Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 25.01.2021, Az.: 1 HEs 1/21

Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus; Flucht- und Verdunkelungsgefahr bei Millionenbetrug; Besondere Voraussetzungen für Fortdauer der Untersuchungshaft; Besondere Schwierigkeit und besonderer Umfang für Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft; Unvermeidbare Schwierigkeiten bei Aufklärung als Grund für andauernde Untersuchungshaft

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
25.01.2021
Aktenzeichen
1 HEs 1/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 41727
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG Osnabrück - AZ: 246 Gs 81/20

Redaktioneller Leitsatz

1. Die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus ist rechtmäßig, da der Fall besondere Schwierigkeiten und einen besonderen Umfang ausweist. Es geht hier um Betrug durch gefälschte Urkunden für Flächen zum Bau von Windkraftanlagen und einem daraus entstandenen Schaden in zweistelliger Millionenhöhe.

2. Zudem bestehen Flucht- und Verdunkelungsgefahr, zumal der Angeklagte schon vor der Inhaftierung Vorbereitungen zur Vernichtung von Beweisstücken getroffen hat.

Tenor:

I. Die Fortdauer der Untersuchungshaft wird angeordnet.

II. Die weitere Haftprüfung wird für die Zeit von drei Monaten dem Gericht übertragen, dem sie nach den allgemeinen Vorschriften zusteht.

Gründe

I.

Gegen den Beschuldigten und weitere Mitbeschuldigte führt die Staatsanwaltschaft Osnabrück seit dem Jahr 2019 diverse Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit den Unternehmungen der (...) Firmengruppe, durch welche Investoren mittels gefälschter Urkunden etwa über das Vorhandensein von Flächen für die Errichtung von Windkraftanlagen getäuscht und somit zu Vorauszahlungen in Höhe mehrerer Millionen Euro veranlasst wurden.

Der Beschuldigte hat sich in dem Parallelverfahren 710 Js 10291/20 der Staatsanwaltschaft Osnabrück aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Osnabrück vom 24. Februar 2020 (246 Gs 64/20) seit seiner Festnahme am 17. April 2020 ununterbrochen in Untersuchungshaft befunden. Gegenstand dieses Haftbefehls und der nachfolgenden Anklage zum Amtsgericht Meppen war u.a. der Vorwurf, am TT. MM 2019 zu Lasten der als Maklerin tätig gewordenen BB GmbH die für die Vermittlung einer landwirtschaftlichen Fläche vereinbarte Provision - wie von Anfang an beabsichtigt - nicht entrichtet zu haben. Wegen dieses und eines weiteren Vorwurfs hat das Amtsgericht Meppen mit Urteil vom 14. Oktober 2020 den Beschuldigten wegen Betruges in zwei Fällen unter Einbeziehung einer weiteren Freiheitsstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und zugleich Haftfortdauer angeordnet. Gegen dieses Urteil haben sowohl der Beschuldigte als auch die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt. Die Berufungskammer des Landgerichts Osnabrück hat mit Beschluss vom 3. Dezember 2020 den Haftbefehl aufgehoben und das Verfahren mit weiterem Beschluss vom 16. Dezember 2020 unter Hinweis auf etwaige Mängel der zugrundliegenden Anklageschrift wegen eines Verfahrenshindernisses nach § 206a StPO eingestellt.

