sondern gegebenenfalls in anderen Kostenstellen. Die Aufwendungen für die Wachkomapatienten rechtfertigen keine besonderen Ansätze, insbesondere nicht einen besonderen Personalschlüssel, weil bei einer Gesamtkapazität der Einrichtung von 103,5 bzw. 109 Plätzen die Betreuung von 2 Wachkomapatienten keinen besonderen Schwerpunkt bilde. Bei dem zu errechnenden überkalkulierten Volumen von 790 000 DM ergebe sich ein auf den Tag zu beziehender Korrekturbetrag von 20,90 DM täglich. Dieser Korrekturbetrag sei indessen von den Kostenträgern bei ihrem Angebot nicht hinreichend auf das Entgelt für den Bereich Pflege und für den Bereich Unterkunft und Verpflegung verteilt worden. Das von ihnen vorgelegte Angebot auf der Basis des Schiedsspruches 1998 zuzüglich 3 % liege oberhalb dessen, was bei konsequenter Berechnung der Korrekturbeträge auf die Pflegestufen und Unterkunft und Verpflegung zu errechnen wäre (Pflegestufe I: 77,81 DM; Pflegestufe II: 105,76 DM; Pflegestufe III: 133,78 DM; Unterkunft und Verpflegung: 31,96 DM). Sie, die Beklagte, sehe sich außerstande, bei der von ihr vorzunehmenden Festsetzung der Pflegesätze unterhalb des Angebotsvolumens zu bleiben, das die Kostenträger bereits zugestanden hätten. Sie habe deshalb den Abschlagsbetrag von 20,90 DM anders verteilt und nicht in allen Pflegestufen gleichermaßen in Ansatz gebracht. Insgesamt bleibe der Schiedsspruch aber im Rahmen dessen, was unter Berücksichtigung der korrigierten Kostenansätze und des Angebots der Kostenträger als sachgerechte und angemessene Vergütung zu betrachten sei. Der Zeitpunkt des Inkrafttretens orientiere sich im Rahmen der von der Schiedsstelle seit Oktober 1998 geübten Praxis, wonach der Eingang des Schiedsantrages das maßgebliche Datum für das Inkrafttreten der festgesetzten Pflegesätze sei. Da in diesem Fall der Antrag bereits vor Ablauf der Geltungsdauer der bisher gezahlten Pflegesätze und vor Beginn des neuen Vergütungszeitraums liege, sei es sachgerecht, den ganzen Vergütungszeitraum ab 01.01.1999 zu erfassen.

15

Gegen diesen Schiedsspruch hat die Klägerin zu 1) am 3. März 1999 Klage erhoben und geltend gemacht, das rückwirkende Inkrafttreten des Schiedsspruches sei rechtswidrig. Der im SGB XI normierte Grundsatz der Prospektivität der Pflegesätze gebiete es, ein Inkrafttreten erst zum Zeitpunkt des Erlasses des Schiedsspruches vorzusehen.

16

Die Klägerin zu 2) hat am 18. März 1999 ebenfalls Klage gegen den Schiedsspruch vom 03.02.1999 erhoben. Zur Begründung hat sie dargelegt, dass für die Festsetzung der Pflegesätze im Rahmen des SGB XI die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zu den Pflegesätzen im Sozialhilferecht heranzuziehen sei. Daraus folge, dass das Sozialgericht (SG) befugt sei, im Klageverfahren die Beklagte zur Festsetzung konkreter Pflegesätze zu verurteilen. Hilfsweise beantrage sie aber, die Beklagte zu einer Neubescheidung zu verurteilen. Die Beklagte sei im Übrigen bei Erlass ihres Schiedsspruches von falschen Erwägungen ausgegangen. Bei der Ermittlung der Pflegesätze sei der externe Vergleich von maßgebender Bedeutung, während der innere Vergleich nur nachrangig durchzuführen sei. Auch sei zu bedenken, daß die Klägerin zu 2) ständig die volle Bettenzahl zur Verfügung halten müsse, daher sei es angemessen, bei den Kalkulationen auch von der vollen und nicht von einer reduzierten Bettenzahl auszugehen. Die Kritik an den geltend gemachten Personalkosten für Leitung, Verwaltung und Wirtschaft sei unberechtigt, denn die Klägerin zu 2) müsse sich zwangsläufig an den bei ihr vorliegenden tatsächlichen Verhältnissen orientieren und könne nicht auf die von der Beklagten angenommenen Durchschnittswerte verwiesen werden. Der Personalschlüssel für das technische Personal müsse wegen des Alters der vorhandenen Gebäudekapazitäten umfangreicher kalkuliert werden, weil damit auch ein höherer Aufwand verbunden sei. Die Betreuung der Wachkomapatienten sei bei der Festsetzung der Pflegesätze nicht hinreichend berücksichtigt worden. Die Beklagte sei auch nicht darauf eingegangen, dass wegen der Wettbewerbssituation im Bereich der stationären Pflegeeinrichtungen die Einrichtung einer betrieblichen Altersversorgung zwingend sei. Diese Kosten seien dem Bereich der Sozialversicherungsbeiträge zuzuordnen.

