Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 15.06.1994, Az.: 3 U 166/93

Voraussetzugen des Schuldbeitritt einer nicht deutsch sprechenden Ehefrau zum Darlehensvertrag ihres Ehemanns; Willen und Bewußtsein eine rechtlich verbindliche Haftungserklärung abzugeben; Fehlender Geschäftswille aufgrund sprachbedingter Verständnisschwierigkeiten; Nichtigkeit einer Mithaftung wegen sittenwidriger Überforderung ; Sittenwidriger Mitverpflichtung einkommens- und vermögensloser Familienangehöriger ; Auffälligem Mißverhältnis zwischen Verpflichtungsumfang und Leistungsfähigkeit ; Unterlassenen fürsorgliche Überprüfung der Leistungsfähigkeit des Schuldners

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
15.06.1994
Aktenzeichen
3 U 166/93
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1994, 15821
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1994:0615.3U166.93.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 20.04.1993 - AZ: 7 O 238/92

Fundstellen

  • BB 1995, 219-221 (Volltext)
  • ZBB 1995, 85
Zusammenfassung

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit eines Schuldbeitritts der Beklagen hinsichtlich eines Darlehens, das die Klägerin dem Ehemann der Beklagten als "Eigenkapitalhilfedarlehen" gewährt hatte. Da die Beklagte der deutschen Sprache nicht mächtig ist und nur ihr Ehemann bei den Bankgesprächen übersetzt hat, fehlte ihr der erforderliche Geschäftswille für die Mithaftung. Daneben ist eine Haftung auch wegen sittenwidriger Überforderung nichtig.

In dem Rechtsstreit
hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 1. Juni 1994
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...
sowie die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 20. April 1993 verkündete Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Hannover wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 2.500,00 DM abwenden, sofern nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Die Beklagte darf die Sicherheit auch durch selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank, öffentlichen Sparkasse, Volksbank oder Spar- und Darlehenskasse leisten.

Die Revision wird zugelassen.

Der Wert der Beschwer beträgt 6.500,00 DM.

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt die. Beklagte als Mitschuldnerin eines Darlehens in Anspruch, das die Klägerin dem Ehemann der Beklagten als "Eigenkapitalhilfedarlehen" gewährt hatte.

2

Die Beklagte und ihr Ehemann ... sind vietnamesische Staatsangehörige. Im Jahre 1980 flüchtete der Ehemann der Beklagten in die Bundesrepublik Deutschland. Die am 15. Juni 1955 geborene Beklagte folgte ihrem Ehemann im Jahre 1983 nach. Sie hatte in Saigon im Jahre 1970 das "Abitur" (keineswegs vergleichbar mit mitteleuropäischen Abitur) abgelegt und danach bis zu ihrer Heirat im Jahre 1974 als Büfettkraft in Restaurants gearbeitet. Nach ihrer Heirat und auch nach der Flucht war sie als Hausfrau tätig. Aus der Ehe sind vier, in den Jahren 1975, 1979, 1980 und 1984 geborene Kinder hervorgegangen. Die Beklagte ist der deutschen Sprache in Wort und Schrift unkundig. Sie verfügt über kein eigenes Einkommen und lebt heute von Sozialhilfe.

3

Der Ehemann der Beklagten war seit seiner Flucht in verschiedenen Gastronomiebetrieben tätig. Im Jahre 1986 beabsichtigte er, in ... ein Vietnam/China-Restaurant zu eröffnen und zu betreiben. Die mit 210.000,00 DM veranschlagten Kosten sollten mit dem hier streitgegenständlichen Eigenkapitalhilfedarlehen in Höhe von 58.000,00 DM sowie einem der Beklagten und ihrem Ehemann damals zur Verfügung stehenden Sparguthabens über 26.000,00 DM und der Rest über ein ERP-Darlehen über 73.000,00 DM und ein NdF-Darlehen über 53.000,00 DM finanziert werden. Am 15. Mai 1986 stellte der Ehemann der Beklagten über seine Hausbank, die Commerzbank AG in ..., entsprechende Anträge bei der Klägerin. In ihrer Stellungnahme vom 4. Juni 1986 führte die Commerzbank AG zu diesen Anträgen u. a. aus (Bl. 26, d. A.):

