Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 26.11.2019, Az.: 1 W 82/19

Voraussetzungen einer Gerichtsstandsbestimmung durch ein Oberlandesgericht; Fehlende Mitteilung einer Unzuständigkeitserklärung an eine Prozesspartei

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
26.11.2019
Aktenzeichen
1 W 82/19
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 53640
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2019:1126.1W82.19.00

Verfahrensgang

vorgehend
AG Göttingen - AZ: 18 C 184/19

Fundstellen

  • FA 2020, 48
  • NJW-RR 2020, 317-318

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Fehlt es an einer rechtskräftigen Unzuständigkeitserklärung im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO, weil diesbezügliche Beschlüsse den Parteien nicht mitgeteilt worden sind, findet eine Bestimmung des zuständigen Gerichts nicht statt (Anschluss an BGH, Beschluss vom 4. Juni 1997 - XII ARZ 13/97 -, NJW-RR 1997, S. 1161; Beschluss vom 22. Februar 1995 - XII ARZ 2/95 -, NJW-RR 1995, S. 641)

  2. 2.

    Ist außergerichtlich zunächst ein höherer Betrag geltend gemacht wor-den, so ist zu der später eingeklagten (geringeren) Hauptforderung nur der Teil der außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten als streitwerter-höhende Hauptforderung hinzuzurechnen, der sich nicht auf die einge-klagte Hauptforderung bezieht; der andere Teil der außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten stellt eine Nebenforderung im Sinne des § 4 ZPO dar (Anschluss an BGH, Beschluss vom 17. Februar 2009 - VI ZB 60/07 -, juris, Rn. 4, 6 = NJW-Spezial 2009, S. 380; Beschluss vom 26. März 2013 - VI ZB 53/12 -, NJW 2013, S. 2123 [2124 Rn. 6]).

  3. 3.

    Eine Abgabe vor Zustellung der Klage ist keine Verweisung im Sinne des § 281 Abs. 1 ZPO und entfaltet keine Bindungswirkung (Anschluss an OLG Hamm, Beschluss vom 15. Mai 2017 - 32 SA 19/17 -, juris, Rn. 19).

Tenor:

Die Bestimmung des zuständigen Gerichts wird abgelehnt.

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung von Restwerklohn für Bauleistungen und auf Zahlung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Anspruch.

Mit Schlussrechnung vom 3. April 2019 stellte die Klägerin der Beklagten 87.764,02 € abzüglich eines Abschlags von 68.265,43 € in Rechnung, mithin 19.498,59 € (Bl. 60-64 d.A.). Darauf zahlte die Beklagte 12.587,01 €. Den verbleibenden Betrag von 6.911,58 € machte die Klägerin mit außergerichtlichem anwaltlichem Schreiben vom 12. Juni 2019 geltend (Bl. 65 f. d.A.).

Mit der Klage macht die Klägerin 4.304,99 € nebst Zinsen (Klageantrag zu 1.) sowie weitere 746,73 € für außergerichtliche Rechtsanwaltskosten (Klageantrag zu 2.) geltend. Der mit Klageantrag zu 1. geforderte Betrag ergebe sich daraus, dass von dem Gesamtbetrag ein Nachlass von 1 % abgezogen worden sei, so dass sich (87.764,02 € - 8.776,40 € =) 86.886,38 € ergäben. Ein darauf bezogener Gewährleistungseinbehalt von 3 % betrage 2.606,59 €, so dass sich die eingeklagten (6.911,58 € - 2.606,59 € =) 4.304,99 € ergäben. Den Betrag des Klageantrags zu 2. errechnet die Klägerin aus einem Gegenstandswert von 6.911,58 €.

Mit Beschluss vom 30. August 2019 (Bl. 132 d.A.) setzte das Amtsgericht den Streitwert vorläufig auf 5.051,72 € fest. Der in Klageantrag zu 2. geltend gemachte Betrag stelle keine Nebenforderung zu dem im Klageantrag zu 1. geltend gemachten Betrag dar; die Forderung, auf die sich der Klageantrag zu 2. beziehe, habe seinerzeit 6.911,58 € betragen, eine solche Hauptforderung werde mit der Klage aber nicht geltend gemacht.

Auf Verweisungsantrag der Klägerin erklärte sich das Amtsgericht mit Beschluss vom 3. September 2019 (Bl. 134 d.A.) für unzuständig und gab den Rechtsstreit an das Landgericht ab.

Mit Beschluss vom 9. Oktober 2019 (B. 137-140 d.A.) lehnte das Landgericht die Übernahme des Verfahrens ab. Der vom Amtsgericht angenommene Zuständigkeitsstreitwert sei evident falsch; der Werklohnanspruch, den die Klägerin zunächst außergerichtlich geltend gemacht habe, sei lediglich betragsmäßig um den Nachlass und den Gewährleistungseinbehalt reduziert worden. Die Nichtanwendung des § 4 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO stelle sich daher als willkürlich dar. Selbst wenn man die außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten bezogen auf den nicht eingeklagten Teilbetrag von 2.606,59 € als Hauptforderung ansähe, überschritte der Streitwert die Schwelle von 5.000,00 € nicht.

Die Akte ist mit Schreiben der Geschäftsstellenbeamtin des Amtsgerichts vom 22. Oktober 2019 "gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO" dem Oberlandesgericht übersandt worden; eine entsprechende Verfügung findet sich in der Akte nicht.

Die Parteien haben sich gegenüber dem Oberlandesgericht den Ausführungen des Landgerichts angeschlossen. Die Klage ist noch nicht zugestellt.