17

Nachdem ein auf Widerruf geschlossener Vergleich zwischen den Beteiligten nicht zustande kam, hat das SG die Klagen durch Urteil vom 19.10.1999 abgewiesen. In der Begründung hat es dargelegt, dass bei der Festsetzung der Pflegesätze von einer "relativen" und nicht von einer "absoluten" Prospektivität ausgegangen werden müsse. Unter Berücksichtigung der im Pflegesatzverfahren notwendigerweise gegebenen zeitlichen Abläufe sei es sachgerecht, das Datum des Eingangs des Antrages auf Festsetzung von Pflegesätzen durch die Schiedsstelle zum Fixpunkt zu nehmen. Zu den von der Klägerin zu 2) genannten inhaltlichen Bedenken gegen den Schiedsspruch sei zu bemerken, dass die Beklagte den ihr nach dem Gesetz und der Rechtsprechung zukommenden Ermessens- und Gestaltungsspielraum eingehalten habe. Die bei der Festsetzung der Pflegesätze für das Jahr 1998 vom Gericht beanstandeten Punkte seien nunmehr hinreichend in die Entscheidung eingeflossen, so dass auf die entsprechende Begründung des Schiedsspruches Bezug genommen werden könne.

18

Gegen dieses ihr am 3.11.1999 zugestellte Urteil hat die Klägerin zu 1) am 15.11.1999 Berufung eingelegt und geltend gemacht, der festgesetzte Zeitpunkt des Inkrafttretens der Schiedsstellenentscheidung sei rechtswidrig, denn nach den gesetzlichen Bestimmungen sei eine rückwirkende Vereinbarung von Pflegesätze ausdrücklich nicht erlaubt. Die Schiedsstellenentscheidung ersetze nach der Rechtsprechung die Vereinbarung durch die Beteiligten, mithin habe sich auch das Datum des Inkrafttretens an den diesbezüglichen gesetzliche Bestimmungen zu orientieren.

19

Die Klägerin zu 1) beantragt,

  1. 1.

    das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 19.10.1999 und den Schiedsspruch der Beklagten vom 03.02.1999 zu ändern,

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, das Inkrafttreten ihres Schiedsspruches vom 03.02.1999 auf den Tag des Erlasses des Schiedsspruches (03.02.1999) festzusetzen.