"Zusammenfassend sehen wir die Rahmenbedingungen für die Existenzgründung als positiv an. Sicherheiten können wie üblich nur Übereignung der Einrichtung und Mithaft der Ehefrau sowie die nicht zu bewertende Bürgschaft eines Angehörigen angeboten werden. Alle Sicherheiten sind nur schwer zu bewerten."

4

Am 13. August 1986 unterzeichnete der Ehemann der Beklagten als Darlehensnehmer in den Räumen der Commerzbank in ... den Darlehensvertrag über ein Eigenkapitalhilfedarlehen in Höhe von 58.000,00 DM. Unter der Überschrift

"für alle Verpflichtungen des Darlehensnehmers aus diesem Vertrag übernehme ich die gesamtschuldnerische Mithaftung"

5

unterzeichnete auch die Beklagte diese Vertragsurkunde. Nach Ziffer 7.1. des Vertrages waren die beigefügten Richtlinien des Bundesministers für Wirtschaft für die Gewährung von Eigenkapitalhilfe Bestandteil jenes Vertrages. In diesen Richtlinien (Bl. 18 d. A.) heißt es u. a.:

"4. Umfang und Konditionen der Förderung

...

i) Sicherheiten:

Persönliche Haftung des Antragstellers und seines Ehepartners; keine weiteren Sicherheiten."

6

Wegen der weiteren Einzelheiten des Darlehensvertrages wird auf die Ablichtung der Darlehensurkunde Bl. 15 f. d. A. Bezug genommen.

7

Die von dem Ehemann der Beklagten aufgenommene Geschäftstätigkeit erwies sich als erfolglos. Fällige Zahlungen konnten nicht geleistet werden. Die Klägerin kündigte daher mit Schreiben vom 17. Januar 1991 sowohl das hier streitgegenständliche Eigenkapitalhilfedarlehen über 58.000,00 DM als auch die weiteren Kredite, für die die Beklagte ebenfalls die Mithaft bzw. eine selbstschuldnerische Bürgschaft übernommen hatte. Rückgewährforderungen der Klägerin aus jenen weiteren Darlehen waren Gegenstand des Rechtsstreits vor dem LG Hagen (15 O 262/91). Auf die zu den Akten gereichten Urteile des LG Hagen vom 14. April 1992 und des OLG Hamm vom 25. Januar 1993 wird Bezug genommen.

8

Mit der vorliegenden Klage macht die Klägerin Rückzahlung eines Teilbetrages in Höhe von 6.500,00 DM aus dem Eigenkapitalhilfedarlehen in Höhe von insgesamt 58.000,00 DM gegen die Beklagte unter dem Gesichtspunkt der von ihr übernommenen Mithaft geltend.

9

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, daß auch mit der Beklagten wirksame Darlehensverträge zustande gekommen und insbesondere auch nicht sittenwidrig seien. Die Klägerin hat hierzu behauptet, schon bei Darlehensübernahme habe die Beklagte im Restaurant ihres Ehemannes mitarbeiten wollen und auch später tatsächlich mitgearbeitet. Die Beklagte habe auch die Bedeutung dessen, was sie mit der Mithaftungserklärung unterschrieben habe, genau verstanden. Insoweit habe der Bankkaufmann ... der Commerzbank über den unstreitig über Grundkenntnisse in der deutschen Sprache verfügenden Ehemann der Beklagten als Dolmetscher die Beklagte hinreichend belehrt.

