Arbeitsgericht Hannover
Urt. v. 22.08.1997, Az.: 1 Ca 775/96
Rechtmäßigkeit einer auf dringende betriebliche Erfordernisse gestützten Kündigung; Voraussetzung der Zusammenstellung einer Namensliste, der zu kündigenden Arbeitnehmer, bei Einigung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber im Rahmen eines Sozialplans; Darlegungslast für die betrieblichen Erfordernisse, die die Kündigung notwendig gemacht haben
Bibliographie
- Gericht
- ArbG Hannover
- Datum
- 22.08.1997
- Aktenzeichen
- 1 Ca 775/96
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 11539
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:ARBGHAN:1997:0822.1CA775.96.0A
Rechtsgrundlagen
- § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG
- § 1 Abs. 5 KSchG
- § 112 Abs. 1 S. 1 BetrVG
Fundstellen
- BB 1997, 2167 (Volltext)
- DB 1998, 207-208 (Volltext mit amtl. LS)
- NZA-RR 1998, 15-16 (Volltext mit amtl. LS)
- NZA-RR 1998, 16-17 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Feststellung
In dem Rechtsstreit
hat das Arbeitsgericht in Hannover
auf die mündliche Verhandlung vom 22. August 1997
durch
den Richter ... als Vorsitzenden und
die ehrenamtlichen Richter ... als Beisitzer
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Es wird festgestellt, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 20.12.1996 nicht beendet worden ist.
- 2.
Die Kosten des Rechtsstreites hat die Beklagte zu tragen.
- 3.
Der Streitwert wird auf 50.000,00 DM festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Rechtmäßigkeit einer auf dringende betriebliche Erfordernisse gestützten Kündigung der Beklagten vom 20.12.1996.
Der am 11.02.1935 geborene Kläger arbeitet seit dem 01.01.1974 für die Beklagte, und zwar zuletzt als Vertriebsbeauftragter für das Gebiet Norddeutschland. Im Jahre 1996 betrug sein Bruttoverdienst (festes Gehalt zuzüglich Provisionen) ca. 200.000,00 DM.
Die Beklagte, die regelmäßig mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt und bei der ein Betriebsrat besteht, kündigte das Arbeitsverhältnis am 20.12.1996 unter Einhaltung der gemäß § 10 des Arbeitsvertrages vereinbarten Frist von sieben Monaten zum Monatsende zum 31.07.1997. Am 13.12.1996 hatten die Beklagte und deren Gesamtbetriebsrat, der sein Verhandlungsmandat an den ortsansässigen Betriebsrat in Hannover delegiert hatte, einen Interessenausgleich und einen Sozialplan geschlossen, ausweislich derer die Zahl der Arbeitnehmer der Beklagten, die in erster Linie Großkehrfahrzeuge und Flughafengeräte herstellt und diese Maschinen sowie auch Kleinkehrmaschinen vertreibt, die Zahl ihrer Arbeitnehmer um 20%, i.e. 58 Arbeitnehmer reduzierte. Der Interessenausgleich nennt als Grund hierfür eine stagnierende Marktentwicklung, die zu Kostensenkungen zwänge.
Der Kläger behauptet, im Rahmen der Beratungen mit dem Gesamtbetriebsrat und dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan sei zwischen den Betriebsparteien keine Personalliste der zur Kündigung anstehenden Arbeitnehmer vereinbart worden. Noch im März 1997 habe eine Betriebsversammlung bei der Beklagten stattgefunden, in der der Betriebsrat ausgeführt habe, daß man sich auf eine Namensliste nicht habe einigen können.
Der Kläger bestreitet mit Nichtwissen, aufgrund des Lohngefälles in der Bundesrepublik Deutschland habe es bei der Beklagten rückläufige Stückzahlen in der Produktion sowie einen Wettbewerbsnachteil gegeben. Er bestreitet außerdem die von der Beklagten vorgelegten betriebswirtschaftlichen Ergebnisse für die Jahre 1995 bis 1997 sowie die Notwendigkeit für die Beklagte, eine bezüglich der notwendigen Montageschritte zur Herstellung eines der Fahrzeuge bzw. Geräte weitestgehend flexibel einsetzbare Belegschaft zu erhalten. Er behauptet, er kenne sich bei einer Beschäftigungszeit bei der Beklagten von 24 Jahren in sämtlichen Gebieten aus und könne sämtliche anfallenden Tätigkeiten durchführen.