20

Die Klägerin zu 2) hat gegen das ihrem Bevollmächtigten am 02.11.1999 zugestellte Urteil am 02.12.1999 Berufung eingelegt und geltend gemacht, dass die Beklagte verpflichtet gewesen sei, auch für Pflegebedürftige der sogenannten Pflegestufe 0 den Pflegesatz festzulegen. Im Übrigen könne die nach dem SGB XI erforderliche Angemessenheitskontrolle der Pflegesätze nicht losgelöst von den Vorschriften des BSHG durchgeführt werden. Vielmehr sei die diesbezügliche Rechtsprechung des BVerwG heranzuziehen, wonach bei der Bemessung der Pflegesätze der externe Vergleich im Vordergrund stehe. Die Beklagte habe auch nicht deutlich gemacht, von welcher Bettenzahl sie bei der Festsetzung der Pflegesätze für 1999 ausgegangen sei. Soweit die Beklagte einen Korrekturbetrag von 20,90 DM errechne, werde nicht deutlich, wie dieser zustande gekommen sei. Ebensowenig könne nachvollzogen werden, wie die Umverteilung dieses Korrekturbetrages auf die einzelnen Pflegestufen durchgeführt worden sei. Die Beklagte habe sich auch nicht hinreichend mit den Gegenargumenten gegen die Beanstandungen der Beigeladenen zu 2) auseinandergesetzt.

21

Die Klägerin zu 2) beantragt,

    1. 1.

      das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 19.10.1999 sowie den Schiedsspruch der Beklagten vom 03.02.1999 aufzuheben,

    2. 2.

      die Beklagte mit Wirkung vom 01.01.1999 zur Festsetzung folgender Pflegesätze zu verurteilen:

      Pflegestufe O: 52,88 DM, Pflegestufe I: 91,83 DM, Pflegestufe II: 119,78 DM, Pflegestufe III: 147,80 DM, Unterkunft und Verpflegung: 38,84 DM,

  1. hilfsweise, die Beklagte zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senates zu verurteilen.

22

Die Beklagte beantragt,

  1. die Berufungen zurückzuweisen.

23

Sie macht geltend, dass nach der Rechtsprechung des BSG eine Verurteilung zur Festsetzung bestimmter Pflegesätze nicht in Betracht komme, weil ihr insoweit eine Einschätzungsprärogative zustehe, die der gerichtlichen Nachprüfung nicht unterliege. Nach ihrer Auffassung könnten eventuell Zweckmäßigkeitserwägungen dafür sprechen, im Rahmen der Festsetzung der Pflegesätze nach dem SGB XI auch über die Pflegesätze für die Pflegestufe 0 zu entscheiden. Dafür spreche auch der Grundsatz der Einheitlichkeit der Pflegesätze, wie er in § 84 Abs. 3 SGB XI niedergelegt sei. Aus ihrer Sicht sei sie aber nach den gesetzlichen Bestimmungen nur befugt, über Angelegenheiten nach dem SGB XI zu entscheiden, zu denen die Frage der Vergütung einer Pflegeeinrichtung für Bewohner der Pflegestufe 0 nicht gehöre. Insgesamt sei der Sachvortrag der Klägerin zu 2) davon geprägt, dass sie offenbar eine "ergänzte" Anfechtungsklage zu erheben suche, die im sozialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehen sei. Sie fordere letztlich inhaltlich einen "Schiedsspruch" durch das Gericht, nicht aber eine Kontrolle der Schiedsstellenentscheidung. Dies werde auch daran deutlich, dass sie wesentliche Gesichtspunkte ihrer Argumentation nicht im Rahmen des Schiedsstellenverfahrens, sondern erst im Klageverfahren vorgebracht habe.

24

Die Beigeladenen unterstützen das Vorbringen der Klägerin zu 1) und der Beklagten. Sie stellen keine eigenen Anträge.

25

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakte Bezug genommen. Der Entscheidungsfindung haben die Verwaltungsakten der Beklagten zugrunde gelegen.

Entscheidungsgründe

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Die nach §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässigen Berufungen der Klägerinnen zu 1) und 2) sind unbegründet.

27

I.

Die Entscheidungen von Schiedsstellen nach § 76 SGB XI unterliegen der sozialgerichtlichen Überprüfung (vgl. Rechtswegzuweisung in § 86 Abs. 5 Satz 3 SGB XI). Der Senat hält die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Schiedsamt nach § 368h Reichsversicherungsordnung (RVO) (vgl. BSGE 20, S. 73 [BSG 30.10.1963 - 6 RKa 4/62]<75> ) und BVerwG zur Schiedsstelle nach § 94 BSH (Az. 5 C 17/977, Umdruck Seiten 6-11) in weiten Teilen auch für den vorliegenden Sachzusammenhang für einschlägig und verweist insoweit auf seine diesbezüglichen Ausführungen im Urteil vom selben Tage im Parallelverfahren L 3 P 87/99, Umdruck Seiten 11-14).

