Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 25.02.2015, Az.: 1 Ss 13/15

Strafaussetzung zur Bewährung wegen Vorliegens besonderer Umstände i.S.d. § 56 Abs. 2 StGB

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
25.02.2015
Aktenzeichen
1 Ss 13/15
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 13676
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2015:0225.1SS13.15.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Braunschweig - 08.10.2014

Fundstelle

  • BewHi 2015, 281-283

Amtlicher Leitsatz

Ob eine positive Sozialprognose i.S.d. § 56 Abs. 1 StGB besteht, ist vor der Prüfung des Vorliegens besonderer Umstände i.S.d. § 56 Abs. 2 StGB zu entscheiden, weil die Erwartung, der Angeklagte werde sich künftig straffrei führen, gerade auch für die Beurteilung der besonderen Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 S. 1 StGB von Bedeutung ist.

Zu den nach § 56 Abs. 2 StGB zu berücksichtigenden Faktoren gehören auch solche, die schon für die Prognose nach § 56 Abs. 1 StGB von Belang sein können, wie umgekehrt auch besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB für die Prognose nach § 56 Abs. 1 StGB.

Für das Vorliegen besonderer Umstände nach § 56 Abs. 2 StGB genügt, dass Milderungsgründe von besonderem Gewicht vorliegen, die eine Strafaussetzung trotz des erheblichen Unrechtsgehalts, der sich in der Strafhöhe widerspiegelt, als nicht unangebracht und als den vom Strafrecht geschützten Interessen zuwiderlaufend erscheinen lassen. Dass diese Milderungsgründe der Tat Ausnahmecharakter verleihen, verlangt § 56 Abs. 2 StGB nicht.

Tenor:

Das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 08. Oktober 2014 wird im Rechtsfolgenausspruch mit den dazu gehörigen Feststellungen aufgehoben und das Verfahren im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Braunschweig zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe

Die zulässige Revision des Angeklagten hat - zunächst - Erfolg.

I.

Der Angeklagte ist durch das Urteil des Amtsgerichts Goslar vom 19.12.2013 wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte mit einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten belegt worden. Das Landgericht Braunschweig hat die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung mit der angefochtenen Entscheidung verworfen. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte durch seinen Verteidiger mit einem am 14.10.2014 eingegangenen Schriftsatz Revision eingelegt und diese nach der am 19.11.2014 erfolgten Zustellung des Urteils am 18.12.2014 (Eingang beim Landgericht Braunschweig) begründet. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision als unbegründet zu verwerfen.

II.

Nach Anhörung des Verteidigers war die Revision gem. § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen, soweit sie sich gegen den Schuldspruch richtet, das Urteil jedoch im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und das Verfahren an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Braunschweig zurückzuverweisen. Die auf die Sachrüge hin vorzunehmende Nachprüfung des Urteils hat im Rahmen der Strafzumessung durchgreifende Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

1. Die tatrichterlichen Feststellungen (S. 4-6 UA [Bl. 93-95 Bd. II d.A.]) tragen den Schuldspruch wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 113 Abs. 1, 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, 5 StGB sowohl in objektiver wie auch in subjektiver Hinsicht (§ 267 Abs. 1 S. 1 StPO).

Die Beweiswürdigung ist in erster Linie Sache des Tatrichters. Die revisionsrechtliche Kontrolle beschränkt sich daher darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist der Fall, wenn eine Beweiswürdigung von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht, wenn sie lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht erörtert, wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden (std. Rspr.; vgl. BGH, Urteil v. 01.07.2008 - 1 StR 654/07 -, juris, RN 18 m.w.N.). Derartige Rechtsfehler zeigt die Revision nicht auf. Sie sind auch sonst nicht ersichtlich. Insbesondere hat das Landgericht dargestellt und begründet, warum es den von der Einlassung des Angeklagten abweichenden Zeugenaussagen zur Tatbegehung gefolgt ist (S. 5f. UA [Bl. 94f. Bd. II d.A.]).

2. Die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs des angefochtenen Urteils hat jedoch Gesetzesverletzungen zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

a) Die Ausführungen zur Strafzumessung, die als Aufgabe des Tatrichters im Revisionsverfahren nur eingeschränkt überprüfbar ist (vgl. BGH, Beschluß v. 10.04.1987, GSSt 1/86, juris RN 17ff.), begegnen im vorliegenden Fall Bedenken.

Eine Verletzung des Gesetzes i.S.d. § 337 Abs. 1 StPO liegt zwar nur dann vor, wenn die Erwägungen in sich fehlerhaft sind, gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen oder sich die verhängte Strafe derart von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein, dass sie nicht mehr innerhalb des Spielraums liegt, der dem Tatrichter bei der Strafzumessung eingeräumt ist (BGH, Urteil v. 17.09.1980, 2 StR 355/80, juris RN 10). Grundsätzlich ist sie Aufgabe des Tatrichters und insoweit der Nachprüfung entzogen. Eine exakte Richtigkeitskontrolle durch das Revisionsgericht ist ausgeschlossen (BGH, Beschluss v. 13.09.1976 - 3 StR 313/76 -, BGHSt 27, 2ff.). In Zweifelsfällen ist die Strafzumessung des Tatrichters hinzunehmen (BGH, Urteil v. 17.09.1980 - 2 StR 355/80 -, BGHSt 29, 319ff.).

b) Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben sind die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts zu beanstanden.

