Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 10.05.2007, Az.: 2 B 290/06
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 10.05.2007
- Aktenzeichen
- 2 B 290/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 62064
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGGOETT:2007:0510.2B290.06.0A
Tatbestand:
Gründe I.
Die Antragsteller begehren vorläufigen Rechtsschutz gegen eine der Beigeladenen vom Antragsgegner erteilte Baugenehmigung für den Umbau und die Erweiterung eines Sägewerks.
Die Antragsteller sind Eigentümer des 1.230 qm großen und mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks H. in I. (Flurstück 361 der Flur 11 der Gemarkung I.). Es befindet sich in Hanglage und liegt etwa 220 m über NN in einem nicht überplanten Baugebiet, dessen Umgebungsbebauung der eines reinen Wohngebietes (WR, § 3 BauNVO) entspricht.
Die Beigeladene betreibt seit Anfang des Jahres 2006 in I. ein Sägewerk, das auf diesem Betriebsgelände zuvor bereits seit vielen Jahren von der in Konkurs gefallenen Firma J. geführt wurde. Das Betriebsgrundstück "K." umfasst die Flurstücke 45/20 der Flur 4 der Gemarkung I., 18/7, 18/9, 18/10, 18/15, 18/17, 18/18, 20/2, 30/3 und 52/11 der Flur 18 der Gemarkung I., die Flurstücke 18/10, 18/11, 18/17, 18/18, 20/2 und 20/3 der Flur 19 der Gemarkung I. sowie die Flurstücke 10/2, 10/4, 10/6 und 10/11 der Flur 1 der Gemarkung L.. Geplant ist von der Beigeladenen eine Produktionserweiterung vom 2-Schichten-Betrieb zum 3-Schichten-Betrieb (24 Stunden/Tag) sowie der Neubau bzw. Aus- und Umbau bestehender Gebäude auf dem Werksgelände: Im Wesentlichen sollen ein Rundholzplatz, vier Trockenkammern sowie eine Hobel- und Verladehalle mit Spänesilo gebaut werden. Ferner sollen ein Biomasse-Heizwerk und ein Sozialgebäude errichtet werden. Des weiteren ist geplant, die Anlagen für den ruhenden Verkehr zu verändern und die Materialaufgabe bei der Starkholzsägehalle neu zu gestalten. Das Hausgrundstück der Antragsteller befindet sich in einer Entfernung von etwa 1060 m in nordwestlicher Richtung zur geplanten Hobelhalle, die 176 m über NN liegen wird.
Der Antragsgegner erteilte der Beigeladenen unter dem 05.07.2006 die im vorliegenden Verfahren allein streitbefangene Baugenehmigung zur Errichtung der Verlade- und Hobelhalle sowie des Sozial- und Bürogebäudes und des Rundholzplatzes.
Sämtliche weiteren oben genannten geplanten Bauvorhaben - auch das Spänesilo - sind nicht Gegenstand dieser Baugenehmigung. In ihr ist als Auflage Nr. 4 verfügt, dass die Stellungnahme des Gewerbeaufsichtsamtes E. (vom 14.06.2006) mit den darin enthaltenen Nebenbestimmungen Bestandteil der Baugenehmigung ist.
Das Betriebsgelände des Sägewerks ist mit dem Bebauungsplan Nr. 13 des Flecken I. "M." vom 20.01.1997 (im Folgenden: Bebauungsplan) überplant. In seinen textlichen Festsetzungen wird unter "A. Städtebauliche Festsetzungen" in Nr. 5 a angeführt, dass auf der als "eingeschränktes Gewerbegebiet" - GE* - ausgewiesenen Fläche ein flächenbezogener Schalleistungspegel von Tags (6-22 Uhr) = 65 dB(A)/m2 und Nachts (22-6 Uhr) = 50 dB(A)/m2 zulässig ist. Unter Nr. 5 b heißt es, dass auf der mit der römischen Ziffer I ausgewiesenen Fläche ein flächenbezogener Schalleistungspegel von Tags = 65 dB(A)/m2 und Nachts = 50 dB(A)/m2 zulässig ist sowie unter Nr. 5 c, dass auf der mit der römischen Ziffer II ausgewiesenen Fläche ein flächenbezogener Schalleistungspegel von Tags = 70 dB(A)/m2 und Nachts = 55 dB(A)/m2 zulässig ist.