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Die gerichtliche Überprüfung der Schiedsstellenentscheidung muß deren Wesen als neues Konfliktlösungsmodell im Sinne einer Schlichtungsmaßnahme eines weisungsfreien, mit Vertretern der Interessen der betroffenen Gruppen besetzten Gremiums gerecht werden. Mit dieser Besetzung bringt das Gesetz zum Ausdruck, daß es die Mitglieder der Schiedsstelle als mit der zu regelnden Materie vertraute und zu einer vermittelnden Zusammenführung von u.U. gegenläufigen Interessen der Beteiligen berufene Personen für geeignet hält, eine sach- und interessengerechte Lösung zu finden. Diese vom Gesetz gerade ihnen zugetraute Kompetenz gebietet es, die gerichtliche Überprüfung auf die der Schiedsstelle gesetzten rechtlichen Vorgaben zu beschränken und ihr für ihre Bewertungen und Beurteilungen im Rahmen der unbestimmten Rechtsbegriffe (insbesondere Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit, Leistungsfähigkeit, leistungsgerechtes Entgelt) einen weiten Spielraum, eine Einschätzungsprärogative zu belassen.

29

Aus der der Schiedsstelle zuzubilligenden Einschätzungsprärogative folgt zugleich, daß maßgeblich für die Überprüfung ihrer Entscheidung der Vortrag der Beteiligten zum damaligen Zeitpunkt sein muß. Die Beteiligten müssen bis zum Spruch der Schiedsstelle ihren Mitwirkungspflichten genügen; etwaige Versäumnisse können nicht im Klageverfahren nachgeholt werden. Die Darlegungspflichten des Heimbetreibers sind in § 85 Abs. 3 S. 2 SGB XI ausdrücklich normiert: Das Pflegeheim hat Art, Inhalt, Umfang und Kosten der Leistungen, für die es eine Vergütung beansprucht, durch Pflegedokumentationen und andere geeignete Nachweise (rechtzeitig vor Beginn der Pflegesatzverhandlung) darzulegen. Namentlich das Tatbestandsmerkmal "Nachweise" macht deutlich, daß der Gesetzgeber bloße Berechnungsmodelle nicht für ausreichend erachtet; die jeweiligen Ansätze in der Kalkulation müssen vielmehr - zumindest im Bestreitensfall - nachgewiesen, mithin im Einzelnen erläutert und plausibel gemacht werden.

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Entsprechend allgemeinen Verfahrensgrundsätzen werden an die Substantiierungspflicht des Heimbetreibers um so größere Anforderungen zu stellen sein, um so detaillierter von den übrigen Verhandlungsbeteiligten seine Ansätze in Zweifel gezogen werden.

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Ein strenges Verständnis der dem Heimbetreiber obliegenden Darlegungspflicht ist auch nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung geboten: Eine sachgerechte Beurteilung der leistungsgerechten Vergütung ist nur anhand einer detaillierten, sorgsam begründeten und plausibel erläuterten Kalkulation möglich. Die Schiedsstelle wäre überfordert, sollte sie anstelle des Heimbetreibers ihrerseits eine eigenständige Kalkulation erarbeiten.

32

Das Gesetz verlangt ausdrücklich eine "unverzügliche" Entscheidung der Schiedsstelle (§ 85 Abs. 5 S. 1 SGB XI). Eine solche ist auch unter Berücksichtigung der wechselseitigen wirtschaftlichen Interessen aller Vertragsbeteiligten dringend geboten.

33

Damit die Schiedsstelle diesem gesetzlichen Auftrag gerecht werden kann, dürfen an die Begründung ihrer Entscheidung aus Sicht des Senates keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden. Entscheidend ist letztlich, dass sie ihre Abwägung frei von Einseitigkeit in einem den gesetzlichen Vorgaben entsprechenden fairen und willkürfreien Verfahren, inhaltlich orientiert an den materiellrechtlichen Vorgaben des Entgeltvereinbarungsrechts, vorgenommen hat (BVerwG a.a.O., Umdruck Seite 11).

