Staatsgerichtshof Niedersachsen
Urt. v. 06.12.2007, Az.: StGH 1/06

Kommunale Selbstverwaltung; Selbstverwaltungsgarantie; Garantie der kommunalen Selbstverwaltung; Beschwerdeberechtigung von Samtgemeinden; Beschwerdebefugnis von Samtgemeinden; Aufgaben im übertragenen Wirkungskreis; Übertragener Wirkungskreis; Verhältnismäßigkeitsgrundsatz; Verhältnismäßigkeitsprinzip; Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; Einschätzungsprägorative; kommunale Verfassungsbeschwerde; Kommunalverfassungsbeschwerde

Bibliographie

Gericht
StGH Niedersachsen
Datum
06.12.2007
Aktenzeichen
StGH 1/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 72005
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Der sachliche Gewährleistungsbereich der institutionellen Garantie kommunaler Selbstverwaltung gem. Art. 57 Abs. 1, 3 NV umfasst neben den Aufgaben des eigenen Wirkungskreises auch solche des übertragenen Wirkungskreises und ordnet diese den Gemeinden zu. Art. 57 Abs. 3 NV geht insoweit über Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG hinaus. Innerhalb des Art. 57 Abs. 3 NV ist zwischen Zonen verschiedener Schutzintensität zu unterscheiden. Stärker ist der Schutz vor Entziehung von Aufgaben des eigenen Wirkungskreises der Gemeinden ausgeprägt, schwächer die Sicherung vor dem Entzug von Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises.
2. Eingriffe in die Garantie kommunaler Selbstverwaltung müssen dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Verhältnismäßigkeitsprinzip genügen. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist als Maßstab auch geeignet, wenn es um die Überprüfung von Eingriffen in die Schutzzone der Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises geht, soweit mit diesen Eingriffen Aufgaben entzogen werden, die den Gemeinden zur Erledigung übertragen waren und von ihnen bislang wahrgenommen wurden. In diesem Fall müssen beachtliche Gründe des Gemeinwohls, die der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie vorgehen, den Aufgabenentzug rechtfertigen.
3. Dem Gesetzgeber kommt bei der Ausgestaltung der Aufgabenerledigung im Rahmen des übertragenen Wirkungskreises eine Einschätzungsprärogative zu. Gleichwohl überprüft der Staatsgerichtshof, ob der Gesetzgeber den für seine Maßnahmen erheblichen Sachverhalt zutreffend und vollständig ermittelt und dem Gesetz zugrunde gelegt und ob er alle Gemeinwohlbelange sowie die Vor- und Nachteile der gesetzlichen Regelung in die vorzunehmende Abwägung eingestellt hat.

Gründe

A.

Die Beschwerdeführerinnen, eine Samtgemeinde und acht ihrer Mitgliedsgemeinden, wenden sich mit ihren Verfassungsbeschwerden gegen § 4 Abs. 1 und § 10 Abs. 4 des Gesetzes zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung im Landkreis Lüchow-Dannenberg (im Folgenden: LDG) vom 23. Mai 2006 (Nds. GVBl. S. 215).

I.

1. Im Raum Lüchow-Dannenberg haben seit dem 19. Jahrhundert zahlreiche kommunale Neugliederungen stattgefunden. Im Jahr 1867 wurde aus den Ämtern Dannenberg, Lüchow, Gartow und Neuhaus der Großkreis Dannenberg gebildet, wobei der Sitz der Kreisverwaltung in Dannenberg war. 1885 teilte man diesen Kreis in die Kreise Dannenberg und Lüchow auf, das Amt Neuhaus wurde dem Kreis Bleckede zugewiesen. Im Jahr 1932 wurden die Landkreise Dannenberg und Lüchow erneut zu einem Landkreis Dannenberg mit Sitz der Kreisverwaltung in Dannenberg vereinigt. Im Jahr 1951 wurde der Verwaltungssitz nach Lüchow verlegt und der Landkreis in "Lüchow-Dannenberg" umbenannt. In den Jahren 1965 bis 1969 erarbeitete die von der Landesregierung berufene Kommission unter Vorsitz des Göttinger Staatsrechtslehrers Werner Weber ein umfangreiches Gutachten zur Gebiets- und Verwaltungsreform des Landes Niedersachsen. Für den Raum Lüchow-Dannenberg sah dieses Gutachten die Zusammenlegung der Landkreise Uelzen und Lüchow-Dannenberg mit Sitz der Kreisverwaltung in Uelzen und eine Außenstelle in Lüchow vor. Der Vorschlag wurde begründet mit der geringen Einwohnerzahl des Landkreises Lüchow-Dannenberg, seiner Strukturschwäche und der langen Zonengrenze. Diese Situation gebiete es, den Landkreis aus seiner Isolierung herauszuführen und durch den Zusammenschluss mit dem Landkreis Uelzen wettbewerbsfähig zu machen und zu erhalten, auch in der Konkurrenz zu den anderen, nun wesentlich größeren Landkreisen des Landes Niedersachsen. Eine Umsetzung dieses Reformvorschlages erfolgte nicht.

2. Das Lüchow-Dannenberg-Gesetz, das der zunehmend angespannten Finanzsituation der kommunalen Haushalte in diesem Raum Rechnung tragen sollte, ist in einem langwierigen Gesetzgebungsverfahren entstanden. Dieses Verfahren begann mit dem Vorhaben zur Bildung einer kreisfreien Samtgemeinde und der Auflösung des Landkreises als überörtlicher Verwaltungsebene. Das Projekt einer kreisfreien Samtgemeinde wurde von mehreren Gutachten begleitet. Dazu gehörten u. a. das Gutachten der WIBERA vom September 2004, das Gutachten von Prof. Dr. Ipsen vom Juni 2005 und das Gutachten des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes vom September 2005. Aufbauend auf diese Gutachten wurde - mit unterschiedlichen Inhalten - zunächst ein Referentenentwurf, dann ein Kabinettsentwurf und schließlich ein Regierungsentwurf erarbeitet. Im Unterschied zu dem Referenten- und dem Kabinettsentwurf enthielt der Regierungsentwurf keine Regelungen mehr über den Zusammenschluss von Mitgliedsgemeinden der Samtgemeinden, sah aber in gleicher Weise wie die vorangegangenen Entwürfe die Bildung einer kreisfreien Samtgemeinde Lüchow-Dannenberg durch den Zusammenschluss des Landkreises Lüchow-Dannenberg mit den bisherigen fünf kreisangehörigen Samtgemeinden vor. Diese kreisfreie Samtgemeinde sollte die Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises ihrer Mitgliedsgemeinden sowie zusätzlich zahlreiche Aufgaben aus deren eigenem Wirkungskreis erfüllen. Zu dem Regierungsentwurf wurden die betroffenen Kommunen, der Landkreis Uelzen, die kommunalen Spitzenverbände und weitere Stellen angehört. Auch wurde die Bevölkerung in Form einer Anhörung nach Art. 59 Abs. 3 NV und in Form einer Abstimmung über das Projekt einer kreisfreien Samtgemeinde beteiligt.

Am 1. Februar 2006 erfolgte in der 102. Sitzung des Landtagsausschusses für Inneres und Sport eine öffentliche Anhörung zu dem auf die Errichtung einer kreisfreien Samtgemeinde zielenden Gesetzentwurf. In dieser Sitzung wurden erhebliche verfassungsrechtliche Zweifel an dem Entwurf geltend gemacht. Als Reaktion auf die Anhörung und die darin vorgebrachten Bedenken legten die Koalitionsfraktionen im März 2006 einen Änderungsvorschlag zu dem Regierungsentwurf vor, der diesen erheblich umgestaltete. Unter dem Gesetzestitel "Gesetz zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung im Landkreis Lüchow-Dannenberg" wurde nunmehr ein Zusammenschluss der fünf kreisangehörigen Samtgemeinden zu nur noch zwei kreisangehörigen Samtgemeinden vorgesehen. Daneben sollte der Landkreis Lüchow-Dannenberg fortbestehen, also keine Kreisfreiheit der Samtgemeinden eintreten. Zudem sollte der Landkreis sämtliche Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises der Mitgliedsgemeinden erfüllen, soweit nicht Bundesrecht ausdrücklich die Zuständigkeit der Gemeinden bestimmt. Überdies sollte die Bildung von Verwaltungsgemeinschaften ermöglicht werden.

Am 23. Mai 2006 beschloss der Landtag das "Gesetz zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung im Landkreis Lüchow-Dannenberg (Lüchow-Dannenberg-Gesetz)", das am 1. November 2006 in Kraft trat. Im Unterschied zum ursprünglichen Fraktionsentwurf ist die Samtgemeinde Gartow aufgrund ihrer relativen wirtschaftlichen Leistungsstärke als selbständige Samtgemeinde bestehen geblieben. Dem Gesetzesbeschluss waren u.a. Anhörungen und Beratungen in der 110., 111. und 119. Sitzung des Landtagsausschusses für Inneres und Sport vorausgegangen.

