Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 06.08.2010, Az.: 13 A 3067/09
Arbeitgeber; Arbeitsgericht; Integrationsamt; Kündigung; Kündigungsgrund; Prüfungsmaßstab; Sachvortrag; Schutzzweck; Schwerbehinderter; schwerbehinderter Mensch; Unwirksamkeit; verhaltensbedingte Kündigung; vorgeschobener Grund; vorgeschobener Kündigungsgrund; Zustimmung
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 06.08.2010
- Aktenzeichen
- 13 A 3067/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 47989
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 85 SGB 9
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Erfolgt die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten aus einem verhaltensbedingten Grund, der nicht mit der Behinderung im Zusammenhang steht, kann das Integrationsamt bei der Prüfung, ob die Zustimmung zu erteilen ist, vom Sachvortrag des Arbeitgebers ausgehen. Eine Ausnahme hiervon kommt dann in Betracht, wenn die Kündigung arbeitsrechtlich offensichtlich unwirksam oder der vom Arbeitgeber genannte Kündigungsgrund offensichtlich "vorgeschoben" ist.
2. Nach dem Schutzzweck des SGB IX ist es nicht Aufgabe des Integrationsamtes, sondern der Arbeitsgerichte, den Schwerbehinderten vor "vorgeschobenen" Kündigungsgründen zu schützen.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die erstattungsfähig sind; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer vom Beklagten erteilten Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des schwerbehinderten Klägers.
Der am … 1962 geborene Kläger war seit dem 1. August 1979 bei der Beigeladenen bzw. deren Rechtsvorgängerin, zuletzt als Prokurist und Bereichsleiter in der Niederlassung L., beschäftigt. Ab dem 28. Mai 2002 war er aufgrund einer schweren Krebserkrankung arbeitsunfähig krank. Am 10. Dezember 2002 bescheinigte das Versorgungsamt dem Kläger rückwirkend zum 21. August 2002 eine Schwerbehinderung mit einem Grad der Behinderung von 100.
Während der Arbeitsunfähigkeit des Klägers kam es am 28. Februar 2003 am Hauptsitz der Beigeladenen in B. zu einer Besprechung zwischen der Geschäftsleitung der Beigeladenen und dem Kläger, bei der dem Kläger vorgeworfen wurde, er habe an einen Kunden Ware übergeben bzw. die Übergabe durch Mitarbeiter der Beigeladenen veranlasst, ohne dass diese Ware von dem Kunden bezahlt und der Vorgang buchhalterisch im Betrieb der Beigeladenen erfasst worden sei. Zu einem weiteren, für den 5. März 2003 vereinbarten Gespräch, bei dem der Kläger eine Aufklärung des Sachverhalts vornehmen wollte, kam es aufgrund seiner Erkrankung nicht. Am Folgetag fuhr der Kläger zur Kur. Die Beigeladene erteilte dem Kläger noch am selben Tag ein Haus- und Hofverbot.
Mit Schreiben vom 13. März 2003 sprach die Beigeladene dem Kläger die außerordentliche Kündigung aus. Diese wurde auf den dringenden Verdacht einer arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung, nämlich die dem Kläger vorgeworfene Untreue, gestützt. Gegen diese Kündigung erhob der Kläger Klage vor dem Arbeitsgericht Osnabrück. Da in Unkenntnis der Schwerbehinderteneigenschaft keine vorherige Zustimmung des Beklagten zur Kündigung eingeholt worden war, nahm die Beigeladene die Kündigung zurück.
Am 23. Mai 2003 beantragte die Beigeladene beim Integrationsamt des Beklagten aufgrund desselben Sachverhaltes die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des mit dem Kläger bestehenden Arbeitsverhältnisses. Der Kläger habe die ihm bereits am 28. Februar 2003 eröffneten Vorwürfe bislang nicht entkräften können. Er habe zwar erklärt, dass auf Bitten eines Kunden andere Waren geliefert worden seien, als die, die tatsächlich auf der Rechnung ausgewiesen waren. Eine durch den Geschäftsführer in der 20. Kalenderwoche (= 12. bis 18. Mai 2003) vorgenommene eingehende Überprüfung aller Belege habe aber diese Aussage nicht bestätigt, da Rechnungsstellungen an den Kunden, die mit den vorliegenden Lieferscheinen nicht übereinstimmen, nicht gefunden werden konnten. Damit habe sich der Verdacht, auf dem die Kündigung vom 13. März 2003 gestützt war, erhärtet. Ihre Mitarbeiter hätten Listen erstellt, aus denen sich Waren ergäben, die vom Kläger ohne Lieferschein bzw. Verkaufsunterlagen ausgehändigt worden seien. Sie - die Beigeladene - habe hieraus Aufstellungen erstellen lassen, die die einzelnen Waren mit jeweiligen Abholdaten beinhalten. Daraus ergebe sich, dass Veruntreuungen durch den Kläger zu einem Schaden in Höhe von 130.595,20 Euro geführt hätten. Ihr Geschäftsführer habe erst am 16. Mai 2003 sichere Kenntnis von dem Fehlbetrag erlangt. Die beabsichtigte Kündigung stehe in keinem Zusammenhang mit der Behinderung des Klägers.