34

Solange sich die Gesamtentscheidung an diesen Maßstäben orientiert, ist die Schiedsstelle auch berechtigt, einzelne der - u.U. sehr zahlreichen - Streitpunkte eher summarisch abzuhandeln. Dies gilt um so mehr, als die eine Prognose beinhaltende Wertung, mit welchen Kosten ein wirtschaftlich geführtes Heim den Versorgungsauftrag in den kommenden zwölf Monaten erfüllen können wird (§ 84 Abs. 2 S. 4 SGB XI), ohnehin nur auf der Grundlage von Schätzungen erfolgen kann.

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Bedenken gegen eine solche eher summarische Vorgehensweise bestehen um so weniger, wenn die Schiedsstelle ihren Beurteilungsspielraum bei den einzelnen Berechnungspositionen teils zugunsten der einen, teils aber auch zugunsten der anderen Vertragspartei ausübt. Damit bringt sie gerade zum Ausdruck, dass sie sich um eine von Einseitigkeit freie gerechte Abwägung bemühen will.

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Unter Berücksichtigung der vorstehend erläuterten grundsätzlichen Gesichtspunkte hinsichtlich der anzunehmenden "Kontrolldichte" bei der Überprüfung des Schiedsspruches vom 03.02.1999 ist festzuhalten, dass sich die Schiedsstelle bei ihrer angefochtenen Entscheidung im Ausgangspunkt an der eigenen Kalkulation der Klägerin zu 2) orientiert hat. Sie ist nur - entsprechend den von der Beigeladenen zu 2) für die Klägerin zu 1) und die anderen Beigeladenen erhobenen Einwendungen - in fünf Punkten hinter dem eigenen Antrag der Klägerin zu 2) zurückgeblieben.

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Dabei hat sie nach Auffassung des Senates bei keinem dieser fünf Punkte, bei denen sie eine Korrektur für notwendig erachtet hat, ihren Einschätzungsspielraum überschritten. Im Einzelnen:

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1. Die Klägerin zu 2) hat als Mehraufwand für zwei Wachkomapatienten im Jahr

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270 000 DM veranschlagt, ohne darzulegen, wo diese Position in die vorgelegte Kalkulation eingeflossen ist. Solche Unklarheiten gehen aber zu Lasten der insoweit darlegungspflichtigen Klägerin zu 2). Zutreffend hat die Beklagte diese Mehraufwendungen unter Berücksichtigung der substantiierten Beanstandungen der Kostenträger bei der Festsetzung der Pflegesätze außer Acht gelassen. Zur Begründung hat sie darauf hingewiesen, dass die Klägerin ungeachtet der Betreuung dieser beiden Wachkomapatienten in der Vergangenheit mit dem üblichen Personalschlüssel ausgekommen sei.

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Diese Begründung leuchtet in jeder Hinsicht ein, denn die Klägerin zu 2) ist ihren Darlegungspflichten diesbezüglich nicht nachgekommen. Es ist weder ersichtlich,

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a) wie sich die 270 000 DM zusammensetzen sollen, noch

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b) dass der Gesamtpflegeaufwand für alle Patienten den nach Durchschnittswerten (wobei im Durchschnitt immer auch schwieriger, aber auch leichter zu pflegende Patienten enthalten sind) errechneten Bedarf überschritten hat.

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2. Die Klägerin zu 2) hat für Handwerker 334 000 DM im Jahr in Ansatz gebracht. Hiervon hat die Schiedsstelle nur knapp 100 000 DM für üblicherweise notwendige Hausmeisterdienste u.a. berücksichtigt. Auch insoweit ist die Entscheidung in keiner Weise zu beanstanden. Die Klägerin zu 2) hat in diesem Punkt ihre Darlegungspflichten besonders grob vernachlässigt. Es ist überhaupt nicht nachvollziehbar, welche konkreten Leistungen sich hinter dieser Position verbergen sollen, zumal Maßnahmen für die Instandhaltung der Gebäude nach § 82 Abs. 2 Nr. 1 SGB XI nicht in Ansatz gebracht werden dürfen.

