Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 04.10.2001, Az.: 7 A 5634/00

Kostenerstattung; Zuständigkeit

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
04.10.2001
Aktenzeichen
7 A 5634/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 39363
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt.

Die Beklagte wird im Übrigen verpflichtet, an den Kläger 53.277,99 DM zuzüglich 4 von Hundert an Zinsen per anno seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte und der Kläger tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.

Die Entscheidung über die Kosten ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Tatbestand:

1

Der Kläger, örtlicher zuständiger Träger der Jugendhilfe für seinen Bereich, begehrt die Erstattung von Kosten, die er im Rahmen der Jugendhilfe für das Kind S. (Hilfeempfänger) aufgewendet hat.

2

Die Eltern des Hilfeempfängers leben dauernd getrennt, sind jedoch beide sorgeberechtigt. Der Vater des Hilfeempfängers lebte und lebt noch im Landkreis H., die Mutter zog gemeinsam mit dem Hilfeempfänger von der Stadt H. nach W. im Zuständigkeitsbereich des Klägers.

3

Dort beantragte die Mutter des Hilfeempfängers die Gewährung von Jugendhilfe. Seit dem 20.03.1998 leistete der Kläger daraufhin Hilfe zur Erziehung durch Heimerziehung gemäß § 34 SGB VIII. Unter dem 17.04.1998 erließ er einen entsprechenden Bescheid an die Mutter des Hilfeempfängers.

4

Unstreitig hat der Kläger vorgetragen, dass ihm für diese Hilfemaßnahmen im Zeitraum vom 14.09.1999 bis 31.07.2000 Kosten in Höhe von insgesamt 53.277,99 DM entstanden sind.

5

Die Mutter des Kindes zog anschließend - wohl im Mai 1998 – wieder zurück in den Zuständigkeitsbereich der Beklagten. Jedenfalls seit November 1998 ist sie dort melderechtlich wieder erfasst.

6

Am 01.10.1998 meldete der Kläger mit Schreiben vom 28.09.1998 seinen Kostenerstattungsanspruch bei der Beklagten an.

7

Die Beklagte lehnte das Kostenerstattungsbegehren der Klägerin mit Schreiben vom 12.08.1999 ab und bezweifelte die Rechtmäßigkeit der Hilfegewährung, weil eine Zustimmung des Vaters des Hilfeempfängers zur Hilfegewährung nicht vorlag.

8

Unstreitig hat der Vater des Hilfeempfängers am 14.09.1999 sein Einverständnis zur Heimerziehung seines Sohnes gegeben. Gleichwohl lehnte die Beklagte weiterhin eine Kostenerstattung ab. Sie vertrat nun die Ansicht, die örtliche Zuständigkeit liege nach wie vor beim Kläger.

9

Nachdem auch in der Folgezeit keine Einigung mit der Beklagten erzielt werden konnte, hat der Kläger am 17.11.2000 Klage erhoben.

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Er trägt vor: Er mache die Erstattung von Kosten für den Zeitraum vom 14.09.1999 bis 31.07.2000 geltend. Die Beklagte sei zur Kostenerstattung verpflichtet, weil sie seit dem Umzug der Mutter zuständiger Träger der Jugendhilfe für den Hilfeempfänger sei.

11

Der Kläger beantragte ursprünglich,

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die Beklagte zu verpflichten, die Gewährung von Hilfe zur Erziehung für Stephan Ölkers in die eigene Zuständigkeit zu übernehmen;

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die Beklagte zu verpflichten, an ihn 53.277,99 DM nebst 4 v.H. Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

14

Mit Schriftsatz vom 26.09.2001 hat der Kläger den Klageantrag zu 1.) zurückgenommen.