Die Antragsteller hatten bereits im Vorfeld der Erteilung der Baugenehmigung gegen die Planungen der Beigeladenen Einwendungen erhoben. Nachdem ihnen die Baugenehmigung vom 05.07.2006 mit Bescheid vom 10.07.2006 bekannt gegeben worden war, haben sie am 20.07.2006 Widerspruch gegen die Baugenehmigung eingelegt sowie mit Schriftsatz vom 28.07.2006 gegenüber dem Beklagten beantragt, die aufschiebende Wirkung dieses Widerspruchs anzuordnen. Mit Bescheid vom 31.07.2006 lehnte der Beklagte den Aussetzungsantrag ab; über den Widerspruch der Antragsteller wurde bislang - soweit dem Gericht bekannt ist - noch nicht entschieden.
Die Antragsteller haben am 24.07.2006 um gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht.
Sie machen erneut geltend, unzumutbaren Lärmbelästigungen durch das geplante Vorhaben der Beigeladenen ausgesetzt und deshalb in ihrem Recht auf Rücksichtnahme (§ 30 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 BauNVO) sowie in ihrem Grundrecht auf Eigentum (Art. 14 Abs. 1 GG) verletzt zu sein.
Die Antragsteller rügen im Einzelnen Folgendes:
Im Rahmen der streitbefangenen Baugenehmigung seien keine Lärmschutzmaßnahmen angeordnet worden, insbesondere keine lärmreduzierende Einhausung des Langholzplatzes. Weiterhin werde die Produktionserweiterung zu einem vermehrten Verkehrsaufkommen führen, da mit zusätzlichen An- und Abtransporten des Sägematerials zu rechnen sei. Bei der Erteilung der Baugenehmigung habe der Antragsgegner übersehen, dass im Umfeld des Betriebes der Beigeladenen bereits weitere lärmverursachende gewerbliche Betriebe existierten. Während derzeit bei einem 2-Schichten-Betrieb des Sägewerks ca. 161 Lkw-Fahrstrecken zurückgelegt würden, kämen bei Vollschichtbetrieb noch 55 Lkw-Fahrstrecken hinzu, so dass insgesamt mit 216 Lkw pro Tag zu rechnen sei.
Bedenklich sei es, dass die im Bebauungsplan zunächst festgesetzten Höhenbegrenzungen im vereinfachten Verfahren gemäß § 13 BauGB beschlossen und diese Höhen nunmehr mit einzelnen Bauteilen überschritten werden dürften. Dadurch könne es zu erhöhtem Feinstaubausstoß kommen.
Es sei zu befürchten, dass die in der TA-Lärm festgesetzten Grenzwerte nicht eingehalten würden. Das Schalltechnische Gutachten 2134/06 vom 26.04.2006, das Gegenstand der Baugenehmigung sei, weise schwerwiegende Mängel auf.
So sei die Festlegung der Immissionsorte zu unbestimmt. Unzulässigerweise verzichte das Gutachten auf die Ermittlung des Umfangs der Vorbelastung durch Lärm. Im Lärmschutzgutachten hätte untersucht werden müssen, welche Immissionen von den anderen Betrieben im Umfeld des Sägewerkes ausgingen. Soweit es fordere, dass die Richtwerte der TA-Lärm um mindestens 6 dB(A) unterschritten werden müssten, finde sich diese Vorgabe in der Baugenehmigung nicht wieder.
Das Gutachten beinhalte massive Prognosefehler bei der Berechnung der immobilen Hauptemittenten "Entrindung", "Wurzelreduzierer" und "Aufgabe".
Unstimmigkeiten seien ferner bei der Berechnung des zu erwartenden Lärms mobiler Emittenten wie Radlader und dergleichen festzustellen. Das Gutachten gehe nämlich bei diesen Gerätschaften von einer Fahrgeschwindigkeit V=20 Km/h aus, währenddessen die übliche Fahrgeschwindigkeit nur 5 - 10 Km/h betrage. Berücksichtige man diese geringeren Werte, würde sich die Einwirkdauer der Lärmemissionen verdoppeln und der Pegelwert um 3 dB(A) bei einer Reduzierung der Geschwindigkeit auf 10 Km/h) bzw. um 6 dB(A) bei einer Reduzierung der Geschwindigkeit auf 5 Km/h erhöhen.