In dem vorliegenden Verfahren 710 Js 1629/19 hat das Amtsgericht Osnabrück am 9. März 2020 einen weiteren auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützten Haftbefehl erlassen (246 Gs 81/20). Dem Beschuldigten sind in diesem Haftbefehl, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, die versuchte gewerbs- und bandenmäßige Begehung eines Betruges in Tateinheit mit 25 tateinheitlichen Fällen der Urkundenfälschung in Tatmehrheit mit der Verabredung eines Verbrechens vorgeworfen worden. Unter dem 22. Oktober 2020 ist dieser Haftbefehl durch das Amtsgericht Osnabrück wieder aufgehoben und dem Beschuldigten ein abgeänderter Haftbefehl vom 25. Mai 2020, auf den ebenfalls Bezug genommen wird, verkündet worden. In diesem auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützten Haftbefehl werden dem Beschuldigten und vier weiteren Beschuldigten die Verabredung zur Begehung eines Verbrechens, namentlich eines gewerbs- und bandenmäßigen Betruges in zwei Fällen, gewerbs- und bandenmäßige Urkundenfälschung in sechs Fällen sowie gewerbs- und bandenmäßiger Betrug in sieben Fällen, wovon drei tateinheitlich mit gewerbs- und bandenmäßiger Urkundenfälschung begangen worden sein sollen, zur Last gelegt. Dem Haftbefehl liegen weitere Geschäftsvorfälle der (...) Firmengruppe zugrunde, in denen Investoren in Windkraftprojekte der (...) Firmengruppe unter Einsatz gefälschter Urkunden über den wirtschaftlichen Wert der zu veräußernden Windkraftprojekte getäuscht wurden. Dieser Haftbefehl wird aufgrund der Aufhebung des Haftbefehls im vorgenannten Parallelverfahren 710 Js 10291/20 nunmehr seit dem 3. Dezember 2020 vollstreckt.

Die Ermittlungen gegen den Beschuldigten und die weiteren Mitbeschuldigten dauern weiterhin an. Die Erhebung einer (Teil-)Anklage ist spätestens im Februar 2021 vorgesehen.

Das Amtsgericht Osnabrück hält die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich und hat mit Beschluss vom 30. Dezember 2020 die Akten dem Oberlandesgericht zur Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO vorgelegt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hält eine Entscheidung des Senats derzeit nicht für veranlasst. Hilfsweise hat sie beantragt, die Fortdauer der Untersuchungshaft anzuordnen.

Der Beschuldigte und seine Verteidiger haben Gelegenheit zur Äußerung erhalten.

II.

Der Senat ordnet die Fortdauer der Untersuchungshaft an. Der Beschuldigte befindet sich zwar länger als sechs Monate in Untersuchungshaft (dazu 1.). Es liegen aber die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft vor (dazu 2.).

1.

a)

Der Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO unterliegt allein die zuletzt erlassene und prozessordnungsgemäß bekanntgegebene Haftentscheidung (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 12.11.2007 - (1) 4420 BL - III - 29/07, juris). Grundlage der Prüfung durch den Senat ist daher der bestehende und derzeit vollstreckte Haftbefehl in der durch den Beschluss des Amtsgerichts Osnabrück vom 25. Mai 2020 angepassten Fassung.

b)

Insoweit ist der Senat zu einer Entscheidung im besonderen Haftprüfungsverfahren gemäß §§ 121, 122 StPO berufen. Denn obwohl zwischenzeitlich ein auf Freiheitsstrafe lautendes Urteil ergangen ist, wird inzwischen die Untersuchungshaft wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus vollzogen.

aa) Der Senat vertritt in ständiger (vgl. Senat, Beschlüsse vom 07.05.2018 - 1 HEs 2/18; vom 10.07.2018 - 1 HEs 3/18; vom 07.10.2019 - 1 HEs 18/19; vom 21.10.2020 - 1 HEs 18/20 [n.v.]) und höchstrichterlich geteilter (vgl. BGH, Beschlüsse vom 06.04.2017 - AK 14/17, juris Rn. 6 m.w.N.; vom 26.07.2018 - AK 30/18, juris Rn. 20 ff.) Rechtsprechung die Auffassung, dass der Begriff "derselben Tat" nicht mit dem Tatbegriff des § 264 StPO oder dem des § 53 StGB gleichgesetzt werden kann. Vielmehr gilt mit Rücksicht auf den Schutzzweck dieser Norm ein "erweiterter Tatbegriff". Danach fallen unter den Begriff "derselben Tat" gemäß § 121 StPO alle Taten des Beschuldigten von dem Zeitpunkt an, in dem sie - im Sinne eines dringenden Tatverdachts - bekannt geworden sind und in den bestehenden Haftbefehl hätten aufgenommen werden können, und zwar unabhängig davon, ob sie Gegenstand desselben Verfahrens oder getrennter Verfahren sind. Dies gilt auch dann, wenn wegen der Taten mehrere Ermittlungsverfahren anhängig sind, ohne dass es auf eine Verbindung der Verfahren oder der Möglichkeit einer solchen ankommt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 21.01.2002 - 2 Ws 11/02, NStZ-RR 2002, 382; OLG Hamburg, Beschluss vom 07.07.2005 - 2 Ws 147/05, juris Rn. 8; OLG Celle, Beschluss vom 23.12.2015 - 2 HEs 6/15, juris Rn. 7 jew. m.w.N.). Entsteht im Verlauf der Ermittlungen wegen bereits bekannter Taten ein dringender Tatverdacht wegen einer weiteren Tat, so beginnt die Frist des § 121 StPO jedenfalls dann von dem Zeitpunkt an neu, ab dem hinsichtlich dieser Tat ein dringender Tatverdacht besteht und die weitere Tat auch für sich allein den Erlass eines Haftbefehls rechtfertigt (vgl. OLG Celle a.a.O.).