II.

Mit ihren am 10. Juli 2006 erhobenen Verfassungsbeschwerden wenden sich die beschwerdeführenden Kommunen in erster Linie gegen § 4 Abs. 1 LDG, der die Überschrift "Übergang von Aufgaben" trägt und folgenden Wortlaut hat:

(1)Abweichend von § 72 Abs. 2 Satz 1 und 2 NGO erfüllt der Landkreis Lüchow-Dannenberg alle Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises der Mitgliedsgemeinden der Samtgemeinde Lüchow (Wendland), der Samtgemeinde Elbtalaue sowie der Samtgemeinde Gartow, soweit nicht Bundesrecht ausdrücklich die Zuständigkeit der Gemeinden bestimmt.
(2)[...J

Sie wenden sich ferner gegen die daran anknüpfende Übergangsvorschrift des § 10 Abs. 4 LDG. Dieser trägt die Überschrift „Fortgeltung von Rechtsvorschriften und Flächennutzungsplänen“ und hat folgenden Wortlaut:

(1) - (3) [...J

(4)Rechtsvorschriften der bisherigen Samtgemeinden in Aufgabengebieten, die nach § 4 Abs. 1 auf den Landkreis Lüchow-Dannenberg übergehen, gelten in ihrem bisherigen räumlichen Geltungsbereich als Recht des Landkreises Lüchow-Dannenberg fort.
(5)- (7) [...J

B.

I.

Die Beschwerdeführerinnen machen geltend, die Übertragung der Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises der Mitgliedsgemeinden der Samtgemeinden auf den Landkreis verletze sie in ihren Rechten aus Art. 57 Abs. 3 NV.

Wie sich aus dem Wortlaut des Art. 57 Abs. 3 NV „Die Gemeinden sind in ihrem Gebiet die ausschließlichen Träger der gesamten öffentlichen Aufgaben, soweit die Gesetze nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmen.“ ergebe, seien öffentliche Aufgaben im Sinne dieser Vorschrift nicht nur die Aufgaben des eigenen Wirkungskreises der Gemeinden, sondern auch die staatlichen Aufgaben zur Erfüllung nach Weisung gemäß Art. 57 Abs. 4 NV. Vergleichbar den bereits anerkannten kommunalen Hoheiten wie Satzungs-, Personal- und Organisationshoheit stehe den Beschwerdeführerinnen auf der Grundlage des Art. 57 Abs. 3 NV eine weitere Hoheit zur Wahrnehmung von Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises zu.

Die Aufgabenübertragung nach § 4 Abs. 1 LDG verstoße gegen das verfassungsrechtliche Aufgabenverteilungsprinzip und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Das Bundesverfassungsgericht habe in der Rastede-Entscheidung (BVerfGE 79, 127 (149)) zur Abschichtung der Kompetenzräume von Gemeinden und Landkreisen ein verfassungsrechtliches Aufgabenverteilungsprinzip entwickelt, nach dem den Gemeinden für die Aufgaben mit relevantem örtlichen Bezug ein Zuständigkeitsvorrang im Sinne eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses zukomme und daher grundsätzlich die Gemeinden zur Aufgabenwahrnehmung zuständig seien. Diese bundesverfassungsrechtliche Mindestgewährleistung, die auch im Verhältnis zu den Landkreisen gelte, erstrecke sich wegen Art. 57 Abs. 3 NV auch auf die Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises. Der Staatsgerichtshof lege bei seinen Entscheidungen zur kommunalen Selbstverwaltung den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zugrunde (StGHE 2, 1 (157); 3, 84 (93); 3, 199 (213 f.)). Eingriffe in die Garantie kommunaler Selbstverwaltung dürften nur um eines besonderen bzw. überragenden Gemeinschaftsinteresses willen erfolgen. Gründe besserer Effizienz, wie sie für § 4 Abs. 1 LDG angeführt würden, könnten eine Aufgabenverlagerung allein nicht rechtfertigen.

Die Aufgabenübertragung nach § 4 LDG sei auch ungeeignet, die angespannte Finanzsituation zu verbessern, denn diese beruhe auf Umständen, die das Gesetz nicht in den Blick nehme, und zwar die äußerst dünne Besiedelung, die ungünstige Altersstruktur, die periphere Lage, die schlechten überörtlichen Verkehrsanbindungen, den Anteil von 47 % an Fläche, der unter Natur- und Landschaftsschutz stehe, die allgemeine Strukturschwäche, das generell zu hohe Ausgabenniveau des Landkreises und schließlich die gesellschaftspolitischen Auswirkungen der Gorleben-Problematik. § 4 Abs. 1 LDG stärke nicht die Verwaltungskraft auf Landkreisebene, vielmehr bleibe dessen angespannte Finanzsituation bestehen und werde durch die Übertragung weiterer Aufgaben eher noch erhöht. Die bisher angehäufte Schuldenlast verbleibe im Raum Lüchow-Dannenberg und werde wegen der zusätzlichen Aufgaben des Landkreises eher noch zunehmen. Die der kommunalen Ebene zugewiesenen Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises müssten dezentral erfüllt werden; das ermögliche die Aufgabenkonzentration bei dem Landkreis gerade nicht. Es sei der falsche Weg, eine Aufgabe erst auf den Landkreis zu übertragen und diese dann wieder durch Bürgerbüros oder Außenstellen zu dezentralisieren. Die erhofften Einsparungen träten nicht ein, wenn bei dezentraler Aufgabenwahrnehmung wieder Leitungsstellen errichtet werden müssten.

Der Aufgabenübergang auf den Landkreis nach § 4 Abs. 1 LDG sei auch nicht erforderlich. Denn es stünden mildere und zumindest gleich wirksame Mittel zur Verfügung. Die nach § 1 LDG vorgenommene Fusion der Samtgemeinden steigere deren Leistungsfähigkeit und reiche aus. Es müsse eine dauerhafte finanzielle Förderung des Raumes durch Bund und Land erfolgen. Anderenfalls sei der Landkreis Lüchow-Dannenberg auf die Nachbarlandkreise aufzuteilen. Indem das Lüchow-Dannenberg-Gesetz diese Aufteilung unterlasse, perpetuiere es den Fehler der unterbliebenen Gebietsreform. Eine Kostenreduzierung könne schon dann erreicht werden, wenn der Landkreis öffentlich-rechtliche Vereinbarungen mit den Nachbarlandkreisen schließe.

Die Regelung in § 4 Abs. 1 LDG sei schließlich auch unangemessen und missachte die verfassungsrechtliche Bedeutung der Selbstverwaltungsgarantie. Herkömmlicherweise würden zahlreiche und bedeutende staatliche Aufgaben wegen des weitgehenden Verzichts des Landes auf eigene (staatliche) untere Verwaltungsbehörden auf der Gemeindeebene wahrgenommen. Diese Aufgaben würden den Gemeinden in Lüchow-Dannenberg nun entzogen, ohne dass dies durch überragende Gemeinschaftsinteressen geboten sei. Synergien zwischen der Wahrnehmung der Aufgaben des eigenen und des übertragenen Wirkungskreises auf Samtgemeindeebene entfielen, wenn die Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises nunmehr bei dem Landkreis angesiedelt würden. Dieser Aufgabentransfer beeinträchtige erheblich die örtliche Verbundenheit, schwäche entferntere Gemeinden und zeitige nur minimale Einspareffekte. Er stehe in Widerspruch zu sonst durchgeführten Funktionalreformen mit dem Aufgabentransfer von höheren auf niedrigere Verwaltungsstufen. Der Übergang der Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises auf den Landkreis bewirke, dass die Aufsichtsfunktionen nunmehr von der Ministerialebene wahrgenommen werden müssten.

Es drohe kein unverhältnismäßiger Kostenanstieg bei Belassen der Aufgaben auf ihrer jetzigen Ebene. Auch die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung sei weiterhin gesichert. Schon die Fusion der kreisangehörigen Samtgemeinden führe zu Einsparungen im Umfang von annähernd drei Vollzeiteinheiten bei den im Bereich des übertragenen Wirkungskreises tätigen Mitarbeitern. Der Abschluss der Verwaltungsvereinbarung zwischen dem Landkreis und den Samtgemeinden über die Errichtung von Bürgerbüros vom 12. Oktober/31. Oktober 2006 zeige, dass gerade auch die Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises dezentral wahrgenommen werden müssten. Im Unterschied zu solchen Verwaltungsgemeinschaften würden aber bei dem Aufgabentransfer nach § 4 Abs. 1 LDG jegliche Weisungs- und Mitwirkungsrechte der Gemeinden gegenüber dem Landkreis fehlen.