Das Landgericht hat mit §§ 113, 223, 224 Abs. 1 Nr. 2, 5, StGB die zur Anwendung gebrachten Strafgesetze (S. 6f. UA [Bl. 95f. Bd. II d.A.]) und den Strafrahmen unter Hinweis auf §§ 224 Abs. 1, 21 StGB richtig benannt (§ 267 Abs. 3 S. 1 StPO). Sie hat hierbei nachvollziehbar ausgeführt und begründet, dass eine Strafrahmenverschiebung wegen verminderter Schuldfähigkeit nach §§ 21 Abs. 1, 49 Abs. 1 StGB zur Anwendung gebracht worden ist (S. 7 UA [Bl. 96 Bd. II d.A.]).

Das Landgericht hat jedoch im Rahmen der Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten "die bei der Tatbegehung vorhersehbaren und vom Angeklagten billigend in Kauf genommenen erheblichen Verletzungen des Geschädigten H." berücksichtigt und ausgeführt, dass "angesichts der Verletzungen des Schädelknochens davon auszugehen sei, dass sehr leicht auch bleibende Hirnschäden eintreten können hätten". Damit hat es im Widerspruch zu § 46 Abs. 3 StGB in unzulässiger Weise Gesichtspunkte strafschärfend berücksichtigt, die bereits den gesetzlichen Tatbestand erfüllt haben. Hier ist mit dem (bedingten) Vorsatz hinsichtlich der billigend in Kauf genommenen erheblichen Verletzungen des Opfers und bezüglich der Gefahr des Eintritts bleibender Hirnschäden auf Gesichtspunkte abgestellt worden, die bereits den gesetzlichen (subjektiven) Tatbestand umfasst haben, der den bedingten Vorsatz hinsichtlich des Eintritts erheblicher Verletzungen durch den Einsatz eines gefährlichen Werkzeugs i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB und einer lebensgefährdenden Behandlung i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB umfasst. Das Gericht hat mithin nicht in zulässiger Weise auf die Folgen der Tat für das Opfer, sondern auf den Vorsatz bezüglich der der Tatbegehung innewohnenden Gefährlichkeit abgestellt, wobei die Gefahr schwerwiegender Gesundheitsverletzungen gegenüber der Lebensgefahr i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB ein minus darstellte.

Damit begegnet auch der Ausschluss des Vorliegens eines minder schweren Falls nach § 224 Abs. 1 a.E. StGB (S. 7 UA [Bl. 96 Bd. II d.A.]) Bedenken. Zwar erscheint die Ablehnung des Vorliegens eines minder schweren Falles im Ergebnis vertretbar. Es ist jedoch zu besorgen, dass auch der in unzulässiger Weise strafschärfend berücksichtigte Umstand in die hierbei erforderliche Gesamtabwägung Eingang gefunden hat.

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Strafe geringer ausgefallen wäre, wenn der unzulässig strafschärfend berücksichtigte Gesichtspunkt auch bei der im Übrigen nicht zu beanstandenden Gesamtbewertung der entlastenden und belastenden Umstände (S. 7f. UA [Bl. 96f. Bd. II d.A.]) außer Betracht geblieben wäre.

c) Darüber hinaus war auch die Entscheidung des Landgerichts über die Strafaussetzung zur Bewährung aus Rechtsgründen zu beanstanden.

Die Prognoseentscheidung gem. § 56 StGB ist grundsätzlich Sache des Tatrichters, dem hierbei ein weiter Beurteilungsspielraum zukommt, so dass das Revisionsgericht im Zweifel die vom Tatgericht vorgenommene Bewertung bis an die Grenze des Vertretbaren hinnehmen muss (vgl. BGH, Urteil v. 13.01.1977 - 1 StR 691/76 -, juris; BGH, Urteil v. 03.11.1977 - 1 StR 417/77 -, juris BGH, Urteil v. 29.03.1984 - 4 StR 149/84 -, juris; BGH, Urteil v. 26.04.2007 - 4 StR 557/06 -, juris; BGH, Urteil v. 07.11.2007 - 1 StR 164/07 - juris RN 8 m.w.N.; KG Berlin, Urteil v. 01.09.2008 - (4) 1 Ss 207/08 (114/08) - juris). Im Rahmen der revisionsrechtlichen Überprüfung der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung ist in erster Linie zu prüfen, ob die Erwägungen des Tatrichters zur Frage der Strafaussetzung durch entsprechende Tatsachenfeststellungen zur Person des Angeklagten, zur Tat, zum Schuldgewicht und zu den übrigen prognoserelevanten Umständen abgedeckt sind (vgl. OLG Braunschweig, Urteil v. 29.06.2009 - Ss 55/09, unveröffentlicht; Dahs, Die Revision im Strafprozess, 8. Auflage, 2012, RN 480).