15

Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

17

Sie meint, am 14.09.1999, dem Tag, an dem die Zustimmung beider Elternteile vorgelegen habe, habe der Hilfeempfänger weder bei dem einen noch bei dem anderen Elternteil seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt, so dass die Zuständigkeit des Beklagten aus § 86 Abs. 2 Satz 4 SGB VIII folge, wonach es auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Hilfeempfängers selbst ankomme. Werde aber auf den 20.03.1998 als Leistungsbeginn abgestellt, so sei der Kläger nach § 96 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII zuständig, weil dann seinerzeit der gewöhnliche Aufenthalt der Mutter des Hilfeempfängers für die Zuständigkeit maßgebend gewesen sei. Bei einem Aufenthaltswechsel der Mutter trete kein Zuständigkeitswechsel ein, wie sich aus § 86 Abs. 5 SGB VIII ergebe.

18

Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

19

Daneben haben sich alle Beteiligten mit einer Entscheidung des Berichterstatters anstelle der Kammer einverstanden erklärt.

20

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowohl des Klägers als auch der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

21

Im Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung gemäß § 87 a Abs. 2 und 3 VwGO durch den Berichterstatter.

22

Weiterhin ergeht im Einverständnis der Beteiligten die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, § 101 Abs. 2 VwGO.

23

Soweit der Kläger seine Klage hinsichtlich des Klageantrages zu 1.) zurückgenommen hat, ist das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.

24

Soweit die Klage weiter aufrechterhalten wird, ist sie zulässig und begründet.

25

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Kostenerstattung gemäß § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII. Danach sind Kosten, die ein örtlicher Träger im Rahmen seiner Verpflichtung nach § 86 c SGB VIII aufgewendet hat, von dem örtlichen Träger zu erstatten, der nach dem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit zuständig geworden ist.

26

Es handelt sich bei den vom Kläger geltend gemachten Kosten um solche, die ihm im Rahmen von § 86 c SGB VIII entstanden sind. Nach dieser Vorschrift muss bei einem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit der bisherige örtliche Träger solange die Gewährung der Hilfe fortsetzen, bis der nunmehr zuständige örtliche Träger die Leistung übernimmt.

27

Mit dem Umzug der Mutter des Hilfeempfängers in den Bereich der Beklagten ist ein derartiger Zuständigkeitswechsel im Sinne des § 86 c SGB VIII eingetreten. Da die Beklagte jedoch die Hilfe nicht selbst fortgesetzt hatte, war der Kläger aufgrund dieser gesetzlichen Bestimmung verpflichtet gewesen, selbst die Hilfe weiter zu gewähren und hat dies auch getan.

28

Der Zuständigkeitswechsel iSd § 86 c SGB VIII ergibt sich aus Folgendem:

29

Zum Zeitpunkt des Beginns der Heimerziehung für den Hilfeempfänger am 20.03.1998 war der Kläger selbst originär zuständiger örtlicher Träger der Jugendhilfe für den Hilfeempfänger. Dies folgt aus § 86 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII. Nach dieser Vorschrift richtet sich in dem Fall, dass beide Elternteile sorgeberechtigt sind, aber – wie hier unterschiedliche gewöhnliche Aufenthaltsorte haben – die Zuständigkeit nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Elternteils, bei dem das Kind vor Beginn der Leistung zuletzt seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Bis zum Beginn der Maßnahme am 20.03.1998 lebte der Hilfeempfänger bei der Mutter und hatte gemeinsam mit der Mutter zuletzt vor Beginn der Hilfe seinen gewöhnlichen Aufenthalt in W. Dieser Ort liegt im Zuständigkeitsbereich des Klägers.