10

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin 6.500,00 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

11

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

12

Sie hat behauptet, bei Unterzeichnung des Darlehensvertrages nicht gewußt zu haben, daß sie eine Darlehensverpflichtung unterschreibe. Ihr Ehemann habe ihr nicht einmal gesagt, daß er ein Restaurant eröffnen wolle. Die Unterschrift habe sie geleistet, weil ihr Ehemann es verlangt habe und es in Vietnam üblich sei, daß insoweit die Frau dem Willen des Mannes folge. Die Bedeutung ihrer Unterschrift habe sie darin gesehen, damit gleichsam die persönliche Identität ihres Ehemanns zu bestätigen. Eine ursprünglich vorgesehene Mitarbeit im Restaurant sei wegen der Versorgung der Kinder später so gut wie nicht möglich gewesen.

13

Das Landgericht hat im Einverständnis der Parteien die vor dem Landgericht Hagen durchgeführte Beweisaufnahme zu Beweiszwecken verwertet und mit Urteil vom 20. April 1993 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, daß der Darlehensvertrag gegenüber der Beklagten nach § 138 Abs. 1 BGB unwirksam sei. Denn die vermögenslose Beklagte sei nicht nur bei Eingehen der Kreditverpflichtung außerstande gewesen, zu deren Erfüllung aus eigenem Einkommen beizutragen, sondern es sei auch für die Zukunft nicht damit zu rechnen, daß sich die Beklagte hieraus werde lösen wollen. Das gleiche Ergebnis habe eine Prognose bereits im Jahre 1986 ergeben können und müssen, die die Klägerin bzw. die Commerzbank aber gar nicht durchgeführt hätten.

14

Gegen dieses Urteil richtet sich die fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Klägerin. Die Klägerin wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen zur Frage der Sittenwidrigkeit der Mithaft der Beklagten.

15

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin 6.500,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 9. November 1991 zu zahlen.

16

Die Beklagte beantragt,

  1. 1.

    die Berufung zurückzuweisen,

  2. 2.

    für den Fall der Anordnung einer Sicherheitsleistung der Beklagten zu gestatten, Sicherheit in Form der Bürgschaft einer deutschen Großbank, öffentlichen Sparkasse, Volksbank oder Spar- und Darlehenskasse zu leisten.

17

Auch die Beklagte wiederholt und vertieft ihr Vorbringen erster Instanz. Sie trägt im übrigen weitere - von der Klägerin mit Nichtwissen bestrittene - Einzelheiten dazu vor, welche persönlichen Auswirkungen das Scheitern des Kreditengagement im Umfeld der Familie der Beklagten gehabt habe und heute noch habe.

18

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das angefochtene Urteil mit seinen Verweisungen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

19

Die Berufung hat keinen Erfolg.

20

Die Klage ist unbegründet. Es kann schon nicht festgestellt werden, daß zwischen der Klägerin und der Beklagten eine rechtsgeschäftliche Einigung über einen Schuldbeitritt der Beklagten zum Darlehensvertrag ihres Ehemanns zustande gekommen ist. Darüber hinaus ist eine etwa von der Beklagten übernommene Mithaft jedenfalls von Anfang an nichtig nach § 138 Abs. 1 BGB.

21

I.

Es kann schon nicht zur Überzeugung des Senats festgestellt werden, daß die Beklagte ihre Mithaftungserklärung am 13. August 1986 mit dem Willen und Bewußtsein unterschrieben hat, damit eine rechtlich verbindliche Haftungserklärung gegenüber der Klägerin abzugeben.