Er meint, durch die geplanten Entlassungen, die - unstreitig - auch eine größere Anzahl älterer Arbeitnehmer betreffen, wolle die Beklagte eine ausgewogene Personalstruktur nicht erhalten, sondern erst schaffen, was durch § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG nicht gedeckt sei. Im übrigen sei der Vortrag der Beklagten zur leistungsbedingten Herausnahme anderer Arbeitnehmer aus der sozialen Auswahl zu pauschal; die Sozialauswahl sei unzutreffend. Er sei schutzwürdiger als die Vertriebsmitarbeiter ..., die - unstreitig - zwischen 35 und 40 Jahre alt und seit 1995 bzw. 1996 betriebszugehörig sind.
Der Kläger ist der Auffassung, der Vortrag der Beklagten hinsichtlich der Auswirkungen der personellen Maßnahmen auf die wirtschaftliche Lage der Beklagten sei unzureichend, weil eine Überprüfung der unternehmerischen Entscheidung auf offenbare Unsachlichkeit oder Willkür nicht möglich sei. Im übrigen sei auf die Kündigung des Klägers § 1 Abs. 5 KSchG nicht anzuwenden, weil selbst bei einer Einigung der Betriebspartner auf eine den Namen des Klägers enthaltende Namensliste diese nicht Teil des Interessenausgleichs geworden bzw. separat unterzeichnet sei.
Der Kläger bestreitet mit Nichtwissen die ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung.
Er beantragt,
festzustellen, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 20.12.1996 nicht aufgelöst worden ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie behauptet, den Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung unter Darlegung der folgenden, die Kündigung rechtfertigenden Gründe gehört zu haben:
Infolge der rezessiven Entwicklung auf dem Markt, die ihre Ursache in erster Linie in den defizitären Finanzen der öffentlichen Hand habe und Preisverfall sowie rückläufige Stückzahlen bewirke, sei die Wettbewerbsfähigkeit der Beklagten in dem Hochlohnland Deutschland nicht mehr gegeben. Das eingebrachte Eigenkapital der Beklagten in Höhe von 5 Mio. DM sei bereits in deren ersten Wirtschaftsjahr, nämlich 1995, aufgebraucht worden. Lediglich durch einen Forderungsverzicht der Bucher-Gruppe habe die Beklagte am Leben erhalten werden können. Sie sei nunmehr zur Einstellung der Aktivitäten im Sondermaschinenbau, zur Reduktion der Vertriebsgebiete in Deutschland von neun auf sieben und zum Personalabbau um 20% der Mitarbeiter gezwungen. Darüber hinaus sei es unabdingbar notwendig, hinsichtlich der Entwicklung und Herstellung von Großkehrfahrzeugen bzw. Flughafengeräten eine Belegschaft zu erhalten, die bezüglich der notwendigen Montageschritte weitestgehend flexibel einsetzbar sei und daher über integrale Kenntnisse im Zusammenwirken von Elektrik, Hydraulik, Mechanik und Pneumatik verfüge.
Im Rahmen der Beratungen mit dem Gesamtbetriebsrat und dem Betriebsrat sei eine Personalliste der zur Kündigung anstehenden Arbeitnehmer verabschiedet worden, weiche den Kläger als einen der von den Kündigungen betroffenen 58 Arbeitnehmer namentlich benannt habe. Als Auswahlkriterien seien die Einbeziehung älterer Mitarbeiter und die soziale Auswahl unter maßgebender Berücksichtigung der Unverzichtbarkeit qualitativ verschiedenartig einsetzbarer Arbeitnehmer sowie auch die Altersstruktur berücksichtigt worden, wobei Einvernehmen zwischen Geschäftsleitung der Beklagten und Gesamtbetriebsrat bestanden habe, daß die zum Zeitpunkt der beabsichtigten Kündigungen vorhandene Überalterung der Mitarbeiterstruktur sich negativ auf eine wirtschaftliche Fortführung des Betriebes auswirke.