Im Gutachten würden zu günstige meteorologische Korrekturen angenommen. Der gewählte 24-Stunden-Mittelwert widerspreche den Regelungen in der TA-Luft für derartige Korrekturen.
Soweit das Gutachten davon ausgehe, dass eine Schallschutzwand errichtet werde, sei zu bedenken, dass eine solche Wand weder in den Lageplänen eingezeichnet noch in der Baugenehmigung erwähnt werde. Die alleinige Festsetzung im Lärmschutzgutachten sei insoweit nicht ausreichend, da die dort verwendeten Zeichnungen mit einem Maßstab von 1: 6.500 zu ungenau seien und für die Lage der Wand einen zu großen Spielraum ließen. Letztendlich würden vom geplanten Bauvorhaben die Lärmbegrenzungsvorgaben des Bebauungsplanes nicht eingehalten.
Die vorstehenden Einwände zeigten, dass die streitbefangene Baugenehmigung aller Voraussicht nach rechtswidrig sei, so dass die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen sei. Selbst aber dann, wenn man offene Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs annähme, müsse es bei dem gesetzlich vorgesehenen Suspensiveffekt, den ein Widerspruch auslöse, bleiben.
Die Antragsteller beantragen (sinngemäß),
die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 20.07.2006 gegen die der Beigeladenen vom Antragsgegner erteilte Baugenehmigung vom 10.07.2006 anzuordnen.
Der Antragsgegner und die Beigeladene beantragen übereinstimmend,
den Antrag abzulehnen.
Sie verteidigen die streitbefangene Baugenehmigung und halten den Rechtsschutzantrag der Antragsteller für unzulässig, da keine konkrete Möglichkeit einer Rechtsgutsverletzung dargetan sei. Zumindest sei der Antrag aber unbegründet, weil von den geplanten Bauvorhaben keine unzumutbaren Geräuschemissionsbelästigungen auf das Grundstück der Antragsteller zu erwarten seien.
Zugunsten der Antragsteller gehe man davon aus, dass deren Gründstück in einem reinen Wohngebiet (WR) gelegen sei. Die insoweit geltenden Richtwerte der TA-Lärm (50 dB(A) tagsüber und 35 dB(A) nachts) würden eingehalten werden.
Die Angriffe gegen das Schallgutachten 2134/06 des Büros N. gingen fehl, das Gutachten prognostiziere zutreffend die zu erwartenden Lärmimmissionen.
Da das Rücksichtnahmegebot beachtet sei und die Antragsteller keine unzumutbaren Lärmbelästigungen durch das Bauvorhaben der Beigeladenen zu erwarten hätten, bestehe auch kein Grund zur Annahme, eine wesentliche Wertverminderung des Grundstücks sei zu erwarten. Habe aber der Antrag keine überwiegenden Erfolgsaussichten, sei im Rahmen der Interessenabwägung zugunsten der Ausnutzung der Baugenehmigung zu entscheiden. Aber auch dann, wenn man wider Erwarten von offenen Erfolgsaussichten des Antrags ausginge, mache die gesetzgeberische Wertentscheidung in § 212 a BauGB deutlich, dass es bei der grundsätzlichen Vollziehbarkeit der Baugenehmigung verbleibe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners (Beiakten A-K) Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Beratung.
Gründe
II.
Der Antrag ist statthaft und auch im übrigen zulässig.
Denn dem von den Antragstellern eingelegten Widerspruch kommt gemäß § 212 a Abs. 1 BauGB keine aufschiebende Wirkung zu. Auch haben die Antragsteller vor Inanspruchnahme vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes beim Antragsgegner als zuständiger Bauaufsichtsbehörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der erteilten Baugenehmigung gem. § 80 Abs. 4 VwGO gestellt (vgl. hierzu Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 08.07.2004 - 1 ME 167/04 -, veröffentl. in der Rechtsprechungsdatenbank auf der Homepage des Nds. OVG). Die Antragsteller haben entgegen der Rechtsansicht der Beigeladenen ferner hinreichend konkret dargetan, möglicherweise unzumutbaren Lärmbelästigungen durch das Bauvorhaben der Beigeladenen ausgesetzt zu sein. Dieses Vorbringen ist ausreichend, um ihnen die Rechtsstellung eines "Nachbarn" im baurechtlichen Sinne zuzubilligen.
