Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 08.02.2019, Az.: 1 W 1/19
Voraussetzungen einer Gerichtsstandsbestimmung gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO; Begriff der Bank- und Finanzgeschäfte i.S. von § 119a S. 1 Nr. 1 GVG
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 08.02.2019
- Aktenzeichen
- 1 W 1/19
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2019, 19006
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- GVG § 119a S. 1 Nr. 1
- ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
- KredWG § 1 Abs. 1 S. 2
- KredWG § 1 Abs 1a S. 2
Amtlicher Leitsatz
1. Bei der Spezialzuständigkeit nach § 119a Satz 1 Nr. 1 GVG handelt es sich um eine gesetzliche Zuständigkeit, die nicht der Entscheidung des Präsidiums überlassen werden darf, so dass die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO analog gegeben sind.
2. Voraussetzung dafür ist, dass den Parteien die Entscheidungen der streitenden Spruchkörper bekannt gemacht worden sind.
3. Im Fall des § 119a GVG kommt es nur auf die materielle Zuständigkeit der Spezialsenate an. Es kommt nicht darauf an, ob in der Vorinstanz durch eine Spezialkammer oder eine allgemeine Zivilkammer entschieden worden ist.
4. Streitigkeiten aus Bank- und Finanzgeschäften sind Streitigkeiten, an denen eine Bank, eine Sparkasse, ein Kredit- oder Finanzinstitut beteiligt ist, sofern Ansprüche aus in § 1 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 1a Satz 2 KWG genannten Geschäften (Einlagen-, Kredit-, Diskont-, Depotgeschäfte, Anlagenberatung und -vermittlung) betroffen sind.
5. Zu den Kreditgeschäften gehören auch Ansprüche der Bank gegen Bürgen und Sicherungsgeber.
Tenor:
Zum zuständigen Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig wird der 11. Zivilsenat bestimmt.
Gründe
I.
Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Feststellung, dass der Beklagte der Klägerin die Zahlung eines Betrages von insgesamt 1.022.528,78 € - festgestellt im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beklagten beim Amtsgericht Braunschweig Insolvenzgericht - schuldet, vor dem Landgericht Braunschweig in Anspruch. Die Klägerin ist eine Bank. Der Beklagte war Gesellschafter und Geschäftsführer der M GmbH, der die Klägerin Darlehen gewährte, für die der Beklagte selbstschuldnerische Höchstbetragsbürgschaften übernahm, die Gegenstand dieses Verfahrens sind.
Zwischen den Parteien ist unter anderem der Wohnsitz des Beklagten streitig, der behauptet, seinen Wohnsitz in Colmar/Frankreich zu haben. Das Landgericht Braunschweig hat mit Zwischenurteil vom 21.11.2018 die Klage als unzulässig abgewiesen, weil das angerufene Gericht nicht international und örtlich zuständig sei.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 03.12.2018 Berufung eingelegt. Das Verfahren ist gemäß lit. A. Ziff. III. 1. des Geschäftsverteilungsplanes des Oberlandesgerichts (GVP) im Rahmen des Turnussystems dem 8. Zivilsenat zugeteilt worden. Der 8. Zivilsenat hat mit Verfügung vom 20.12.2018 unter Hinweis auf lit. A Ziff. II. 1. Buchstabe k GVP den 11. Zivilsenat um Übernahme des Verfahrens gebeten. Der 11. Zivilsenat ist nach dem Geschäftsverteilungsplan für Bank- und Finanzgeschäfte im Sinne des § 119a Satz 1 Nr. 1 GVG zuständig. Mit Verfügung vom 21.12.2018 hat der 11. Zivilsenat die Übernahme des Verfahrens abgelehnt, weil nach seiner Auffassung keine Spezialzuständigkeit gegeben sei.
Mit den Parteien mitgeteiltem Beschluss vom 28.12.2018 hat der 8. Zivilsenat dem für Kompetenzkonflikte zuständigen 1. Zivilsenat die Sache zur Bestimmung des zuständigen Senats vorgelegt. Die Parteien erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme zu der Bestimmung der Senatszuständigkeit. Die Klägerin geht davon aus, dass es sich um eine bankrechtliche Angelegenheit handele.
II.