§ 4 Abs. 1 LDG verstoße überdies gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Es widerspreche dem Gebot interkommunaler Gleichbehandlung und erscheine willkürlich, eine Neuordnung allein für den Raum Lüchow-Dannenberg vorzunehmen. Denn ein qualitativer Unterschied der dortigen Samtgemeinden zu sonstigen niedersächsischen Gemeinden sei nicht erkennbar. Die Kassenkreditaufnahme der Samtgemeinden im Raum Lüchow-Dannenberg bewege sich in absoluten Zahlen im Mittelfeld der entsprechenden Verschuldung aller kreisangehörigen Gemeinden in Niedersachsen und stelle gerade keine außergewöhnliche Situation dar. Im Übrigen hänge die Verwaltungskraft nicht von der Pro-Kopf-Verschuldung je Einwohner ab. Hinsichtlich der Zahl der Gemeinden, der Fläche der Mitgliedsgemeinden, der Einwohnerdichte und der Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln sei der Raum Lüchow-Dannenberg durchaus mit anderen Gebieten in Niedersachsen vergleichbar.

Während die bisherigen Samtgemeinden leitbildgerecht seien, erfülle der Landkreis Lüchow-Dannenberg nicht die Anforderungen des Leitbilds. Er habe zu wenige Einwohner und verfüge nach In-Kraft-Treten des § 1 LDG nur noch über drei Samtgemeinden, weshalb er keine angemessenen Ausgleichs-, Ergänzungs- und Aufsichtsfunktionen mehr ausüben könne. Gingen die Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises wie vorgesehen auf den Landkreis über, seien auch die verbliebenen Samtgemeinden nicht mehr leitbildgerecht. Auch bei legislatorischen Einzelmaßnahmen sei der Gesetzgeber an das Leitbild der bisherigen Reformen und die selbst gewählten Kriterien gebunden. Abweichungen dürften nur im Einzelfall aus wichtigen Gründen des Gemeinwohls erfolgen und müssten örtlichen Besonderheiten Rechnung tragen.

Schließlich sei der Landesgesetzgeber in Bezug auf § 4 Abs. 1 LDG der ihm von Verfassung wegen obliegenden Darlegungslast nicht ausreichend nachgekommen. Werde von der verfassungsrechtlich vorgesehenen Aufgabenverteilung in einem Einzelfall abgewichen, sei eine besonders sorgfältige Sachverhaltsermittlung erforderlich. Im konkreten Fall werde aber das mögliche Einsparpotential gar nicht genau beziffert. Insbesondere fehle es an einem Organisations- und Personalmodell. So werde nicht genau dargelegt, wie viele Stellen eingespart würden. Es mangele insoweit auch an allgemeinen Erfahrungen oder ermittelten Gesetzmäßigkeiten als Grundlage der Gesetzgebung.

II.

Der Niedersächsische Landtag hat von einer Äußerung zu den Verfassungsbeschwerden abgesehen.

III.

Die Niedersächsische Landesregierung hat sich am Verfahren beteiligt und mit Schriftsätzen vom 31. August 2006 und 3. August 2007 Stellung genommen.

Sie hält die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführerinnen zu 2) bis 9) für unzulässig, die Verfassungsbeschwerden insgesamt jedenfalls für unbegründet.

Zwar könne die Beschwerdeführerin zu 1) als Samtgemeinde von § 4 Abs. 1 LDG in ihrem Recht auf kommunale Selbstverwaltung betroffen sein, indes scheide die Betroffenheit der Beschwerdeführerinnen zu 2) bis 9) als Mitgliedsgemeinden von Samtgemeinden schon deshalb aus, weil § 4 Abs. 1 LDG die Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises von der Samtgemeinde- auf die Landkreisebene hochzone und die Beschwerdeführerinnen zu 2) bis 9) als Mitgliedsgemeinden keine Rechte verlören, sondern lediglich einen anderen Delegationsträger gewönnen.

§ 4 Abs. 1 LDG greife nicht in den sachlichen Gewährleistungsbereich der Garantie kommunaler Selbstverwaltung ein. Art. 57 Abs. 3 NV erfasse nicht die Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises und schütze nicht vor der Höherstufung von Aufgaben.

Die Vorschrift des Art. 57 Abs. 3 NV „Die Gemeinden sind in ihrem Gebiet die ausschließlichen Träger der gesamten öffentlichen Aufgaben, sofern die Gesetze nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmen.“ sei unklar und bedürfe der Auslegung.

Zwar deute der Wortlaut dieser Bestimmung eher auf ein weites Verständnis unter Einschluss der Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises hin. Auch die Entscheidung des Staatsgerichtshofs vom 13. März 1996 (StGHE 3, 199 (214)) könne in diesem Sinne verstanden werden. Insofern könne Art. 57 Abs. 3 NV über Art. 28 Abs. 2 GG hinausgehen.

Die Entstehungsgeschichte spreche hingegen eindeutig gegen ein weites Verständnis des Art. 57 Abs. 3 NV. Der Sonderausschuss Niedersächsische Verfassung habe zwar die mögliche Diskrepanz zwischen Art. 57 Abs. 3 NV und Art. 28 Abs. 2 GG gesehen, habe aber gleichwohl den Wortlaut der Vorläuferbestimmung des Art. 44 Abs. 3 VNV nicht geändert, weil nicht eine Diskussion über eine materiell gar nicht gewollte Änderung des Selbstverwaltungsrechts ausgelöst werden sollte. Damals, 1992, habe man einen dem Art. 28 Abs. 2 GG entsprechenden Regelungsbestand angestrebt. Im Übrigen sei Art. 28 Abs. 2 GG ohnehin geltendes Recht.

Zusätzlich zum Einfluss des Art. 28 Abs. 2 GG weise auch die Systematik der Niedersächsischen Verfassung selbst auf ein enges Verständnis des Art. 57 Abs. 3 NV hin. Art. 57 Abs. 4 NV a.F. habe die Kommunen vor solchen Übertragungen staatlicher Aufgaben schützen wollen, die nicht mit entsprechenden Bestimmungen über die Deckung der Kosten einher gegangen seien. In die gleiche Richtung ziele auch Art. 57 Abs. 4 NV n.F., der die erforderliche Konnexität zwischen gesetzlicher Aufgabenübertragung und Anspruch der Kommunen auf Finanzausstattung noch präzisiere. Dies zeige, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber auch Art. 57 Abs. 3 NV im Sinne der dualistischen Theorie der Aufgabenverteilung verstanden wissen wolle. Die Regelung des Art. 57 Abs. 4 NV liefe jedoch leer, wenn die Gemeinden die Zuständigkeit zur Wahrnehmung staatlicher Aufgaben nach Art. 57 Abs. 3 NV auch ohne gesetzliche Grundlage hätten.

Selbst wenn man entgegen dieser Auffassung einen Eingriff in die Garantie kommunaler Selbstverwaltung bejahe, sei dieser von der Schrankenregelung der Gewährleistung gedeckt und daher verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Die Garantie kommunaler Selbstverwaltung nach Art. 57 Abs. 3 NV stehe unter einem einfachen Gesetzesvorbehalt. Eingriffe in diese Gewährleistung seien gerechtfertigt, wenn sie verhältnismäßig seien.

Die Rechtskontrolle erstrecke sich hinsichtlich der Zielvorstellungen des Gesetzgebers nur auf eine Evidenzprüfung. Der Staatsgerichtshof habe lediglich zu überprüfen, ob die Ziele, Abwägungen, Prognosen und Wertungen des Gesetzgebers offensichtlich fehlerhaft oder eindeutig widerlegbar seien. Auch hinsichtlich der Ermittlung des Sachverhalts, der geltend gemachten Gemeinwohlgründe sowie der prognostizierten Vor- und Nachteile der gesetzlichen Regelung sei der Staatsgerichtshof auf eine bloße Vertretbarkeitskontrolle beschränkt.

Das Lüchow-Dannenberg-Gesetz strebe eine effizientere Verwaltungsstruktur an, was einen verfassungsmäßigen Zweck darstelle.

Die gesetzlichen Regelungen seien zur Erreichung dieses Zwecks auch geeignet. Denn die Reduzierung der Zahl der Samtgemeinden führe zu Größendegressions-, Synergie- und Spezialisierungseffekten. Die zusammengeschlossenen Samtgemeinden profitierten von der Einwohnerveredelung im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs. Stellen könnten gestrichen und weitere Einsparungen durch Leistungsverzichte erzielt werden. Die zu hohe Feingliedrigkeit der politischen Entscheidungsgremien werde reduziert und die Aufgabenverteilung zwischen den kommunalen Ebenen besser abgestimmt. Die Aufgabenübertragung nach § 4 Abs. 1 LDG sei Teil eines Gesamtkonzepts.