Unter Zugrundelegung dieses "erweiterten Tatbegriffs" werden vorliegend von der Tatidentität im Sinne des § 121 StPO neben den Taten im Sinne des § 264 StPO des Haftbefehls vom 24. Februar 2020 auch sämtliche Taten des (geänderten) Haftbefehls vom 25. Mai 2020 umfasst. Denn - wie bereits in dem parallelen Haftprüfungsverfahren eines Mitbeschuldigten (vgl. Senat, Beschluss vom 27.10.2020 - 1 HEs 17/20) ausgeführt - hätten spätestens am 5. Mai 2020 die dem Haftbefehl vom 25. Mai 2020 zugrundeliegenden Taten in den bestehenden Haftbefehl vom 24. Februar 2020 aufgenommen werden können, da sich angesichts des Tags zuvor eingegangen Schriftsatzes der mutmaßlich geschädigten CC GmbH sowie der DD nicht zuletzt auch bezüglich dieser Tat ein dringender Tatverdacht ergab. Angesichts dessen gehören die im hiesigen und im Verfahren zu 710 Js 10291/20 erhobenen Vorwürfe ab diesem Zeitpunkt (5. Mai 2020) zu derselben Tat gemäß § 121 StPO.

bb) Dementsprechend betrifft das im Parallelverfahren zu 710 Js 10291/20 am 14. Oktober 2020 ergangene Urteil des Amtsgerichts Meppen, mit welchem gegen den hier Beschuldigten eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verhängt wurde, auch die dem angepassten Haftbefehl vom 25. Mai 2020 zugrundeliegenden Taten.

Sobald jedoch ein auf Freiheitsstrafe lautendes Urteil ergangen ist, ist die besondere Prüfung der Untersuchungshaft nach §§ 121, 122 StPO nicht veranlasst. Dies trifft nicht nur zu, wenn der Anordnung und dem Vollzug der Untersuchungshaft lediglich eine einzige Tat im Sinne des § 264 StPO zugrunde liegt, sondern auch dann, wenn der Haftbefehl wegen verschiedener Taten im Sinne des § 264 StPO erlassen wurde und das auf Freiheitsentziehung lautende Urteil nach Teilabtrennung wegen eines Teils dieser Taten ergeht. Die Verurteilung wegen einer Tat aus dem Bereich des "erweiterten Tatbegriffs" lässt die Voraussetzungen für ein Haftprüfungsverfahren auch wegen der anderen, noch nicht abgeurteilten Taten aus diesem Bereich entfallen (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 01.03.1982 - 1 HEs 8/82, NStZ 1982, 343; OLG Hamm, Beschluss vom 21.01.2002 - 2 Ws 11/02, NStZ-RR 2002, 382 f.; OLG Hamburg, Beschluss vom 07.07.2005 - 2 Ws 147/05, juris Rn. 10; OLG Celle, Beschluss vom 23.12.2015 - 2 HEs 6/15, juris Rn. 10; Krauß, BeckOK-StPO [38. Ed.], § 121 Rn. 5; Posthoff, in HK-StPO6, § 121 Rn. 14; Schultheis, in KK-StPO8, § 121 Rn. 5a). Nichts anderes gilt, wenn - wie hier - zwei Haftbefehle existieren, zwischen den den Haftbefehlen zugrundeliegenden Taten Tatidentität im Sinne des § 121 StPO besteht und solange der Vollzug des Haftbefehls auch die bereits abgeurteilten Taten betrifft (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 21.01.2002 - 2 Ws 11/02, NStZ-RR 2002, 382 f.; Beschluss vom 07.08.2018 - 2 Ws 93/18, juris Rn. 21; Krauß a.a.O.; Schultheiß a.a.O.).