II.

Die Voraussetzungen einer Gerichtsstandsbestimmung durch das Oberlandesgericht liegen nicht vor.

1. Der Beschluss des Amtsgerichts vom 3. September 2019 stellt keine rechtskräftige Unzuständigkeitserklärung im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO dar, weil er nur der Klägerin - nicht aber der Beklagten - mitgeteilt worden ist. Dasselbe gilt für den Beschluss des Landgerichts vom 9. Oktober 2019, den das Landgericht keiner der Parteien mitgeteilt hat. Nicht verkündete Beschlüsse sind gemäß § 329 Abs. 2 ZPO den Parteien formlos mitzuteilen. Ist eine solche Mitteilung unterblieben, handelt es sich lediglich um einen akteninternen Vorgang, der gegenüber den Parteien rechtlich nicht wirksam ist; eine Bestimmung des zuständigen Gerichts findet in derartigen Fällen nicht statt (st. Rspr., BGH, Beschluss vom 4. Juni 1997 - XII ARZ 13/97 -, NJW-RR 1997, S. 1161 [Ziff. II.1]; Beschluss vom 22. Februar 1995 - XII ARZ 2/95 -, NJW-RR 1995, S. 641 [Ziff. II.2]; Patzina, in: MüKo ZPO, 5. Auflage 2016, § 36, Rn. 39 m.w.N.).

2. Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass das Amtsgericht für das weitere Verfahren zuständig ist. Weder liegt der Streitwert über 5.000,00 € (a), noch ist das Landgericht gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO zuständig geworden (b).

a) Der Streitwert liegt nicht über der Schwelle von 5.000,00 € des § 23 Nr. 1 GVG i.V.m. §§ 2, 4 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO.

Ist außergerichtlich zunächst ein höherer Betrag geltend gemacht worden (hier 6.911,58 €), so ist zu der später eingeklagten Hauptforderung (hier 4.304,99 €) nur der Teil der außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten als streitwerterhöhende Hauptforderung hinzuzurechnen, der sich nicht auf die eingeklagte Hauptforderung bezieht; der andere Teil der außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten stellt eine Nebenforderung im Sinne des § 4 ZPO dar (BGH, Beschluss vom 17. Februar 2009 - VI ZB 60/07 -, juris, Rn. 4, 6 = NJW-Spezial 2009, S. 380; Beschluss vom 26. März 2013 - VI ZB 53/12 -, NJW 2013, S. 2123 [2124 Rn. 6]).

Unabhängig davon, wie man in einem solchen Fall der Kostenerstattungsanspruch berechnet (zum Meinungsstand siehe Schneider, in: Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 2. Auflage 2017, § 43 GKG, Rn. 29-39 m.w.N.), wird hier - jeweils auf Basis der von der Klägerin angenommenen 1,5-fachen Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 KV RVG - ein Streitwert von 5.000,00 € nicht überschritten:

Berücksichtigte man die gesamten außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten abzüglich der Kosten, die separat berechneten auf den anhängig gewordenen Teil der Forderung entfallen (so das Landgericht in seinem Beschluss vom 9. Oktober 2019; so auch KG, Beschluss vom 18. Februar 2008 - 2 AR 7/08 -, NJW-RR 2008, S. 879; Herget, in: Zöller, ZPO, 33. Auflage 2020, § 4, Rn. 13, "Differenzmethode"), wirkten (746,73 € - [1,5 x 303,00 € + 20,00 €] x 1,19 =) 182,07 € streitwerterhöhend.

Berechnete man die außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten bezogen auf den nicht anhängig gewordenen Teil der Forderung separat (so LG Saarbrücken, Urteil vom 1. Juni 2018 - 13 S 151/17 -, NJW-RR 2018, S. 1339 [S. 1341 Rn. 22] m.w.N.; Schneider, in: Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 2. Auflage 2017, § 43 GKG, Rn. 29-32; ders., in: NJW-Spezial 2018, S. 636 [OLG Frankfurt am Main 01.08.2018 - 2 WF 196/18]), mithin bezogen auf einen Gegenstandswert von (6.911,58 € - 4.304,99 € =) 2.606,59 €, wären ([1,5 x 201,00 € + 20,00 €] x 1,19 =) 382,59 € streitwerterhöhend zu berücksichtigen.

Quotelte man nach Streitwertanteilen, betrüge der als streitwerterhöhend zu berücksichtigende Teil der außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten (746,73 € : 6.911,58 € x 2.606,59 € =) 281,62 €.

b) Eine Zuständigkeit des Landgerichts ergibt sich auch nicht aus § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO. Die Frage der Willkür kann hier dahinstehen, da die vom Amtsgericht vorgenommene Abgabe vor Zustellung der Klage keine Verweisung im Sinne des § 281 ZPO ist. Ein Gericht, das sich für unzuständig hält, kann die Anhängigkeit des Rechtsstreits bei einem anderen Gericht nur dadurch herbeiführen, dass es den Rechtsstreit gemäß § 281 Abs. 1 ZPO verweist. Eine Begründung der Anhängigkeit bei einem anderen Gericht in anderer Form - etwa durch Abgabe - sieht das Gesetz nicht vor; eine Abgabe entfaltet keine Bindungswirkung (vgl. Bacher, in: Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, 34. Edition, Stand: 01.09.2019, § 281, Rn. 3 f.; OLG Hamm, Beschluss vom 15. Mai 2017 - 32 SA 19/17 -, juris, Rn. 19).