Andere mildere, aber gleich geeignete Mittel der Gebiets- und Funktionalreform stünden nicht zur Verfügung. Die ursprünglich vorgesehene kreisfreie Samtgemeinde hätte ein noch größeres Einsparpotential erbracht, sei aber von kommunaler Seite abgelehnt worden. An jenem Entwurf hätten im Gegensatz zur jetzt Gesetz gewordenen Regelung auch verfassungsrechtliche Bedenken wegen der Größe der entstehenden Samtgemeinden, des Mangels an örtlicher Verbundenheit sowie der Abschaffung der Kreisebene bestanden. Die Auflösung des Landkreises und dessen Eingliederung in die Nachbarlandkreise sei schon deshalb nicht in Betracht gekommen, weil die Nachbarlandkreise Uelzen und Lüneburg ihrerseits besonders finanzschwach und daher nicht in der Lage seien, die Altschulden des Landkreises Lüchow-Dannenberg zu übernehmen. Landeshilfen nur zum Ausgleich der Altschulden seien rechtlich unzulässig und angesichts der eigenen angespannten Haushaltssituation des Landes nicht möglich. Eine interkommunale Zusammenarbeit zwischen Landkreis und Samtgemeinden sei nur freiwillig möglich, die Beteiligten hätten sich aber schon in der Vergangenheit nicht aus freien Stücken zusammengefunden.

Der durch § 4 Abs. 1 LDG möglicherweise erfolgende Eingriff in die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung sei auch angemessen. Die Kommunen im Raum Lüchow-Dannenberg verfügten nur über sehr geringe, weit unterdurchschnittliche Steuereinnahmen und könnten aus eigener Kraft keinen ausgeglichenen Haushalt erreichen. Sie seien deshalb auf überdurchschnittlich hohe allgemeine Zuweisungen aus Landesmitteln angewiesen. Spätestens seit dem Wegfall der so genannten Gorlebengelder im Jahre 1993 habe sich die finanzielle Situation sehr verschlechtert. So seien bis zum 31. Dezember 2005 Kassenkredite von insgesamt 87,5 Mio. € für den Landkreis Lüchow-Dannenberg angehäuft worden. Dies sei pro Einwohner mehr als zweimal so viel wie beim nächst hochverschuldeten niedersächsischen Landkreis, dem Landkreis Uelzen.

Zugleich verlaufe die demographische Entwicklung sehr ungünstig. So sei bis 2020 mit 9,4 % weniger Einwohnern zu rechnen, zudem überaltere die Bevölkerung. Wäre der Gesetzgeber jetzt nicht tätig geworden, hätten mittelfristig auch die Aufgaben des eigenen Wirkungskreises nicht mehr erfüllt werden können.

Das Lüchow-Dannenberg-Gesetz wahre dabei die erforderliche Bürgernähe, weil weiterhin die Mitgliedsgemeinden unterhalb der Samtgemeindeebene existierten. So bleibe wenigstens auf dieser Ebene bürgerschaftliches Engagement möglich.

§ 4 Abs. 1 LDG verstoße auch nicht gegen das Gebot kommunaler Gleichbehandlung und sei nicht willkürlich. Im Raum Lüchow-Dannenberg liege mit der äußerst dünnen Besiedelung bei sehr nachteiliger demographischer Entwicklung, der großen Fläche mit erheblichen Teilen unter Natur- und Landschaftsschutz, den vielen Selbstverwaltungseinheiten und der nicht abgestimmten Aufgabenverteilung eine Sondersituation vor. § 4 Abs. 1 LDG sei wegen dieser örtlichen Besonderheiten und der geradezu singulären Ausgangssituation als Ausnahme von dem bisherigen gesetzlichen Leitbild gerechtfertigt. Der Landkreis Lüchow-Dannenberg habe bereits bei der Kommunalreform in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Größe und Zusammensetzung dem damaligen Leitbild nicht entsprochen. Hingegen seien die neu gebildeten Samtgemeinden nach Fläche, Einwohnerzahl und Zahl der Mitgliedsgemeinden im Wesentlichen noch leitbildgerecht. Im Übrigen stehe es dem Gesetzgeber frei, neue Leitbilder zu entwickeln.

Dem Gesetzgeber könne auch keine fehlerhafte Tatsachenermittlung vorgeworfen werden. Er habe zahlreiche Gutachten eingeholt und es könne ohne Weiteres von dem darin untersuchten Modell zweier Samtgemeinden auf die Gesetz gewordene Lösung mit drei Samtgemeinden geschlossen werden. Der Gesetzgeber sei nicht gehalten, wissenschaftliche Untersuchungen des Einzelfalls in Form von Nutzen-Kosten-Analysen durchzuführen. Der Rückgriff auf allgemeine Erfahrungen und ermittelte Gesetzmäßigkeiten der Verwaltungswissenschaft und -praxis genüge. Von der Aufgabenverlagerung sei ein Stellenvolumen von 15 Vollzeitstellen betroffen bei rund 150 Stellen in den Kernverwaltungen der drei Samtgemeinden. Tatsächlich seien bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung drei Stellen auf Landkreisebene eingespart worden. Zudem wiesen von den 64 Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises, die auf den Landkreis übergegangen seien, nur drei oder vier einen örtlichen Bezug auf.

C.

I.

Mit Beschluss vom 11. Oktober 2006 hat der Staatsgerichtshof den Antrag der Beschwerdeführerinnen, im Wege der einstweiligen Anordnung den Vollzug des § 4 Abs. 1 LDG bis zur Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen, abgelehnt (StGH 2/06).

II.

Darüber hinaus hat der Staatsgerichtshof nach Inkrafttreten des Lüchow-Dannenberg-Gesetzes am 1. November 2006 und dem sich aus § 1 Abs. 2 LDG ergebenden Zusammenschluss der früheren Beschwerdeführerinnen zu 1) (Samtgemeinde Dannenberg) und 9) (Samtgemeinde Hitzacker) zur Samtgemeinde Elbtalaue das Rubrum dieses Verfahrens geändert: Die Samtgemeinde Elbtalaue ist an die Stelle der bisherigen Beschwerdeführerin zu 1) getreten, die bisherige Beschwerdeführerin zu 9) ist gestrichen und die bisherige Beschwerdeführerin zu 10) ist zur neuen Beschwerdeführerin zu 9) geworden.

III.

Schließlich hat der Staatsgerichtshof mit Beschluss vom 23. Januar 2007 festgestellt, dass sein Mitglied Prof. Dr. Ipsen an der Ausübung des Richteramtes wegen seiner Mitwirkung am Gesetzgebungsverfahren gehindert ist.

D.

Die Kommunalverfassungsbeschwerden sind zulässig.

I.

Die Beschwerdeführerin zu 1) ist als Samtgemeinde beschwerdeberechtigt. Wie der Staatsgerichtshof bereits in seinem Urteil vom 13. März 1996 (StGHE 3, 199 (212)) entschieden hat, stellen Samtgemeinden Gemeindeverbände i.S.d. Art. 54 Abs. 1 Nr. 5 NV dar. Daran ist festzuhalten. Die Beschwerdeführerin zu 1) ist durch den Aufgabenübergang gemäß § 4 Abs. 1 LDG selbst betroffen. Zwar geht es hier um Aufgaben ihrer Mitgliedsgemeinden, d.h. der Beschwerdeführerinnen zu 2) bis 9). Diese Aufgaben wurden aber bisher von der Beschwerdeführerin zu 1) (bzw. ihren Rechtsvorgängerinnen, den ehemaligen Beschwerdeführerinnen zu 1) und 9)) erfüllt. Diese Erfüllungszuständigkeit wird ihr entzogen.

II.

Die Beschwerdeführerinnen zu 2) bis 9) sind ebenfalls selbst betroffen und damit beschwerdebefugt. Zwar überträgt § 4 Abs. 1 LDG Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises von der Ebene der Samtgemeinden auf den Landkreis. Dabei handelt es sich aber originär um Aufgaben der Beschwerdeführerinnen zu 2) bis 9), die bisher von der Beschwerdeführerin zu 1) (bzw. ihren Rechtsvorgängerinnen) für sie gemäß § 72 Abs. 2 NGO wahrgenommen wurden.

E.

Die zulässigen Kommunalverfassungsbeschwerden sind begründet. § 4 Abs. 1 und § 10 Abs. 4 LDG sind verfassungswidrig. Sie verstoßen gegen Art. 57 Abs. 1, 3 NV.

I.

§ 4 Abs. 1 LDG verstößt gegen die Garantie kommunaler Selbstverwaltung nach Art. 57 Abs. 1, 3 NV. Die Übertragung der Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises der Beschwerdeführerinnen zu 2) bis 9) von der Beschwerdeführerin zu 1) auf den Landkreis Lüchow-Dannenberg greift in den Gewährleistungsbereich der Garantie kommunaler Selbstverwaltung ein und ist von der Schrankenregelung des Art. 57 Abs. 1, 3 NV nicht gedeckt.