Das Landgericht hat hier fehlerhaft ausdrücklich dahinstehen lassen, ob dem Angeklagten "überhaupt eine positive Sozialprognose gestellt" werden könne und sich darauf beschränkt festzustellen, dass "jedenfalls besondere Umstände i.S.d. § 56 Abs. 2 StGB nicht vorgelegen" hätten (S. 8 UA [Bl. 97 Bd. II d.A.]).

Die Begründung, mit der das Landgericht das Vorliegen besonderer Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB verneint hat, begegnet danach schon deshalb durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil es sich nicht damit befasst hat, ob dem Angeklagten eine positive Sozialprognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB gestellt werden kann. Über diese Frage ist jedoch vorab zu befinden, denn die Erwartung, der Angeklagte werde sich künftig straffrei führen, ist auch bei der Beurteilung von Bedeutung, ob besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 S. 1 StGB vorliegen (ständige Rechtsprechung des BGH; vgl. BGH, Beschluss v. 21.09.2006 - 4 StR 323/06 -, juris; BGH, Beschluss v. 09.07.2003 - 3 StR 225/03 -, juris; BGH, Beschluss v. 09.04.1997 - 2 StR 44/97 -, juris; BGH, Beschluss v. 19.08.2004 - 1 StR 333/03 -, juris). Es ist demnach bereits im Ansatz verfehlt, besondere Umstände i.S.d. § 56 Abs. 2 StGB zu verneinen, ohne sich mit der Frage zu befassen, ob dem Angeklagten eine günstige Sozialprognose nach § 56 Abs. 1 StGB zu stellen ist. Dies gilt schon deshalb, weil zu den nach § 56 Abs. 2 StGB zu berücksichtigenden Faktoren auch solche gehören, die schon für die Prognose nach § 56 Abs. 1 StGB von Belang sein können, wie auch umgekehrt besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB für die Prognose nach § 56 Abs. 1 StGB von Belang sein können (vgl. BGH, Beschluss v. 16.09.2009 - 2 StR 233/09 -, juris; BGH, Beschluss v. 30.04.2009 - 2 StR 112/09 - juris). Auf diesem Mangel kann hier die Entscheidung beruhen, weil nicht auszuschließen ist, dass der Tatrichter dem Angeklagten eine günstige Sozialprognose gestellt und bei Würdigung dieses Gesichtspunktes im Rahmen des § 56 Abs. 2 StGB die verhängte Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt hätte. Ergeben sich nach Auffassung des Tatrichters auch unter Beachtung der für den Angeklagten sprechenden sonstigen Milderungsgründe keine besonderen Umstände i.S.d. § 56 Abs. 2 StGB, die eine Strafaussetzung rechtfertigen, so kann die dem Angeklagten zu stellende günstige Sozialprognose den Ausschlag zugunsten der Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung geben (vgl. BGH, Beschluss v. 23.02.1994 - 2 StR 623/93 -, juris).

III.

Aufgrund der festgestellten Strafzumessungsmängel war das angefochtene Urteil gem. § 349 Abs. 4 StPO im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und das Verfahren gem. § 354 Abs. 2 StPO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens und die notwendigen Auslagen des Nebenklägers - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Braunschweig zurückzuverweisen.

Für das weitere Verfahren wird darauf hingewiesen, dass für das Vorliegen besonderer Umstände nach § 56 Abs. 2 StGB genügt, dass Milderungsgründe von besonderem Gewicht vorliegen, die eine Strafaussetzung trotz des erheblichen Unrechtsgehalts, der sich in der Strafhöhe widerspiegelt, als nicht unangebracht und als den vom Strafrecht geschützten Interessen zuwiderlaufend erscheinen lassen. Dass diese Milderungsgründe der Tat Ausnahmecharakter verleihen, verlangt § 56 Abs. 2 StGB nicht (vgl. BGH, Beschluss v. 30.04.2009 - 2 StR 112/09 -, juris). Zwar kann auch die fehlende Schadenswiedergutmachung zur Verneinung des Vorliegens besonderer Umstände i.S.d. § 56 Abs. 2 StGB führen. Da der Angeklagte im vorliegenden Fall jedoch zum einen eine Notwehrlage geschildert und zum anderen die Verletzungsfolgen des Nebenklägers bestritten hat und rechtlich nicht verpflichtet war, sich gegenüber dem Geschädigten oder den Ermittlungsbehörden zu seinem strafbaren Verhalten zu bekennen oder sonst zu seiner Überführung beizutragen, hätten auf Schadenswiedergutmachung gerichtete Bemühungen für den ein rechtswidriges Handeln bestreitenden Angeklagten besorgen lassen, dass dies als Schuldeingeständnis auch im Strafverfahren verstanden worden wäre. Eine Schadenswiedergutmachung vor der strafrechtlichen Klärung des gegen ihn erhobenen Vorwurfs wäre ihm unter diesem Gesichtspunkt möglicherweise nicht zuzumuten (vgl. BGH, Beschluss v. 25.04.1996 - 1 StR 6/96 -, juris RN 14).