22

Unstreitig war die Beklagte im Jahre 1986 der deutschen Sprache nicht oder doch so gut wie nicht mächtig. Unstreitig hat deshalb der die Kreditgespräche für die Commerzbank führende Zeuge ... die Verhandlungen jedenfalls nicht unmittelbar und direkt mit der Beklagten, sondern mit deren Ehemann geführt. Schon aufgrund dieser unstreitigen Umstände ist die Behauptung der Beklagten, sie habe nie erfahren, daß sie mit ihrer Unterschrift eine eigene Darlehensmithaftung begründe, sondern vielmehr geglaubt, nur die Identität der Person ihres Ehemannes zu bestätigen, nicht als völlig unglaubhaft von der Hand zu weisen. Da die Beklagte sowohl die in deutscher Sprache abgefaßten Urkunden als auch die zwischen dem Zeugen ... und ihrem Ehemann in deutscher Sprache geführten Verhandlungen selbst nicht verstehen konnte, war sie vielmehr ausschließlich auf die Informationen angewiesen, die ihr ihr Ehemann in ihrer Landessprache vermittelte. Von daher ist die von der Beklagten behauptete Bedeutung ihrer Unterschriftsleistung zumindest plausibel.

23

Diese schon nach dem unstreitigen Sachverhalt gegenüber dem erforderlichen Geschäftswillen der Beklagten bestehenden Zweifel erhalten weiteres Gewicht durch die Aussage des Ehemannes der Beklagten vor dem Landgericht Hagen, deren Verwertung auch in der Berufungsinstanz die Parteien nicht widersprochen haben: Danach hat zwar der Ehemann der Beklagten verstanden, daß er selbst eine Darlehensverpflichtung eingehe, jedoch nicht, warum entsprechend dem Verlangen des Zeugen ... auch seine Ehefrau unterschreiben müsse. Folgerichtig habe er der Beklagten auch den Grund dafür nicht erklärt, sondern sie zur Unterschriftsleistung angewiesen. Dem sei die Beklagte gefolgt, weil es im vietnamesischen Kulturkreis üblich sei, daß die Frau dem Willen des Ehemannes folge.

24

Diese Aussage des Zeugen ... ist nachvollziehbar und wird auch durch die Aussage des Zeugen ... nicht widerlegt. Denn dieser konnte allenfalls darüber berichten, was er in deutscher Sprache mit dem Ehemann der Beklagten besprochen hat, dagegen nicht, was der Ehemann der Beklagten dieser in vietnamesischer Sprache davon weitergegeben hat. Hiernach kann schon nicht festgestellt werden, daß die unstreitig auch in geschäftlichen Dingen völlig unerfahrene Beklagte ihre Mithaftungserklärung mit rechtsgeschäftlichem Verpflichtungswillen abgegeben hat. Schon aus diesem Grunde ist die Klage unbegründet.

25

II.

Selbst wenn zwischen den Parteien eine rechtsgeschäftliche Einigung über eine Darlehensmithaftung der Beklagten zustande gekommen sein sollte, ist diese jedenfalls nach § 138 Abs. 1 BGB wegen sittenwidriger Überforderung der Beklagten nichtig.

26

1. Zur Frage sittenwidriger Mitverpflichtung einkommens- und vermögensloser Familienangehöriger haben zunächst der 11. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in seinen Urteilen vom 22. Januar 1991 (XI ZR 111/90 = NJW 1991, 923) und vom 24. November 1992 (XI ZR 98/92 = NJW 1993, 322) sowie im Anschluß an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19.10.1993 (ZIP 1993, 1775) auch der 9. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs mit den in wesentlichen Teilen fast inhaltsgleichen Urteilen vom 24. Februar 1994 (IX ZR 93/93, WM 1994, 676 und IX ZR 227/93 = WM 1994, 680) grundlegend neue Beurteilungsmaßstäbe aufgestellt.

27

Danach bleibt es zwar bei dem Grundsatz, daß derjenige Erwachsene, der aus eigenem Entschluß und zur Finanzierung eigener Bedürfnisse einen Bankkredit zu marktgerechten Bedingungen aufnimmt, selbst dann im Rahmen seiner Vertragsfreiheit handelt und in vollem Umfang haftet, wenn er dabei bewußt Verpflichtungen übernimmt, die seine Leistungsfähigkeit überschreiten, wie es etwa für den Ehemann der Beklagten der Fall gewesen sein mag.