1. a) Sowohl die Beschwerdeführerinnen zu 2) bis 9) als auch die Beschwerdeführerin zu 1) sind Träger der Garantie kommunaler Selbstverwaltung. Auch Mitgliedsgemeinden von Samtgemeinden wie die Beschwerdeführerinnen zu 2) bis 9) unterfallen dem persönlichen Gewährleistungsbereich dieser Garantie. Die Beschwerdeführerin zu 1) kann sich als öffentlich-rechtliche Körperschaft i.S.d. Art. 57 Abs. 1 NV gleichfalls auf die Gewährleistung kommunaler Selbstverwaltung berufen.

b) Der sachliche Gewährleistungsbereich der institutionellen Garantie kommunaler Selbstverwaltung umfasst neben den Aufgaben des eigenen Wirkungskreises auch solche des übertragenen Wirkungskreises und ordnet diese den Gemeinden zu. Dies ergibt sich klar aus dem Wortlaut des Art. 57 Abs. 3 NV. Der aus dem Wortlaut folgende weite Gewährleistungsbereich des Art. 57 Abs. 3 NV befindet sich im Einklang mit der Systematik und der Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift und steht auch nicht in einem Spannungsverhältnis zu Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG.

aa) Wie der Staatsgerichtshof bereits in seiner Entscheidung zur kommunalen Frauenbeauftragten (StGHE 3, 199 (214)) herausgestellt hat, geht die landesverfassungsrechtliche Garantie kommunaler Selbstverwaltung gemäß Art. 57 Abs. 3 NV ihrem Wortlaut nach über die bundesverfassungsrechtliche Gewährleistung nach Art. 28 Abs. 2 GG hinaus. Während nach Art. 28 Abs. 2 S. 1 GGDen Gemeinden [...J das Recht gewährleistet sein [muss], alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln.“, schreibt Art. 57 Abs. 3 NV vor, dass „Die Gemeinden [...] in ihrem Gebiet die ausschließlichen Träger der gesamten öffentlichen Aufgaben [sind], soweit die Gesetze nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmen“.

Die Wahl des Begriffes „öffentliche Aufgaben“ an Stelle des Begriffes „Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“ spricht eindeutig für ein weites Verständnis des Gewährleistungsbereichs der landesverfassungsrechtlichen Selbstverwaltungsgarantie. Die Zuordnung der „gesamten“ Aufgaben und nicht nur eines Ausschnitts derselben deutet gleichfalls in diese Richtung. Dieser Befund wird zudem durch die Bezeichnung der Gemeinden als „ausschließliche [...] Träger“ dieser Aufgaben gestützt. Auch der Vorbehalt, dass die Gesetze „ausdrücklich“ etwas anderes bestimmen müssen, zeigt den hohen Wert, der dieser Aufgabenzuweisung zugemessen wird.

bb) Die systematische Stellung des Abs. 3 innerhalb des Art. 57 NV steht dieser Auslegung nicht entgegen. Es besteht kein Widerspruch zu den übrigen Absätzen dieser Vorschrift.

(1)Gemäß Art. 57 Abs. 1 NV verwalten die Gemeinden und Landkreise und die sonstigen öffentlich-rechtlichen Körperschaften „ihre Angelegenheiten“ in eigener Verantwortung. Der Wortlaut des Art. 57 Abs. 1 NV ist sehr allgemein gefasst. Der Formulierung „ihre Angelegenheiten“ ist aber jedenfalls nicht zu entnehmen, dass in Art. 57 Abs. 3 NV ausschließlich die Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises geschützt werden sollen.
(2)Auch Art. 57 Abs. 4 NV schließt nicht aus, dass die „gesamten öffentlichen Aufgaben“ gemäß Art. 57 Abs. 3 NV auch die Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises umfassen. Zwar geht Art. 57 Abs. 4 NV ersichtlich davon aus, dass die Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises nicht schon von vornherein bei den Gemeinden angesiedelt, sondern erst noch auf sie zu übertragen sind. Daraus folgt jedoch nicht, dass Art. 57 Abs. 3 NV auf die Aufgaben des eigenen Wirkungskreises beschränkt ist. Vielmehr besteht für die Gemeinden gemäß Art. 57 Abs. 3 NV grundsätzlich ein Anspruch auf Transfer der Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises, den das Land in den nach Art. 57 Abs. 4 NV vorgesehenen Formen unter Beachtung der darin vorgesehenen finanziellen Folgen zu erfüllen hat.

(3) Aus Art. 57 Abs. 5 NV folgt nichts Gegenteiliges. Danach „stellt [das Land] durch seine Aufsicht sicher, dass die Gesetze beachtet und die Auftragsangelegenheiten weisungsgemäß erfüllt werden“. Art. 57 Abs. 5 Hs. 1 NV verpflichtet damit die Gemeinden bei der Erfüllung der „gesamten öffentlichen Aufgaben“ nach Art. 57 Abs. 3 NV auf die Beachtung der Gesetze. Aus der Gesamtheit dieser Aufgaben greift sodann Art. 57 Abs. 5 Hs. 2 NV den Teilbereich der Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises heraus und räumt dem Land nur hinsichtlich dieser Aufgaben ein Weisungsrecht ein.

cc) Auch aus der Entstehungsgeschichte des Art. 57 Abs. 3 NV ergibt sich nicht, dass dieser entgegen seinem Wortlaut die Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises nicht umfassen sollte. Art. 57 Abs. 3 NV ist wortgleich mit Art. 44 Abs. 3 der Vorläufigen Niedersächsischen Verfassung (VNV) vom 13. April 1951 (Nds. GVBl. Sb. I S. 5). Weder bei den Beratungen 1950/51 zur Entstehung der Vorläufigen Niedersächsischen Verfassung noch bei den Erörterungen 1992/93 zum Erlass der Niedersächsischen Verfassung wurde ein Anspruch der Gemeinden auf Wahrnehmung der Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises abgelehnt.

(1) Der Verfassungsausschuss des Niedersächsischen Landtags beriet in der 13. Sitzung am 23. November 1950 sowie in der 19. Sitzung am 19. Januar 1951 den Art. 43 des Verfassungsentwurfs (VE), den Vorläufer des späteren Art. 44 VNV.

Dabei deutete der damalige Ministerpräsident Kopf (SPD) den Art. 43 Abs. 2 VE (Art. 44 Abs. 3 VNV; Art. 57 Abs. 3 NV) in dem Sinne, dass damit ein „Naturrecht der Gemeinden auf Selbstverwaltung anerkannt werde, ein nicht vom Staate abgeleitetes Recht“ (Stenographischer Bericht der 19. Sitzung des Verfassungsausschusses des Niedersächsischen Landtages vom 19. Januar 1951, S. 510). Der Ministerialrat Danckwerts führte für die Landesregierung weiter aus, diese habe einerseits eine möglichst weitgehende Selbstverwaltung für die Gemeinden und Landkreise angestrebt, andererseits aber für Gebietskörperschaften zwischen Landkreisen und der Zentralebene keinen Raum mehr lassen wollen (Stenographischer Bericht der 13. Sitzung des Verfassungsausschusses des Niedersächsischen Landtages vom 23. November 1950, S. 278). Der Art. 43 Abs. 2 VE (Art. 44 Abs. 3 VNV; Art. 57 Abs. 3 NV) bringe eine klare und inhaltlich wichtige Zuständigkeitsvermutung für die Gemeinden (Stenographischer Bericht der 13. Sitzung des Verfassungsausschusses, S. 291). Er betone den eigentlichen Selbstverwaltungsgedanken und stelle heraus, dass die Selbstverwaltung einen Zuständigkeitsbereich habe, der sich von selbst ergebe und der unter allen Umständen, auch dem Gesetzgeber gegenüber, gewahrt bleiben müsse (Stenographischer Bericht der 19. Sitzung des Verfassungsausschusses, S. 514).

Für die SPD-Fraktion stellte der Abgeordnete Böhme fest, die Gemeinden hätten nach Art. 43 Abs. 2 VE die ausschließliche Zuständigkeit in allen Angelegenheiten, in denen die Zuständigkeit nicht durch Gesetz einem anderen Körper übertragen worden sei (Stenographischer Bericht der 19. Sitzung des Verfassungsausschusses, S. 513).

Der Abgeordnete Hofmeister vertrat für die CDU-Fraktion die Ansicht, Art. 43 Abs. 2 VE bringe zum Ausdruck, dass die Gemeinden die ausschließlichen Träger der gesamten öffentlichen Aufgaben sein sollten, mit einer Einschränkung, soweit nicht Staatsaufgaben notwendig seien, die nur auf staatlichem Gebiete und von der staatlichen Regelung her kommen könnten (Stenographischer Bericht der 13. Sitzung des Verfassungsausschusses, S. 287 f.). Es bestehe nach dem Entwurf ein Universalitätsprinzip zu

Gunsten der Gemeinden (Stenographischer Bericht der 13. Sitzung des Verfassungsausschusses, S. 291).