Die Beklagte meint, gemäß § 1 Abs. 5 KSchG werde vermutet, daß die Kündigung des Klägers durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt sei, und die soziale Auswahl sei nur auf grobe Fehlerhaftigkeit hin zu überprüfen, welche hier nicht vorliege. Im übrigen habe sich aufgrund der Notwendigkeit einer ausgewogenen Personalstruktur die soziale Auswahl auf Null reduziert, zumal auch die betriebsbedingte Kündigung des Klägers infolge der von ihm an den Tag gelegten Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen unter Berücksichtigung der Anforderungsstruktur im berechtigten betrieblichen Interesse liege. Sie behauptet, das Verkaufsgebiet des Klägers sei entfallen.
Die Beklagte ist der Auffassung, eine namentliche Benennung der von der Kündigung betroffenen Personen unmittelbar in dem Papier des Interessenausgleiches sei nicht erforderlich.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie die Protokolle der Güteverhandlung vom 08.01.1997 und der Kammerverhandlung vom 22.08.1997 verwiesen.
Gründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die streitbefangene Kündigung ist sozial ungerechtfertigt, insbesondere nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt.
Die Voraussetzungen für die gesetzliche Vermutung der Bedingtheit der Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse liegen nicht vor, da der Kläger nicht in dem zwischen den Betriebsparteien vereinbarten Interessenausgleich namentlich bezeichnet wurde. Die Beklagte trägt insoweit lediglich vor, sie habe sich mit dem Betriebsrat/Gesamtbetriebsrat bei den Verhandlungen über den Interessenausgleich auf eine solche Namensliste geeinigt; diese Namensliste ist jedoch mit dem von den Betriebspartnern unterzeichneten Interessenausgleich weder körperlich fest verbunden gewesen noch eigenständig unterzeichnet worden. Im Interessenausgleich selbst werden weder der Name des Klägers noch diejenigen anderer zu kündigender Arbeitnehmer genannt.
Unter diesen Umständen ist den Anforderungen von § 1 Abs. 5 KSchG nicht genügt. Der Interessenausgleich bedarf gemäß § 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG der Schriftform; dies gilt auch für die Namensliste, da diese gemäß § 1 Abs. 5 KSchG in einem Interessenausgleich niedergelegt sein muß.
Dem gesetzlichen Schriftformerfordernis ist genügt, wenn die Urkunde das gesamte Rechtsgeschäft, soweit es formbedürftig ist, enthält (Münchener Kommentar-Förschler, BGB, § 126 Rz. 8 m.w.N.). Besteht die einheitliche Urkunde aus mehreren Blättern, muß die Zusammengehörigkeit der einzelnen Blätter eindeutig erkennbar sein (ständige Rechtsprechung seit RGZ 105, 292, 294). Ergibt sich der volle Geschäftsinhalt erst durch die Hinzuziehung einer Anlage, so muß die ergänzende Urkunde in der Haupturkunde in Bezug genommen und mit dieser zu einer einheitlichen Urkunde zusammengebracht sein, wobei die Verbindung erkennbar endgültig und dauerhaft gewollt sein muß, nämlich in der weise, daß die hergestellte Verbindung nur durch teilweise Substanzzerstörung oder mit Gewaltanwendung wieder aufgehoben werden kann, wie es beim Heften mit Faden, Anleimen oder Zusammenfügen mittels Heftmaschine der Fall ist (BGHZ 40, 255, 263) [BGH 13.11.1963 - V ZR 8/62]. Ist dies - wie hier - nicht der Fall, deckt die Unterschrift unter der Haupturkunde nicht den gesamten Inhalt der damit verbundenen Anlage (Münchener Kommentar, a.a.O. Rn. 10.). Mithin hätte es im vorliegenden Falle zumindest einer erneuten Unterschrift beider Betriebsparteien unter der Namensliste bedurft. Hieran fehlt es jedoch, so daß dem Schriftformerfordernis nicht genügt ist (vgl. ArbG Ludwigshafen, DB 1997, 1339 [ArbG Ludwigshafen 11.03.1997 - 1 Ca 3094/96]).
