Sozialgericht Osnabrück
v. 07.07.2006, Az.: S 16 SO 171/05

Berücksichtigung von Kindergeld und den Erhalt eines kostenfreien Mittagessens als Einkommen im Wege der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung

Bibliographie

Gericht
SG Osnabrück
Datum
07.07.2006
Aktenzeichen
S 16 SO 171/05
Entscheidungsform
Gerichtsbescheid
Referenz
WKRS 2006, 52803
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

  1. 1.

    Der Bescheid des Beklagten vom 08.03.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.07.2005 wird aufgehoben.

  2. 2.

    Der Beklagte wird verpflichtet der Klägerin Leistungen zur Grundsicherung bei Alter und Erwerbsminderung unter Anrechnung eines Einkommens von lediglich 25,67 EUR für die Beköstigung in der Werkstatt für Behinderte zu gewähren und 154,00 EUR Kindergeld zu gewähren.

  3. 3.

    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

  4. 4.

    Der Beklagte trägt 1/3 der außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Berücksichtigung von Kindergeld und den Erhalt eines kostenfreien Mittagessens als Einkommen im Wege der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung.

Die Klägerin bezieht von der Stadt G. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Sie erhält Kindergeld i.H.v. 154,00 EUR. Zudem erhält sie jeden Werktag mittags ein kostenfreies Mittagessen

Mit Bescheid vom 08.03.2005 wurden die Leistungen ab 01.01.2005 neu berechnet. Als Grund für die Neuberechnung wurden die Kosten der Unterkunft und Heizung angegeben.

Dagegen hat die Klägerin mit Schreiben vom 16.03.2005 Widerspruch eingelegt. Zum einen sei das Kindergeld nicht als Einkommen zu berücksichtigen, wie sich schon aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) ergebe. Dieses sei auch auf die Regelungen des Zwölften Sozialgesetzbuches (SGB XII) anzuwenden. Zudem wird Bezug genommen auf eine Aussage der Bundesregierung im Rahmen einer kleinen Anfrage in Bezug auf die Umsetzung von Harz IV.

In Bezug auf die Anrechnung des Betrages für das erhaltene Mittagessen stehe entgegen, dass das Einkommen hier nicht den zweifachen Eckregelsatz überschreite.

Diesen Widerspruch hat die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18.07.2005 zurückgewiesen.Zur Begründung wird in Bezug auf das Kindergeld darauf verwiesen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts das Kindergeld, welches nicht durch einen gesonderten und zweckorientierten Zuweisungsakt an das volljährige Kind weitergeleitet werde als Einkommen des Kindergeldberechtigten zu berücksichtigen sei. So sei es auch im vorliegenden Fall, da Herr H. angegeben habe, dass das Kindergeld auf das Konto der Klägerin fließe.

In Bezug auf die Anrechnung des Mittagessens wird auf die Vorschriften zur Einkommensanrechnung verwiesen, wonach alle Einkünfte in Geld und Geldwert zu berücksichtigen seinen und zwar nach den in § 17 Abs. IV festgesetztes Werte der Sachbezüge, da die Klägerin durch die Sachleistung des Mittagessens wirtschaftliche besser stehe. Diesbezüglich wird auf § 2 der Durchführungsverordnung (DVO) zu § 82 SGB XII herangezogen.

Dagegen richtet sich die Klage vom 17.08.2005.

Die Klägerin weist zum einen auf seinen Vortrag im Widerspruchsverfahren. In Bezug auf die Anrechnung des Mittagessens ist sie der Ansicht, dass dieses nicht als Einkommen anzurechnen sei, da es sich um eine "Leistung nach diesem Buch" handele, verweist also auf die Ausnahmeregelung des § 82 Abs. 1, S. 1 SGB XII. Zudem wird auf ein Urteil des Sozialgericht Dortmund vom 16.10.2005 verwiesen.

Die Klägerin beantragt,

  1. 1.

    den Bescheid des Beklagten vom 08.03.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.07.2005 aufzuheben,

  2. 2.

    den Beklagten zu verpflichten, das Kindergeld sowie das kostenfreie Mittagessen in der Lebenshilfe G. nicht als Einkommen auf die Grundsicherung der Klägerin anzurechnen.

Der Beklagte beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Er hält seine Bescheide für rechtmäßig. Er verweist auf seinen bisherigen Vortrag.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, aber nur teilweise begründet.

1. Die Anrechnung des Kindergeldes als Einkommen ist rechtmäßig.

a) Aufgrund der Regelung des § 82 Abs. 1, S. 2 SGB XII ist zwischen minderjährigen und volljährigen Kindern zu differenzieren.

Bei volljährigen Kindern verbleibt es bei der alten Rechtsprechung. (Warendorf in: Grube/Warendorf, SGB XII, § 82, Rn. 19; Brühl in: LPK-SGB XII, § 83, Rn. 48, 49).

