Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 03.12.2019, Az.: 11 W 41/19
Beschwerde gegen eine Streitwertbemessung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 03.12.2019
- Aktenzeichen
- 11 W 41/19
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2019, 51361
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Braunschweig - 11.04.2019 - AZ: 5 O 749/19
Rechtsgrundlage
- § 68 Abs. 3 GKG
Fundstellen
- AGS 2020, 78-80
- JurBüro 2020, 77-79
Amtlicher Leitsatz
§ 45 Abs. 1 Satz 2 GKG ist auch auf sogen. unechte Hilfsanträge anwendbar (Anschluss an BGH, Beschluss vom 08.04.2014 - XI ZR 335-/12 -; Urteil vom 13.05.1996 - II ZR 275/94 -). Weder dem Wort-laut noch der Gesetzesbegründung lässt sich entnehmen, dass § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG nur auf echte Hilfsanträge Anwendung finden sollte. Die Art der Verknüpfung von Haupt- und unechtem Hilfsantrag ist mit der Geltendmachung einer Teilforderung zur Klärung der Rechtslage vergleichbar, die auch darauf gerichtet ist, Prozesskosten einzusparen. Sie stellt keine unzulässige Privilegierung des Klägers dar. Die Berücksichtigung eines unechten Hilfsantrags, über den nicht entschieden worden ist, bei der Streitwertbemessung negiert die Eventualantragstellung und missachtet die Dispositionsmaxime.
Tenor:
Die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegen den Streitwertbeschluss des Landgerichts Braunschweig vom 11.04.2019 in Gestalt des Teilabhilfebeschlusses des Landgerichts Braunschweig vom 19.09.2019 wird zurückgewiesen.
Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Die Prozessbevollmächtigten des Klägers wenden sich aus eigenem Recht gegen die Streitwertfestsetzung des Landgerichts Braunschweig für einen Rechtsstreit über die Wirksamkeit des Widerrufs eines zur Finanzierung eines Fahrzeugkaufs geschlossenen Darlehensvertrages.
Der Kläger hat erstinstanzlich angekündigt, zu beantragen,
1. festzustellen, dass aufgrund des wirksam erfolgten Widerrufs vom 30.07.2018 die Beklagte aus dem Darlehensvertrag vom 04.10.2016 mit der Darlehensnummer .... über ursprünglich 39.234,- EUR zum Stichtag 01.09.2018 keinen Anspruch auf Zahlung der Zins- und Tilgungsleistungen (mehr) herleiten kann.
Für den Fall das der Klageantrag zu 1. zulässig und begründet sein sollte, hat der Kläger angekündigt, zu beantragen,
2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerseite einen Betrag in Höhe von 13.283,45 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB ab dem 01.09.2018 binnen sieben Tagen nach Übergabe des Fahrzeugs ..., Fahrgestellnummer .... zu zahlen;
3. festzustellen, dass die Beklagte sich mit der Entgegennahme des Fahrzeugs aus dem Antrag zu 2. in Annahmeverzug befindet;
4. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerseite einen Betrag in Höhe von 3.243,23 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit für die außergerichtliche anwaltliche Rechtsverfolgung zu zahlen;
5. die Beklagte zu verurteilen, die zur Sicherung des widerrufenen Darlehensvertrags aus Antrag zu 1. abgetretenen Lohn- und Gehaltsansprüche rückabzutreten sieben Tage nach Rückgabe des Fahrzeugs gemäß Antrag zu 2.
Die Beklagte hat erstinstanzlich angekündigt, zu beantragen,
die Klage abzuweisen;
für den Fall, dass das Gericht von einem wirksamen Widerruf ausgehen würde, im Wege der Hilfswiderklage
festzustellen, dass die Klagepartei im Falle eines wirksamen Widerrufs verpflichtet ist, der Beklagten Wertersatz für den Wertverlust des PKW ...mit der Fahrzeug- Identifizierungsnummer ... zu leisten, der auf einen Umgang mit dem Fahrzeug zurückzuführen ist, der zur Prüfung der Beschaffenheit, der Eigenschaften und der Funktionsweise nicht notwendig war.
Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 08.04.2019 seine Klage zurückgenommen.
Das Landgericht Braunschweig hat mit Beschluss vom 11.04.2019 (Bl. 73 ff. d. A.) den Streitwert auf eine Wertstufe bis 40.000,- EUR festgesetzt.
Der Beschluss ist den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 17.04.2019 zugestellt worden.
Die Prozessbevollmächtigten des Klägers haben am 20.05.2019 im eigenen Namen Streitwertbeschwerde beim Landgericht gegen den Beschluss vom 11.04.2019 eingelegt. Zur Begründung haben sie vortragen, dass nach ihrer Auffassung auch unechte Hilfsanträge gem. § 39 Abs. 1 GKG streitwerterhöhend zu berücksichtigen seien. Die Ausnahmeregelung in § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG sei nicht einschlägig, weil in jedem Fall erschöpfend über das gesamte Streitwertverhältnis zu entscheiden sei. Es werde insofern auf die Entscheidung des Kammergerichts Berlin vom 09.11.2017 (Az.: 4 W 35/17) und des Landgerichts Hannover vom 27.02.2018 (Az.: 20 O 4/18) verwiesen. Mithin verbleibe es gemäß den Ausführungen in der Klage bei einem Streitwert von 98.271,92 EUR.
Das Landgericht Braunschweig hat der Streitwertbeschwerde mit Beschluss vom 19.09.2019 (Bl. 85 ff. d. A.) teilweise abgeholfen und den Streitwert unter Abänderung des Streitwertbeschlusses vom 11.04.2019 auf die Wertstufe bis 50.000,- EUR festgesetzt. Im Übrigen hat es der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Oberlandesgericht Braunschweig zur Entscheidung vorgelegt. Hinsichtlich der Begründung wird auf die Ausführungen im Beschluss vom 19.09.2019 Bezug genommen.
II.
Die gem. § 68 Abs. 1 GKG i. V. m. § 32 Abs. 2 Satz 1 RVG zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
Gem. §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 6 Satz 1 GKG entscheidet die Einzelrichterin über die Beschwerde.
Das Landgericht hat den Streitwert zutreffend auf eine Wertstufe bis 50.000,- EUR festgesetzt.
Der Gesamtstreitwert bei verbundenen Geschäften richtet sich nach der Höhe des Nettodarlehensbetrages, wenn der Kläger wirtschaftlich begehrt, so gestellt zu werden, als hätte er das Geschäft nicht getätigt (vgl. BGH, Beschluss vom 29.05.2015 - XI ZR 335/13 -, juris Rn. 3; Beschluss vom 07.04.2015 - XI ZR 121/14 -, juris Rn. 3; Beschluss vom 10.03.2015 - XI ZR 121/12 -, juris). Hinzu kommt ggf. ein aus Eigenmitteln aufgebrachter Betrag (vgl. BGH, Beschluss vom 29.05.2015, a. a. O.). Dementsprechend ist der Streitwert für eine negative Feststellungsklage des Darlehensnehmers nach Widerruf bei verbundenen Geschäften mit dem Nettodarlehensbetrag sowie der auf den Kaufpreis geleisteten Anzahlung zu bemessen, wenn der Kläger - wie im vorliegenden Fall - begehrt, so gestellt zu werden, als hätte er das Geschäft nicht getätigt (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 09.10.2019 - 6 W 47/19 -, juris Rn. 13, OLG Braunschweig, Beschluss vom 26.11.2018 - 11 W 41/18 -, juris. Rn 20 f.).
Hier beläuft sich der Nettodarlehensbetrag auf 39.234,- EUR. Der Kläger hat zudem eine Anzahlung in Höhe von 10.000,- EUR geleistet. Der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren war daher auf eine Wertstufe bis 50.000,- EUR festzusetzen.
Der Streitwert war auch nicht infolge der von dem Kläger angekündigten Hilfsanträge zu erhöhen.
1.
Entgegen der von den Prozessbevollmächtigten des Klägers vertretenen Ansicht sind die von der Klägerseite gestellten Hilfsanträge bereits deshalb gem. § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG bei der Streitwertberechnung nicht zu berücksichtigen, weil über sie nicht entschieden worden ist.