In dem von dem Beklagten durchgeführten Anhörungsverfahren erhob der Kläger Einwendungen und erklärte: Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe träfen nicht zu. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses werde aus wirtschaftlichen Gründen verfolgt. Nach seiner Kenntnis habe sich die Beigeladene entschlossen, sich von einigen langjährigen Führungskräften zu trennen. Dies beträfe auch weitere Betriebs- oder Regionalverkaufsleiter. Die Beigeladene habe schon im Vorfeld vergeblich versucht, ihn dazu zu bewegen, einen neuen, für ihn nachteiligen Anstellungsvertrag zu unterschreiben, mit dem sein 25-jähriges unbefristetes Arbeitsverhältnis in ein bis zum 31. Dezember 2003 befristetes Arbeitsverhältnis umgewandelt werden solle. Dieser Vertrag sei auf den 7. Januar 2002 rückdatiert und ihm erst am 20. September 2002 überreicht worden, als bereits bekannt gewesen sei, dass er schwer erkrankt sei. Die Beigeladene habe sich von einem für sie teuren und nun eventuell unbequemen und sich betriebswirtschaftlich nicht mehr rechnenden Mitarbeiter trennen wollen und mit diesem Ziel zu Unrecht Vorwürfe erhoben.
Trotz der Einwendungen des Klägers erteilte der Beklagte mit Bescheid vom 4. Juni 2003 die beantragte Zustimmung.
Die Beigeladene erklärte dem Kläger daraufhin am 10. Juni 2003 die außerordentliche Kündigung seines Arbeitsverhältnisses. Hiergegen erhob der Kläger Kündigungsschutzklage, die nach Durchlaufen des gesamten arbeitsgerichtlichen Instanzenzuges (ArbG Os., Urt. v. 14.10.2004 - 1 Ca 346/03 -; LAG Nds., Urt. v. 16.09.2005 - 16 Sa 225/05 -; BAG, Beschl. v. 02.02.2006 - 2 AZN 1039/05 -; BAG, Beschl. v. 01.02.2007 - 2 AZR 333/06 -; LAG Nds., Beschl. v. 08.10.2008 - 16 Sa 898/07 -; BAG, Beschl. v. 26.03.2009 - 2 AZN 1135/08 -) insoweit Erfolg hatte, als festgestellt worden ist, dass das Arbeitsverhältnis der Beigeladenen mit dem Kläger durch die außerordentliche Kündigung nicht beendet worden ist.
In dem parallel dazu durchgeführten Widerspruchsverfahren gegen die Erteilung der Zustimmung zur Kündigung durch den Beklagten wandte der Kläger im Wesentlichen ein, die Frist des § 91 Abs. 2 SGB IX sei nicht eingehalten worden, weil die Beigeladene die Informationen, die sie zur Grundlage der Kündigung gemacht habe, bereits im März 2003 gehabt habe. Das Kündigungsbegehren sei auch unschlüssig, weil die ihm angelasteten Vorwürfe Tage beträfen, an denen er aufgrund seiner Krankheit nicht im Betrieb gewesen sei.
Der Widerspruchsausschuss des Beklagten wies den Widerspruch mit Bescheid vom 4. Mai 2004 zurück. Das hiergegen gerichtete verwaltungsgerichtliche Klageverfahren, das aufgrund der Anrufung des Bundesarbeitsgerichts zwischenzeitlich ausgesetzt worden war, wurde nach der rechtskräftigen Entscheidung im arbeitsgerichtlichen Verfahren eingestellt (vgl. Beschluss vom 25.03.2010 - 13 A 3071/09 -).
