Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 13.10.2015, Az.: 13 A 12068/14

Aufenthaltserlaubnis; freiwillige Ausreise; Ausweisung; Befristung; Befristungsdauer

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
13.10.2015
Aktenzeichen
13 A 12068/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 44851
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung und die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.

Bei dem Kläger handelt es sich um einen 1970 geborenen libanesischen Staatsangehörigen. Er reiste 1992 illegal in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte mehrmals erfolglos Asylanträge. Wegen fehlender Reisedokumente wurde er bislang im Bundesgebiet geduldet.

Der Kläger ist geschieden und hat volljährige Kinder. Nach unwidersprochener Darstellung der Beklagten hat der Kläger keinen bzw. kaum Kontakt zu ihnen.

Im November 1999 wurde der Kläger wegen versuchten Totschlages in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt.

Mit Bescheid vom 31.01.2002 wies der Beklagte den Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland aus. Dieser Bescheid ist bestandskräftig. Eine Befristung wurde nicht vorgenommen.

Der Kläger reiste jedoch nicht aus und der Beklagten vermochte den Kläger wegen fehlender Papiere auch nicht abzuschieben. . Nach einem Schreiben des Beklagten vom Mai 2005 (Beiakte B Bl. 562) kam bislang der Kläger seiner Mitwirkungspflichten bei der Beschaffung von Reisedokumenten nicht nach. Auch in einem Schreiben an den damaligen Bevollmächtigten des Klägers von Anfang März 2009 wird der Kläger darauf hingewiesen, dass der Kläger seinen Mitwirkungspflichten zur Passbeschaffung nicht nachkomme. Unter dem 26.10.2010 wird er erneut zur Mitwirkung aufgefordert (Beiakte B Bl. 697).

Im Jahr 2003 erging ein Bußgeldbescheid gegen den Kläger wegen eines Verstoßes gegen das Ausländergesetz. Im Jahr 2006 erging ein Strafbefehl wegen Betruges. Ende November 2014 wurde der Kläger wegen gemeinschaftlicher Steuerhinterziehung zu einer Geldstrafe verurteilt.

Bereits Ende Mai 2013 beantragte der Kläger durch seinen Bevollmächtigten, die Wirkungen der Ausweisung mit sofortiger Wirkung zu befristen. Außerdem beantragte der Kläger die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen gem. § 25 Abs. 5 AufenthG.

Nach vorheriger Anhörung (Beiakte A Bl. 774) befristete der Beklagte mit Bescheid vom 28.08.2014 die Sperrwirkung der Ausweisung auf fünf Jahre beginnend mit der Ausreise und lehnte die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab. Der Bescheid wurde dem Bevollmächtigten des Klägers am 01.09.2014 zugestellt.

Der Kläger hat am 01.10.2014 Klage erhoben.

Er trägt vor: Aufgrund der Rechtsprechung des EuGH würden unbefristete Ausweisungen, die bis zum 26.11.2006 (Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes) erfolgt seien, keine Sperrwirkung mehr entfalten. Denn der EuGH habe festgestellt, dass unbefristete Ausweisungen gemeinschaftsrechtswidrig seien.

Auch liege die Straftat des Klägers, die zur Ausreise geführt habe, schon lange zurück. Eine Gewalttat habe er seither nicht mehr verübt.

Ihm sei ferner einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen. Er sei unverschuldet an der Ausreise gehindert. Er habe vergeblich versucht, Reisedokumente zu beschaffen. Im Übrigen könne dem Kläger keine Verletzung von Mitwirkungspflichten vorgeworfen werden, wenn diese nicht kausal für das Fehlen von Reisepapieren seien. Schließlich sei es auch dem Beklagten nicht gelungen, Passersatzpapiere zu beschaffen.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter entsprechender Aufhebung des angefochtenen Bescheides vom 28.08.2014 zu verpflichten, das aus der Ausweisung resultierende Einreise- und Aufenthaltsverbot aufzuheben,

hilfsweise,

die Sperrwirkung der Ausweisung mit sofortiger Wirkung ohne Ausreise,

weiter hilfsweise,

auf einen kürzeren Zeitraum zu befristen und dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären, hilfsweise aus anderen Gründen, zu erteilen,

weiter hilfsweise,

die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides zu verpflichten, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er tritt der Klage entgegen und nimmt zunächst Bezug auf die Gründe des angefochtenen Bescheides. Ergänzend trägt er vor, er habe die aktuelle Rechtsprechung des EuGH nachvollzogen, indem er eine nachträgliche Befristungsentscheidung getroffen habe. Der Kläger habe die nicht erfolgte Ausreise selbst zu vertreten, ein atypischer Fall liege nicht vor. Er habe insbesondere nicht glaubhaft gemacht, sich hinreichend um Reisedokumente bemüht zu haben.

Die Kammer hat die Sache mit Beschluss vom 21.04.2015 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Entscheidung ergeht gemäß § 6 Abs. 1 VwGO durch den Einzelrichter.

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat weder Anspruch auf die begehrte sofortige Befristung der Ausweisung noch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.

Das Gericht folgt der Begründung des angefochtenen Bescheides und sieht gemäß § 117 Abs. 5 VwGO von der weiteren Begründung ab.

