Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 23.02.2024, Az.: 1 ORbs 20/24

Rechtsbeschwerde gegen die Verurteilung wegen Unterlassens, einem Einsatzfahrzeug mit eingeschaltetem blauen Blinklicht und Einsatzhorn, sofort freie Bahn zu schaffen

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
23.02.2024
Aktenzeichen
1 ORbs 20/24
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 13442
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2024:0223.1ORBS20.24.00

Verfahrensgang

vorgehend
AG Helmstedt - 06.11.2023 - AZ: 15 OWi 901 Js 59970/22

In der Bußgeldsache
gegen
Dr. G. H. B. ,
geboren am ... 1960 in B.,
wohnhaft ...,
- Verteidiger:
Rechtsanwalt T. N., ... -
wegen ordnungswidrigen Verhaltens im Straßenverkehr
hat der Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Braunschweig durch die Einzelrichterin am 23. Februar 2024 beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Helmstedt vom 6. November 2023 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht Helmstedt zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Helmstedt hat den Betroffenen am 6. November 2023 wegen fahrlässiger Verkehrsordnungswidrigkeit - dem Unterlassen, einem Einsatzfahrzeug mit eingeschaltetem blauen Blinklicht und Einsatzhorn, sofort freie Bahn zu schaffen - verurteilt und ihn deshalb mit einer Geldbuße von 240,- € belegt. Zugleich hat es ein Fahrverbot von einem Monat festgesetzt.

Gegen das in Abwesenheit des gem. § 74 Abs. 1 OWiG von der Pflicht des persönlichen Erscheinens entbundenen Betroffenen und in Anwesenheit eines unterbevollmächtigten Verteidigers am 6. November 2023 verkündete und dem bevollmächtigten Verteidiger am 5. Dezember 2023 zugestellte Urteil hat der Verteidiger mit beim Amtsgericht am 6. November 2023 per beA eingegangenem Schriftsatz vom selben Tage Rechtsbeschwerde eingelegt. Mit weiterem Verteidigerschriftsatz vom 5. Januar 2024 - beim Amtsgericht per beA eingegangen am selben Tage - hat der Betroffene beantragt, das Urteil des Amtsgerichts Helmstedt vom 6. November 2023 aufzuheben. Er rügt die Verletzung sachlichen Rechts.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt wie erkannt.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthaft und auch ansonsten zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

Sie hat auch - zumindest vorläufig - Erfolg, da die im Urteil dargestellte Beweiswürdigung die der Verurteilung zugrundeliegenden Feststellungen nicht trägt.

Da die Beweiswürdigung in erster Linie Sache des Tatrichters ist, beschränkt sich die Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind, was der Fall ist, wenn eine Beweiswürdigung von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht, wenn sie lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht erörtert werden, wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 26. April 2023, 5 StR 457/22, juris, Rn. 7 m.w.N.; OLG Braunschweig, Beschluss vom 25. Februar 2015, 1 Ss 13/15, juris, Rn. 6 m.w.N.).

Die Beweiswürdigung des Amtsgerichts in Bezug auf die Tatsache, dass der Betroffene es am 23. Juni 2022 gegen 19:37 Uhr für die Dauer von einer Minute unterlassen hat, mit seinem PKW VW Passat mit dem amtlichen Kennzeichen ... auf der BAB 2 in Fahrtrichtung Berlin einem Einsatzfahrzeug mit eingeschaltetem blauen Blinklicht und Einsatzhorn sofort freie Bahn zu schaffen, obwohl es ihm nach der Verkehrslage vorher möglich gewesen wäre, auf den ersten Überholfahrstreifen zu wechseln, ist lückenhaft.

Das Amtsgericht hat hierzu den Zeugen M. vernommen und stützt seine Feststellungen daneben auf die "Bild- und Tonaufzeichnungen". Der Aussage des Zeugen M., die vom Gericht als schlüssig, glaubhaft und nachvollziehbar beurteilt wurde, konnte das Gericht entnehmen, dass im Einsatzfahrzeug sowohl die Zeit als auch die gefahrene Geschwindigkeit aufgenommen worden sind, aus der sich sodann durch eine Weg-Zeit-Strecken-Berechnung eine Strecke von ca. 2,6 km ergibt, auf der dem Einsatzfahrzeug durch den Betroffenen keine freie Bahn geschaffen worden ist. Dass dem Betroffenen dies auch möglich gewesen wäre, ergibt sich aus den Bekundungen des Zeugen M. allerdings nicht. Entsprechende Angaben des Zeugen M. zur aktuellen Verkehrssituation, die eine solche Feststellung ermöglicht hätten, finden sich im Rahmen der Beweiswürdigung nicht. Ob diese Feststellung (auch) auf den im Urteil erwähnten Bild- und Tonaufzeichnungen beruhen, bleibt offen. Die Wiedergabe des wesentlichen Inhaltes der Bild- und Tonzeichnungen, aus denen sich eventuell die aktuelle Verkehrssituation zum Vorfallszeitpunkt ergibt, fehlt. Der Rückgriff auf die (wahrscheinlich in den Akten enthaltenen) Bild- und Tonaufzeichnungen, die das Amtsgericht offenbar in Augenschein genommen hat, ist dem Senat verwehrt. Entgegen der von der Generalstaatsanwaltschaft vertretenen Auffassung hat das Amtsgericht schon nicht auf das Messvideo verwiesen, sondern lediglich erwähnt, dass sich "aus den Bild- und Tonaufzeichnungen" ergibt, "dass das Martinshorn eingeschaltet gewesen ist" (UA S. 4), was für eine wirksame Verweisung gem. §§ 267 Abs. 1 Satz 3 StPO, 46 OWiG schon nicht genügen würde (vgl. zu den grds. Voraussetzungen einer wirksamen Verweisung Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 22. Mai 2023, 1 Ss (OWi) 47/22, juris, Rn. 13). Darauf kommt es hier aber letztlich auch nicht an, denn auf elektronischen Medien gespeicherte Bilddateien und Filme sind keine sich bei den Akten befindliche "Abbildungen" im Sinne des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO (vgl. BGH, Urteil vom 2. November 2011, 2 StR 332/11, juris, Rn. 14ff.; OLG Braunschweig, Beschluss vom 31. August 2023 - 1 Ss (OWi) 115/22, nicht veröffentlicht; Thüringer OLG, Beschluss vom 5. Januar 2012 - 1 SsBs 112/11, juris, Rn. 27).

III.

Wegen des genannten Rechtsfehlers ist das angefochtene Urteil gemäß § 353 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG aufzuheben und die Sache gem. § 79 Abs. 6 OWiG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Für eine in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 2 StPO grundsätzlich zulässige Zurückverweisung an eine andere Abteilung besteht allerdings kein Anlass.

Die Entscheidung über die Kosten der Rechtsbeschwerde bleibt dem Amtsgericht vorbehalten, da der endgültige Erfolg des Rechtsmittels noch nicht abgesehen werden kann.