Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 18.01.2011, Az.: 1 A 1736/10
Elementare Rechte eines Ratsmitgliedes
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 18.01.2011
- Aktenzeichen
- 1 A 1736/10
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 11591
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOLDBG:2011:0118.1A1736.10.0A
Rechtsgrundlagen
- § 44 NGO
- § 11 Abs. 2 GO
- § 11 Abs. 5 GO
Verfahrensgegenstand
Rederecht
In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Oldenburg - 1. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 18. Januar 2011
durch
...
für Recht erkannt:
Tenor:
Es wird festgestellt, dass der Beklagte gegen Beteiligungsrechte des Klägers verstoßen hat, als er dem Kläger zu TOP 17 der Ratssitzung der Stadt Cloppenburg am 14. Juni 2010 nicht das Wort erteilte.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger ist Mitglied des Rates der Stadt Cloppenburg und Vorsitzender einer Fraktion. Der Beklagte ist Ratsvorsitzender. Der Kläger wirft dem Beklagten vor, ihm in einer Ratssitzung das Rederecht vorenthalten zu haben.
Am 14. Juni 2010 wurde auf der Sitzung des Rates der Stadt Cloppenburg unter dem Tagesordnungspunkt 17 die "Sicherung und Erweiterung der Hortgruppe St. Andreas" behandelt. Der zugrundeliegende Antrag war von der Fraktion des Klägers zusammen mit zwei weiteren Fraktionen eingebracht worden. Da der Verwaltungsausschuss sich mit der Angelegenheit noch nicht befasst hatte, wurde unter TOP 2 zur Feststellung der Tagesordnung der Sitzung beantragt, die Ratssitzung für eine Verwaltungsausschusssitzung zu unterbrechen. Mit Mehrheit lehnte der Rat der Stadt diese Änderung der Tagesordnung ab.
Nach Aufruf des Tagesordnungspunktes 17 wurde zunächst einer Unterzeichnerin des Antrages das Wort erteilt. Dann führte der Bürgermeister aus, dass der Rat ohnehin keinen Beschluss fassen könne, weil der Verwaltungsausschuss noch nicht beraten habe. Der Antrag werde für die nächste Tagesordnung des Verwaltungsausschusses vorgesehen und könne dann im Rat weiter behandelt und dort abschließend beschlossen werden. Im Übrigen werde mit Eiltempo nach Lösungsmöglichkeiten für die Verlängerung der Hortgruppe gesucht. Man sei auch auf einem guten Wege. Daraufhin meldete sich der Kläger, um seinerseits eine Stellungnahme zu diesem Tagesordnungspunkt abzugeben. Ausweislich des Protokolls wies der Beklagte als Ratsvorsitzender die Wortmeldung zurück. Er lasse keine weiteren Redebeiträge mehr zu, da die weitere Beratung in der nächsten Sitzung erfolgen könne. Der Antrag sei bereits begründet und der Bürgermeister habe die Begründung durch Ausführungen ergänzt. Der Kläger verlangte erneut das Wort.
Der Beklagte bekräftigte seine Weigerung, dass er weitere Wortbeiträge nicht mehr zulassen werde, um während der laufenden Verhandlungen Schaden von der Stadt fernzuhalten.
Der Kläger beschimpfte daraufhin den Beklagten und verließ mit anderen Ratsmitgliedern den Sitzungssaal. Der Kläger hat sich wegen der Beleidigung des Beklagten öffentlich entschuldigt. Der Beklagte hat die Entschuldigung nicht angenommen. Die Vorgänge in der Sitzung des Rates der Stadt haben ein erhebliches Presseecho gefunden.
Am 7. Juli 2010 hat der Kläger Klage erhoben, um die Rechtswidrigkeit des Verhaltens des Beklagten feststellen zu lassen. Die Sicherung und Erweiterung der Hortgruppe ist nach Vorbefassung im Verwaltungsausschuss auf der Sitzung des Rates der Stadt am 20. September 2010 erneut zur Verhandlung gekommen. Der Kläger hat dort zur Sache sprechen können.
Zur Begründung seiner Klage macht der Kläger im Wesentlichen geltend, dass der Beklagte ihm das Rederecht habe gewähren müssen. Durch seine Äußerung unter TOP 2 zur Feststellung der Tagesordnung sei sein Rederecht nicht verbraucht. Der Antrag sei nur von einer der insgesamt drei Unterzeichner begründet worden. Da der Antrag jedoch auch von seiner Fraktion eingebracht worden sei, hätte auch ihm ein Rederecht zugestanden. Es stehe dem Beklagten nicht zu, Ratsmitgliedern das Wort zu verweigern, weil durch den Redebeitrag angeblich Schaden für die Stadt entstehe. Eine Unterbrechung und Fortsetzung in der nächsten Ratssitzung sei in der Geschäftsordnung nicht für Fälle vorliegender Art vorgesehen. Eine Vertagung sei nicht beantragt worden. Die vom Beklagten angenommene stillschweigende mehrheitliche Zustimmung sei rechtlich ohne jeden Belang. Der Beklagte habe seine Rechte als Mitglied des Rates vorsätzlich verletzt. Da er nach wie vor auf seinem Rechtsstandpunkt beharre, sei auch in Zukunft damit zu rechnen, dass er sich vorbehalte, Ratsmitgliedern das Wort zu verweigern. Im Übrigen bestehe wegen des großen Presseechos ein erhebliches Rehabilitationsinteresse.
