Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 18.12.2019, Az.: 11 U 85/18
Zurückweisung einer Berufung durch Beschluss; Keine Kostenteilung im Verhältnis der Streitwertanteile von Berufung und Anschlussberufung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 18.12.2019
- Aktenzeichen
- 11 U 85/18
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2019, 57397
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:2019:1218.11U85.18.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- OLG Braunschweig - 14.11.2019 - AZ: 11 U 85/18
- LG Göttingen - 22.05.2018
Rechtsgrundlage
- § 522 ZPO
Fundstellen
- JurBüro 2020, 365-366
- MDR 2020, 694-695
Amtlicher Leitsatz
Bei einer Zurückweisung der Berufung durch Beschluss nach § 522 ZPO ist - ebenso wie bei einer Berufungsrücknahme nach § 516 ZPO - keine Kostenteilung gemäß § 92 Abs. 1 ZPO im Verhältnis der Streitwertanteile von Berufung und Anschlussberufung vorzunehmen (Anschluss an OLG Frankfurt, Beschluss vom 18.07.2018 - 13 U 236/16 -). Anderenfalls stände es letztlich im Belieben des Berufungsklägers, zu entscheiden, ob im Rahmen des § 522 Abs. 2 ZPO unter Verzicht auf die Gebührenreduzierung i. S. d. Nr. 1222 des KV Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG durch die Herbeiführung einer Sachentscheidung des Gerichts über seine Berufung, der Anschlussberufungskläger quotal mit den Rechtsmittelkosten belastet werden soll - wenngleich über die Anschlussberufung keine Sachentscheidung ergeht - ggf. mit der Folge, dass eine Sachentscheidung über sein Rechtsmittel für den Berufungskläger sogar im Ergebnis kostengünstiger wäre.
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 22.05.2018 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil des Landgerichts Göttingen ist für beide Parteien ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 33.620,- EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Hinsichtlich des Sachverhalts wird auf die Darstellung im Hinweisbeschluss des Senates vom 14.11.2019 Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
Zur Begründung wird auf die Ausführungen im Hinweisbeschluss des Senats vom 14.11.2019 verwiesen.
Die Einwände der Beklagten im Schriftsatz vom 06.12.2019 führen zu keiner anderen Beurteilung.
Soweit die Beklagte auf ein Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 27.11.2012 (Anlage K5 aus dem Verfahren 8 O ...) verweist, ist diesem nicht zu entnehmen, dass sich die den Kläger behandelnden Ärzte V., Dr. P. und M. nicht in der Lage gesehen hätten, dem Kläger eine ärztliche Bescheinigung zur Begründung eines Invaliditätsanspruchs auszustellen. Vielmehr hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers in dem Schreiben dem Unfallversicherer vorgeschlagen, die Frist zur ärztlichen Feststellung unfallbedingter Dauerfolgen um ein halbes Jahr bis zum 03.07.2013 zu verlängern, weil erst in weiteren sechs Monaten über weitere Operationen, mit denen unfallbedingte Dauerfolgen bei dem Kläger vermieden werden könnten, entschieden würde. Dies lässt aber nicht darauf schließen, dass zum Zeitpunkt der Abfassung des vorgenannten Schreibens bzw. zum Zeitpunkt der Erstellung der streitgegenständlichen Bescheinigung durch Herrn Dr. W. am 19.12.2012 keine Dauerfolgen ärztlich feststellbar gewesen wären.
Soweit die Beklagte geltend macht, dass die vorgenannte Fristverlängerung erforderlich gewesen sei, weil die den Kläger behandelnden Ärzte eine unfallbedingte Dauerfolge jedenfalls für den rechten Arm noch nicht hätten feststellen können und sie den Kläger auch darüber informiert hätten und die Beklagte diesbezüglich die Ärzte V., Dr. P. und M. als Zeugen benannt hat, ist sie mit diesem Vorbringen und dem nunmehr angebotenen Zeugenbeweis ausgeschlossen, weil es sich um neuen Sachvortrag handelt (§ 531 Abs. 2 ZPO). Der Kläger hat bereits erstinstanzlich ausgeführt, dass es u. a. durch die Auswertung der Befunde und OP-Berichte der Ärzte ohne Weiteres möglich gewesen wäre, sämtliche Dauerschäden - auch im rechten Arm - festzustellen (vgl. S. 4 der Klageschrift vom 07.09.2016; S. 1 des Schriftsatzes vom 08.11.2016).
Die Beklagte kann auch nicht damit gehört werden, dass bei Herrn Dr. W. zum 19.12.2012 aufgrund der erst kurz zuvor ausgeführten Entfernung einer Platte im Bereich der rechtsseitigen Elle des Klägers der Eindruck entstanden sei, dass eine Festlegung der gesamten Dauerschäden beider Arme noch ausstehe und seine Angaben in dem Formularantrag nicht falsch gewesen seien. Auch hier handelt es sich um nach § 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossenen neuen Sachvortrag. Der Kläger hat im Schriftsatz vom 08.11.2016 vorgetragen, dass Herrn Dr. W. eine Diagnose zum Vorliegen eines unfallbedingten Dauerschadens am rechten Arm des Klägers zum Zeitpunkt der Ausstellung der Bescheinigung möglich gewesen sei.