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3. Bezüglich der zu erwartenden Arbeitgeberbeiträge hat sich die Beklagte überzeugenderweise an den detaillierten Aufstellungen im Schriftsatz der BKK vom 13.01.1999 orientiert, da die Klägerin zu 2) dem nicht substantiiert entgegengetreten ist. Der Hinweis auf die Aufwendungen für die betriebliche Altersvorsorge geht fehl, weil es sich dabei nicht um Sozialversicherungsbeiträge, sondern um übertarifliche Aufwendungen handelt, die in diesem Zusammenhang nicht geltend gemacht werden können.

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4. Die Kostenansätze für den Wirtschaftsdienst sind unter Zugrundelegung der Einwendungen der Beigeladenen zu 2) um 120 000 bis 170 000 DM überhöht. Die Schiedsstelle hat sich an dem unteren Wert dieser Spanne orientiert und die klägerischen Ansätze um 120 000 DM mangels substantieller Darlegungen der Notwendigkeit höherer Aufwendungen gekürzt. Auch insoweit begegnet die Entscheidung der Beklagten keinen Bedenken, denn diesbezüglich ist die von der Klägerin zu 2) vorgelegte Kalkulation einfach unschlüssig:

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Die Klägerin zu 2) geht selbst in ihrer Kalkulation (vgl. deren Anlage 4) davon aus, dass für jeweils 6,3 Bewohner eine Stelle im Bereich Wirtschaftsdienst mit durchschnittlichen Personaljahreskosten von 57 667 DM erforderlich ist Bei durchschnittlich 103,5 Bewohnern (109 Plätze mit einem Auslastungsgrad von 95 %) ergibt dies einen Jahresbetrag von 947 844 DM. Die Klägerin zu 2) ist jede überzeugende Erklärung dafür schuldig geblieben, weshalb sie statt dessen 1 121 881 DM in Ansatz gebracht hat.

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5. Schließlich hat die Beklagte - wiederum entsprechend den Einwendungen der Beigeladenen zu 2) - 120 000 DM von den veranschlagten Verwaltungskosten in Abzug gebracht. Dabei hat sie sich deren alternative Kostenberechnung zu eigen gemacht. Auch diese Entscheidung ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Zunächst ist festzuhalten, dass die Klägerin zu 2) auch insoweit ihren Darlegungspflichten nicht nachgekommen ist. Jedenfalls nachdem von Seiten der Beigeladenen zu 2) die Berechtigung des Kostenansatzes in Zweifel gezogen worden ist, hätte die Klägerin zu 2) detailliert darlegen müssen,

  1. a)

    welche Kräfte sie mit welchen Kosten im Verwaltungsbereich tatsächlichen beschäftigt,

  2. b)

    welche Aufgaben diese mit welchem Zeitaufwand im Einzelnen wahrnehmen und

  3. c)

    dass ihre Verwaltungspraxis einer wirtschaftlichen Betriebsführung entspricht.

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Entsprechend substantiierte Darlegungen fehlen. Soweit namentlich im Streit steht, ob der Leiter ein Studium der Wirtschaftswissenschaften absolviert haben sollte, wird nicht näher erläutert, daß der Schwerpunkt seiner Tätigkeiten einen solchen Schwierigkeitsgrad aufweist, dass sie ohne eine akademische Ausbildung nicht erfolgreich bewältigt werden kann. Auch setzt sich die Klägerin zu 2) nicht mit der naheliegenden Frage auseinander, ob es einer wirtschaftlichen Betriebsführung entspricht, speziell für die Geschäftsführung eines solchen doch relativ kleinen Heimes einen Leiter mit einer so hoch qualifizierten Ausbildung einzustellen. Es könnte erheblich wirtschaftlicher sein, mehrere dieser kleinen Heime hinsichtlich der Geschäftsführung - für die davon zu unterscheidende Pflegedienstleitung ist ohnehin gesondert eine Fachkraft in Ansatz gebracht worden - zusammenzufassen, so dass möglicherweise akademischen Sachverstand erfordernde Grundsatzfragen von einem Gesamtgeschäftsführer für alle Heime gemeinsam bearbeitet werden können.