Der Kläger beantragt,
festzustellen, dass der Beklagte gegen Beteiligungsrechte des Klägers verstoßen hat, als er dem Kläger zu TOP 17 der Ratssitzung der Stadt Cloppenburg am 14. Juni 2010 nicht das Wort erteilte.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Seiner Ansicht nach sei die Fortführung der Debatte zum Tagesordnungspunkt 17 nach der Stellungnahme des Bürgermeisters nicht mehr zielführend gewesen. Ohne vorherige Befassung des Verwaltungsausschusses hätte ohnehin kein Beschluss gefasst werden können. Nach der Begründung des Antrages durch eine Unterzeichnerin und der Stellungnahme des Bürgermeisters habe kein Bedarf mehr für zusätzliche Diskussion bestanden. Weitere Befassung mit der Sache durch Beteiligung des Klägers hätte die anstehenden aussichtsreichen Verhandlungen erheblich stören können. Es sei deshalb im Interesse der Stadt gewesen, die Beratung zu beenden. Dem Kläger sei nicht das Wort verweigert, sondern sein Beitrag sei lediglich auf die nächste Sitzung verschoben worden. Der Kläger und die den Antrag unterstützenden Fraktionen hätten ausreichend Gelegenheit gehabt, ihren Standpunkt in der nächsten Ratssitzung, der vom Verwaltungsausschuss vorbereitet worden sei, darzulegen. Im Übrigen habe der Kläger schon zu TOP 2 gesprochen, als es um die Festsetzung der Tagesordnung und insbesondere um die Behandlung des Tagesordnungspunktes 17 gegangen sei. Er habe sich mit seinem Verhalten in Übereinstimmung mit der stillschweigenden Mehrheit der Ratsmitglieder gesehen. Ein Rehabilitationsinteresse des Klägers sei nicht zu erkennen. Von einer Wiederholungsgefahr könne nicht ausgegangen werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf die Gerichtsakte und auf die vorgelegten Verwaltungsvorgänge, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist als Kommunalverfassungsstreit zwischen Angehörigen eines Organs einer Gemeinde statthaft, zulässig und begründet.
Der Kläger hat das auch für den Kommunalverfassungsstreit erforderliche Feststellungsinteresse.
Der Beklagte bestreitet die behauptete Rechtsverletzung, so dass eine gerichtliche Entscheidung notwendig ist. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch in Zukunft dem Kläger in Ratssitzungen das Rederecht versagt wird. Außerdem ist dem Kläger schon wegen des erheblichen Aufsehens in der Lokalpresse an einer gerichtlichen Klärung gelegen.
Der Beklagte als Ratsvorsitzender hat seine ihm durch Geschäftsordnung und NGO zugewiesenen Befugnisse überschritten, als er - ohne entsprechenden Ratsbeschluss - die Diskussion über den Tagesordnungspunkt 17 "Sicherung und Erweiterung der Hortgruppen St. Andreas" für beendet erklärte und dem Kläger das Wort verweigerte.
Zu den elementaren Rechten eines Ratsmitgliedes gehört neben dem Recht auf Teilnahme an Wahlen und Abstimmung auch das Rederecht. Durch Diskussionsbeiträge und mündliche Antragsbegründungen kann das Ratsmitglied andere Mitglieder überzeugen und für seine Sache gewinnen. Die Rede in der Ratssitzung kann durch eine ausführliche schriftliche Antragsbegründung nicht ersetzt werden, wenn das Ratsmitglied die mündliche Erörterung wünscht. Im Interesse einer effektiven Ratsarbeit kann aber das Rederecht des einzelnen Ratsmitgliedes beschränkt werden. Soweit dazu nicht zwingende Vorschriften der NGO bestehen, hat der Rat dabei einen weiten Gestaltungsspielraum, der insbesondere in der Geschäftsordnung seinen Ausdruck findet (Wefelmeier in KVRNGO § 39 Rn. 12).