Die insbesondere früher vertretene Gegenansicht, die in Fällen der vorliegenden Art eine Haftprüfung für erforderlich hält (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 30.09.1966 - 1 HEs 103/66, NJW 1966, 2423; OLG München, Beschluss vom 05.06.1986 - 2 Ws 550/86 H, NStZ 1986, 423 f.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 26.10.1994 - 1 HEs 134/94, MDR 1995, 516 f.; Paeffgen, NStZ 1989, 514 [518]) wendet dagegen im Wesentlichen ein, dass es dem Schutzzweck des § 121 StPO widerspräche, wenn ein Angeklagter die Vorteile eines Haftprüfungsverfahrens entbehren müsste, sobald er nur wegen eines von mehreren verfolgten Delikten zu einer eventuell nur geringfügigen Freiheitsstrafe verurteilt worden sei und die Untersuchungshaft in dem Verfahren über sechs Monate hinaus auch noch wegen der übrigen Tatkomplexe andauere.

Diese Erwägungen überzeugen nicht. Dem steht schon der Wortlaut des § 121 StPO als Konsequenz aus dem "erweiterten" Tatbegriff entgegen. Denn nach Ergehen eines (auch nur "Teil"-)Urteils ist es nämlich nicht möglich, das Haftprüfungsverfahren wegen der nicht abgeurteilten Taten (im Sinne des § 264 StPO) sinnvoll durchzuführen. Selbst wenn sich nämlich im Haftprüfungsverfahren wegen der nicht abgeurteilten Taten ergäbe, dass ihretwegen Untersuchungshaft nicht zu vollziehen ist, könnte der Beschuldigte nicht auf freien Fuß gesetzt werden, solange die Untersuchungshaft wegen der abgeurteilten und ebenfalls dem "erweiterten" Tatbegriff unterfallenden Taten fortzudauern hat. Eine Anordnung betreffend Aufhebung oder Fortdauer der Haft wegen der nicht abgeurteilten Taten würde folglich für die Zeit der Fortdauer der Haft wegen der abgeurteilten Tat nichts bewirken und das Haftprüfungsverfahren insoweit ins Leere laufen lassen (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 01.03.1982 - 1 HEs 8/82, NStZ 1982, 343; OLG Hamburg, Beschluss vom 07.07.2005 - 2 Ws 147/05, juris Rn. 10). Als Ergebnis eines solchen Haftprüfungsverfahrens könnte das Oberlandesgericht somit nur folgenlos und jeder unmittelbaren rechtlichen Außenwirkung entbehrend die Feststellung treffen, dass die Untersuchungshaft auch wegen der nicht abgeurteilten Taten vollzogen werden dürfe. Eine solche rein deklaratorische Entscheidung aber würde sich vom Wortlaut ebenso wie von Sinn und Zweck des Haftprüfungsverfahrens nach § 121 StPO entfernen, den Anspruch eines Beschuldigten, binnen angemessener Frist abgeurteilt oder aus der Untersuchungshaft entlassen zu werden, rechtswirksam unmittelbar umsetzbar zu sichern. Das Haftprüfungsverfahren nach § 121 StPO findet nämlich von Gesetzes wegen ausdrücklich nur bei Vollzug der Untersuchungshaft statt. Diese gesetzliche Ausgestaltung des Rechtsinstituts der Haftprüfung hat umgekehrt zwingend zur Folge, dass bei Vollzug der Untersuchungshaft wegen "derselben Tat" das (besondere) Rechtsschutzbedürfnis für die Durchführung eines Haftprüfungsverfahrens wegen der nicht abgeurteilten Taten im Sinne des § 264 StPO mangels möglicher Haftentlassung nicht besteht. Vielmehr steht für die weitere Prüfung das Beschwerdeverfahren (§§ 120, 116 StPO) als Grundverfahren offen, welches weitergehenden Rechtsschutz mit unmittelbarer Außenwirkung zur Verfügung stellt (vgl. OLG Koblenz a.a.O.; OLG Hamburg, Beschluss vom 07.07.2005 - 2 Ws 147/05, juris Rn. 11 m.w.N.).