Im Hinblick auf den klägerischen Klagevortrag weist das Gericht aber ergänzend auf Folgendes hin:

Die vom Kläger in seiner Klageschrift zitierte Rechtsprechung des EuGH führt nicht dazu, dass die Wirkungen der schon 2002 erfolgten Ausweisung automatisch erloschen sind. Der Beklagte hat dem Befristungserfordernis vielmehr durch die jetzt angefochtene Entscheidung Rechnung getragen.

Möglicherweise kommt in den Fällen, in denen ein betroffener Ausländer unverschuldet aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht ausreisen kann, eine Befristung der Wirkungen einer Ausweisung auf „Sofort“ auch ohne vorherige Ausreise in Betracht. Ein derartiger atypischer Fall - davon ist der Beklagte zu recht ausgegangen - liegt hier jedoch nicht vor.

Die ausgesprochene Befristung der Wirkung der Ausweisung auf fünf Jahre ist rechtmäßig.

Die Dauer der Sperrwirkung im jeweiligen Einzelfall ist dabei unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzusetzen. Die Sperrwirkung darf nur solange aufrechterhalten bleiben, wie es der ordnungsrechtliche Zweck der Fernhaltung des Ausländers vom Bundesgebiet erfordert. Bei dieser Prognose sind alle wesentlichen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen und ihrem Gewicht entsprechend unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, der aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK sachgerecht abzuwägen. Die Dauer der Sperrwirkung ist nach alledem danach zu bemessen, wann der durch die Ausweisung nach § 53 AufEnthG vorgegebene Ausweisungszweck voraussichtlich erreicht sein wird.

Die streitige Befristung ist insbesondere verhältnismäßig und angemessen.

Der Kläger ist wegen einer schweren Straftat zu einer längeren Haftstrafe verurteilt worden. Zwar liegt diese Tat, die Grundlage der seinerzeitigen Ausweisungsentscheidung war, bereits einige Jahre zurück. Der Kläger hat sich aber auch in der folgenden Zeit - wenn auch im geringeren Maße - nicht gesetzeskonform verhalten und dadurch gezeigt, dass er weiterhin Schwierigkeiten hat, sich an die deutschen Rechtsvorschriften zu halten. Entgegen den Bestimmungen des deutschen Ausländerrechts hat sich der Kläger darüber hinaus bis heute keine Passpapiere seines Heimatstaates beschafft und ist bewusst seiner Ausreisepflicht nicht nachgekommen. Dieser Umstand allein lässt auch weiterhin an der zukünftigen Rechtstreue des Klägers Zweifel aufkommen.

Das Gericht geht davon aus, dass ein libanesischer Staatsangehöriger, wenn er es denn ernsthaft begehrt, durchaus Passdokumente erhält. Signalisiert er aber hingegen, dass er dies eigentlich doch gar nicht möchte und lediglich auf Druck der Ausländerbehörde vorspricht, so dürfte die Erfolglosigkeit eines Passantrages vorprogrammiert sein. Hier hat der Kläger es an jedem Nachweis fehlen lassen, dass er wirklich ernsthaft versucht hat, an Reisedokumente des Libanon zu gelangen. Eine Gesamtschau des Verhaltens des Klägers, so wie es sich aus den Verwaltungsvorgängen ergibt, legt vielmehr nahe, dass der Kläger die Bundesrepublik gar nicht verlassen will.

Zu Recht weist der Beklagte daraufhin, dass es generalpräventiven Grundsätzen widersprechen würde, die Sperrwirkung einer Ausweisung nur deshalb wieder aufzuheben, weil der Ausländer über viele Jahre hinweg nicht bereit war, Deutschland freiwillig zu verlassen.

Grundsätzlich steht die Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 AufenthG der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entgegen. Abweichend davon kann zwar nach § 25 Abs. 5 AufenthG gleichwohl einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Hier hat es der Kläger indes selbst in der Hand, sich um Reisepapiere zu bemühen und damit die Voraussetzungen für eine Rückkehr in den Libanon zu schaffen.  Dafür, dass er sich vergeblich ernsthaft um derartige Reisedokumente bemüht hat, liegen keinerlei Anhaltspunkte vor.

Familiäre Gründe sprechen nicht für eine verkürzte Frist. Der Kläger ist geschieden,, seine Kinder sind volljährig und es besteht kein, zumindest kaum Kontakt.

Soweit sich der Kläger auf den seit 1. August 2015 geltenden Absatz 4 von § 11 AufenthG beruft, kann auch diese neu eingeführte Vorschrift dem Kläger nicht zum Erfolg verhelfen. Nach dieser Vorschrift kann das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist nach Absatz 2 verkürzt werden. (§ 11 AufenthG in der Fassung vom 27.7.2015). Damit wurde eine spezielle Rechtsgrundlage zur nachträglichen Verlängerung oder Verkürzung der Frist geschaffen, um einen Rückgriff auf allgemeine verwaltungsverfahrensrechtliche Regelungen überflüssig zu machen (vgl. BT-Drucksache 18/4097 zu § 11 Absatz 4). Diese Vorschrift setzt mithin voraus, dass es bereits eine bestandskräftige Befristungsentscheidung gibt und die gesetzte Frist im Nachhinein verkürzt werden soll. Im vorliegenden Fall geht es aber um die erstmalige Befristung der Wirkungen der Ausweisung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.