Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 09.12.2016, Az.: 7 A 4738/15
Berufsunfähigkeitsrente; Beweisverwertungsverbot; konkludentes Einverständnis; Rechtsanwalt; Schweigepflichtentbindungerklärung; Zweitgutachten
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 09.12.2016
- Aktenzeichen
- 7 A 4738/15
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2016, 43403
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 14 SRNV
- § 44a VwGO
- § 30 VwVfG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Rechtsanwaltsversorgungwerk einem einvernehmlich zur Beurteilung der Berufsfähigkeit beauftragten Zweitgutachter auch ohne ausdrückliches Einverständnis des Antragstellers die vollständigen Verwaltungsvorgänge einschließlich der darin enthaltenen ärztlichen Gutachten und Schreiben des Antragstellers übermittelt.
Tatbestand:
Der am 14. August 1951 geborene Kläger war als Rechtsanwalt tätig.
Mit Bescheid vom 3. Juni 2015 widerrief die Rechtsanwaltskammer für den Oberlandesgerichtsbezirk Oldenburg die Zulassung aus gesundheitlichen Gründen. Nachdem der Kläger hiergegen zunächst Klage erhoben hatte, verzichtete er mit Schreiben vom 26. August 2015 auf seine Zulassung mit Wirkung zum 30. September 2015. Mit einem weiteren bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 1. September 2015 widerrief die genannte Rechtsanwaltskammer deshalb erneut die Zulassung des Klägers. Die Klage gegen die Rechtsanwaltskammer hat der Kläger sodann zurückgenommen.
Auf den Antrag des Klägers bewilligte der Beklagte ihm mit Bescheid vom 7. April 2014 für die Zeit vom 1. Dezember 2012 bis zum 31. März 2015 unter einer Behandlungsauflage (Medikation und Psychotherapie) eine Berufsunfähigkeitsrente (zuletzt in Höhe von 1.243,36 €) nachdem in einem psychiatrischen Gutachten von Frau Dr. med. B.-E. vom 19. Februar 2014 eine chronifiziert verlaufende mittelgradige bis schwere Depression mit somatischem Syndrom diagnostiziert worden ist, aufgrund dessen er auch in einem geringen zeitlichen Umfang nicht in der Lage sei kontinuierlich zu arbeiten.
Am 22. Dezember 2014 beantragte der Kläger die Weitergewährung der Berufsunfähigkeitsrente über den 31. März 2015 hinaus. Er verwies auf die Bescheinigungen des Facharztes für Nervenheilkunde A. L. vom 15. August und 9. Dezember 2014 sowie 9. Februar 2015. Danach sei mit einer Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit nicht zu rechnen.
Am 23. April 2015 beschloss der Vorstand des Beklagten dass ein Zweitgutachten eingeholt werden solle und der Facharzt für Neurologie Dr. med. S. mit der Erstellung des Gutachtens beauftragt und ihm die Verwaltungsakte übermittelt.
Am 23. Juni 2015 beantragte der Kläger eine einstweilige Anordnung, mit der der Beklagte zur Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente für die Monate April und Mai 2015 verpflichtet werden sollte (Az. 7 B 2518/15). In einem Erörterungstermin am 10. Juli 2015 haben die Beteiligten den folgenden Vergleich geschlossen:
1. „Der Antragsgegner gewährt dem Antragsteller auf dessen Antrag ab dem 1. April 2015 eine Altersrente vor Erreichen der Regelaltersgrenze.
2. