Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 02.10.1987, Az.: 4 W 181/87
Einstweilige Einstellung eines Zwangsversteigerungsverfahrens; Missbräuchliche Rechtsausübung durch einstweilige Einstellung eines Zwangsversteigerungsverfahrens; Abwägung der beiderseitigen Interessen vor einstweiliger Einstellung einer Zwangsversteigerung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 02.10.1987
- Aktenzeichen
- 4 W 181/87
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1987, 18157
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1987:1002.4W181.87.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Celle - 10.06.1987 - AZ: 15 K 122/84
- LG Lüneburg - 24.07.1987 - AZ: 4 T 152/87
Rechtsgrundlagen
- § 10 ZVG
- § 33 ZVG
- § 775 Nr. 4 ZPO
- § 30 ZVG
- § 268 BGB
Der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle hat
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters ... sowie
der Richter und ...
am 2. Oktober 1987
beschlossen:
Tenor:
Auf die weitere sofortige Beschwerde des Erstehers wird der Beschluß der 4. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 24. Juli 1987 zu Ziff. 2 bis 7 aufgehoben.
Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin gegen den Zuschlagsbeschluß des Amtsgerichts Celle vom 10. Juni 1987 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerden trägt die Beschwerdeführerin zu 4).
Der Beschwerdewert für das Verfahren der weiteren Beschwerde beträgt 780.000 DM.
Gründe
I.
Die weitere Beschwerde ist zulässig.
Die angefochtene Entscheidung enthält zu Lasten des Beschwerdeführers zu 3) einen neuen selbständigen Beschwerdegrund i.S.v. § 568 Abs. 2 ZPO, weil die Entscheidung des Landgerichts von derjenigen des Amtsgerichts zum Nachteil des Beschwerdeführers zu 3) abweicht und ihn damit erstmalig beschwert (Baumbach/Lauterbach/Albers, 45. Aufl. 1987, Rdn. 2 B zu § 568 ZPO).
II.
Die Beschwerde ist auch begründet, denn die Bewilligung der Einstellung der Zwangsversteigerung durch die Beschwerdeführerin zu 4) war rechtsmißbräuchlich und deshalb nicht geeignet, eine positive Entscheidung über den Zuschlag zu verhindern.
1)
Die Gläubigerin und Beschwerdeführerin zu 4) betreibt die Zwangsversteigerung des im Rubrum erwähnten Grundstücks wegen einer Forderung über 207,07 DM zuzüglich Zinsen mit dem Rang des § 10 Nr. 3 ZVG und einer Forderung über 5.000 DM zuzüglich Zinsen im Range des § 10 Nr. 5 ZVG.
Nachdem es in dem seit dem Jahre 1984 laufenden Verfahren am 30. April 1986 zu einem Versteigerungstermin gekommen war (Bl. 500 d.A.), bewilligte die Gläubigerin und Beschwerdeführerin zu 4) am 6. Mai 1986 die einstweilige Einstellung. Daraufhin wurde durch Beschluß des Amtsgerichts Celle vom 7. Mai 1986 der Zuschlag gemäß § 33 ZVG versagt (Bl. 525 d.A.).
Im weiteren Versteigerungstermin vom 27. Mai 1987 (Bl. 689 d.A.) machte die Gläubigerin und Beschwerdeführerin zu 4) ihre beiden erwähnten Forderungen wiederum geltend und bewilligte mit Schriftsatz vom 2. Juni 1987 (Bl. 705 d.A.) erneut die einstweilige Einstellung mit der Begründung, die Schuldnerin habe auf ihre Forderung von 5.000 DM Ratenzahlung geleistet. Inzwischen hatte die ... als nachrangig betreibende Gläubigerin am 1. Juni 1987 zugunsten der Beschwerdeführerin zu 4) und Gläubigerin die Hauptforderung über 207,07 DM sowie der aufgelaufenen Zinsen zugunsten der Gläubigerin und Beschwerdeführerin hinterlegt und auf Rückgabe des Geldes verzichtet.