Der Eilantrag bleibt indessen in der Sache erfolglos.
Nach §§ 80 a Abs. 3, 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs eines Dritten gegen den an einen anderen gerichteten, diesen begünstigenden Verwaltungsakt ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO unter Abwägung der Interessen der Beteiligten eine eigene Ermessensentscheidung, wobei das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsaktes regelmäßig dann überwiegt, wenn dieser sich nach summarischer Prüfung des Sachverhalts mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als rechtmäßig erweist. Das Interesse des betroffenen Dritten an einem einstweiligen Aufschub der Vollziehung der Baugenehmigung überwiegt hingegen regelmäßig dann, wenn der Verwaltungsakt voraussichtlich rechtswidrig ist.
Einen Abwehranspruch auf Aufhebung einer angefochtenen Baugenehmigung hat ein Nachbar allerdings nicht schon dann, wenn die erteilte Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist. Vielmehr setzt der Erfolg eines derartigen Abwehranspruchs voraus, dass der Nachbar durch die erteilte Baugenehmigung zugleich in seinen eigenen geschützten Rechten verletzt ist; dementsprechend ist die Prüfungskompetenz des Gerichts eingeschränkt. Kommt die gerichtliche Prüfung zu dem Ergebnis, dass der Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache offen erscheint, ist in Fällen, in denen es um von Bauvorhaben ausgehenden Lärm geht, zu bedenken, dass von einem bereits realisierten Bauvorhaben ausgehender Lärm sich zu späterer Zeit in den meisten Fällen problemlos in den Griff bekommen lässt. Das kann insbesondere durch Auflagen geschehen, die sicherstellen, dass der Lärm das Maß des noch Zumutbaren nicht mehr übersteigt. Vollendete, auch durch Geldleistungen oder nachträgliche bauaufsichtsbehördliche Anordnungen nicht mehr wieder gut zu machende Folgen drohen einem Antragsteller, der sich im Wesentlichen "nur" auf vom Bauvorhaben ausgehenden unzumutbaren Lärm beruft, bei einstweiliger Ausnutzung der Baugenehmigung daher nicht. Das rechtfertigt die Risikoverteilung, bei einer Pattsituation dem Realisierungsinteresse des Bauherrn den Vorrang zu geben. Für die Richtigkeit dieser Annahme streitet auch § 212a BauGB. Diese Norm wurde auf der Grundlage von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO eingefügt. Es sollte damit bei allen Bauvorhaben ausgeschlossen werden, dass sich Nachbarrechtsbehelfe "im Zweifelsfalle", d. h. bei Pattsituationen so auswirken, dass der Bau einstweilen nicht fortgeführt werden kann (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 25.01.2007 - 1 ME 177/06 - mwN, veröffentl. in der Rechtsprechungsdatenbank auf der Homepage des Nds. OVG).
Im vorliegenden Fall kommt als nachbarschützende Norm, auf die sich die Antragsteller berufen können, allein § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO, der das "Gebot der Rücksichtnahme" enthält, in Betracht. Hieraus ergibt sich, dass sich ein Vorhaben selbst dann, wenn es sich in jeder Hinsicht innerhalb des durch einen Bebauungsplan festgelegten Rahmens hält, nicht in seine Umgebung einfügt, wenn es durch unzumutbare Belästigungen oder Störungen an der gebotenen Rücksichtnahme auf die in seiner unmittelbaren Nähe, aber auch - gebietsübergreifend - auf außerhalb des Plangebietes vorhandene Bebauung fehlen lässt. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme konkret begründet, hängt im Wesentlichen von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, um so mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, um so weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Somit kommt es für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalles wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmepflichtigen nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 28.10.1993 - 4 C 5/93 -, DVBl 1994, 697 [BVerwG 28.10.1993 - 4 C 5/93]; Beschluss vom 11.01.1999 - 4 B 128/98 -, NVwZ 1999, 879) kommt eine drittschützende Wirkung dem Gebot der Rücksichtnahme allerdings nur zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen des erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist.