Ob - den Bedenken der Gegenansicht insoweit Rechnung tragend - etwas Anderes gelten könnte, wenn eine Verfahrensabtrennung oder - wie hier - die Aufspaltung in mehrere Haftbefehle bzw. unterschiedliche Verfahren nicht durch sachliche Gründe geboten gewesen wäre, sondern ersichtlich nur dem Zweck gedient hätte, die besondere Haftprüfung zu unterlaufen (vgl. OLG Oldenburg, Beschluss vom 04.10.1973 - 1 HEs 11/73, MDR 1974, 60), kann der Senat an dieser Stelle offenlassen. Denn eine willkürliche Manipulation mit dem Ziel, die Pflicht zur Vorlage zu umgehen, ist vorliegend nicht erkennbar. Zum einen lag im Zeitpunkt des Erlasses des Haftbefehls vom 24. Februar 2020 im Parallelverfahren zu 710 Js 10291/20 noch kein dringender Tatverdacht bezüglich der hier in Rede stehenden Taten vor. Zum anderen ist in jenem Parallelverfahren durch das Amtsgericht Meppen eine nicht unerhebliche und durchaus ins Gewicht fallende Freiheitsstrafe verhängt worden (vgl. OLG Oldenburg a.a.O.). Vor diesem Hintergrund ist die Verfahrensgestaltung durch sachliche Gründe gedeckt.

In Ansehung dessen bleibt unter Zugrundelegung der vom Senat für vorzugswürdig erachteten erstgenannten herrschenden Meinung für die Anwendung des § 121 StPO insoweit kein Raum. Denn ab Erlass des Urteils des Amtsgerichts Meppen vom 14. Oktober 2020 und während des weiteren Vollzugs der wegen dieser abgeurteilten Taten angeordneten und mit Haftfortdauerentscheidung des Amtsgerichts Meppen vom selben Tage aufrechterhaltenen Untersuchungshaft hätte ein Haftprüfungsverfahren bezüglich der noch nicht abgeurteilten Taten, die dem Haftbefehl vom 25. Mai 2020 zugrunde liegen, nicht mehr sinnvoll durchgeführt werden können. Das Rechtsschutzbedürfnis lebt insoweit auch nicht im Nachhinein rückwirkend wieder auf, nachdem der Haftbefehl vom 24. Februar 2020 in Gestalt des Haftfortdauerbeschlusses vom 14. Oktober 2020 durch das Landgericht Osnabrück am 3. Dezember 2020 aufgehoben worden ist. Der Zeitraum ab Verkündung des Urteils des Amtsgerichts Meppen am 14. Oktober 2020 bis zur Aufhebung des Haftbefehls durch das Landgericht Osnabrück am 3. Dezember 2020 ist demzufolge in die Berechnung der Frist des § 121 Abs. 1 StPO bezüglich des Haftbefehls des Amtsgerichts Osnabrück vom 25. Mai 2020 nicht mit einzubeziehen (vgl. zur Fristberechnung OLG Hamm, Beschluss vom 21.01.2002 - 2 Ws 11/02, NStZ-RR 2002, 382 [383]; Beschluss vom 07.08.2018 - 2 Ws 93/18, juris Rn. 22; OLG Hamburg, Beschluss vom 07.07.2005 - 2 Ws 147/05, juris Rn. 14). Darüber, ob angesichts der Regelung in § 121 Abs. 3 Satz 2 StPO insoweit bereits der Zeitraum ab Beginn der Hauptverhandlung in die Berechnung der Frist des § 121 Abs. 1 StPO nicht mit einzubeziehen ist, braucht der Senat nicht zu befinden, da die Urteilsverkündung hier bereits am ersten und somit einzigen Hauptverhandlungstag erfolgt ist.