2)
Nach § 33 ZVG darf nach dem Schluß der Versteigerung die Entscheidung nur durch Versagung des Zuschlages gegeben werden, sofern ein Grund zur einstweiligen Einstellung des Verfahrens vorliegt. Darunter fallen alle einstweiligen Einstellungen, und zwar auch die durch Beschluß des Amtsgerichts vom 2. Juni 1987 angeordnete Einstellung nach § 775 Nr. 4 ZPO im Hinblick auf die Hinterlegung der 207,07 DM nebst Zinsen zugunsten der Beschwerdeführerin zu 4) (Zeller/Stöber, 12. Aufl, 1986, Rdn. 2.1). § 33 ZVG ist dabei vor dem Hintergrund von § 30 ZVG zu sehen, wonach das Verfahren einstweilen einzustellen ist, wenn der Gläubiger die Einstellung bewilligt. Wird - wie häufig - das Zwangsversteigerungsverfahren gleichzeitig von mehreren Gläubigern betrieben, so bezieht sich die Einstellungsbewilligung immer nur auf ein konkretes Einzelverfahren, und die Versagung des Zuschlages nach § 33 ZVG ist im Falle der Bewilligung der Einstellung durch den bestrangigen Gläubiger regelmäßig erforderlich, weil sich dann die Verfahrensbedingungen und normalerweise das geringste Gebot verändern, dies aber nicht mehr berücksichtigt werden kann (Steiner-Storz, 9. Aufl, 1984, Rdn. 5 zu § 30 ZVG).
3)
Wegen der besonders einflußreichen Stellung des bestrangig betreibenden Gläubigers, der allein und ohne besondere Form- oder Begründungszwänge jeden Zuschlag ohne Rücksicht auf dessen Höhe verhindern kann, wird in der Literatur (Steiner/Storz, Rdn. 16 zu § 33 m.w.N.) zutreffend die Ansicht vertreten, daß auch die einstweilige Einstellung als mißbräuchliche Rechtsausübung unwirksam sein könne.
Dem tritt der Senat bei, die Voraussetzungen des Rechtsmißbrauchs sind auch im vorliegenden Fall gegeben.
Ausgangspunkt ist die Überlegung, daß auch die durchaus vom Gesetz gewollte starke Stellung des bestrangigen Gläubigers nicht dazu führen darf, daß er bei einem Objekt mit einem Verkehrswert von 780.000 DM als Inhaber einer Forderung in Höhe von nur knapp über 200 DM das Verfahren kontrollieren und die Zwangsversteigerung im Endeffekt blockieren kann. Zwar besteht diese Möglichkeit nicht endgültig, sondern nur zweimal, jedoch führt dies, wie auch das vorliegende Verfahren zeigt, zu einer Verzögerung der Zwangsvollstreckung um ungefähr zweimal ein Jahr, zumal wenn gegen sämtliche Zwischenentscheidungen die Rechtsmittel ausgeschöpft werden.
4)
Ein anerkennenswertes eigenes Interesse der Gläubigerin und Beschwerdeführerin zu 4), die Einstellung des Verfahrens zu bewilligen, bestand nicht.
a)
Was die Befriedigung wegen der Forderung in Höhe von 207,07 DM nebst Zinsen anbetraf, so war diese durch die Hinterlegung des entsprechenden Betrages seitens der Stadtsparkasse Celle am 1. Juni 1987 gewährleistet. Zwar vertritt die Beschwerdeführerin zu 4) die Auffassung, sie sei nach Maßgabe von § 268 BGB nicht befriedigt, weil das Interesse der Stadtsparkasse Celle nicht dahin gegangen sei, einen Rechtsverlust zu vermeiden, sondern die Zwangsversteigerung durchzuführen (vgl. Staudinger-Selb, 12. Aufl. 1979, Rdn. 8 zu § 268 BGB). Es kann indessen dahingestellt bleiben, ob diese Vorschrift hier anwendbar ist oder die Beschwerdeführerin zu 4) gemäß § 267 BGB die Befriedigung durch die Stadtsparkasse ablehnen durfte. Jedenfalls stellt sich die Ablehnung der Befriedigung als Rechtsmißbrauch dar, weil sie nur erfolgt sein kann, um weiterhin die Durchführung des Zwangsversteigerungsverfahrens verhindern zu können.
b)
Soweit die Beschwerdeführerin zu 4) geltend macht, sie habe die Einstellung deshalb bewilligt, weil ihr gegen die Eigentümerin und Schuldnerin noch eine weitere ungesicherte Forderung in Höhe von 5.000 DM zustehe, auf die die Schuldnerin Abschlagszahlungen vorgenommen habe, so ist dieser Gesichtspunkt nicht geeignet, einen Rechtsmißbrauch auszuschließen, denn der Beschwerdeführer zu 3) hat in der Begründung seiner weiteren Beschwerde vom 3. August 1987 (Bl. 850 ff. d.A.) zutreffend darauf hingewiesen, daß dieser Forderung der Beschwerdeführerin zu 4) eine Gesamtforderung der ... in Höhe von 538.212,27 DM vorging und darüberhinaus zwei weitere Grundschulden über 100.000 DM zugunsten der ... und in Höhe von 50.000 DM zugunsten des Steuerbevollmächtigten ... Eine Befriedigung der Beschwerdeführerin zu 4) wegen ihrer Forderung von 5.000 DM wäre deshalb nur zu erwarten gewesen, wenn das Gebot den Verkehrswert überschritten hätte. Das war - insbesondere auch im Hinblick auf die ungünstige Situation auf dem Grundstücksmarkt - auch in absehbarer Zeit unter keinen Umständen zu erwarten. Soweit die Eigentümerin und Schuldnerin freiwillig Ratenzahlungen auf die Forderung von 5.000 DM geleistet hat, hinsichtlich derer eine Befriedigung der Beschwerdeführerin zu 4) überhaupt nicht zu erwarten war, ist dieser Vorteil im Zwangsversteigerungsverfahren ebensowenig zu berücksichtigen wie etwa freiwillige Zahlungen der Schuldnerin auf eine überhaupt nicht titulierte Forderung des erstrangigen Gläubigers. Nur das Interesse an der Beteiligung am Versteigerungserlös ist in diesem Zusammenhang maßgebend. Unter diesem Gesichtspunkt ist auch ein Interesse der Beschwerdeführerin zu 4) an einer Verlängerung der Pachtnutzung durch erneutes Hinausschieben des Zuschlages nicht zu berücksichtigen, weil es nicht auf die Beteiligung am Versteigerungsergebnis gerichtet ist und im übrigen gemäß den §§ 57 ff. ZVG ohnehin nur eingeschränkte Bedeutung hat.
5)
Demgegenüber war die Bewilligung der Einstellung geeignet, schützenwerte Belange der übrigen Beteiligten des Verfahrens zu beeinträchtigen.
Die Regelungen des Zwangsversteigerungsverfahrens verfolgen den Zweck, die Interessen sämtlicher Beteiligter möglichst gerecht zu berücksichtigen. Wenn in diesem Zusammenhang erreicht werden soll, daß das Gebot dem Verkehrswert möglichst nahe kommt, so liegt das sowohl im Interesse des Schuldners, das darin besteht, die Verschleuderung seines Eigentums zu verhindern, als auch in dem Interesse der nachrangig betreibenden Gläubiger, die mit ihrer Forderung ausfallen, wenn nur ein Gebot erzielt wird, das weit unter dem tatsächlichen Wert liegt. Durch die zweimalige Einstellungsbewilligung seitens der Beschwerdeführerin zu 4) und die Verzögerung des Verfahrens um zwei Jahre werden auch die nachrangig betreibenden Gläubiger im Hinblick auf ein mögliches Sinken der Grundstückspreise und die erhebliche Gefahr geschädigt, daß in späteren Terminen nur geringere Gebote abgegeben werden. Unter diesem Aspekt ist das Verhalten der Beschwerdeführerin zu 4) rechtsmißbräuchlich, zumal die Einstellung jeweils erst immer nach der Beendigung der Bietstunde bewilligt worden ist und damit absichtlich verhindert wurde, daß die Versteigerungsbedingungen noch rechtzeitig der neuen Situation angepaßt werden konnten, die durch die Einstellungsbewilligung eintrat.
6)
Einer Entscheidung über den Beschluß des Landgerichts vom 24. Juli 1987 zu Ziff. 1 bedurfte es nach Ansicht des Senats nicht.
Zwar hat der Beschwerdeführer zu 3) in seinem Schriftsatz vom 3. August 1987 gegen die Entscheidung des Landgerichts vom 24. Juli 1987 ganz allgemein sofortige weitere Beschwerde eingelegt. Auf der anderen Seite ergibt sich aus seinem danach folgenden Antrag und der gesamten Beschwerdebegründung, daß es ihm nur um die Erteilung des Zuschlages und ersichtlich nicht um die Frage - als solche - ging, ob die Beschwerdeführerin zu 4) wegen ihrer Forderung von 207,07 DM i.S.v. § 268 BGB befriedigt ist. Deshalb hat der Senat diesen Schriftsatz dahin ausgelegt, daß gegen die Entscheidung des Landgerichts zu Ziff. 1 keine Beschwerde eingelegt werden sollte.
7)
[s. Streitwertbeschluss]
Streitwertbeschluss:
Der Beschwerdewert für das Verfahren der weiteren Beschwerde beträgt 780.000 DM.
Der Beschwerdewert beträgt zwar bei einer Versagung des Zuschlages - wie das Landgericht angenommen hat - auch nach ständiger Rechtsprechung des Senats ein Zehntel des Verkehrswertes, weil durch die Versagung des Zuschlages in der Regel nur eine Verzögerung des Verfahrens herbeigeführt werden soll. Geht der Antrag, wie bei der weiteren Beschwerde, aber auf Erteilung des Zuschlages, dann ist der Verkehrswert selbst maßgebend, weil dann die endgültige Veränderung der Eigentumsverhältnisse erstrebt wird.