Gem. § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG wird ein hilfsweise geltend gemachter Anspruch nur dann mit dem Hauptanspruch zusammengerechnet, soweit eine Entscheidung über ihn ergeht. Betreffen die Ansprüche denselben Gegenstand, ist nur der Wert des höheren Anspruchs maßgebend (vgl. § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG).
Ob § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG auf sogen. unechte bzw. uneigentliche Hilfsanträge Anwendung findet, die für den Fall des Obsiegens mit dem Hauptantrag gestellt werden, ist in Literatur und Rechtsprechung umstritten.
Nach einer Ansicht findet bei unechten Hilfsanträgen § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG keine Anwendung, weil es sich weder um eine zulässige Variante der grundsätzlich anerkannten Kostenreduzierung im Wege der Teilklage handele noch Sinn und Zweck der kostenrechtlichen Vorschriften Veranlassung dafür geben würden, diese Art der Antragstellung kostenmäßig zu privilegieren (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 09.11.2017 - 4 W 35/17 -, juris Rn. 6 f.; Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 2. A., § 45, Rn. 11; Kurpat, in: Schneider/Herget, Streitwertkommentar, Rn. 3084; 14. A.; Ulrici, jurisPR-ArbR 21/2011, Anm. 6). (vgl. Schneider/Volpert/Fölsch, a. a. O.). Das wirtschaftliche Interesse des Klägers sei nicht auf den Hauptantrag beschränkt, sondern erfasse ebenfalls den Hilfsantrag (vgl. Ulrici, a. a. O.). Der unechte Hilfsantrag baue auf dem Hauptantrag auf, stehe zu diesem folglich nicht in einem Eventualverhältnis, sondern teile mit diesem nur Erfolg bzw. Misserfolg (vgl. Kurpat, a. a. O.).
Einer weiteren Ansicht zufolge ist das Entscheidungserfordernis jedenfalls bei der Ermittlung des Gegenstandswerts für die anwaltliche Gebührenrechnung nicht zu berücksichtigen, weil bei der Bemessung der Rechtsanwaltsvergütung neben den verfolgten wirtschaftlichen Interessen auch der mit der Bearbeitung und Vertretung verbundene Arbeits- und Zeitaufwand des Rechtsanwalts sowie bestehende anwaltliche Haftungsrisiken zu berücksichtigen seien (vgl. NK-ArbR/Stefan Müller, 1. A., GKG, § 45, Rn. 17)
Schließlich wird vertreten, dass auch unechte Hilfsanträge vom Anwendungsbereich des § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG umfasst und diese Anträge bei der Streitwertberechnung nur dann zu berücksichtigen seien, wenn eine Entscheidung über sie ergehe (vgl. BGH, Beschluss vom 08.04.2014 - XI ZR 335/12 -, juris; Urteil vom 13.05.1996 - II ZR 275/94 -, juris Rn. 28 für den vergleichbaren Fall der unechten Hilfswiderklage; BAG, Beschluss vom 13.08.2014 - 2 AZR 871/12 -, juris Rn. 3; OLG Köln, Beschluss vom 10.03.2017 - 12 W 10/17 -, juris Rn. 4; Zöller/Herget, ZPO, 32. A., § 3 Rn. 16 "Eventual- und Hauptantrag").