Schließlich fasste der Abgeordnete Gereke den Entwurf dahingehend zusammen, zunächst kämen den Gemeinden alle Aufgaben zu, es sei denn, dass ihnen bestimmte Punkte durch Gesetz entzogen würden (Stenographischer Bericht der 13. Sitzung des Verfassungsausschusses des Niedersächsischen Landtages vom 23. November 1950, S. 283).

(2) Im Zuge der Beratungen zur (endgültigen) Niedersächsischen Verfassung 1992/93 beschäftigte sich der Sonderausschuss „Niedersächsische Verfassung“ des Landtags in der 23. Sitzung am 17. August 1992, der 37. Sitzung am 11. Januar 1993, der 38. Sitzung am 15. Januar 1993 sowie der 41. Sitzung am 26. Februar 1993 mit der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung. Sowohl der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst des Landtags als auch mehrere Abgeordnete nahmen Stellung.

Der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst meinte einen Normwiderspruch zwischen den Absätzen 3 und 4 des bisherigen Art. 44 VNV zu erkennen und schlug eine Anpassung an Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG vor. Andernfalls sei diese Kollision nur dadurch aufzulösen, dass Abs. 3 praktisch nicht angewandt werde (Stenographischer Bericht der 38. Sitzung des Sonderausschusses „Niedersächsische Verfassung“ vom 15. Januar 1993,

S. 943).

Der Abgeordnete Möllring wies darauf hin, dass die bisherige Verfassungswirklichkeit bei der Auslegung zu berücksichtigen sei. Jede den Wortlaut klarstellende Änderung könnte auch als - nicht beabsichtigte - materielle Änderung interpretiert werden (Stenographischer Bericht der 37. Sitzung des Sonderausschusses „Niedersächsische Verfassung“ vom 11. Januar 1993, S. 938). Selbst wenn die Niedersächsische Verfassung den Art. 28 GG nicht im Wortlaut wiederhole, sei dieser ohnehin geltendes Recht (Stenographischer Bericht der 41. Sitzung des Sonderausschusses „Niedersächsische Verfassung“ vom 26. Februar 1993, S. 999).

Der Abgeordnete Waike meinte, Art. 44 VNV habe sich im Grundsatz bewährt, würde er verändert, müssten die Gerichte der Frage nachgehen, was der Verfassungsgeber sich mit dieser Änderung wohl gedacht habe (Stenographischer Bericht der 38. Sitzung des Sonderausschusses „Niedersächsische Verfassung“ vom 15. Januar 1993,

Der Abgeordnete Rabe fasste als Ausschussvorsitzender das Stimmungsbild in der Weise zusammen, dass der Ausschuss der Ansicht sei, der derzeitige Umfang der Selbstverwaltungsgarantie solle unverändert erhalten bleiben (Stenographischer Bericht der 38. Sitzung des Sonderausschusses „Niedersächsische Verfassung“ vom 15. Januar 1993, S. 944, 946).

dd) Die weite Auslegung des Art. 57 Abs. 3 NV steht auch nicht in einem Spannungsverhältnis zu Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG, der gemäß Art. 31 GG dem Landesrecht vorgeht. Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG gewährleistet nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 79, 127 (151 f.); 107, 1 (18)) zwar nur die Aufgaben des eigenen Wirkungskreises. Allerdings stellt diese Verfassungsnorm lediglich eine Mindestgarantie dar (vgl. Lange, NdsVBl. 2005, Sonderheft, S. 19 (22)). Deshalb ist es dem niedersächsischen Landesverfassungsgeber nicht verwehrt gewesen, über Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG hinauszugehen und in den Gewährleistungsbereich des Art. 57 Abs. 3 NV auch die Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises einzubeziehen.

2.§ 4 Abs. 1 LDG greift in die Garantie kommunaler Selbstverwaltung nach Art. 57 Abs. 1, 3 NV sowohl der Beschwerdeführerin zu 1) als auch der Beschwerdeführerinnen zu 2) bis 9) ein.

Der Beschwerdeführerin zu 1) werden sämtliche Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises ihrer Mitgliedsgemeinden unmittelbar kraft Gesetzes entzogen, soweit nicht Bundesrecht ausdrücklich die Wahrnehmung der Aufgaben durch die Gemeinden vorschreibt.

Hinsichtlich der Beschwerdeführerinnen zu 2) bis 9) ist gleichfalls ein Eingriff in die Garantie kommunaler Selbstverwaltung zu bejahen. Zwar haben sie schon bisher die Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises nicht selbst wahrgenommen; diese Aufgaben wurden vielmehr von den Rechtsvorgängerinnen der Beschwerdeführerin zu 1), den vormaligen Beschwerdeführerinnen zu 1) und 9) als Samtgemeinden erfüllt. Mit der Aufgabenübertragung auf den Landkreis verlieren sie aber die Möglichkeit, auf die Art der Aufgabenerfüllung im bisherigen Umfang einzuwirken. Denn während die Mitgliedsgemeinden einer Samtgemeinde über den Erlass der Hauptsatzung nach § 73 NGO und die Besetzung des Samtgemeinderates nach § 75 NGO ihren Einfluss in der Samtgemeinde geltend machen können, fehlen ihnen gegenüber dem Landkreis vergleichbare Einwirkungsmöglichkeiten.

3.Dieser Eingriff in die Selbstverwaltungsgarantie ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.

a) Die Garantie kommunaler Selbstverwaltung gilt nicht schrankenlos, sondern steht ihrerseits unter Gesetzesvorbehalt, wie sich aus Art. 57 Abs. 3 Hs. 2 NV (soweit die Gesetze nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmen“) ergibt. Dies erlaubt dem Gesetzgeber Einschränkungen der Selbstverwaltungsgarantie, zu denen grundsätzlich auch der Entzug von Aufgaben gehören kann. Insofern entspricht der Weite des Gewährleistungsbereiches prinzipiell das Ausmaß der Einschränkungsmöglichkeiten. Allerdings ist die Selbstverwaltungsgarantie nicht dem beliebigen Zugriff des Landesgesetzgebers preisgegeben. Vielmehr muss das einschränkende Landesgesetz seinerseits der Bedeutung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie Rechnung tragen und darf auch im Übrigen nicht gegen Verfassungsbestimmungen verstoßen, die das verfassungsrechtliche Bild der kommunalen Selbstverwaltung ausformen. In ähnlicher Weise wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 79, 127 (146)) bei der Garantie kommunaler Selbstverwaltung nach Art. 28 Abs. 2 GG zwischen einem Kern- und einem Randbereich der Garantie der Aufgaben des eigenen Wirkungskreises unterscheidet, ist auch bei der Gewährleistung der Aufgaben des eigenen und des übertragenen Wirkungskreises nach Art. 57 Abs. 3 NV zwischen Zonen verschiedener Schutzintensität zu differenzieren. Stärker ist der Schutz vor Entziehung von Aufgaben des eigenen Wirkungskreises der Gemeinden ausgeprägt, schwächer die Sicherung vor dem Entzug von Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises. Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises können von der Gemeindeebene verlagert werden, wenn beachtliche Gründe des Gemeinwohls, die der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie vorgehen, dies rechtfertigen. Auch wenn gesetzliche Änderungen am übertragenen Aufgabenbestand der Gemeinden durch beachtliche Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sein müssen, so steht dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Aufgabenerledigung ein erheblicher Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum zu (vgl. BVerfGE 107, 1 [BVerfG 19.11.2002 - 2 BvR 329/97] (14)).

b)§ 4 Abs. 1 LDG ist formell verfassungsgemäß. Der Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens ist nicht zu beanstanden. Es braucht nicht geklärt zu werden, ob das LüchowDannenberg-Gesetz „allgemeine Fragen“ i.S.d. Art. 57 Abs. 6 NV regelt und deshalb eine Pflicht zur Anhörung der kommunalen Spitzenverbände bestand. Denn im Einklang damit wurde am 29. März 2006 in der 110. Sitzung des Ausschusses für Inneres und Sport die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände öffentlich angehört.
c)Die materielle Verfassungsmäßigkeit von Eingriffen in die Garantie kommunaler Selbstverwaltung beurteilt sich nach ständiger Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs (StGHE 2, 1 (157); 3, 84 (93); 3, 199 (213 f.)) nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Dieses wurzelt nicht nur in den Grundrechten nach Art. 3 NV, sondern auch im Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 2 Abs. 2 NV. Der Staatsgerichtshof überprüft Entscheidungen über kommunale Neugliederungen darauf hin, ob der Gesetzgeber den für seine Maßnahmen erheblichen Sachverhalt zutreffend und vollständig ermittelt und dem Gesetz zugrunde gelegt hat, ob er alle Gemeinwohlgründe sowie die Vor- und Nachteile der gesetzlichen Regelung in die vorzunehmende Abwägung eingestellt hat und ob der gesetzgeberische Eingriff geeignet, erforderlich und angemessen sowie frei von willkürlichen Erwägungen ist. Gleiches gilt, wenn in das Selbstverwaltungsrecht einer einzelnen Gemeinde eingegriffen und ihr hierdurch im Vergleich zu anderen Gemeinden ein Sonderopfer auferlegt wird (vgl. BVerfGE 107, 1 (24) [BVerfG 19.11.2002 - 2 BvR 329/97]; StGHE 3, 1 (16)). Das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist als Maßstab auch geeignet, wenn es um die Überprüfung von solchen Eingriffen in die Schutzzone des Art. 57 Abs. 3 NV geht, mit denen staatliche Aufgaben entzogen werden, die den beschwerdeführenden Gemeinden zur Erledigung übertragen waren und von ihnen - wie auch von allen anderen niedersächsischen Gemeinden - bislang wahrgenommen wurden.