cc) An diesem Ergebnis vermag schließlich auch der Umstand nichts zu ändern, dass die Berufungskammer des Landgerichts Osnabrück das Parallelverfahren mit weiterem Beschluss vom 16. Dezember 2020 unter Hinweis auf etwaige Mängel der zugrundliegenden Anklageschrift wegen eines Verfahrenshindernisses nach § 206a StPO eingestellt hat. Denn der Wegfall der Haftbeschränkung nach dem Erlass des Urteils ist endgültig, auch wenn das Verfahren wegen eines - wie hier - behebbaren Verfahrenshindernisses eingestellt wird (vgl. OLG Jena, Beschluss vom 21.05.2014 - 1 Ws 199/14, juris Rn. 10; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 06.04.2010 - 1 HEs 2/10, juris; Posthoff a.a.O.; Schultheis a.a.O.). Dies folgt aus dem eindeutigen Wortlaut des § 121 StPO, der nur die Auslegung zulässt, dass die einmal eingetretene Prozesslage sich nicht wieder ändert, die Beschränkung des Haftvollzugs also nicht wieder eintritt, wenn das verurteilende Erkenntnis vom übergeordneten Gericht aufgehoben oder das Verfahren wegen eines behebbaren Verfahrenshindernisses eingestellt wird. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass die Vorschriften der §§ 121, 122 StPO wieder Anwendung finden, wenn ein freiheitsentziehendes Urteil in Wegfall gerät, dann hätte die Vorschrift etwa auf die Rechtskraft des Urteils, nicht aber auf dessen Erlass abstellen müssen (vgl. Gärtner, in LR-StPO27, § 121 Rn. 16).

dd) Nach alledem ergibt sich - ausgehend von dem Zeitraum zwischen der frühestmöglichen Einbeziehung der dem Haftbefehl vom 25. Mai 2020 zugrundeliegenden Taten in den Haftbefehl des Amtsgerichts Osnabrück vom 24. Februar 2020, mithin dem 5. Mai 2020, bis zu dem Tag, an dem das Urteil verkündet wurde, also am 14. Oktober 2020 [insgesamt fünf Monate und acht Tage], sowie dem Zeitraum ab dem Tag der Aufhebung des Haftbefehls in Gestalt des Haftfortdauerbeschlusses am 3. Dezember 2020 - ein Ablauf der Sechs-Monats-Frist [nach weiteren 22 Tagen] am 25. Dezember 2020 (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 21.01.2002 - 2 Ws 11/02, NStZ-RR 2002, 382 [383]; Beschluss vom 07.08.2018 - 2 Ws 93/18, juris Rn. 23; OLG Celle, Beschluss vom 23.12.2015 - 2 HEs 6/15, juris Rn. 11).

2.

a)

Die allgemeinen Voraussetzungen der Untersuchungshaft gemäß § 112 Abs.1 StPO sind erfüllt. Der Beschuldigte ist der ihm zur Last gelegten Straftaten auf Grund der im Haftbefehl bezeichneten und näher ausgeführten Beweismittel dringend verdächtig. Ob sich dieser Vorwurf letztlich beweisen lassen wird, muss der Hauptverhandlung vorbehalten bleiben.

Gegen den Beschuldigten besteht weiterhin der Haftgrund der Fluchtgefahr. Im Falle seiner Verurteilung hat der Beschuldigte angesichts des herbeigeführten Schadens in nahezu zweistelligem Millionenbereich sowie des Strafrahmens, der für den überwiegenden Teil der vorgeworfenen Taten jeweils Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren vorsieht (§§ 263 Abs. 5, 267 Abs. 4 StGB), eine ganz erhebliche Gesamtfreiheitsstrafe zu erwarten. Die persönlichen Verhältnisse des Beschuldigten, der mit den Mitbeschuldigten Gelder in Millionenhöhe ins außereuropäische Ausland transferiert und etwa durch Anmietung/Ankauf von Wohnungen in Beirut/Libanon konkrete Vorkehrungen für eine Flucht ins Ausland getroffen hat, sind ebenfalls nicht geeignet, dem durch die Straferwartung bedingten Fluchtanreiz entgegenzuwirken. Es besteht daher nach wie vor die Gefahr, dass sich der Beschuldigte der Durchführung des Verfahrens durch Flucht entziehen werde, käme er auf freien Fuß.