30

Entgegen der Ansicht der Beklagten kann nicht der 14.09.1999 als Beginn der Hilfemaßnahme angesetzt werden. Es gibt zwar gute Gründe, die dafür sprechen könnten, dass wegen des Fehlens der Zustimmung des Vaters des Hilfeempfängers die Hilfemaßnahme anfangs nicht rechtmäßig war, sondern dies erst mit der Zustimmung des Vaters wurde. Die entsprechende Erklärung des Vaters in den Akten des Klägers auf Blatt 78 seiner Verwaltungsvorgänge trägt kein Datum und keinen Eingangsstempel. Kläger und Beklagte haben aber übereinstimmend vorgetragen, diese Erklärung sei am 14.09.1999 erfolgt. Das Gericht sieht keinen Anlass, an diesen Angaben zu zweifeln. Würde man mit der Beklagten auf das Datum 14.09.1999 abstellen, würde sich die örtliche Zuständigkeit nach § 86 Abs. 2 Satz 4 SGB VIII dann allerdings nach dem gewöhnlichen oder tatsächlichen Aufenthalt des Hilfeempfängers selbst richten, weil er in den letzten sechs Monaten vor diesem Datum weder bei seiner Mutter noch bei seinem Vater seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Sein tatsächlicher Aufenthalt lag – weil die Hilfe bereits im März 1998 einsetzte - zu diesem Zeitpunkt vielmehr schon in der Einrichtung Z., mit der Folge, dass der für diesen Bereich zuständige örtliche Träger für den Hilfeempfänger zuständig wäre. Nach Ansicht des Gerichts ist § 86 Abs. 2 SGB VIII indes nicht so zu verstehen, dass bei der Frage der Zuständigkeit auf die formal rechtmäßige Hilfegewährung abgestellt wird. Denn die Vorschrift spricht nur vom Beginn der Leistung, nicht vom Beginn der rechtmäßigen Leistung. Sinn und Zweck der Regelungen des § 86 SGB VIII lassen im Übrigen ebenfalls nur den Schluss zu, dass insoweit die tatsächliche Hilfegewährung maßgebend ist. Und die begann bereits am 20.03.1998.

31

Wie oben bereits ausgeführt, folgt nach alledem die örtliche Zuständigkeit dem gewöhnlichen Aufenthalt der Mutter des Hilfeempfängers vor der Heimaufnahme. Dieser lag ursprünglich in W. Mit dem Umzug der Mutter in die Stadt H. – wobei hier offen gelassen werden kann, wann genau (ob schon im Mai oder erst im November 1998) der Umzug erfolgte - verlagerte sich der gewöhnliche Aufenthalt der Mutter in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Da § 86 Abs. 2 Satz 3 bestimmt, dass sich die Zuständigkeit nach dem gewöhnlichen Aufenthaltsort des Elternteils richtet, bei dem das Kind vor der Heimaufnahme seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Vorschrift selbst, dass es für die Zuständigkeit des örtlichen Trägers immer auf den aktuellen Aufenthaltsort des Elternteils ankommt. Wechselt dieser, so wechselt auch die Zuständigkeit. Dass es Zuständigkeitswechsel geben muss, setzt im Übrigen auch § 86 c SGB VIII voraus. Diese Vorschrift ergebe sonst kaum einen Sinn.

32

Die Beklagte kann sich demgegenüber nicht auf § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII berufen. Diese Vorschrift regelt nur den Fall, dass die Elternteile erst nach Beginn der Leistung verschiedene gewöhnliche Aufenthalte begründen. Nur in diesem Fall und nur, wenn dann nicht ein Elternteil allein sorgeberechtigt ist, soll es bei der bisherigen Zuständigkeit bleiben.

33

Die Beklagte kann dem Anspruch des Klägers weiterhin nicht entgegenhalten, die Hilfeleistung selbst sei wegen Fehlens der Zustimmung des Vaters nicht rechtmäßig erfolgt. Ob dieser Einwand für die Zeit vor dem 14.09.1999 durchgreifend wäre, kann dahingestellt bleiben. Der Kläger fordert Kostenerstattung erst ab den 14.09.1999. Unstreitig hatte zu diesem Zeitpunkt der Vater des Hilfeempfängers seine Zustimmung zu der Maßnahme aber schon gegeben.

34

Die Verzinsung der Forderung folgt aus § 291 BGB, § 108 Abs. 2 SGB X.

35

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.