Bereits am 29. September 2005 beantragte die Beigeladene vorsorglich die Zustimmung des Beklagten zur ordentlichen Kündigung des Klägers. Der Sachverhalt, der zur Begründung der außerordentlichen Kündigung geltend gemacht worden sei, rechtfertige jedenfalls eine fristgerechte Kündigung als verhaltensbedingte Kündigung. Der Kläger habe mittlerweile auch einen neuen Arbeitsplatz bei der Firma … Bau… GmbH & Co. KG gefunden.
In dem von dem Beklagten durchgeführten Anhörungsverfahren verwies der Kläger im Wesentlichen auf das vorangegangene Verfahren. Darüber hinaus erklärte er: Die mittlerweile erfolgte Beweiserhebung habe bisher keinen der von der Beigeladenen erhobenen Vorwürfe bestätigt. Grund der Kündigung sei einzig und allein, dass er wegen seiner Behinderung und seines damals als wahrscheinlich geltenden Versterbens nicht mehr beschäftigt werden sollte. Seine hilflose Situation sei ausgenutzt worden, um Defizite im Inventurergebnis zu verschleiern. Die nunmehr beabsichtigte ordentliche Kündigung sei allein wegen des Zeitablaufs verspätet. Weil die Beigeladene die Kündigung sowie das Zustimmungsbegehren gegenüber dem Integrationsamt ausschließlich auf die außerordentliche Kündigung bezogen habe, sei das Recht zur ordentlichen Kündigung aus demselben Grund verwirkt. Sein Arbeitsverhältnis mit der Firma … Bau… GmbH & Co. KG sei nicht gesichert.
Mit Bescheid vom 28. November 2005 erteilte der Beklagte die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Beigeladenen mit dem Kläger. Zur Begründung wurde ausgeführt: Die Entscheidung über die Zustimmung zur Kündigung stehe im Ermessen des Integrationsamtes. Die Kündigung beruhe auf einem Verhalten des Klägers, das nicht in einem erkennbaren Zusammenhang zu seiner Behinderung stehe. Ob die vom Arbeitgeber behaupteten Tatsachen eine Kündigung rechtfertigten, sei grundsätzlich nicht zu prüfen, es sei denn, der Antrag des Arbeitgebers sei rechtsmissbräuchlich, weil Gründe für eine verhaltensbedingte Kündigung lediglich vorgeschoben würden. Anhaltspunkte hierfür seien nicht erkennbar. Sonstige besondere Gründe, die ein Aufrechterhalten des Beschäftigungsverhältnisses rechtfertigen könnten, lägen ebenfalls nicht vor. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger einen seiner Behinderung entsprechenden Arbeitsplatz ausschließlich im Betrieb des Arbeitgebers erhalten könne.
Am 1. Dezember 2005 erklärte die Beigeladene dem Kläger die ordentliche Kündigung seines Arbeitsverhältnisses. Dagegen erhob der Kläger Kündigungsschutzklage, auf die das Arbeitsgericht Osnabrück mit Urteil vom 6. Oktober 2009 feststellte, dass das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beigeladenen durch die Kündigung nicht aufgelöst worden ist (Az. 1 Ca 801/05). Über die gegen dieses Urteil erhobene Berufung der Beigeladenen hat das Landesarbeitsgericht noch nicht entschieden.
Den gegen den Bescheid vom 28. November 2005 eingelegten Widerspruch des Klägers wies der Widerspruchsausschuss des Beklagten mit Bescheid vom 28. Juli 2006 zurück. Zur Begründung wiederholte und vertiefte er im Wesentlichen die Ausführungen aus dem angefochtenen Bescheid und ergänzte: Ein Zusammenhang zwischen dem Kündigungsgrund - einer behaupteten Untreue zu Lasten der Beigeladenen - und der festgestellten Behinderung sei nicht erkennbar. Der Kläger habe im Widerspruchsverfahren die Kündigungsgründe lediglich pauschal als vorgeschoben bezeichnet. Hiergegen stehe jedoch der Sachvortrag der Beigeladenen, nach dem gegen den Widerspruchsführer mehrere Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden, der Kündigungsgrund danach also keinesfalls „aus der Luft gegriffen“ sei. Ein atypischer Fall liege nicht vor. Darauf, dass es bisher zu keiner Verurteilung wegen Veruntreuung gekommen sei, komme es für das vorliegende Verfahren nicht an. Das Integrationsamt nehme weder eine abschließende arbeitsrechtliche noch eine strafrechtliche Bewertung vor.