Bei dem Betrieb der von der hier streitbefangenen Baugenehmigung umfassten Anlagenteile des Sägewerks der Beigeladenen wird Lärm erzeugt werden, der grundsätzlich eine Belästigung oder Störung darstellt. Indem der Antragsgegner zur Begrenzung der Lärmbelastung von Nachbarn des Bauvorhabens der Beigeladenen in der streitbefangenen Baugenehmigung vom 10.07.2006 als Auflage Nr. 4 festgelegt hat, dass die Stellungnahme des Gewerbeaufsichtsamtes E. (vom 14.06.2006) mit den darin enthaltenen Nebenbestimmungen Bestandteil der Baugenehmigung ist, ist dem Lärmschutz hinreichend Genüge getan. Die Stellungnahme des Gewerbeaufsichtsamtes enthält nämlich unter Nr. 1.1 die Auflage, dass das Bauvorhaben so zu gestalten ist, dass im weiteren Betrieb des gesamten Sägewerks mit den Trocknungs- und Feuerungsanlagen die Beurteilungspegel für reines Wohngebiet von tags 50 dB(A) und nachts 35 dB(A) nicht überschritten werden dürfen. Dabei sind die Empfehlungen aus dem Schallgutachten 2134/06 des Ing. Büros für Schall- und Schwingungstechnik, O., vom 28.03.2006 (im Folgenden: Schallgutachten) zu beachten.
Die vorgenannten Auflagen entsprechen den gesetzlichen Anforderungen an die Gewährleistung von Lärmschutz. Die Frage, wann der von einer baulichen Anlage ausgehende Lärm nicht mehr hinzunehmen und wann dadurch die Zulassungsfähigkeit eines Bauvorhabens nicht mehr gegeben ist, beantwortet im Regelfall die Sechste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm - TA-Lärm) vom 26.081998 (GMBl. S. 503ff). Deren Bestimmungen sind auch von nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen (wie sie hier im Streit stehen) gem. § 22 BImSchG, Nr. I TA-Lärm zu beachten. In Nr. 6.1 TA-Lärm werden durch das Aufstellen von je nach Schutzwürdigkeit eines Baugebietes unterschiedlichen Richtwerten plausible Zumutbarkeitsgrenzen für Lärmbelästigungen gebildet. Da diese Grenzwerte (ungeachtet der Kritik an der generellen Aussagekräftigkeit von Lärmgrenzwerten, vgl. Fickert/Fieseler, BauNVO, 9. Aufl., R, 19.83 zu § 15) nach dem derzeitigen Stand der Technik ausreichend bemessen sind, um Nachbarn in ihrem Ruhebedürfnis zu schützen, genügt es im Regelfall - und so auch hier -, wenn die Bauaufsichtsbehörde von einem Bauherrn nur deren Einhaltung und kein "mehr" an Lärmschutz verlangt.
Mit diesen Vorgaben der Baugenehmigung wird den Interessen der Antragsteller als Nachbarn der Beigeladenen im Hinblick auf zu erwartende Lärmimmissionen ausreichend Rechnung getragen. Da das Schallgutachten den Bereich, in dem das Grundstück der Antragsteller liegt, als reines Wohngebiet (WR im Sinne von § 3 BauNVO) ansieht - wovon im Übrigen auch der Antragsgegner ausgeht -, sind mit den Richtwerten von tags 50 dB(A) und nachts 35 dB(A) die "strengsten" Vorgaben der TA-Lärm für die Zulassungsfähigkeit von Bauvorhaben zu beachten. Soweit die Beigeladene die Schutzwürdigkeit des Gebietes, in dem das Grundstück der Antragsteller liegt, im Hinblick auf "Vorbelastungen" durch den bisher vom Sägewerk ausgehenden Lärm und dem anderer in der Nachbarschaft liegender Emittenten auf die für ein allgemeines Wohngebiet geltenden Grenzwerte herabgestuft wissen will, folgt die Kammer diesem rechtlichen Ansatz nicht. Denn ob ein Gebiet als reines oder (nur) als allgemeines Wohngebiet zu kennzeichnen ist, hängt allein von der Art der Umgebungsbebauung und der Nutzung der Grundstücke ab, nicht aber davon, wie viel Lärm es ausgesetzt ist. Im Übrigen stellt auch die TA-Lärm nicht darauf ab, dass bei der Zuordnung der Lärmrichtwerte zu den einzelnen Baugebietstypen Vorbelastungen zu berücksichtigen sind.