49

Gegen die Schiedsstellentscheidung mag in diesem Punkt eingewendet werden, dass sie bei der Heranziehung der Alternativberechnung der Beigeladenen zu 2) sich nicht im Einzelnen mit den klägerischen Einwendungen im Schriftsatz vom 29.01.1999 auseinandergesetzt hat, wonach in diese Alternativberechnung (etwas) zu gering bemessene Löhne eingeflossen seien. In Anbetracht der weitgehend unsubstantiierten Darlegungen der Klägerin zu 2), der die Vorlage einer präzisen und plausibel begründeten Kalkulation oblegen hätte, kann aber von der Schiedsstelle nicht eine in jeder Hinsicht hieb- und stichfeste Alternativkalkulation erwartet werden, sondern nur eine überschlägige Abschätzung angemessener Kosten. Die Vorgehensweise ist um so weniger im Ergebnis zu beanstanden, als die Schiedssteile ihr Einschätzungsermessen an anderer Steile auch zugunsten der Klägerin zu 2) ausgeübt hat. So hat sie bei der Korrektur der Kostenansätze für den Wirtschaftsdienst nur den unteren Wert der von der Beigeladenen zu 2) als überhöhter Ansatz errechneten Spanne in Abzug gebracht, obwohl gute Gründe auch für den oberen Wert dieser Spanne gesprochen haben dürften.

50

Soweit die Klägerin auch in diesem Verfahren die Festsetzung bestimmter Pflegesätze und die Festsetzung eines Pflegesatzes für die Pflegebedürftigen der sogenannten Pflegestufe 0 begehrt, wird auch insoweit auf die Ausführungen des Senates im Urteil vom heutigen Tage im Parallelverfahren L 3 P 87/99, Umdruck Seite 17, verwiesen, wonach für diesen Fragenkomplex die nach dem BSHG einzurichtende Schiedsstelle zuständig ist, gegen deren Entscheidung der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet ist.

51

II.

Die Berufung der Klägerin zu 1) richtet sich gegen den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Schiedsstellenentscheidung, der von der Beklagten auf den 01.01.1999 festgesetzt wurde. Die Beklagte hat sich diesbezüglich auf ihre seit Oktober 1998 bestehende Übung bezogen, wonach für sie im Regelfall das Datum des Eingangs des Antrages auf Festsetzung von Pflegesätzen durch einen der Verfahrensbeteiligten maßgeblich ist. Sie hat diese Handhabung damit begründet, dass inzwischen eine erhebliche Anzahl von Schiedsstellenverfahren anhängig seien, so dass nicht immer gewährleistet sei, dass eine unverzügliche Entscheidung über die Pflegesätze getroffen werden könne. Dies rechtfertige es, den Zeitraum, den das Schiedsstellenverfahren unter Umständen in Anspruch nehme, nicht zu Lasten der Einrichtungen gehen zu lassen, die von dem Ergebnis des Schiedsspruches in besonderer Weise wirtschaftlich abhängig seien. Da der Antrag auf Schiedsstellenentscheidung bereits vor Ablauf des vorangegangenen Entgeltzeitraumes eingegangen sei, sei auch der gesamte neue Entgeltzeitraum vom 01.01.1999 bis 31.12.1999 einzubeziehen. Diese Überlegungen teilt der Senat und hält die Entscheidung der Beklagten auch in diesem Punkt für rechtmäßig. Ergänzend bezieht sich der Senat auf sein Urteil vom gleichen Tage im Parallelverfahren L 3 P 87/99, Umdruck Seiten 16/17. Die Berufung der Klägerin zu 1) ist daher unbegründet.

52

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

53

Der Senat hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zu entscheidenden Rechtsfragen die Revision zugelassen.