Der Kläger hat am 31. August 2006 unter Verweis auf seine bisherigen Ausführungen Klage erhoben.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 28. November 2005 und den Widerspruchsbescheid vom 28. Juli 2006 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist er auf seine Ausführungen im Widerspruchsverfahren und ergänzt: Die Beigeladene sei nicht gehindert gewesen, im Laufe des Verfahrens über die außerordentliche Kündigung einen wirksamen Antrag auf Zustimmung zur ordentlichen Kündigung aus denselben Kündigungsgründen zu stellen. Die Frage, ob diese Gründe verwirkt seien, sei ausschließlich vor dem Arbeitsgericht zu klären.
Die Beigeladene beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich im Wesentlichen auf die angefochtenen Entscheidungen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte in diesem Verfahren und in dem Verfahren 13 A 3071/09 sowie auf den Inhalt der Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Sie waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 28. November 2005 und sein Widerspruchsbescheid vom 28. Juli 2006 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Zustimmung des Beklagten zur Kündigung des Klägers beruht auf § 85 SGB IX. Danach bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten - diese Eigenschaft liegt beim Kläger unstreitig vor - durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes.
Der Beklagte hat vorliegend die Zustimmung zur beabsichtigten und inzwischen ausgesprochenen Kündigung des Klägers durch die Beigeladene in verfahrensrechtlicher Hinsicht in nicht zu beanstandender Weise erteilt.
Das Integrationsamt hat den Kläger ordnungsgemäß gem. § 87 Abs. 2 SGB IX beteiligt, indem es ihn unter dem 6. Oktober 2005 zur Stellungnahme zum Antrag der Beigeladenen auf Zustimmung zur Kündigung aufgefordert hat. Der Kläger hat diese Möglichkeit auch wahrgenommen, indem er sich unter dem 15. Oktober 2005 geäußert hat.
Da in dem Unternehmen der Beigeladenen ein Betriebsrat und eine Schwerbehindertenvertretung nicht vorhanden waren, bedurfte es insoweit keiner Beteiligung anderer Stellen.
Das Integrationsamt hat zwar entgegen § 87 Abs. 3 SGB IX nicht auf eine gütliche Einigung hingewirkt - möglicherweise deshalb, weil die Beteiligten hierauf im vorangegangenen Verfahren betreffend die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung verzichtet haben. Dies führt aber nicht zur Annahme eines Verfahrensfehlers, da § 87 Abs. 3 SGB IX nur auf eine allgemeine Amtspflicht des Integrationsamtes hinweist, ohne jedoch ein Verfahrensrecht der Beteiligten zu begründen. Ein Verstoß gegen diese Verpflichtung führt damit nicht zur Rechtswidrigkeit des Zustimmungsbescheids (Ernst/ Adlhoch/ Seel, Kommentar zum SGB IX, Bd. 2, Stand: August 2008, § 87 Rn. 33).
Auch die Überschreitung der in § 88 Abs. 1 SGB IX genannten Frist von einem Monat für die Entscheidung über den Antrag auf Zustimmung zur Kündigung vom Integrationsamt führt nicht zur Rechtswidrigkeit der getroffenen Entscheidung (Ernst/ Adelhoch/ Seel, a.a.O., § 88 Rn. 13; Düwell in LPK-SGB IX, § 88 Rn. 4).
Die angefochtene Zustimmung zur Kündigung ist auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Sie unterliegt als Ermessensentscheidung nur einer eingeschränkten verwaltungsgerichtlichen Überprüfbarkeit, § 114 VwGO.
Das Integrationsamt hat bei seiner Entscheidung das Interesse des Arbeitgebers an der Erhaltung seiner Gestaltungsmöglichkeiten gegen das Interesses des schwerbehinderten Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes abzuwägen (BVerwG, Urt. v. 19.10.1995 - 5 C 24.93 -, BVerwGE 99, 336). Dabei ist der Sinn und Zweck des SGB IX zu berücksichtigen, das nach § 1 SGB IX vor allem dazu dient, die Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe von Behinderten oder von Behinderung bedrohten Menschen am Leben in der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken. Der nach § 68 SGB IX als schwerbehindert anerkannte Mensch soll durch die Regelungen über den Kündigungsschutz in den §§ 85 ff SGB IX vor den besonderen Gefahren, denen er wegen seiner Beeinträchtigung auf dem Arbeitsmarkt ausgesetzt ist, bewahrt werden und es soll sichergestellt werden, dass er gegenüber dem gesunden Arbeitnehmer nicht ins Hintertreffen gerät (BVerwG, Urt. v. 12.01.1966 - 5 C 62.64 -, BVerwGE 23, 123).