Der Senat schließt sich der zuletzt genannten Auffassung an. Bereits der Wortlaut des § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG differenziert nicht zwischen echten und unechten/uneigentlichen Hilfsanträgen. Auch der Gesetzesbegründung lässt sich nicht entnehmen, dass § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG nur bei echten Hilfsanträgen Anwendung finden sollte (vgl. zur Vorgängervorschrift § 16 Abs. 4 GKG BT-Drucksache 7/2016, S. 72). Die Möglichkeit, Anträge in einem Zivilprozessverfahren bedingt zu stellen, ist allgemein unter der Voraussetzung anerkannt, dass die Antragstellung nicht von dem Eintritt eines außer-, sondern eines innerprozessualen Ereignisses abhängt (vgl. BGH, Urteil vom 13.05.1996 - II ZR 275/94 -, juris Rn. 22). Dabei ist es grundsätzlich auch zulässig, einen weiteren Klageantrag für den Fall zu stellen, dass der erste Antrag durchdringt (vgl. Becker-Eberhard, in: MüKoZPO, 5. A., § 260, Rn. 16). Denn diese Art der Verknüpfung von Haupt- und Hilfsantrag ist mit der Geltendmachung einer Teilforderung zur Klärung der Rechtslage vergleichbar, die (auch) darauf ausgerichtet ist, Prozesskosten einzusparen (vgl. BGH, Urteil vom 13.05.1996, a. a. O.). Wenn der Kläger daher zunächst nur den Hauptantrag stellt, um unter Bedingung seines Erfolges weitere Anträge zu stellen, ist hierin keine unzulässige Privilegierung zu sehen (vgl. BGH, Urteil vom 13.05.1996, a. a. O., Rn. 27). Auch das wirtschaftliche Interesse des Klägers führt zu keiner anderen Bewertung. Denn es kann immer nur im Rahmen der konkreten Antragstellung zur Streitwertbemessung herangezogen werden. Der Hilfsantrag begründet eine auflösend bedingte Rechtshängigkeit des Hilfsanspruchs in der Form, dass eine Sachentscheidung nur für den Fall der Erfolglosigkeit bzw. des Erfolges des Hauptantrages begehrt wird (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 32. A., § 260, Rn. 4a). Mangels Bedingungseintritts kann daher der Hilfsantrag nicht zur Streitwertbemessung herangezogen werden. Andernfalls würde die Eventualantragstellung negiert und damit die Dispositionsmaxime missachtet. Der für die Gerichtsgebühren maßgebende Wert gilt dabei gem. § 32 Abs. 1 RVG auch für die Gebühren des Rechtsanwalts. Eine kostenmäßige Besserstellung ist insofern nicht vorgesehen.
Demnach ist § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG auch im vorliegenden Fall in Anwendung zu bringen mit der Folge, dass mangels Entscheidung über die von der Klägerseite gestellten Hilfsanträge diese zur Streitwertbemessung nicht heranzuziehen sind.
2.
Selbst wenn jedoch § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG keine Anwendung finden würde, käme eine Streitwerterhöhung im vorliegenden Fall nicht in Betracht.
Der unter 2. angekündigte Zahlungsantrag würde zu keiner Streitwerterhöhung führen, weil - wie oben bereits ausgeführt - der Gesamtstreitwert bei verbundenen Geschäften mit dem Nettodarlehensbetrag zuzüglich eines aus Eigenmitteln aufgewendeten Betrages zu bemessen ist.
Der Antrag zu 3. auf Feststellung des Annahmeverzugs wäre nicht streitwerterhöhend zu berücksichtigen, weil ihm kein eigenständiger wirtschaftlicher Wert zukommt (vgl. BGH, Beschluss vom 19.12.2016 - XI ZR 539/15 -, juris Rn. 4).
Der Antrag auf Zahlung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Antrag zu 4.) betrifft eine Nebenforderung und würde damit auch nicht den Streitwert erhöhen (§ 43 Abs. 1 GKG).
Dem Antrag auf Freigabe der Sicherheiten (Antrag zu 5.) kommt entgegen der Auffassung der Klägervertreter bei verbundenen Geschäften kein eigenständiger wirtschaftlicher Wert zu (vgl. BGH, Beschluss vom 29.05.2015, a. a. O., Rn. 4; Beschluss vom 21.12.2010 - XI ZR 185/10 -, juris; 23.02.2010 - XI ZR 219/09 -, juris), weil das wirtschaftliche Interesse des Klägers nicht über das durch den Nettodarlehensbetrag und die aufgebrachten Eigenmittel bezifferten Betrag hinausgeht, so dass auch insofern eine Streitwerterhöhung nicht in Betracht käme.
Die Streitwertbeschwerde des Prozessbevollmächtigten des Klägers war daher zurückzuweisen, soweit das Landgericht ihr nicht bereits abgeholfen hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 68 Abs. 3 GKG.