Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 12.01.2021, Az.: 1 Ws 554/20
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach fehlender Rechtsmittelbelehrung; Erforderliche Rechtsmittelbelehrung nach § 35a StPO
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 12.01.2021
- Aktenzeichen
- 1 Ws 554/20
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2021, 40606
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
- § 310 StPO
- § 311 StPO
- § 56f StGB
- § 310 Abs. 2 StPO
- § 467 Abs. 1 StPO
Amtlicher Leitsatz
Die Bewilligung einer Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung einer sofortigen Beschwerde gegen eine Strafaussetzungswiderrufsentscheidung durch ein unzuständiges Amtsgericht anstelle der zuständigen Beschwerdekammer des Landgerichts ist bindend und kann durch die Beschwerdekammer nicht aufgehoben werden. Geschieht dies dennoch, ist gegen die landgerichtliche Wiedereinsetzungsentscheidung die sofortige Beschwerde gem. § 46 Abs.3 StPO eröffnet, die zur Aufhebung der ablehnenden Wiedereinsetzungsentscheidung mit der Folge der Unwirksamkeit einer auf die mangelnde Fristeinhaltung gestützten Verwerfung der sofortigen Beschwerde gegen die Widerrufsentscheidung führt.
Redaktioneller Leitsatz
Die Frist zur Einlegung einer weiteren Beschwerde ist nicht schuldhaft versäumt, wenn die Entscheidung nicht mit der nach § 35a StPO erforderlichen Rechtsmittelbelehrung versehen war. Dem Beschwerdeführer ist auf seine Kosten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Tenor:
- 1.
Der Verurteilte wird auf seine Kosten in den Stand vor Versäumen der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der 2. großen Strafkammer des Landgerichts Aurich vom 27. Oktober 2020 wiedereingesetzt.
- 2.
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der 2. großen Strafkammer des Landgerichts Aurich vom 27. Oktober 2020 aufgehoben, soweit durch diesen sein Antrag auf Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumen der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Leer vom 16. Juli 2020 verworfen worden ist.
- 3.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen des Verurteilten trägt die Staatskasse.
Gründe
I.
Mit Beschluss vom 16. Juli 2020 hatte das Amtsgericht Leer die dem Verurteilten im Urteil vom 1. August 2019 zugebilligte Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen. Gegen diese ihm am 24. Juli 2020 zugestellte Entscheidung hatte der Verurteilte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 15. September 2020, per Fax eingegangen am 16. September 2020, sofortige Beschwerde eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumen der Beschwerdefrist beantragt. Mit Beschluss vom 6. Oktober 2020 hatte das Amtsgericht Leer dem Verurteilten Wiedereinsetzung gewährt.
Mit Beschluss vom 27. Oktober 2020 hat das Landgericht Aurich, an das die Sache zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss weitergeleitet worden war, den die Wiedereinsetzung gewährenden Beschluss des Amtsgerichts vom 6. Oktober 2020 aufgehoben, den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die sofortige Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss vom 16. Juli 2020 als unzulässig verworfen.
Hiergegen wendet sich der Verurteilte, dem der Beschluss am 6. November 2020 zugestellt worden ist, mit seinem mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 18. November 2020 angebrachten Rechtsmittel.
II.
Das im Hinblick auf die Unzulässigkeit der weiteren Beschwerde gegen die Widerrufsentscheidung (§ 310 Abs. 2 StPO) bei sachgerechter Auslegung allein als sofortige Beschwerde gegen die den Antrag auf Wiedereinsetzung verwerfende Entscheidung gemäß § 46 Abs. 3 StPO anzusehende Rechtsmittel hat Erfolg.
1.
Allerdings hat der Verurteilte die Frist zur Einlegung dieses Rechtsmittels von einer Woche nach Bekanntmachung (§ 46 Abs. 3 i.V.m. § 311 Abs. 2 StPO) ebenfalls nicht eingehalten. Gegen diese Fristversäumnis war dem Verurteilten jedoch auf seine Kosten (§ 473 Abs. 7 StPO) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Denn da die Entscheidung nicht mit der nach § 35a StPO erforderlichen Rechtsmittelbelehrung versehen war, ist das Versäumen der Frist als unverschuldet anzusehen (§ 44 Satz 2 StPO).
2.
Das zulässige Rechtsmittel führt zur Aufhebung der Entscheidung des Landgerichts über das mit Schriftsatz des Verteidigers vom 15. September 2020 angebrachte Wiedereinsetzungsgesuch.
Zwar war das Landgericht als für die Entscheidung über die sofortige Beschwerde gegen den Widerruf zuständiges Gericht und nicht das Amtsgericht zur Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag berufen (§ 46 Abs. 1 StPO). Die gleichwohl mit Beschluss des Amtsgerichts Leer vom 6. Oktober 2020 bewilligte Wiedereinsetzung ist aber für das weitere Verfahren bindend (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 46 Rz. 7). Das Landgericht war deshalb gehindert, selbst über den Wiedereinsetzungsantrag zu befinden und die gegen den Widerrufsbeschluss gerichtete sofortige Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
Auf die sofortige Beschwerde war daher die Entscheidung der Strafkammer über das Wiedereinsetzungsgesuch aufzuheben. Hierdurch wird die mangels Zulässigkeit einer weiteren Beschwerde selbst nicht anfechtbare Beschwerdeentscheidung des Landgerichts über den Widerrufsbeschluss des Amtsgerichts Leer vom 16. Juli 2020 hinfällig (vgl. OLG Düsseldorf. Beschluss v. 06.01.1988, 2 Ws 557/87, NStZ 1988, 238). Insoweit wird die Strafkammer nunmehr in der Sache zu entscheiden haben.
3.
Die Kostenentscheidung entspricht § 467 Abs. 1 StPO