Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 07.02.2024, Az.: 1 Ws 16/24, 1 Ws 17/24, 1 Ws 18/24, 1 Ws 19/24

Begründungserfordernis bei nachträglicher Änderung oder Ergänzung von Weisungen i.R.d. Führungsaufsicht

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
07.02.2024
Aktenzeichen
1 Ws 16/24, 1 Ws 17/24, 1 Ws 18/24, 1 Ws 19/24
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 18476
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2024:0207.1WS16.24.00

Verfahrensgang

vorgehend
LG Göttingen - 05.01.2024 - AZ: 12 StVK 24/23
LG Göttingen - 05.01.2024 - AZ: 12 StVK 25/23
LG Göttingen - 05.01.2024 - AZ: 12 StVK 27/23
LG Göttingen - 05.01.2024 - AZ: 12 StVK 71/23

Amtlicher Leitsatz

Führungsaufsicht: Begründungserfordernis bei nachträglicher Änderung oder Ergänzung von Weisungen

  1. 1.

    Damit dem Beschwerdegericht die Prüfung ermöglicht wird, ob die Strafvollstreckungskammer überhaupt ein Ermessen ausgeübt hat oder ob die Grenzen der Ermessensausübung eingehalten wurde, bedarf jede erteilte Weisung im Rahmen der Führungsaufsicht grundsätzlich einer auf den Einzelfall bezogenen Begründung.

  2. 2.

    Dies gilt insbesondere, wenn es sich um nachträgliche Entscheidungen im Sinne des § 68d Abs. 1 StGB handelt, denn Voraussetzung für eine nachträgliche Änderung oder Ergänzung von Weisungen gem. § 68d StGB ist, dass sich nach dem Beginn der Führungsaufsicht die objektive Situation oder der Kenntnisstand des Gerichts in tatsächlicher Hinsicht geändert hat, also entweder neue Umstände eingetreten oder dem Gericht bekannt geworden sind.

In der Führungsaufsichts- und Bewährungssache
betreffend
J. D.,
geboren am ........ 1984 in Celle,
wohnhaft .....,
- Verteidiger:
Rechtsanwalt Prof. Dr. habil. H. P., ...... -
wegen Diebstahls u.a.
hier: Beschwerde gegen die nachträgliche Änderung einer Weisung gemäß 68b Abs. 1 Nr. 11 StGB im Rahmen der Führungsaufsicht

Tenor:

wird auf die Beschwerde des Verurteilten der Beschluss der 59. großen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen mit Sitz beim Amtsgericht Rotenburg (Wümme) vom 5. Januar 2024 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens - an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 17. Januar 2014 Folgendes ausgeführt:

"Die (Anm. des Senats: statthafte und zulässige) Beschwerde erscheint auch begründet.

Das Beschwerdegericht hat gemäß § 453 Abs. 2 Satz 2 StPO allein zu prüfen, ob eine zur Ausgestaltung der Führungsaufsicht erfolgte Anordnung der Strafvollstreckungskammer gesetzeswidrig ist, nicht hingegen, inwieweit sie zweckmäßig erscheint. Eine im Rahmen der Führungsaufsicht getroffene Anordnung ist gesetzeswidrig, wenn sie im Gesetz nicht vorgesehen, unverhältnismäßig oder unzumutbar ist, wenn sie gegen den Bestimmtheitsgrundsatz verstößt, die Strafvollstreckungskammer bei ihrer Entscheidung von einem unzureichend aufgeklärten Sachverhalt ausgegangen oder ihr ein sonstiger Ermessensfehler unterlaufen ist (OLG Braunschweig, Beschlüsse vom 12.05.2016, 1 Ws 97/16, zitiert nach juris; OLG Braunschweig, Beschluss vom 13.07.2018, 1 Ws 140-142/18, nicht veröffentlicht; OLG Stuttgart, Beschluss vom 24.10.2017, 4 Ws 396/17, zitiert nach juris). Im Übrigen verbleibt es bei der Regel, die mit Führungsaufsichtsanordnungen verbundenen Ermessensentscheidungen der ersten Instanz zu überlassen (OLG Braunschweig, Beschluss vom 12.5.2016 - 1 WS 97/16, zitiert nach juris).

Im Rahmen der Führungsaufsicht erteilte Weisungen belasten den Verurteilten. Jede erteilte Weisung bedarf daher grundsätzlich einer auf den Einzelfall bezogenen Begründung. Andernfalls ist eine Prüfung durch das Beschwerdegericht dahingehend, ob überhaupt eine Ermessensausübung stattfand oder die Grenzen der Ermessensausübung eingehalten wurden, nicht möglich (OLG Hamm, Beschluss vom 31.7.2018 - 3 Ws 235/18, zitiert nach juris).

Der vom Verurteilten angefochtene Beschluss über die Verlängerung der Anbindungsdauer an die Institutsambulanz enthält keine Begründung. Dem Beschwerdegericht ist damit eine Überprüfung der oben genannten Maßstäbe nicht möglich, sodass der Beschluss aufzuheben ist."

Diesen Ausführungen schließt sich der Senat an. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass es sich vorliegend um eine nachträgliche Entscheidung im Sinne des § 68d Abs. 1 StGB handelt. Voraussetzung für eine nachträgliche Änderung oder Ergänzung von Weisungen gemäß § 68d StGB ist, dass sich nach dem Beginn der Führungsaufsicht die objektive Situation oder der Kenntnisstand des Gerichts in tatsächlicher Hinsicht geändert hat, also entweder neue Umstände eingetreten oder dem Gericht bekannt geworden sind (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 31. Juli 2018 - 3 Ws 235/18, Rn. 20, juris; OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 11. November 2010 - 3 Ws 1081/10- NStZ-RR 2011, 63 [OLG Köln 13.09.2010 - 2 Ws 568/10]). Zweck der Norm ist, Weisungen während der Dauer der Führungsaufsicht den wechselnden Verhältnissen anzupassen, namentlich Fortschritten und/oder Rückschritten des Verurteilten in Bezug auf kriminalprognostisch relevante Umstände Rechnung zu tragen.

Dem zu treffenden Beschluss muss sich daher auch entnehmen lassen, auf welchen tatsächlichen Umständen die Verlängerung der Anbindung an die Institutsambulanz beruht.

Die Sache war an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen. Der Senat ist nicht befugt, gemäß § 309 Abs. 2 StPO eine eigene Entscheidung zu treffen, weil es sich bei der aufgehobenen Entscheidung um eine Ermessensentscheidung handelt (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 11. Januar 2019, 2 Ws 855/18, Rn. 40, juris).

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Strafvollstreckungskammer vorbehalten, da der endgültige Erfolg des Rechtsmittels noch offen ist.