Verwaltungsgericht Osnabrück
Beschl. v. 14.06.2002, Az.: 5 B 275/02

Abschiebungshindernis; glaubhaft; posttraumatische Belastungsstörung; Suizidgefährdung; ärztliches Attest

Bibliographie

Gericht
VG Osnabrück
Datum
14.06.2002
Aktenzeichen
5 B 275/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 43485
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Gründe

1

Die von der Ehefrau des Antragstellers geltend gemachte Suizidgefährdung aufgrund einer posttraumatischen Belastungsstörung, die für den Fall einer Abschiebung des Antragstellers eintreten soll, kann zu keiner anderen Entscheidung führen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob eine ernsthafte Suizidgefährdung ein tatsächliches Abschiebungshindernis im Sinne des § 55 Abs. 4 AuslG darstellt (Hailbronner, § 55 Ausländergesetz, Rdnr. 18, Hessischer VGH, Urt. v. 11.05.1992 - 13 UE 2608/91 - EZAR 045 Nr. 2), oder ob sich aus Art. 2 Abs. 2 GG unmittelbar ein Abschiebungshindernis ergibt. Jedenfalls folgt aus dieser Vorschrift eine umfassende rechtliche Schutzpflicht, wenn eine akute Selbsttötungsgefahr besteht. Wenn Depressionen zu einem Suizid führen können, ist der Betroffene, wenn staatliches Handeln zu dieser Konsequenz führen würde, davor zu bewahren. Grundsätzlich ist allerdings die Drohung mit einer Selbsttötung im Allgemeinen in der Rechtsordnung kein hinreichender Grund, eine vom Gesetz als solche nicht zugelassene Rechtsfolge durchzusetzen. Häufig ist nicht auszuschließen, dass sich der Betroffene in eine Suizidgefahr hineinsteigert, nicht weil er im Ausland unzumutbare Lebensumstände erwartet, sondern vorrangig, weil er die Lebensumstände in der Bundesrepublik denen in seiner Heimat vorzieht. Dies kann auch dazu führen, dass eine Selbstmordgefahr entsteht oder vorgespiegelt wird, um bei Behörden und Gerichten ein Druckmittel gegen die Abschiebung zu haben (OVG Greifswald, Beschluss v. 26.01.1998 NVwZ Beilage 1998, S. 82 ff [OVG Mecklenburg-Vorpommern 26.01.1998 - 3 M 111/97]).

2

Als tatsächlicher, einer Abschiebung entgegenstehender Grund kann daher eine Suizidgefährdung allenfalls ausnahmsweise dann Anerkennung finden, wenn sie auf einer medizinisch feststellbaren psychischen Konstitution des Ausländers beruht, die einer schweren Krankheit gleichgesetzt werden kann (Hailbronner, § 55 Ausländergesetz, Rdnr. 18, Hessischer VGH, Urt. v. 11.05.1992 - 13 UE 2608/91 - EZAR 045 Nr. 2). Da mit der Unverletzlichkeit von Leib oder Leben ein hochrangiges Rechtsgut betroffen ist, braucht zwar nicht gewiss oder mit hoher Wahrscheinlichkeit voraussehbar sein, dass während der Abschiebung ein Versuch der Selbsttötung zu erwarten ist. Andererseits braucht, damit abgeschoben werden kann, auch nicht die Gewissheit bestehen, dass kein Suizid begangen wird. Es ist vielmehr im Einzelfall unter sorgfältiger Abwägung aller Umstände eine Prognose zu treffen, in die die Verpflichtung zum Schutz von Leib und Leben des betroffenen Ausländers und die Verpflichtung zur Durchsetzung der bestehenden Ausreisepflicht einzubeziehen sind (OVG Greifswald, a.a.O.).

3

Eine ernsthafte Suizidgefahr und auch eine schwerwiegende posttraumatische Belastungsstörung der Ehefrau des Antragstellers sind nicht glaubhaft gemacht worden. Zwar kann die Kammer in der Regel mangels hinreichender eigener Sachkunde fundierte ärztliche Atteste nicht von sich aus als nicht aussagefähig einstufen. Hier liegt allerdings eine Sondersituation vor, die eine solche Schlussfolgerung rechtfertigt (Nds. OVG, Beschluss vom 14.09.2000 - 11 M 2486/00 -).

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Denn die Ehefrau des Antragstellers ist bereits im Jahre 1992 in die Bundesrepublik Deutschland als Bürgerkriegsflüchtling eingereist und hat sich erst mehr als neun Jahre später wegen des angeblichen Vorliegens einer posttraumatischen Belastungsstörung in psychotherapeutische Behandlung begeben (ärztliche Bescheinigung der Dipl. Psych. {J.} vom 21.12.01.). Im Jahre 1994 hatte sie eine entsprechende Behandlung ausdrücklich abgelehnt (Bescheinigung der Dres. med. {K.}vom 10.06.2002). Auch war ihr eine Aufenthaltsbefugnis deshalb erteilt worden, weil ihr traumatisierter Vater, der sich seit 1999 in entsprechender Behandlung befand, auf ihre Unterstützung angewiesen war. Hinzu kommt, dass die Ehefrau des Antragstellers noch mit Schreiben vom 27.04.2000 ausdrücklich gegenüber dem Antragsgegner erklärt hatte, nach der Geburt ihres Kindes gemeinsam mit ihrem Ehemann nach Bosnien - Herzegowina ausreisen zu wollen. Sie ist dann auch gemeinsam mit ihrer Mutter im Januar 2002 dorthin gereist, um den Vater dort beizusetzen.

5

Die Kammer geht daher jedenfalls bei der in Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung davon aus, dass die Bescheinigungen der Dipl. Psych. {J.} vom 22.03.2002 und vom 21.12.2001 aufgrund unwahrer Angaben der Ehefrau des Antragstellers erfolgt sind.