Der Ratsvorsitzende hat insoweit Einfluss auf die Ausübung des Rederechts, als ihm gemäß § 44 NGO die Sitzungsleitung obliegt. Er eröffnet und schließt die Sitzung des Rates, sorgt für die Aufrechterhaltung der Ordnung und übt das Hausrecht aus. Nähere Bestimmungen zur Sitzungsordnung, Sitzungsleitung und Redeordnung enthält die Geschäftsordnung des Rates der Stadt Cloppenburg vom 12. November 2001 mit der Änderung vom 18. Februar 2002 (GO). Nach § 5 Abs. 4 GO eröffnet der Ratsvorsitzende über jeden Punkt der Tagesordnung die Beratung. Er erklärt die Beratung für abgeschlossen und eröffnet die Abstimmung oder die Wahl erst dann, wenn keine Wortmeldung mehr vorliegt. Zur Ausübung und Ordnung des Rederechts sind in § 8 GO weitere Bestimmungen getroffen worden. Danach dürfen Ratsmitglieder nur sprechen, wenn der Ratsvorsitzende ihnen das Wort erteilt hat. Wortmeldungen erfolgen durch Handaufheben. Der Ratsvorsitzende erteilt das Wort in der Reihenfolge der Wortmeldungen, bei gleichzeitiger Meldung nach pflichtgemäßem Ermessen. Jedes Ratsmitglied darf grundsätzlich zu einem Antrag nur einmal sprechen.
Weder die Geschäftsordnung noch die NGO enthalten die Befugnis des Ratsvorsitzenden, die Beratung ohne einen Geschäftsordnungsantrag zum Schluss der Debatte zu beenden, wenn noch Wortmeldungen vorliegen. Der Ratsvorsitzende kann nach § 11 Abs. 2 GO einem Redner zwar das Wort entziehen, wenn er vom Verhandlungsgegenstand abweicht oder sich mehrfach wiederholt. Er kann nach § 11 Abs. 5 GO auch die Sitzung unterbrechen oder nach dreimaligen Aufruf schließen, wenn die nötige Ruhe und Ordnung nicht herzustellen ist. Darum geht es hier aber nicht. Für die Ablehnung einer erstmaligen Wortmeldung durch den Ratsvorsitzenden ist in der Geschäftsordnung keine Rechtsgrundlage enthalten.
Für einen faktischen Schluss der Debatte und damit für die Verweigerung des Rederechts, wie der Beklagte sie hier ausgeübt hat, geben weder die GO noch die Niedersächsische Gemeindeordnung etwas her. Insbesondere ist es nicht Aufgabe des Ratsvorsitzenden, darüber zu entscheiden, ob und inwieweit zu erwartende Redebeiträge Schaden für die Gemeinde verursachen werden. Es ist auch nicht Sache des Ratsvorsitzenden, darüber zu befinden, ob weitere Redebeiträge "zielführend" sind. Allenfalls der Rat als Plenum kann mit Mehrheit den Schluss der Debatte beschließen. Dazu ist ein Beschluss des Rates erforderlich. Ein "stillschweigendes Einverständnis", das der Beklagte festgestellt haben will, reicht nicht.
Auch wenn der eingebrachte Antrag von der Ratsfrau Klaus begründet worden war und der Bürgermeister sich in der Sache geäußert hatte, bestand keine Rechtsgrundlage für den Beklagten, den Kläger an seiner Begründung zu hindern. Das Rederecht des Klägers bestand unabhängig davon, ob Ratsmitglieder aus einer anderen Fraktion schon von ihrem Rederecht Gebrauch gemacht hatten. Die GO enthält in § 8 Abs. 7 nur die Beschränkung, dass jedes Ratsmitglied zu einem Beratungsgegenstand nur einmal sprechen darf. Der Kläger hatte aber noch gar nicht geredet. Ihm ging es um die erstmalige Begründung des Antrages aus seiner und seiner Fraktion Sicht. Seine Stellungnahme zu TOP 2, nämlich zur Feststellung, dass der Antrag zur Hortgruppe zur Tagesordnung gehört, erschöpft sein Rederecht zur Sache nicht.
Eine Vertagung eines Beratungsgegenstandes auf eine zukünftige Sitzung kann zwar vom Rat beschlossen werden. Die GO sieht in § 7 Abs. 1 die Vertagung als zulässigen Antrag vor. Der Rat, aber nicht der Ratsvorsitzende, kann entscheiden, dass die Beratung zu einem anderen Zeitpunkt fortgesetzt werden soll. Eine Vertagung ohne Ratsbeschluss kommt einer Versagung des Rederechts gleich, weil die Diskussion im Rat vor dem jeweils aktuellen Sachstand gesehen werden muss, der zur künftigen Ratssitzung ein ganz anderer sein kann. Deshalb kann der Beklagte sein Vorgehen nicht damit rechtfertigen, er habe den Kläger nicht an der Begründung seines Antrages hindern, sondern lediglich den Zeitpunkt ändern wollen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11 ZPO.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil ist die Berufung nur eröffnet, wenn sie von dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Lüneburg zugelassen worden ist.
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