Danach ist das Kindergeld dem Berechtigten als Einkommen anzurechnen. Als einzige Ausnahme hat die Rechtsprechung es teilweise anerkannt, wenn ein gezielter Zuweisungsakt an das Kind vorliegt, wobei das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) sich von dieser Rechtsprechung im Jahr 2003 distanziert hat (Urteil des BVerwG vom 17.12.2003, Az.: 5 C 25/02 a.A. teilweise auch nachher noch die Obergericht wie z.B.:OVG Lüneburg, Urteil vom 30.09.2004, Az.: 12 LC 144/04).

b) Dies kann vorliegend aber letztlich dahinstehen, da eine solche Weiterverfügung hier zumindest nicht substantiiert dargelegt wurde.

Es wurde in einer Zusatzerklärung zum Antrag vom 15.03.2004 angegeben, dass das Kindergeld auf das Konto der Klägerin gezahlt werde. Eine Weiterverfügung wurde weder im Verwaltungs- noch im Klageverfahren substantiiert vorgetragen.

2. Das Mittagessen ist dem Grunde nach anzurechnen, aber nicht in der von dem Beklagten veranschlagten Höhe.

a) Die Beklagte hat dem Grunde nach zu Recht das der Klägerin in der I. gewährte Mittagessen auf den sich nach dem 4. Kapitel des SGB XII ergebenden Leistungsanspruch angerechnet.

aa) Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Beklagte auf der Grundlage des § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII den Regelsatz abweichend von Satz 1 festgesetzt hat, da der Ernährungsbedarf im Fall der Klägerin teilweise, nämlich durch die Gewährung eines arbeitstäglichen Mittagessens in der Werkstatt für behinderte Menschen, anderweitig gedeckt ist.

bb) Auch im Rahmen der Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII ist eine individuelle Bedarfsfeststellung nach § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII zulässig. Der Umfang der Leistungen, die der Klägerin nach dem 4. Kapitel des SGB XII zustehen, bestimmt sich nach § 42 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII, der wiederum ausdrücklich auf den Regelsatz nach § 28 SGB XII verweist. Diese Verweisung umfasst den gesamten § 28 SGB XII und nicht nur dessen Abs. 1 Satz 1.

cc) Der Auffassung der Klägerin und des Sozialgerichts Dortmund (Urteil vom 31. Oktober 2005 - S 31 SO 10/05), dass im Rahmen der Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII eine individuelle Bedarfsfeststellung unzulässig sei, ist nicht zu folgen.

(1) Auch unter der Geltung des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) entsprach es ständiger Rechtsprechung des OVG Lüneburg, dass das in einer teilstationären Einrichtung eingenommene Mittagessen bedarfsmindernd auf die Hilfe zum notwendigen Lebensunterhalt anzurechnen war (OVG Lüneburg, Urteil vom 08. September 1987 - 4 A 26/87 - FEVS 39, 108 und Beschluss vom 26. November 1986 - 4 B 63/86 - FEVS 37, 124).

(2) Unter der Geltung des zum 31. Dezember 2004 außer Kraft getretenen Gesetzes über die bedarfsorientierte Grundsicherung (GSiG) war es umstritten, ob abweichende Regelsätze festgelegt werden konnten (vgl. dazu die Nachweise im Beschluss der 16. Kammer des Sozialgerichts Osnabrück. vom 28. April 2006 - S 16 SO 76/06 ER.).

Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 GSiG umfasste die bedarfsorientierte Grundsicherung den Regelsatz nach dem BSHG zuzüglich 15 %, ohne dass ggf. über eine Verweisungsnorm eine abweichende Festlegung vorgesehen war. Der Gesetzgeber hat bei der Einfügung des GSiG in das SGB XII im § 42 SGB XII eine uneingeschränkte Verweisung auf § 28 SGB XII aufgenommen und damit zum Ausdruck gebracht, dass auch bei Leistungen nach dem 4. Kapitel eine Anrechnungsmöglichkeit besteht. Diese Auffassung wird durch § 9 SGB XII bestätigt, nach dem bei der Gewährung aller Hilfen nach dem SGB XII die Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen sind.

dd) Ein Ausschluss der Anrechenbarkeit des Mittagessens auf den Bedarf ergibt sich auch nicht aus den Vorschriften der Eingliederungshilfe, wonach für Leistungen der Eingliederungshilfe ein Kostenbeitrag unterhalb bestimmter Einkommensgrenzen, an die die Klägerin unstreitig nicht heranreicht, nicht verlangt werden darf.

Denn vorliegend geht es nicht um die Frage, ob von der Klägerin für Eingliederungshilfeleistungen ein Kostenbeitrag gefordert werden darf. Entscheidend ist vorliegend allein, in welchem Umfang ein im Wege von Leistungen der Sozialhilfe zu deckender notwendiger Lebensbedarf besteht.