28

Der bloße Schuldbeitritt eines Familienangehörigen wie der Beklagten ist dagegen anders zu beurteilen. Hier kann ein Vertrag schon deshalb nichtig sein, weil ein besonders grobes Mißverhältnis zwischen Verpflichtungsumfang und Leistungsfähigkeit der Verpflichteten besteht und diese aus Geschäftsunerfahrenheit ohne wesentliches Eigeninteresse gehandelt hat. In einem solchen Fall kann einer solchen Vereinbarung aufgrund einer Gesamtwürdigung aller objektiven und subjektiven Umstände wegen Sittenwidrigkeit die Anerkennung versagt werden.

29

2. Nach diesen Grundsätzen ist ein etwa von der Beklagten am 13. August 1986 erklärter Schuldbeitritt jedenfalls wegen Sittenwidrigkeit unwirksam.

30

a) Die bei Vertragsschluß 31 Jahre alte Beklagte wurde durch die auf Verlangen der Klägerin bzw. der Commerzbank übernommene Zahlungsverpflichtung objektiv finanziell überfordert. Diese Überforderung liegt auf der Hand, wenn man nicht nur das dem vorliegende Rechtsstreit betreffende Eigenkapitalhilfedarlehen in Höhe von 58.000,00 DM, sondern die von der Beklagten unstreitig - sei es im Wege der weiteren Mithaft oder der Übernahme einer Bürgschaft - weiter mitübernommenen Mitverpflichtungen aus dem Gesamtfinanzierungskonzept in einer Größenordnung von weiteren 126.000,00 DM in die Betrachtung mit einbezieht, wie es der Senat für erforderlich hält.

31

Aber auch dann, wenn man nur auf das streitgegenständliche Darlehen in Höhe von 58.000,00 DM mit einer Laufzeit von 20 Jahren bei zwei zinsfreien Jahren und nach zehn Jahren einsetzender Tilgungsleistung in halbjährigen Beträgen abstellen wollte, ist nicht anzunehmen, daß die Beklagte sich aus dieser Verpflichtung jemals würde lösen können. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß die aus einem völlig fremden Kulturkreis stammende Beklagte zwar einen als "Abitur" bezeichneten Schulabschluß hat. Selbst wenn dieser Schulabschluß einer in der Bundesrepublik erworbenen Hochschulreife gleichzustellen wäre, ist er in seiner Wertigkeit für die Frage der Befähigung der Beklagten, sich aus der übernommenen Darlehensverbindlichkeit zu befreien, im Grunde bedeutungslos. Denn es ist nicht anzunehmen, daß dieser Schuldabschluß der Beklagten zu wesentlichen Verdienstmöglichkeiten in Deutschland verhelfen könnte. Entscheidend ist vielmehr, daß die Beklagte über keine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt. In Vietnam war sie unstreitig als Büfetthilfe tätig. Die Annahme einer ähnlichen Tätigkeit als ungelernte Aushilfskraft in der Bundesrepublik könnte ihr keinesfalls zu einem Einkommen verhelfen, das in absehbarer Zeit ihr ein nennenswertes Abtragen der übernommenen Schuld erlauben würde. Zum Zeitpunkt der Unterzeichnung der Darlehensmithaft war die Beklagte wegen ihrer damals 10, 6, 5 und 2 Jahre alten Kinder hierzu ohnehin nicht in der Lage. Selbst wenn man ihr heute mit Rücksicht auf das fortgeschrittene Alter ihrer Kinder die Aufnahme einer Arbeit zumuten könnte, könnte die heute 39 Jahre alte Beklagte keine Einkünfte erzielen, die ihr auch nur eine wesentliche Herabsetzung der übernommenen Darlehensverbindlichkeiten erlaubten. Damit ist auch in der weiteren Zukunft nicht zu rechnen.

32

b) Durch die (unterstellt: zustande gekommenen) Vereinbarungen des Schuldbeitritts wurde auch kein sachgerechter Interessenausgleich erzielt.