Dagegen ist es grundsätzlich nicht Aufgabe des Integrationsamtes, bei seiner Entscheidung die allgemeinen sozialen Interessen des Schwerbehinderten, der zugleich Arbeitnehmer ist, zu wahren. Daher kann der Schwerbehinderte, wenn das Integrationsamt der Kündigung zugestimmt und der Arbeitgeber diese auch ausgesprochen hat, noch eine arbeitsgerichtliche Prüfung darüber herbeiführen, ob die Kündigung arbeitsrechtlich gerechtfertigt ist (BVerwG, Urt. v. 02.07.1992 - 5 C 51.90 -, BVerwGE 90, 287). Das Integrationsamt hat also nicht - etwa neben dem Arbeitsgericht - über die Frage der Sozialwidrigkeit der Kündigung zu befinden. Der besondere Kündigungsschutz nach dem SGB IX wird dem schwerbehinderten Arbeitnehmer zusätzlich zu seinem allgemeinen arbeitsrechtlichen Schutz gewährt. Daraus folgt, dass dann, wenn bei einer verhaltensbedingten Kündigung die vom Arbeitgeber behauptete Pflichtverletzung des schwerbehinderten Arbeitnehmers in keinem Zusammenhang mit der Behinderung steht, das Integrationsamt die Zustimmung zur Kündigung regelmäßig zu erteilen hat, ohne zu prüfen, ob der arbeitgeberseits vorgetragene Kündigungsgrund eine Kündigung tatsächlich rechtfertigt.
Allenfalls dann, wenn die beabsichtigte Kündigung nach arbeitsrechtlichen Vorschriften offensichtlich unwirksam ist, d.h. wenn die Unwirksamkeit der Kündigung „ohne jeden vernünftigen Zweifel in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht offen zu Tage liegt, sich jedem Kundigen geradezu aufdrängt“, ist der Zustimmungsantrag abzulehnen bzw. eine erteilte Zustimmung vom Gericht aufzuheben (vgl. BVerwG, Urt. 02.07.1992 - 5 C 51.90 -, a.a.O.), weil das Integrationsamt nicht an einer offensichtlich rechtswidrigen Kündigung zum Nachteil des Schwerbehinderten mitwirken soll.
Geht man hiervon aus, sind die angegriffenen Bescheide nicht zu beanstanden. Sowohl im angefochtenen Bescheid des Integrationsamtes als auch im angegriffenen Widerspruchsbescheid hat sich der Beklagte eingehend mit den widerstreitenden Interessen des Klägers und der Beigeladenen auseinandergesetzt.
Die Kammer folgt dabei der Annahme des Beklagten, dass ein Ursachenzusammenhang zwischen behinderungsbedingten Einschränkungen des Klägers und dem von der Beigeladenen geltend gemachten Kündigungsgrund nicht gegeben ist. Die Entscheidung, ob der Kündigungsgrund im Zusammenhang mit der Behinderung steht, ist auf der Grundlage des vom Arbeitgeber angegebenen Kündigungsgrundes zu treffen (vgl. BVerwG, Urt. v. 02.07.1992 - 5 C 39.90 -, BVerwGE 90, 275 zu § 21 Abs. 4 SchwbG a.F.). Die gegenüber dem Kläger ausgesprochene Kündigung erfolgte allein aus verhaltensbedingten Gründen. Bereits die erste von der Beigeladenen ausgesprochene Kündigung am 13. März 2003 erfolgte mit der Begründung eines dringenden Verdachts einer arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung in Form der Untreue durch den Kläger. Nachdem die Beigeladene im Rahmen des darauffolgenden Kündigungsschutzprozesses Kenntnis von der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers erlangt hatte, setzte sie in den danach eingeleiteten Zustimmungsverfahren ihr ursprüngliches Bestreben, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zu beenden, mit derselben Begründung wie bisher, dem Vorwurf der Untreue, fort. Während des gesamten Verfahrens hat die Beigeladene darauf hingewiesen, dass keine in der Behinderung selbst liegenden Gründe Ursache für die Kündigung gewesen seien.
Soweit der Kläger mit der Behauptung, die Beigeladene versuche ihn loszuwerden, indem sie den Vorwurf der Untreue konstruiere, geltend macht, der von der Beigeladenen genannte Kündigungsgrund sei nur vorgeschoben, wobei offen bleibt, ob die Kündigung seiner Auffassung nach lediglich aus allgemeinen wirtschaftlichen Gründen oder wegen seiner Erkrankung bzw. Behinderung erfolgt sei, verhilft dies der Klage ebenfalls nicht zum Erfolg.