Daneben besteht der Haftgrund der Verdunklungsgefahr aus den fortbestehenden Gründen des Haftbefehls. Insbesondere aus der überwachten Telekommunikation der Beschuldigten ergibt sich, dass sie schon vor ihrer Festnahme Anstalten getroffen haben, Akten und elektronische Dateien verschwinden zu lassen.

Vor diesem Hintergrund kann der Zweck der Untersuchungshaft durch weniger belastende Maßnahmen nicht erreicht werden.

b)

Die besonderen Voraussetzungen für den Vollzug von Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen ebenfalls vor. Auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Akten erst nach Fristablauf vorgelegt worden sind und deshalb erhöhte Anforderungen an die Prüfung des wichtigen Grundes zur Fortdauer der Untersuchungshaft zu stellen sind (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 20.01.2013 - 2 BL 3/03, NStZ-RR 2003, 143 [OLG Hamm 20.01.2003 - 2 BL 3/03]; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14.03.1997 - 3 HEs 91/97, NStZ 1997, 452), rechtfertigen die besondere Schwierigkeit der Ermittlungen sowie der besondere Umfang der Sache die Fortdauer der Untersuchungshaft.

Der Verlängerungsgrund der "besonderen Schwierigkeit" und des "besonderen Umfangs der Ermittlungen" lässt sich vor allem mit der Anzahl und den Besonderheiten der aufzuklärenden Taten, dem Ausmaß der erforderlichen Ermittlungen - auch wenn sie dadurch mitbedingt sind, dass der Beschuldigte von seinem Schweigerecht nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO Gebrauch macht -, der Notwendigkeit, aufgetretene Widersprüche zu klären, der zeitraubenden Auswertung einer Vielzahl von Dokumenten, der Anzahl der Beschuldigten, Zeugen und Sachverständigen sowie der Schwierigkeiten ausländischer Ermittlungen rechtfertigen (vgl. Schultheis, in KK-StPO8, § 121 Rn. 14 m.w.N.).

Dies ist hier der Fall.

Die Strafverfolgungsorgane haben insbesondere seit der Festnahme des Beschuldigten sowie der Mitbeschuldigten alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen getroffen, die Ermittlungen so schnell wie möglich voranzutreiben. Von den Ermittlungsbehörden zu vertretende Verfahrensverzögerungen sind nicht ersichtlich. Vielmehr hat die Staatsanwaltschaft und die mit den polizeilichen Ermittlungen betraute Ermittlungsgruppe der Zentralen Kriminalinspektion Osnabrück, die seit dem 2. Juni 2020 über einen beachtlichen Personalbestand von 25 Beamten/-innen verfügt, - wie aus dem Übersendungsbericht der Staatsanwaltschaft Osnabrück vom 5. Januar 2021 ersichtlich - nahezu werktäglich das Verfahren gefördert.