Da der notwendige Lebensbedarf der Klägerin bezogen auf ihre Ernährung teilweise durch das ihr zur Verfügung gestellte Mittagessen gedeckt wird, sind Leistungen nur noch für den darüber hinausgehenden Bedarf erforderlich. Insofern ist es auch nicht gerechtfertigt, dass das bereits durch Sozialhilfeleistungen von der öffentlichen Hand im Rahmen der Eingliederungshilfe gezahlte Mittagessen abermals durch Leistungen nach dem 4. Kapitel bezahlt wird.Diese Systematik verkennt das von der Klägerin zitierte Urteil des Sozialgerichts Dortmund (Urteil vom 31. Oktober 2005 - S 31 SO 10/05). Die Kammer folgt der dort vertretenen Auffassung nicht (ebenso die 24. Kammer des Sozialgerichts Osnabrück, Beschluss vom 28. April 2006 - S 24 SO 63/06 ER und vom 02. Mai 2006 - S 24 SO 46/06 ER).

b) Der Beklagte hat allerdings den Anteil des im Regelsatzes enthaltenen Bedarfes für ein Mittagessen mit 2,50 EUR zu hoch angesetzt.

aa) Der Betrag von 2,50 EUR orientiert sich - laut dem Widerspruchsbescheid - an den in § 1 Abs. 1 der Verordnung zur Bewertung der Sachbezüge vom 19. Dezember 1994 (BGBl. I S. 3849), geändert durch die Verordnung vom 7. November 2002 (BGBl. I S. 4339) und durch die Verordnung vom 23. Oktober 2003 (BGBl. I S. 2103) genannten Werten für ein Mittagessen.

Nach Auffassung des Gerichts berücksichtigt diese Verfahrensweise nicht hinreichend, dass nach § 2 Abs. 1 Satz 2 der Durchführungsverordnung zu § 76 BSHG die Verpflichtung, den notwendigen Lebensunterhalt im Einzelfall nach Abschnitt 2 des Gesetzes sicherzustellen, unberührt bleibt.

Daraus folgt nach Auffassung des Gerichts, dass für einen Sachbezug nicht die in der Sachbezugsverordnung genannten Geldbeträge, sondern der entsprechende im Regelsatz enthaltene Anteil in Ansatz zu bringen ist.Bei der Bemessung dieses Anteils orientiert sich das Gericht an § 2 der Regelsatzverordnung in der seit dem 1. Januar 2005 geltenden Fassung, da die bisherigen Grundsicherungsleistungen (erhöhter Regelsatz) in etwa gleich so hoch waren wie die nunmehr zu gewährenden Regelsatzleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII).

bb) Vom Regelsatz eines Haushaltsvorstandes (345 EUR) entfallen auf Nahrungsmittel einschließlich Getränke und Tabakwaren 132,48 EUR (vgl. Mergler/Zink; SGB II, Stand: Oktober 2004, § 20 Rdnr. 18). Da sich der Regelsatz in Bezug auf den Ernährungsanteil auch nach Einordnung des BSHG in das SGB XII nicht verändert hat, vielmehr die Erhöhung des Eckregelsatzes nur auf die nunmehr auch erfassten einmaligen Bedarfe zurückzuführen ist, legt die Kammer diesen Betrag auch weiterhin zugrunde.

cc) Da dem Kläger nur der Regelsatz für einen Haushaltsangehörigen in Höhe von 80 % des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes gewährt wird, ist von dem vorgenannten Betrag vorliegend nur ein Wert von 104 EUR (80 % von einer 130 EUR) zu berücksichtigen, was einem Betrag von täglich 3,47 EUR (104 EUR /30 Tage) entspricht. Entsprechend der Wertung des § 1 Abs. 1 Sachbezugsverordnung ist der Anteil des Mittagessens an dem Gesamternährungsbedarf mit 2/5 zu bewerten, so dass sich vorliegend ein Betrag von 1,388 EUR (2/5 von 3,47 EUR) ergibt.

Da die Einnahme des Mittagessens in der Werkstatt für Behinderte auch Aufwendungen für Kochfeuerung und ähnliches erspart, erscheint es dem Gericht angemessen, für den hier streitigen Sachbezug einen Betrag von täglich 1,4 EUR in Ansatz zu bringen.

Die Kammer hat - wie in der bisherigen Rechtsprechung des hiesigen Gerichts - 220 Arbeitstage zugrunde gelegt (vgl. dazu das Urteil der erkennende Kammer vom 28. April 2005, Az.: 16 SO 11/05).Demnach errechnet sich vorliegend ein Jahreswert von 308,00 EUR (220 Arbeitstage x 1,4 EUR) bzw. ein Monatswert von 25,67 EUR. Nur in dieser Höhe erscheint die Berücksichtigung des Sachbezuges als Einnahme gerechtfertigt.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).