aa) Der mit der Aufgabenübertragung nach § 4 Abs. 1 LDG verfolgte Zweck, die kommunalen Haushalte im Raum Lüchow-Dannenberg zu konsolidieren, ist landesverfassungsgemäß. Die Haushaltskonsolidierung stellt einen wichtigen Gemeinwohlbelang dar, der Eingriffe in den Bestand der Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises zu rechtfertigen vermag.

bb) Das eingesetzte Mittel, die Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises der Beschwerdeführerinnen zu 2) bis 9) auf den Landkreis Lüchow-Dannenberg zu verlagern, ist nicht von vornherein ungeeignet. Es erscheint unter Berücksichtigung der dem Gesetzgeber zukommenden Einschätzungsprärogative im Rahmen der Geeignetheitsprüfung nicht ausgeschlossen, dass durch die Aufgabenübertragung auf den Landkreis für den Raum Lüchow-Dannenberg insgesamt betrachtet eine Kostenersparnis entsteht.

cc) Es ist von Landesverfassung wegen auch nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber einen noch weitergehenden Zusammenschluss der Samtgemeinden, die freiwillige Aufgabenübertragung durch Verwaltungsgemeinschaften oder den Zusammenschluss von Landkreisen nicht als mildere Mittel angesehen hat, um die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte im Raum Lüchow-Dannenberg zu erreichen.

(1)Eine über den von § 1 LDG vorgenommenen Zusammenschluss von Samtgemeinden noch hinausgehende Fusion würde schon deshalb kein milderes, gleich geeignetes Mittel darstellen, weil die dann zu bildende Samtgemeinde wegen der Anzahl ihrer Mitgliedsgemeinden nicht mehr leitbildgerecht wäre. Seit der Gebietsreform der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts ist das niedersächsische Kommunalrecht von höchstens zehn Mitgliedsgemeinden je Samtgemeinde ausgegangen. Dies war bis 2006 auch in § 71 Abs. 1 S. 3 NGO a.F. ausdrücklich verankert. Mit der Aufhebung dieser Bestimmung durch das Gesetz vom 24. Mai 2006 (Nds. GVBl. S. 203) wurden zwar gewisse Überschreitungen dieses Leitbildes ermöglicht; gleichwohl würden Samtgemeinden mit einer wesentlich höheren Anzahl an Mitgliedsgemeinden dieses Leitbild verlassen. So bewegt sich zwar die durch Fusion der ehemaligen Samtgemeinden Clenze und Lüchow gemäß § 1 Abs. 1 LDG entstandene Samtgemeinde Lüchow (Wendland) mit insgesamt zwölf Mitgliedsgemeinden noch im Bereich dieses Leitbildes. Die während des Gesetzgebungsverfahrens zusätzlich erwogene Einbeziehung der Samtgemeinde Gartow mit ihren fünf Mitgliedsgemeinden in die Samtgemeinde Lüchow (Wendland) hätte aber eine Samtgemeinde mit insgesamt 17 Mitgliedsgemeinden entstehen lassen, was mit dem bisherigen Leitbild der Samtgemeinde unvereinbar gewesen wäre. Allenfalls hätte der Gesetzgeber ein neues gesetzliches Leitbild begründen können.
(2)Der Gesetzgeber musste auch nicht auf Einsparungen durch freiwillige Aufgabenübertragungen zwischen den Samtgemeinden und dem Landkreis durch die Bildung von Verwaltungsgemeinschaften vertrauen. Aufgabenübertragungen dieser Art waren unter der Geltung des Reichszweckverbandsgesetzes vom 7. Juni 1939 (RGBl. I S. 979) bis zum Jahr 2004 nur sehr eingeschränkt möglich. Das in Niedersachsen seit 2004 geltende Niedersächsische Gesetz über kommunale Zusammenarbeit (Nds. GVBl. S. 63) hat zwar deutlich ausführlicher die Zweckvereinbarung in §§ 5 f. NKomZG geregelt, wonach eine der beteiligten Kommunen von einer anderen eine ihnen gemeinsam obliegende Aufgabe zur alleinigen Erfüllung übernehmen kann. Auch § 5 NKomZG geht dabei aber von einer Übertragung auf derselben kommunalen Ebene aus, also nicht von einer Übertragung von einer Samtgemeinde auf einen Landkreis oder umgekehrt. Weitere (öffentlich-)rechtliche Rahmenbedingungen für den Aufgabentransfer zwischen Gemeinden und Landkreisen standen den Kommunen im Raum Lüchow-Dannenberg bis zum In-Kraft-Treten des § 5 LDG nicht zur Verfügung. Ob es zur Bildung von (freiwilligen) Verwaltungsgemeinschaften zwischen den Samtgemeinden und dem Landkreis in Anwendung des § 5 LDG kommt, erscheint derzeit ungewiss. Für den Gesetzgeber war daher nicht vorhersehbar, ob sich aus § 5 LDG ein nennenswertes Einsparpotential ergeben wird.

(3) Schließlich hat sich der Gesetzgeber noch innerhalb seiner Einschätzungsprärogative bewegt, als er die Auflösung des Landkreises Lüchow-Dannenberg und den Zusammenschluss mit einem Nachbarlandkreis entgegen der gutachtlichen Stellungnahme des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes vom 6. September 2005 nicht als milderes Mittel zur Haushaltskonsolidierung betrachtet hat.

Zwar sind solche Gebietsreformen in Art. 59 NV ausdrücklich vorgesehen und dann gerechtfertigt, wenn Gründe des Gemeinwohls eine kommunale Neugliederung gebieten. Ein aus dem Landkreis Lüchow-Dannenberg und einem Nachbarlandkreis zusammengeschlossener Landkreis verließe auch nicht die traditionelle Formentypik des Kommunalrechts und entspräche nach Fläche, Anzahl der kreisangehörigen Gemeinden und Einwohnerzahl anderen niedersächsischen Landkreisen. Bereits der Entwurf des Achten Gesetzes zur Verwaltungs- und Gebietsreform vom 7. August 1975 (LT-Drucksache 8/1000) sah in § 14 die Vereinigung der Landkreise Lüchow-Dannenberg und Uelzen unter Bildung eines neuen Landkreises Uelzen vor. Einem solchen Zusammenschluss stünde auch kein erhöhter Bestandsschutz in Folge der damaligen Gebietsreform entgegen, weil letztlich entgegen der Entwurfsfassung diese beiden Landkreise von der damaligen Reform überhaupt nicht erfasst wurden. Auch würden die von dem Landkreis Lüchow-Dannenberg bisher angehäuften Schulden kein verfassungsrechtliches Hindernis für eine Fusion mit einem anderen Landkreis darstellen, solange die Verbindlichkeiten die Erfüllung der Kreisaufgaben nicht verhindern. Dessen ungeachtet ist von Verfassung wegen nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber die mit einer solchen Kreisfusion verbundenen Risiken angesichts der schlechten Haushaltslage sowohl des Landkreises Lüchow-Dannenberg als auch seiner Nachbarlandkreise als so schwerwiegend bewertet hat, dass er diesen Weg nicht für zweckmäßig hielt.

dd) Im Rahmen der Angemessenheit von angestrebtem Ziel und eingesetztem Mittel stellt sich bei Eingriffen in den übertragenen Wirkungskreis die Frage, ob der Gesetzgeber zwischen der Bedeutung der Haushaltskonsolidierung, der Wahrscheinlichkeit der Zielerreichung und dem Ausmaß des erzielten Vorteils auf der einen Seite und der Bedeutung der Garantie kommunaler Selbstverwaltung, der Wahrscheinlichkeit drohender Nachteile und dem Ausmaß der Beeinträchtigung auf der anderen Seite vertretbar abgewogen hat. Die Prüfung durch den Staatsgerichtshof hat zwar gerade an dieser Stelle den im übertragenen Wirkungskreis größeren Spielraum des Gesetzgebers zu respektieren und der Tatsache Rechnung zu tragen, dass die geforderte Abwägung von Haushaltskonsolidierung und kommunaler Selbstverwaltung prognostische Elemente enthält (vgl. VfG Bbg, LVerfGE 8, 97 (169 f.)). Andererseits trifft den Gesetzgeber die voll überprüfbare Pflicht, den abwägungserheblichen Sachverhalt zutreffend und vollständig zu ermitteln. Die Anforderungen hierzu steigen, wenn der Gesetzgeber - wie hier - in einem Einzelfall von den Leitbildern der Kommunalverfassung abweichen will.