An die Formvorschriften sind strenge Anforderungen zu stellen, da ihre Einhaltung im Interesse der Rechtssicherheit grundsätzlich unerläßlich ist. Dies gilt auch, wenn beide Parteien den Formverstoß nicht kennen sollten (Münchener Kommentar-Förschler, BGB, § 125 Rn. 61 m.w.N.).
Mangels Vorliegens der Voraussetzungen von § 1 Abs. 5 KSchG wäre es mithin an der Beklagten gewesen, die die Kündigung des Klägers rechtfertigenden dringenden betrieblichen Erfordernisse darzulegen. Hierzu gehört es, sowohl die innerbetrieblichen Gründe (etwa Art und Umfang einer technischen oder organisatorischen Rationalisierungsmaßnahme) unter Aufzeigung der Auswirkungen auf die konkret betroffenen Arbeitsplätze als auch die maßgeblichen externen Faktoren (z. B. Auftragsrückgang) im einzelnen darzustellen, wobei schlagwortartige Formulierungen wie Auftragsmangel, Umsatzrückgang, betriebliche Umorganisation etc. nicht ausreichen (BAG, EzA, § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 37, 13 und 10; KR-Etzel, 4. Aufl., § 1 KSchG, Rn. 519 m.w.N.).
Soweit die Beklagte vorträgt, hinsichtlich der Entwicklung und Herstellung von Geräten auf eine weitestgehend flexible einsetzbare Belegschaft mit integralen Kenntnissen im Zusammenwirken von Elektrik, Hydraulik, Mechanik und Pneumatik angewiesen zu sein, fehlt es am Bezug zur Tätigkeit des Klägers, denn dieser ist als Außendienstmitarbeiter/Vertriebsbeauftragter für den Vertrieb von Klein- und Großkehrmaschinen nicht mit der Produktion dieser Maschinen beschäftigt. Maßgeblich hinsichtlich des Wegfalls gerade des klägerischen Arbeitsplatzes ist insofern nur der Vortrag der Beklagten, aufgrund der rückläufigen Verkaufszahlen im Inland sei die unternehmerische Entscheidung getroffen worden, die inländischen Verkaufsgebiete von neun auf sieben zu reduzieren, was den Wegfall des Verkaufsgebietes des Klägers zur Folge habe. Hier hätte die Beklagte jedoch substantiiert vortragen müssen, in welchem Umfang bisher Arbeit für neun inländische Vertriebsbeauftragte vorhanden war, in welchem Umfang hier ein Rückgang erfolgte und inwiefern sich hieraus der Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses für zwei Vertriebsbeauftragte ergibt (BAG EzA, § 1 KSchG Nr. 36; KR-Etzel, a.a.O.).
Der Vortrag der Beklagten hinsichtlich der Aufzehrung des eingebrachten Eigenkapitals in Höhe von 5 Mio. DM bereits im Jahre 1995 reicht insoweit nicht aus, um dem Gericht eine Subsumtion der Kündigungstatsachen unter den unbestimmten Rechtsbegriff der betriebsbedingten Kündigung zu ermöglichen; es fehlt der Vortrag, inwieweit sich der die von der Beklagten behaupteten Umstände unmittelbar oder mittelbar auf den Arbeitsplatz des gekündigten Arbeitnehmers auswirken (vgl. Kasseler Handbuch zum Arbeitsrecht-Isenhardt, Bd. 1, 1.3 Rn. 558 m.w.N.).
Aufgrund des Beklagtenvortrages ist nicht nachprüfbar, ob die Einstellung der Aktivitäten im Sondermaschinenbau verbunden mit einem Personalabbau um 20% der vormaligen Mitarbeiter dazu führt, daß zwei von neun Arbeitsplätzen für Vertriebsbeauftragte wegfallen. Der Klage war daher stattzugeben, ohne daß es auf die weiteren Fragen der sozialen Auswahl und der ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung noch ankäme.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 46 ArbGG i.V.m. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Der Streitwert war gemäß § 12 Abs. 7 ArbGG mit drei Bruttomonatseinkommen des Klägers festzusetzen, bei einem jährlichen Bruttoeinkommen von 200.000,00 DM mithin auf 50.000,00 DM.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird auf 50.000,00 DM festgesetzt.