Darauf käme es aber hier auch nicht an. Die Sachverständige Dr. B. hat in ihrem schriftlichen Gutachten vom 06.11.2017 in auch für den Senat schlüssiger und nachvollziehbarer Weise ausgeführt, dass Herr Dr. W. die Dauerschäden am rechten Arm des Klägers erkannt und diese in seiner Krankenakte dokumentiert habe; die Dokumentation in der ärztlichen Bescheinigung vom 19.12.2012 sei lückenhaft und somit fehlerhaft (S. 21, 27, 29 GA).
Die Beklagte hat innerhalb der den Parteien durch Beschluss des Landgerichts Göttingen vom 28.11.2017 (Bl. 76 d. A.) nach § 411 Abs. 4 ZPO gesetzten Frist von vier Wochen nach Zugang dieses Beschlusses keine Einwendungen gegen das schriftliche Gutachten von Frau Dr. B. erhoben. Das Landgericht hat die Parteien in dem vorgenannten Beschluss auf die Folgen der Versäumung dieser Ausschlussfrist nach § 411 Abs. 4 Satz 2 2. HS i. V. m. § 296 Abs. 1 und Abs. 4 ZPO hingewiesen. Nach Fristablauf erhobene Einwendungen der Beklagten gegen das Gutachten sind daher präkludiert (§ 411 Abs. 4 i. V. m. § 296 Abs. 1 ZPO).
III.
1.
Aufgrund der Zurückweisung der Berufung der Beklagten durch diesen Beschluss verliert die vom Kläger erhobene Anschlussberufung - wie bereits im Hinweisbeschluss des Senats ausgeführt - gemäß § 524 Abs. 4 ZPO ihre Wirkung.
2.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Beklagte hat auch die Kosten der Anschlussberufung zu tragen. Es ist keine Kostenteilung gemäß § 92 Abs. 1 ZPO im Verhältnis der Streitwertanteile von Berufung und Anschlussberufung vorzunehmen.
Wem die Kosten der nach § 524 Abs. 4 ZPO wirkungslos gewordenen Anschlussberufung aufzuerlegen sind, ist in der Zivilprozessordnung nicht speziell geregelt, so dass die allgemeinen Vorschriften der §§ 91 ff. ZPO maßgeblich sind. Dabei wird in Rechtsprechung und Literatur nicht einheitlich beurteilt, ob die Kosten der Anschlussberufung dem Berufungskläger aufzuerlegen sind oder nach § 92 Abs. 1 ZPO eine Kostenquotelung vorzunehmen ist (vgl. zu den Einzelheiten des Meinungsstreits OLG Frankfurt, Beschluss vom 18.07.2018 - 13 U 236/16 - juris Rn. 5; OLG Rostock, Beschluss vom 21.12.2018 - 1 U 25/17 - juris Rn. 53, 67 jeweils m. w. N.).
Der Senat schließt sich der erstgenannten Auffassung an. Die Anschlussberufung ist kein eigenes Rechtsmittel, sondern nur ein Angriff innerhalb des vom Berufungskläger eingelegten Rechtsmittels. Im Falle der Rücknahme der Berufung sind gemäß § 516 Abs. 3 ZPO einem Berufungskläger in der Regel auch die Kosten einer zulässig erhobenen Anschlussberufung aufzuerlegen, wenn diese ihre Wirkung verliert; etwas anderes gilt nur ausnahmsweise, z. B. wenn über die Anschlussberufung entschieden wird oder wenn die Rücknahme der Berufung die Einwilligung des Anschlussberufungsklägers voraussetzt (vgl. BGH, Beschluss vom 07.02.2006 - XI ZB 9/05 - juris Rn. 6). Dies gilt auch dann, wenn der Berufungsrücknahme ein gerichtlicher Hinweis gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO vorausgegangen ist (BGH a. a. O., juris Rn. 7). Ein sachlicher Grund dafür, den Anschlussberufungskläger im Falle der Zurückweisung der Berufung durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO kostenrechtlich schlechter zu stellen als im Falle der Rücknahme der Berufung durch den Berufungskläger auf einen Hinweisbeschluss des Gerichts nach § 522 Abs. 2 ZPO, ist nicht ersichtlich.
Nach der Gegenansicht stände es indes letztlich im Belieben des Berufungsklägers, zu entscheiden, ob im Rahmen des § 522 Abs. 2 ZPO unter Verzicht auf die Gebührenreduzierung i. S. d. Nr. 1222 des KV Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG durch die Herbeiführung einer Sachentscheidung des Gerichts über seine Berufung, der Anschlussberufungskläger quotal mit den Rechtsmittelkosten belastet werden soll - wenngleich über die Anschlussberufung keine Sachentscheidung ergeht - ggf. mit der Folge, dass eine Sachentscheidung über sein Rechtsmittel für den Berufungskläger sogar im Ergebnis kostengünstiger wäre.
3.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
4.
Der Streitwert war gem. §§ 45, 47, 48 GKG i. V. m. §§ 3 ZPO auf 33.620,- EUR festzusetzen (26.896,- EUR Berufung zzgl. 6.724,- EUR Anschlussberufung).