Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 01.10.2001, Az.: 7 B 3630/01
Behinderter; Betreuung; Eingliederungshilfe; Einzelintegration; Erforderlichkeit; heilpädagogische Leistung; Kleinkind; Kostenübernahme; Krabbelgruppe; Notwendigkeit; Regelkindergarten; Sozialhilfe
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 01.10.2001
- Aktenzeichen
- 7 B 3630/01
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 40429
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 2 SGB 9
- § 39 BSHG
- § 40 Abs 1 Nr 8 BSHG
- § 55 Abs 2 Nr 2 SGB 9
- § 56 SGB 9
Gründe
I.
Die Antragstellerin wurde am 26.11.1998 mit einem sogenannten Wasserkopf (Erweiterung der Liquorräume) geboren. Ihr Entwicklungsstand entspricht dem eines 11/2- jährigen Kindes. Die Erziehung der Klägerin und ihres am 12.1.1996 geborenen Bruders wurde weitgehend von der Mutter übernommen, da der Vater über die Woche als Elektromaschinenbauer auf Montage tätig ist.
Durch eine seit dem 10.9.1999 laufende ambulante Frühförderung erhielt die Antragstellerin bisher in der Regel 2x wöchentlich Therapie und Förderung.
Am 1.7.2001 stellten die Eltern der Antragstellerin einen Antrag auf Einzelintegration der integrativ arbeitenden Krabbelgruppe „D. K.“ der L. Elterninitiative e.V. bei der Antragsgegnerin. Die Klägerin sollte am 1.8.2001 in die Krabbelstube aufgenommen werden, was inzwischen (1.9.2001) auch geschehen ist. Dem Antrag war weiter der Angebotsplan der Krabbelstube und ein Kostenplan beigefügt, auf die verwiesen wird. Der Krabbelstube „D. K.“ wurde durch die Bezirksregierung H. –Niedersächsisches Landesjugendamt- unter dem 14.8.2001 eine Ergänzung der Betriebserlaubnis für die Einzelintegration der Antragstellerin gewährt.
Nachdem der Antrag bis zum 13.9.2001 nicht beschieden worden war, hat die Antragstellerin um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.
Als wesentlich Behinderte habe die Antragstellerin Anspruch auf Eingliederungshilfe. Dabei könne nicht zwischen Kindern vor und nach Erreichen des Kindergartenalters entschieden werden. Es bestehe ein grundsätzlicher Bedarf an einer heilpädagogischen Förderung. Dabei nehme sie ihr Wahlrecht hinsichtlich der Hilfestellung wahr. Die Förderstundenzahl müsse der der von der Bezirksregierung erteilten Betriebserlaubnis entsprechen. Es sei zweifelsfrei davon auszugehen, dass mit der Einzelintegration in der Krabbelstube ein fortschreitender Verlauf der Behinderung der Antragstellerin verlangsamt oder sogar die Folge beseitigt oder gemildert werden könne. Angesichts der kurzen Zeit, in der die Antragstellerin in der besonders geschützten Form einer Krabbelstube gefördert werden könne, sei die beantragte Einzelintegration nur dann möglich, wenn eine kurzfristige Entscheidung getroffen werde.
Die Antragstellerin beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu verpflichten, der Antragstellerin teilstationäre heilpädagogische Förderung im Rahmen der Einzelintegration in der Krabbelstube „D. K.“, Hannover, unter Zahlung der hierfür entstehenden Kosten in Höhe von monatlich DM 4.925,26 DM ab dem 1.9.2001 zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Mit Bescheid vom 18.9.2001 hat sie eine Kostenübernahme abgelehnt. Die Kostenübernahme für die Betreuung von einzelnen Kindern werde durch Runderlass des Nds. Ministeriums für Frauen, Arbeit und Soziales vom 5.5.1997 geregelt. Der Anwendungsbereich erfasse aber nur Regelkindergärten. Die Verordnung über Mindestanforderungen für die gemeinsame Erziehung von behinderten und nicht behinderten Kindern vom 29.11.2000 beziehe sich nur auf Kinder vom vollendeten 3. Lebensjahr bis zum Schuleintritt in Kindertagesstätten und Sonderkindergärten (integrative Gruppen) fest. Auf Kinder in Krippen und Krabbelgruppen finde sie keine Anwendung. In der sozialhygienischen Stellungnahme des Gesundheitsamtes vom 4.9.2001 befürworte das Gesundheitsamt eine Aufnahme der Antragstellerin in eine integrative Gruppe eines Kindergartens auch schon vor Vollendung des 3. Lebensjahres. Insoweit sei sie, die Antragsgegnerin, bereit eine Kostenübernahme zu erklären.