Nach den bereits dargelegten Grundsätzen zum Schutzzweck des SGB IX ist es nicht Aufgabe des Integrationsamtes, sondern der Arbeitsgerichte, den Schwerbehinderten vor vorgetäuschten Kündigungsgründen zu schützen. Denn der nicht behinderte Arbeitnehmer ist der Gefahr, mit vorgetäuschten Kündigungsgründen überzogen zu werden, ebenso stark ausgesetzt wie der Schwerbehinderte, so dass es insoweit gerechtfertigt ist, den Schwerbehinderten wie jeden anderen Arbeitnehmer auf den repressiven Rechtsschutz durch die Arbeitsgerichte zu verweisen (BVerwG, Urt. v. 02.07.1992, - 5 C 39.90 -, a.a.O.).
Das Gericht vermag auch nicht zu erkennen, dass der von der Beigeladenen genannte Kündigungsgrund offensichtlich nicht gegeben ist. Denn immerhin reichten die von der Beigeladenen erhobenen Vorwürfe aus, um gegen den Kläger eine Anklageerhebung wegen Untreue in insgesamt 23 Fällen durch die Staatsanwaltschaft Oldenburg und in dessen Folge eine Eröffnung des Hauptverfahrens durch das Amtsgericht Cloppenburg zu erreichen, wobei letzteres voraussetzt, dass der Angeschuldigte hinreichend verdächtig ist, die ihm vorgeworfenen Taten begangen zu haben. Auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren, dem eine Widerklage des Klägers gegen die von der Beigeladenen geltend gemachten Schadensersatzforderungen zugrunde lag, bedurfte es umfangreicher Beweisaufnahmen, um dem Vorwurf der Untreue nachzugehen (vgl. bspw. Protokoll der Sitzung des Arbeitsgerichts vom 13.11.2004 zum Verfahren 1 Ca 439/07, Bl. 51 der Gerichtsakte 13 A 3071/09). Dies zeigt, dass das Integrationsamt zutreffend angenommen hat, es lägen keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme vor, der von der Beigeladenen genannte Kündigungsgrund sei offensichtlich „vorgeschoben“. In diesem Zusammenhang kommt es daher entscheidend auch nicht darauf an, dass der Kläger vom Amtsgericht Cloppenburg vom Vorwurf der Untreue mit Urteil vom 18. April 2007 (Az. 24 Ls 28/05) rechtskräftig freigesprochen worden ist.
Nichts anderes gilt für die Frage, ob das Recht der Beigeladenen, sich auf den genannten Kündigungsgrund für die ordentliche Kündigung zu berufen, verwirkt ist. Diese Frage ist ebenfalls allein von den Arbeitsgerichten im Kündigungsschutzverfahren zu beantworten. Das Arbeitsgericht Osnabrück hat mit - nicht rechtskräftigem - Urteil vom 6. Oktober 2009 (Az. 1 Ca 801/05) festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung vom 1. Dezember 2005 aufgelöst worden ist. Dabei hat es sich jedoch allein mit der Frage befasst, ob dem Kläger nachweisbar Veruntreuungen zu Lasten der Beigeladenen vorgeworfen werden können oder zumindest objektive Tatsachen vorlagen, die den dringenden Verdacht erlauben, der Kläger habe diese Veruntreuungen mit großer Wahrscheinlichkeit begangen. Zur Frage der „Verwirkung“ des Kündigungsgrundes finden sich im Urteil keine Ausführungen. Von einer offensichtlichen Unwirksamkeit der beabsichtigten Kündigung musste der Beklagte daher nicht ausgehen.
Besondere Gründe, die ein Aufrechterhalten des Beschäftigungsverhältnisses mit der Beigeladenen hätten rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Bei der Behinderung des Klägers war zum Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten trotz des hohen Grades der Behinderung von 100 nicht davon auszugehen, dass der Kläger einen seiner Behinderung entsprechenden Arbeitsplatz nicht auch bei einem anderen Arbeitgeber wird erhalten können. Denn der Kläger hatte zum damaligen Zeitpunkt bereits eine Anstellung bei der Firma … Bau… GmbH & Co. KG in S. gefunden, der er wohl immer noch nachgeht (vgl. unter http://www.….de/…).