Eine Überschreitung der für das Grundstück der Antragsteller geltenden Lärmrichtwerte ist bei der im Eilverfahren allein gebotenen summarischen Prüfung der Sachlage nicht zu erwarten. Die Einwände der Antragsteller gegen die Richtigkeit des Schallgutachtens hält die Kammer nicht für stichhaltig.
Unzutreffend ist der Einwand der fehlenden Bestimmung der Emissionsorte der Messungen. In der Anlage zum Schallgutachten, Bild 1/Lageplan, sind diese genau bestimmt worden. Da das Schallgutachten über die Einbeziehung in die Stellungnahme des Gewerbeaufsichtsamtes E. Gegenstand der Baugenehmigung geworden ist, sind die Emissionsorte hinreichend bestimmt. Der "IP05" liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zum Grundstück der Antragsteller. Die für ein reines Wohngebiet nach Nr. 6.1e der TA-Lärm geltenden Richtwerte sind beachtet worden und werden aller Voraussicht nach auch eingehalten.
Weiterhin sind im Schallgutachten die Vorbelastungen des Grundstücks der Antragsteller durch anderen Lärm hinreichend berücksichtigt. Das Grundstück der Antragsteller liegt nämlich nicht im Einwirkungsbereich einer anderen Anlage, die die Vorgaben der TA-Lärm zu erfüllen hat. Deshalb stellt die vom Vorhaben der Beigeladenen ausgehende Lärmbelastung die zulässige (zu prognostizierende) Gesamtbelastung für das Grundstück der Antragsteller dar. Die Lärmrichtwerte der TA-Lärm dürfen deshalb im vollen Umfang durch die Bauvorhaben der Beigeladenen ausgeschöpft werden. Hinzu kommt, dass die nördlich der Bahnstrecke genutzten gewerblichen Flächen nur unerheblich emissionsträchtig sind, da nach dem Vorbringen der Beteiligten und den vorgelegten Unterlagen dort kein Gewerbe angesiedelt ist, das im nennenswerten Umfang Lärm produzieren dürfte. Im übrigen sind alle dort angesiedelten Betriebe nur "tagaktiv", von ihnen gehe keine erhebliche Belästigung im Sinne von § 3 BImSchG aus.
Nicht zutreffend ist der Einwand, dass die Abnahme des Geräuschpegels nach DIN ISO 9613-2 fehlerhaft ermittelt wurde. Vielmehr lassen die insoweit von dem von den Antragstellern als Gegengutachten beauftragten Lärmgutachter Dipl.-Ing. P. durchgeführten Berechnungen die Umgebungsverhältnisse unberücksichtigt und gehen fälschlicherweise von einer freien Schallausbreitung im Sinne einer worst-case-Betrachtung aus.
Der von den Antragstellern erhobene Einwand der fehlerhaften meteorologischen Korrektur überzeugt die Kammer nicht, da das Schallgutachten die Empfehlungen nach DIN ISO 9631-2 wohl sämtlichst berücksichtigt hat.
Den Antragstellern ist zuzugestehen, dass die Berechnung des Lärms der mobilen Emittenten wie Radlader, Stapler und dergleichen etwas zu günstig ausfiel, da die zugrunde gelegten Fahrgeschwindigkeiten der Fahrzeuge zu hoch angesetzt wurden und deshalb die Einwirkzeiten des diesbezüglichen Lärms länger anzusetzen sind. Indessen dürfte der Berechnungsfehler sich faktisch nicht nachteilig für die Antragsteller auswirken, da der Beurteilungspegel am IP5 sich bei einer vorzunehmenden Korrektur nur um 0,3 dB(A) erhöhen dürfte. Diese geringfügige Steigerung dürften die Antragsteller nicht wahrnehmen. Die Antragsteller rügen, die vom Schallgutachten geforderte Schallschutzwand sei in der Baugenehmigung gar nicht aufgeführt bzw. im Gutachten zu ungenau eingezeichnet. Dieser Einwand geht jedoch ins Leere, da die Schallschutzwand nach ihrer Ausrichtung nicht dem Schutz der Grundstücke im Bereich des IP5 dient, was eindeutig aus der Zeichnung im Schallgutachten hervorgeht. Im Übrigen ist sie - obwohl es darauf nicht mehr ankommt - als "schwarzer Balken" hinreichend präzise in "Bild 2-Lageplan" im Schallgutachten eingezeichnet.