Nach diesen Maßstäben erweist sich die Aufgabenübertragung von den Beschwerdeführerinnen auf den Landkreis Lüchow-Dannenberg nicht mehr als angemessen.

Zwar bildet die Stabilität der öffentlichen Haushalte einschließlich der Haushaltskonsolidierung ein wichtiges Gemeinschaftsgut (vgl. Art. 65 Abs. 1 S. 2, 71 S. 2 NV). Ausgeglichene kommunale Haushalte zählen zu den wesentlichen Voraussetzungen für den Bestand der kommunalen Selbstverwaltung, denn nur auf einer gesicherten finanziellen Basis ist dauerhaft kommunale Selbstverwaltung möglich. Die Garantie kommunaler Selbstverwaltung in den Art. 57, 58 und 59 NV mit einem hinreichenden Bestand an Aufgaben steht jedoch auf der gleichen verfassungsrechtlichen Stufe wie das Gemeinschaftsgut der Stabilität der öffentlichen Haushalte. Sie wird zwar in Art. 1 Abs. 2, Art. 2, Art. 46 Abs. 2 NV nicht ausdrücklich vor Verfassungsänderungen geschützt, zählt aber zu den Ausprägungen des Rechtsstaats- und des Demokratieprinzips und gehört damit zu den Strukturprinzipien der Verfassungsordnung.

Der Gesetzgeber, der demnach eine Abwägung zwischen zwei prinzipiell gleichrangigen Verfassungsrechtsgütern vorzunehmen hatte, hat indessen die Vor- und Nachteile der Aufgabenübertragung - im Gegensatz zu denen des Samtgemeindezusammenschlusses - nicht hinreichend ermittelt, seiner Abwägung daher in diesem Teilaspekt seiner Reform einen unvollständigen Sachverhalt zugrunde gelegt und in der Folge nicht ausreichend dargelegt, dass gerade durch § 4 Abs. 1 LDG beachtliche Belange des Gemeinwohls geschützt werden, die der Garantie kommunaler Selbstverwaltung nach Art. 57 Abs. 1, 3 NV vorgehen.

Der Gesetzgeber hat bei der Frage der Zielerreichung keine hinreichende Tatsachenermittlung dazu angestellt, welche konkreten Vorteile durch die Hochzonung der Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises entstehen. Dabei genügt es angesichts des hier

nicht unerheblichen Eingriffs in den Bestand der gemeindlichen Aufgaben nicht, sich auf allgemeine Annahmen oder Erwartungen zu beschränken. Vielmehr hätte der Gesetzgeber konkrete Vorstellungen darüber entwickeln und nachvollziehbar belegen müssen, welche Personal- und Sachkosten durch den Übergang der Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises bei den Samtgemeinden oder dem Landkreis eingespart werden können und welche konkreten Synergie- und Einspareffekte durch die Funktionalreform entstehen. Dieser Darlegungs- und Begründungspflicht ist der Gesetzgeber ausweislich der vorliegenden Gesetzesmaterialien nicht in der gebotenen Weise nachgekommen.

Dem Lüchow-Dannenberg-Gesetz ist weder eine Kosten-Nutzen-Analyse noch eine Organisationsuntersuchung vorausgegangen darüber, wie die Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises in den verschiedenen (Samt-)Gemeindeverwaltungen bislang wahrgenommen worden sind und wie viele Mitarbeiter in welchen Besoldungsgruppen mit der Erledigung dieser Aufgaben befasst waren. Dabei ist es nicht erforderlich, dass Kosten-Nutzen-Analysen auf wissenschaftlicher Grundlage durchgeführt werden. Gleichwohl müssen aber die Vor- und Nachteile gegenübergestellt werden (vgl. StGH 2, 84 (93)). Dies gilt umso mehr, als hier von den herkömmlichen verfassungsrechtlichen Leitbildern der kommunalen Aufgabenverteilung abgewichen wird. Die Landesregierung hat lediglich eine Zusammenstellung von 64 Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises vorgelegt, die von der Samtgemeinde auf die Kreisebene übergehen sollen. Im Änderungsvorschlag der Koalitionsfraktionen vom 6. März 2006, der die Grundlage des Lüchow-Dannenberg-Gesetzes gebildet hat, heißt es, das Einsparpotential, das aus der beabsichtigen Konzentration der staatlichen Aufgaben beim Landkreis resultiere, sei „zurzeit nicht genau bezifferbar“ (vgl. LT-Drucksache 15/0000, S. 8). In den Gesetzesmaterialien (vgl. zuletzt Niederschrift über den nichtöffentlichen Teil der 119. Sitzung des Ausschusses für Inneres und Sport vom 3. Mai 2006, Anlage 2, S. 5) ist nachzulesen, insgesamt seien ca. 15 Vollzeitstellen auf der Ebene der Samtgemeinden und weitere Stellen auf der Ebene des Landkreises mit den Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises befasst. Wie viele Stellen letztlich davon tatsächlich eingespart werden könnten, lasse sich zurzeit nicht sagen und hänge insbesondere auch von den zukünftigen Organisationsentscheidungen des Landkreises ab. Auch eine Stellenreduzierung von nur 5 Stellen würde nach Personalkostendurchschnittssätzen mit entsprechendem Sachkostenanteil aber bereits eine jährlich Ersparnis von rd. 0,3 Mio. Euro mit sich bringen (vgl. auch Schriftlicher Bericht, LT-Drucksache 15/3512, S. 11).

Betrachtet man die Gesetzesmaterialien, so fußt die Angabe betroffener Stellen fast wörtlich auf Ausführungen des Innenministeriums, dessen Vertreter im Gesetzgebungsverfahren auf ausdrückliche Nachfrage erklärte, dass gesonderte Kalkulationen für den Einzeleingriff der Übertragung von Aufgaben auf den Landkreis - im Gegensatz zur nachvollziehbaren Berechnung der Synergieeffekte durch die Zusammenlegung der Samtgemeinden - nicht erfolgt seien (vgl. Niederschrift der 111. Sitzung des Ausschusses für Inneres und Sport vom 19. April 2006, S. 14). Es kann vor diesem Hintergrund dahingestellt bleiben, ob mit den zitierten Stellenangaben ein reales Personalkosteneinsparpotential aufgezeigt werden sollte; denn jedenfalls würde es für eine sachgerechte Prognose an der erforderlichen, nachvollziehbaren Tatsachengrundlage fehlen.

Einen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass eine zentrale Aufgabenwahrnehmung durch eine höhere Verwaltungsbehörde per se effizienter ist als eine dezentrale Aufgabenwahrnehmung durch eine nachgeordnete Behörde, gibt es für die öffentliche Verwaltung nicht. Im Übrigen ist auch nicht untersucht worden, ob die durch die Zentralisierung möglicherweise entstehenden Synergieeffekte nicht dadurch wieder zunichte gemacht werden, dass die Verwaltung im Interesse der Orts- und Bürgernähe in einem großflächigen Landkreis gehalten sein könnte, die längeren Wege der Einwohner durch die Einrichtung von Bürgerbüros oder Außenstellen zu erleichtern (vgl. dazu Schriftlicher Bericht LT-Drucksache 15/35 12, S. 6). Eine einigermaßen belastbare Abschätzung des durch die Aufgabenübertragung erreichbaren Einsparvolumens hat danach nicht stattgefunden.

II.

Vor diesem Hintergrund kann offen bleiben, ob § 4 Abs. 1 LDG, wie die Beschwerdeführerinnen geltend machen, auch gegen das Gebot kommunaler Gleichbehandlung verstößt.

III.

§ 10 Abs. 4 LDG ist gleichfalls verfassungswidrig. Bei dieser Norm handelt es sich um eine Übergangsvorschrift, nach der Rechtsvorschriften der bisherigen Samtgemeinden in Aufgabengebieten, die nach § 4 Abs. 1 LDG auf den Landkreis Lüchow-Dannenberg übergehen, in ihrem bisherigen räumlichen Geltungsbereich als Recht des Landkreises Lüchow-Dannenberg fortgelten. Diese Bestimmung bezieht sich unmittelbar auf § 4 Abs. 1 LDG und verliert mit dessen Nichtigerklärung ihren Sinn. Sie hat an der Verfassungswidrigkeit des § 4 Abs. 1 LDG teil.

IV.

Das Verfahren vor dem Staatsgerichtshof ist gemäß § 21 Abs. 1 StGHG kostenfrei. Auslagen der Verfahrensbeteiligten werden gemäß § 21 Abs. 2 S. 2 StGHG nicht ersetzt.