Bei der Frage der Spezialzuständigkeit nach § 119a Satz 1 Nr. 1 GVG handelt es sich um eine gesetzliche Zuständigkeit, die nicht der Entscheidung des Präsidiums überlassen werden darf, so dass die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO analog gegeben sind (OLG Bamberg, Beschluss vom 31. August 2018 - 2 ZIV AR 2/18 -, juris = NJW-RR 2018, 1386 [OLG Bamberg 31.08.2018 - 2 ZIV AR 2/18]; OLG Hamburg, Beschluss vom 06. August 2018 - 6 AR 10/18 -, juris = MDR 2018, 1327; OLG Hamburg, Beschluss vom 12. Oktober 2018 - 6 AR 17/18 -, juris zu § 72a GVG; OLG Frankfurt, Beschluss vom 20. Juni 2018 - 11 SV 25/18 -, juris = NJW-RR 2018, 1274 [OLG Frankfurt am Main 20.06.2018 - 11 SV 25/18][BGH 05.07.2018 - VII ZB 40/17]). Voraussetzung dafür ist, dass den Parteien die Entscheidungen der streitenden Spruchkörper bekannt gemacht worden sind (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 12. Oktober 2018 - 6 AR 17/18 -, juris zu § 72a GVG; OLG Nürnberg, Beschluss vom 18. Juni 2018 - 1 AR 990/18 -, juris = MDR 2018, 1015 [BGH 28.03.2018 - XII ZB 168/17][BGH 15.05.2018 - VI ZR 287/17]).
Im Fall des § 119a GVG kommt es nur auf die materielle Zuständigkeit der Spezialsenate an. Es handelt sich nicht um eine formelle Anknüpfung an die Entscheidung der Vorinstanz wie in § 119 Abs. 1 Nr. 1 GVG, sodass es nicht darauf ankommt, ob in der Vorinstanz durch eine Spezialkammer oder eine allgemeine Zivilkammer entschieden worden ist (vgl. Zöller/Lückemann 32. Aufl. § 119a GVG Rn. 2).
Hier ist der 11. Zivilsenat zuständig, der nach dem Geschäftsverteilungsplan des Oberlandesgerichts Spezialsenat für Bank- und Finanzgeschäfte gemäß § 119a Satz 1 Nr. 1 GVG ist. Streitigkeiten aus Bank- und Finanzgeschäften sind Streitigkeiten, an denen eine Bank, eine Sparkasse, ein Kredit- oder Finanzinstitut beteiligt ist, sofern Ansprüche aus in § 1 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 1a Satz 2 KWG genannten Geschäften (Einlagen-, Kredit-, Diskont-, Depotgeschäfte, Anlagenberatung und -vermittlung) betroffen sind (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 06. August 2018 - 6 AR 10/18 -, juris = MDR 2018, 132 mit ausführlicher Darstellung des Meinungsstands; OLG Frankfurt, Beschluss vom 20. Juni 2018 - 11 SV 25/18 -, juris = NJW-RR 2018, 1274 [OLG Frankfurt am Main 20.06.2018 - 11 SV 25/18][BGH 05.07.2018 - VII ZB 40/17]). Die Formulierung des § 119a Satz 1 Nr. 1 GVG deckt sich mit § 348 Abs. 1 Nummer 2b ZPO (Einzelrichterzuständigkeit) und § 72a GVG (Zuständigkeit von Spezialkammern beim Landgericht).
Die Spezialzuständigkeit verlangt, dass auf der einen Seite an dem Geschäft eines der in § 1 KWG bezeichneten Unternehmen beteiligt ist. Dazu gehören Banken wie die Klägerin. Es müssen ferner Ansprüche aus den in § 1 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 1a Satz 2 KWG genannten Geschäften betroffen sein, wozu die hier zugrundeliegenden Kreditgeschäfte gehören (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 06. August 2018 - 6 AR 10/18 -, juris = MDR 2018, 1327 [OLG Hamburg 06.08.2018 - 6 AR 10/18] mit ausführlicher Darstellung des Meinungsstands). Zu den Kreditgeschäften gehören auch Ansprüche der Bank gegen Bürgen und Sicherungsgeber (vgl. Zöller/Lückemann 32. Aufl. § 72a GVG Rn. 4).
Nicht unter die Spezialzuständigkeit fallen dagegen Geschäfte, bei denen ein Privatmann einem anderen ein Darlehen gewährt oder für ihn eine Bürgschaft übernimmt, ohne dass an dem Geschäft ein in § 1 KWG angeführtes Unternehmen beteiligt ist. Die vom 11. Zivilsenat herangezogene Entscheidung des OLG München (OLG München, Beschluss vom 02. April 2014 - 20 W 503/14 -, juris = MDR 2014, 724 [OLG München 02.04.2014 - 20 W 503/14] zu §§ 348 ZPO, § 266 FamFG) betrifft einen Darlehensvertrag und daraus resultierende Rückzahlungsansprüche zwischen zwei Privatpersonen, die nicht als Streitigkeiten aus Bank und Finanzgeschäften aufzufassen sind.