Soweit die Antragsteller die Nichteinhaltung der Lärmkontingentierung des Bebauungsplanes rügen, ist dieser Vorwurf unsubstantiiert und in der Sache nach Aktenlage auch unzutreffend. Der Bebauungsplan setzt lediglich für bestimmte Teilflächen des Vorhabens Kontingente fest. Die von den Antragstellern hervorgehobenen Emissionsquellen "Radlader" und "Entrindungsanlage" werden sich nach den genehmigten Plänen der Baugenehmigung auf diesen Teilflächen nicht befinden. Weitere Einwände, dass die im Bebauungsplan festgesetzten Schallleistungspegel nicht eingehalten würden, sind weder geltend gemacht worden noch sonst ersichtlich.
Hinsichtlich der von den Antragstellern befürchteten Lärmbelästigungen weist die Kammer abschließend darauf hin, dass die streitige Baugenehmigung die Auflage 1.2 enthält, wonach die Einhaltung der vorgenannten Geräuschbegrenzungen anhand eines Gutachtens, erstellt von einer nach § 26 BImSchG bekannt gegebenen Messstelle, innerhalb von 3 Monaten nach Fertigstellung dem staatlichen Gewerbeaufsichtsamt E. nachzuweisen sind. Die Pegel sind nach der technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm zu ermitteln und zu beurteilen. Mit dieser Auflage werden die vom Antragsgegner getroffenen Lärmschutzmaßnahmen abgerundet. Ohne dass die Antragsteller ein Kostenrisiko zu tragen hätten, wird eine unabhängige Messstelle überprüfen, ob die der Baugenehmigung zugrunde liegenden Lärmrichtwerte eingehalten werden. Sollte das nicht der Fall sein, wird die Beigeladene auf Veranlassung des Antragsgegners die nötigen Lärmschutzmaßnahmen zu ergreifen haben.
Schließlich ist der Vorwurf der unzumutbaren Belastung durch vermehrten Feinstaubausstoß infolge der neuen Höhenbegrenzungen für bauliche Anlagen im Bebauungsplan unsubstantiiert. Die Kammer sieht deshalb keine Veranlassung, zumindest im Eilverfahren der pauschalen Rüge, dass die entsprechenden Grenzwerte nicht eingehalten würden, nachzugehen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Kammer legt die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aus Billigkeit der Antragstellerin auf, weil es sich um eine notwendige Beiladung handelt und die Beigeladene sich durch Stellung eines (hier erfolgreichen) Antrages einem Kostenrisiko ausgesetzt hat.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr.2, 52 Abs. 1 GKG. Das Gericht orientiert sich regelmäßig an den Streitwertannahmen des Bausenates des Niedersächsischen OVG (Nds. VBl. 2002, Seite 192 f.), der bei Anträgen von Nachbarn auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs gegen eine Baugenehmigung bei geltend gemachter Beeinträchtigung eines Einfamilienhauses einen Rahmen von 4.000,- bis 30.000,- EUR (bezogen auf ein Hauptsacheverfahren) vorsieht. Vorliegend ist nach den Darstellungen der Antragsteller von einer "mittelschweren" Beeinträchtigung durch das Bauvorhaben auszugehen, so dass sich ein Streitwert für das Hauptsacheverfahren von 17.500,00 EUR ergehen würde. Im Hinblick auf den Charakter des Beschlusses nach § 80 Abs. 5 VwGO als eine vorläufige Entscheidung ist die Hälfte der Wertannahme für ein Hauptsacheverfahren als Streitwert festzusetzen.