33

Die Beklagte hatte an der Übernahme der in auffälligem Mißverhältnis zu ihrer Leistungsfähigkeit stehenden Darlehensmithaft kein wirtschaftliches Eigeninteresse. Die Darlehensvaluta selbst wurde nicht ihr, sondern ihrem Ehemann, der in dem Darlehensvertrag vom 31. Juli/13. August 1986 auch allein als Darlehensnehmer bezeichnet ist, ausgezahlt. Nur der Gründung des Restaurationsbetriebes durch ihren Ehemann als alleinigem Inhaber diente auch die Aufnahme dieses Darlehens und der anderen Kredite. Die Beklagte selbst übernahm lediglich zu ihrer Mithaft nach § 431 BGB führende Verpflichtungen, ohne eigene Rechte zu erwerben. Daß die Beklagte eine Mitarbeit im Restaurant des Ehemannes in Aussicht gestellt hat, deren tatsächlicher späterer Umfang zwischen den Parteien streitig ist, ändert an dieser Beurteilung nichts. Diese Mitarbeit konnte schon aufgrund der fehlenden beruflichen Qualifikationen allenfalls in untergeordneten Hilfstätigkeiten bestehen und zu keinem über das unter Ehegatten normale Maß gegenseitiger Unterstützung hinausgehenden Eigeninteresse der Beklagten führen.

34

Aber auch auf Seiten der Klägerin bzw. der für sie handelnden Commerzbank bestand kein rechtfertigendes Interesse am Schuldbeitritt der leistungsunfähigen Beklagten.

35

Die Klägerin und die Commerzbank konnten bei objektiver Betrachtung eine vertragsgemäße Erfüllung seiner Verbindlichkeiten nur von dem Ehemann der Beklagten erwarten, wenn sich nämlich dessen Erwartung erfüllte und das Restaurant in Zukunft entsprechend Gewinn erzielte. Von der damals 31 Jahre alten Beklagten mit vier minderjährigen Kindern war eine Erhöhung der Befriedigungsaussicht nicht oder allenfalls in ferner Zukunft in höchst Ungewissem Maße zu erwarten. Das bei Kreditaufnahme vorhandene Sparguthaben kann schon wegen seiner geringen Höhe von 26.000,00 DM und außerdem deshalb außer Betracht bleiben, weil es zur Finanzierung der Gesamtinvestition in Höhe von 210.000,00 DM voll mit verbraucht worden ist.

36

cc) Zwar kann nicht festgestellt werden, daß der Klägerin und/oder der Commerzbank AG in ... die dargestellte finanzielle Überforderung der Beklagten im einzelnen positiv bekannt war. Gleichwohl beruht die dargestellte finanzielle Überforderung der Beklagten auf der Verletzung vorvertraglicher Rücksichtspflichten seitens der die Verhandlung durch den Zeugen ... führenden Commerzbank AG. Diese Pflichtverletzung muß sich die Klägerin zurechnen lassen.

37

In diesem Zusammenhang kann offenbleiben, ob im Einzelfall ohne Bewußtsein des Kreditinstituts um die finanzielle Überforderung schon allein das besonders grobe Mißverhältnis zwischen Verpflichtungsumfang und Leistungsfähigkeit des Ehegatten die Annahme einer Sittenwidrigkeit zu begründen vermag. Denn im vorliegenden Fall liegt die Verletzung vorvertraglicher Rücksichtnahmepflicht der Commerzbank AG darin, daß sowohl sie als auch die Klägerin sich ohne erheblichen Aufwand Kenntnis von den die Überforderung der Beklagten ergebenden objektiven Tatsachen hätten verschaffen können, darauf aber ohne schützenswerte Eigeninteressen verzichteten, weil sie sich von einem schematischen Verlangen nach einer Mithaft des Ehegatten ohne Prüfung der konkreten Umstände des Einzelfalls haben leiten lassen:

38

Insoweit ist festzustellen, daß die Forderung der Klägerin und der Commerzbank AG nach einer Mithaft der Beklagten nicht auf eine konkretes Sicherungsbedürfnis, sondern darauf zurückzuführen ist, daß die Klägerin und ihr folgend die Commerzbank AG die Mithaft der Ehefrau deshalb verlangen, weil diese in Nr. 4 i der Richtlinien des Bundesministers für Wirtschaft für die Gewährung von Eigenkapitalhilfe zur Förderung selbständiger Existenzen in der Fassung vom 17. Dezember 1984 (Bl. 18 d. A.) so vorgesehen war. Damit stimmt überein, daß die Commerzbank in ihrer Stellungnahme zum Darlehensantrag (Bl. 26 d. A.) zwar selbst alle genannten Sicherheiten als nur schwer bewertbar bezeichnet, andererseits aber u. a. die Mithaft der Beklagten "wie üblich" anbot. Damit stimmt schließlich überein, daß nach Aussage des Zeugen ... vor dem Landgericht Hagen (Bl. 71 d. A.) die Mithaftung der Ehefrau deshalb verlangt wurde, weil dies für derartige Kredite bei der Commerzbank in der Regel geschieht und im vorliegenden Fall es zudem von der Klägerin so "vorgeschrieben" war.

39

Das aber bedeutet wiederum, daß die Mithaft der Beklagten nur verlangt worden ist, weil das nach den Richtlinien der Regelfall ist und sowohl die Klägerin als auch die Commerzbank die Mithaft der Beklagten ohne Überprüfung des Einzelfalls nur deshalb zur Bedingung gemacht haben, weil dies dem regelmäßigen Verfahrensgang entspricht.

40

Darin, daß derart schematisch verfahren wurde, sieht sich der Senat auch in der ab Seite 15 des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1993 abgedruckten Stellungnahme des Bundesverbandes deutscher Banken bestätigt. Dort wird als Ergebnis kurzfristig durchgeführter Stichproben bei einzelnen Bankhäusern mitgeteilt (a.a.O. Seite 17, 18 oben), daß bei Gründung von Einzelfirmen, Handwerksbetrieben und kleineren Gesellschaften etwa bei 90 von 100 Kreditvergaben die Übernahme der persönlichen Haftung durch den Ehegatten des Kreditnehmers gefordert würden. Dabei würden vielfach Förderprogramme zur Gründung selbständiger Existenzen in Anspruch genommen. Die hierbei eingeschalteten Institute sähen in ihren Fördererrichtlinien zumeist generell die Übernahme der Mithaftung durch den Ehepartner vor. Um ein solches Institut handelt es sich auch bei der Klägerin, die mit der Eigenkapitalhilfe entsprechend den vorgelegten Richtlinien Existenzgründern im Bereich der gewerblichen Wirtschaft und der freien Berufe zusätzliche Risiko tragene Mittel zur Verstärkung der Eigenkapitalbasis für Existenzgründungen zur Verfügung stellen will. Der u. a. damit angesprochene wirtschafts- und gesellschaftspolitische Zweck, über den hier selbstverständlich nicht zu urteilen ist, ist zivilrechtlich im Rahmen des § 138 Abs. 1 BGB neutral und rechtfertigt es von daher nicht, bei staatlich geförderten sogenannten Existenzgründungs- oder Mittelstandsdarlehen für die Bewertung einer Mithaft von Familienangehörigen andere Maßstäbe anzulegen als bei nicht staatlich geförderten Darlehen dieser Art.