Die Antragsgegnerin bezieht sich zur Begründung ihres Antrages, die einstweilige Anordnung abzulehnen, auf den Bescheid. Sie räumt ein, dass das Behinderungsbild zutreffe.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
Eine einstweilige Anordnung kann das Gericht zur vorläufigen Regelung eines streitigen Rechtsverhältnisses dann erlassen, wenn glaubhaft gemacht ist, dass der geltend gemachte Anspruch gegenüber der Antragsgegnerin besteht und ohne eine vorläufige Regelung wesentliche, in § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO näher beschriebene Nachteile zu entstehen drohen.
Das ist hier der Fall.
Die Antragstellerin gehört unstreitig zum Personenkreis des § 2 SGB IX. Als solche gehört sie zum Personenkreis der Eingliederungshilfeberechtigten nach § 39 BSHG. Als Kind im noch nicht schulpflichtigen Alter hat die Antragstellerin nach § 40 Abs. 1 BSHG iVm §§ 55 Abs. 2 Nr. 2, 56 SGB IX einen Anspruch auf heilpädagogische Leistungen, soweit nach fachlicher Erkenntnis zu erwarten ist, dass hierdurch eine drohende Behinderung abgewendet oder der fortschreitende Verlauf einer Behinderung verlangsamt oder die Folgen einer Behinderung beseitigt oder gemildert werden können.
Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, dass die Betreuung in der Krabbelgruppe notwendig und erforderlich ist.
Dies wird durch alle vorgelegten Stellungnahmen der betreuenden Fachkräfte einschließlich des Gesundheitsamtes der Antragsgegnerin bestätigt und letztlich auch von der Antragsgegnerin nicht in Frage gestellt, die jedoch in der Förderung innerhalb eines integrativen Kindergartens eine ausreichende Förderung sieht. Soweit in der ergänzenden amtsärztlichen Stellungnahme vom 28.9.2001 ausgeführt wird, dass eine Integration in einer Krabbelgruppe aus medizinischer Sicht ursprünglich nicht zwingend erforderlich gewesen sei, soll dies nach Auffassung des Gerichts die Notwendigkeit einer Integrationsförderung (Eingliederungshilfe) nicht grundsätzlich in Frage stellen, wie auch die Bereitschaft der Antragsgegnerin zeigt, die Antragstellerin innerhalb einer integrativen Kindergartengruppe betreuen zu lassen. Zudem sieht auch die Amtsärztin aus ärztlicher Sicht nachvollziehbare soziale Gründe. Wird weiter berücksichtigt, dass auch die Amtsärztin bei der Entwicklungsverzögerung der Antragstellerin von mehr als einem Jahr davon ausgeht, dass eine Unterbringung im Kindergarten der Melanchthongemeinde mit einer Gruppengröße von 8 Kindern eine zu große Belastung darstellen würde, so ist zur Zeit keine Alternative zur Betreuung in der integrierten Krabbelgruppe ersichtlich. Diese Einschätzung kann nur auf das Alter der Gruppenangehörigen zurückgeführt werden, da die Gruppengröße in der Krabbelgruppe 12 beträgt (ergänzende Betriebserlaubnis der Bezirksregierung Hannover), mithin die Gruppengröße für diese Einschätzung allein keine Rolle gespielt haben kann.
Soweit die Antragsgegnerin eine Eingliederungshilfe in einer Krabbelgruppe damit begründet, dass der Runderlass des Nds. Ministeriums für Frauen, Arbeit und Soziales vom 5.5.1997 nur die Einzelintegration von Kindern in Regelkindergärten regele, und auch die Verordnung über die Mindestanforderungen für die gemeinsame Erziehung von behinderten und nichtbehinderten Kindern vom 29.11.2000 nur die Kinder ab 3 Jahren erfasse, ist dies untauglich. Es liegt auf der Hand, dass der Erlass weder das Gesetz beschränken kann noch will. Entsprechend ist auch der von der Antragsgegnerin eingeholte Erlass vom 14.5.2001 (Bl.26f der Beiakte) zu verstehen, der darauf hinweist, dass der Umstand, dass die Verordnung nur bestimmte Einrichtungen erfasse, nicht den Umkehrschluss zulasse, dass eine integrative Arbeit in anderen Tageseinrichtungen nicht möglich sei. Die für die Antragsgegnerin sicher wichtige Frage der letztlichen Kostentragung berührt nicht den grundsätzlichen Anspruch der Antragstellerin. Derartige Streitigkeiten sollen gerade nicht auf dem Rücken des Hilfesuchenden ausgetragen werden, wie die Regelungen über den zuerst angegangenen Hilfeträger zeigen. Auch kann die Notwendigkeit der Betreuung nicht von der Kostenträgerschaft abhängen.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass Überwiegendes dafür spricht, dass ein Anspruch auf integrative Förderung in einer Krabbelgruppe besteht, und ein Abwarten oder ein Wechsel die Entwicklung der Antragstellerin behindern, wenn nicht gar zurückwerfen würde. Aus diesem Grunde bedarf es des Erlasses der einstweiligen Anordnung.
Prozesskostenhilfe wird wegen fehlender Unterlagen (Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse) abgelehnt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.