Der Umstand, dass die Ermittlungen in der hiesigen Sache gleichwohl bis heute nicht abgeschlossen werden konnten, ist allein dem Umfang der Ermittlungen und der Vielzahl der im Raume stehenden Straftaten der Beschuldigten, die nach Lage der Akten einen Gesamtschaden im zweistelligen Millionenbereich zu verantworten haben, geschuldet. Es sind weit mehr als 1000 Urkunden auf ihre Echtheit zu prüfen. Von insgesamt ca. 130 Datenträgern, die bislang bei den Beschuldigten sichergestellt wurden und die einen Gesamtdatenbestand von mehreren Terabyte aufweisen, sind bislang etwa 100 ausgewertet worden. Das Einlassungsverhalten der Beschuldigten trägt ebenfalls zur besonderen Schwierigkeit der Ermittlungen bei: Auch wenn der Beschuldigte die Begehung der Taten zulasten der EE GmbH, der FF GmbH und der CC GmbH eingeräumt hat, ist dies durch weitere Ermittlungen zu überprüfen, da dessen schriftliche Einlassung an zahlreichen weiteren Punkten nach Aktenlage nachweislich wahrheitswidrig ist. Ob und in welchem Umfang der Beschuldigte im Rahmen seiner Vernehmung vom 17. November 2020 die Wahrheit gesagt hat, wird zur Zeit ermittelt. Das Einlassungsverhalten des Mitbeschuldigten GG erschwert ebenfalls die Ermittlungen, indem er etwa erst unter dem 3. September 2020 den PIN-Code seines sichergestellten Mobiltelefons den Ermittlungsbehörden mitgeteilt, dessen Auslesen bis dato nicht möglich war. Seine am 18. September 2020 eingegangene Einlassung ist bereits nach Aktenlage widerlegt und ersichtlich von dem Bestreben getragen, Mitbeschuldigte zu schonen. Nach Aktenlage besteht ferner der Verdacht, dass auch die Mitbeschuldigte HH lediglich Teile ihres Tatwissens preisgegeben hat. Der Mitbeschuldigte II schweigt hingegen bis heute; auf seine Computer konnten die Ermittlungsbehörden bis dato keinen Zugriff nehmen, da sie verschlüsselt sind. Nennenswerte Aufklärungsbemühungen gehen einzig von der Mitbeschuldigten JJ aus, die allerdings nach Aktenlage eine Vielzahl an offenen Fragen schlichtweg nicht beantworten kann. Zudem tragen die derzeitige Covid-19-Pandemie und die damit einhergehenden Maßnahmen zum Zwecke des Arbeits- und Infektionsschutzes ebenfalls nicht zur Beschleunigung des Verfahrens bei. Schließlich sind Rechtshilfeersuchen nach Andorra und Großbritannien, die in separaten AR-Vorgängen gestellt wurden, bis heute nicht beantwortet worden.

Von der Möglichkeit, aus Gründen des Beschleunigungsgebotes Teilanklage gegen den Beschuldigten und die weiteren Beschuldigten zu erheben, konnte kein Gebrauch gemacht werden, da keiner der - auch für sich genommenen äußerst umfangreichen - Ermittlungskomplexe aufgrund des Umfangs und der besonderen Schwierigkeit der Sachlage polizeilich ausermittelt werden konnte.

Insofern sind unvermeidbare Schwierigkeiten bei der Aufklärung zu Lasten aller Beschuldigten zu berücksichtigen, wenn - wie hier - es geboten ist, in einem Tatkomplex, an dem mehrere Beschuldigte beteiligt sind, einheitliche Ermittlungen zu führen. Vor allem bei dem Vorhandensein von Bandenstrukturen liegt - trotz schneller Aufklärung von Einzeltaten, die Anlass der Ermittlungen waren - ausnahmsweise ein Verlängerungsgrund im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO vor, wenn die hohe Frequenz der Straftaten sowie ihre Schwere und zeitliche sowie personelle Verknüpfung Ermittlungen mit dem Ziel erfordern, die Verwicklung in das Gesamtgeschehen zutreffend ganzheitlich und nicht nur in der Art einzelner Puzzlesteine dem Gericht zur Kognition zu unterbreiten. Es wäre verfehlt, in solchen Fällen - wie vorliegend - ohne Rücksicht auf die Zusammenhänge das wirkliche Tatbild zugunsten einer schnellen, aber zu kurz greifenden Anklage unaufgeklärt zu lassen (vgl. Schultheis a.a.O. m.w.N.)

Insgesamt liegen die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus gemäß § 121 Abs. 1 StPO vor.

c)

Da schließlich die Fortdauer der Untersuchungshaft auch nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und zu der im Fall der Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO) steht, war Haftfortdauer anzuordnen, zumal die Strafverfolgungsorgane zu erkennen gegeben haben, noch im Februar 2021 (Teil-)Anklage erheben zu wollen.

3.

Die Übertragung der Haftprüfungszuständigkeit beruht auf § 122 Abs. 3 Satz 3 StPO.