41

Hat damit aber die Commerzbank AG die Bürgschaft nur verlangt, weil die Klägerin ihrerseits dies nach ihren Richtlinien schematisch fordert, ohne sich um die leicht mögliche Überprüfung der persönlichen Verhältnisse des Ehegatten überhaupt zu kümmern, dann liegt hierin die Verletzung von auch im Rahmen eines einseitig verpflichtenden Vertrages wie eines Schuldbeitritts bestehenden vorvertraglichen Rücksichtnahmepflicht. Nach den bereits dargestellten Gesamtumständen wäre dann, wenn sich die Klägerin oder die für sie handelnde Commerzbank AG der objektiven Überforderung der Beklagten bewußt gewesen wäre, der Bürgschaftsvertrag nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig. Gleiches muß aber dann gelten, wenn die Commerzbank diese positive Kenntnis zwar nicht gehabt haben mochte, sie sich aber unschwer hätte verschaffen können, und sei es nur durch Einholung einer Selbstauskunft. Hierauf hat die Commerzbank ebenso verzichtet wie entsprechend der Aussage des Zeugen ... sie nicht einmal Verdienstbescheinigungen der Beklagten und ihres Ehemannes verlangt hat. Die lediglich dem Darlehensantrag beigefügten tabellarischen Lebensläufe der Eheleute können die unterlassene Überprüfungen der Leistungsfähigkeit im Einzelfall nicht ersetzen, zumal die Beklagte unstreitig ihren Lebenslauf nicht selbst geschrieben und auch kaum verstanden hat.

42

Zu der unterlassenen fürsorglichen Überprüfung, ob die Beklagte zur Erfüllung der übernommenen Mithaft objektiv überhaupt in der Lage sei, war die Commerzbank bzw. die Klägerin im konkreten Fall um so mehr verpflichtet, als sie und die Klägerin gegenüber der Beklagten und ihrem Ehemann praktisch "wie Behörden" aufgetreten sind. Gerade der Beklagten als der deutschen Sprache nicht mächtigem vietnamesischem Flüchtling mußte sich unter diesen Umständen geradezu aufdrängen, daß sie trotz eigener Kenntnis um ihre Mittellosigkeit und bei unterstellter Kenntnis um die Bedeutung der Geschäftsvorgänge im übrigen die Mithaft letztlich unterschreiben müsse, weil dies schließlich "öffentliche Stellen" verlangten. Wie aus der Bezugnahme auf die Richtlinien im Darlehensvertrag und auch aus der Aussage des Zeugen ... hervorgeht, wurde die Mithaft der Beklagten praktisch einseitig als Darlehensbedingung bestimmt, weil dies nach den Richtlinien der Klägerin so "Vorschrift" sei. Diese einseitige Machtüberlegenheit der Commerzbank und der Klägerin hätten es im vorliegenden Fall geboten, die familiären Vermögensverhältnisse und damit die objektive Leistungsfähigkeit der Beklagten zumindest näher zu hinterfragen und zu prüfen.

43

Da dies unstreitig nicht geschehen, sondern schematisch und ohne Rücksicht auf den Einzelfall das Darlehen von der Mithaft der Beklagten abhängig gemacht wurde, ist der Vertrag unter Verletzung der Privatautonomie der Beklagten geschlossen und damit nichtig. Der von der Klägerin angesprochene Gedanke der Verhinderung von Vermögensverschiebungen vermag an der Sittenwidrigkeit nichts zu ändern, denn dieses Motiv reicht jedenfalls allein nicht aus, der Überforderung der Beklagten den Charakter der Sittenwidrigkeit zu nehmen, zumal für etwaige unredliche Absichten des Kreditnehmers keinerlei - auch keine ganz fernliegenden - Anhaltspunkte vorgetragen sind, bei dem schematischen Verlangen nach Ehegattenmithaft für den Einzelfall auch gar nicht geprüft werden.

44

III.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den § 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 546 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO.

45

Der Senat mißt der Frage, ob bei objektiv vorhandener und dem Kreditinstitut bei Vertragsschluß zwar nicht positiv bekannter, aber mit zumutbaren Mitteln verschaffbarer Kenntnis von der Überforderung der mithaftenden Ehefrau Sittenwidrigkeit anzunehmen ist, grundsätzliche Bedeutung zu.

Streitwertbeschluss:

Der Wert der Beschwer beträgt 6.500,00 DM.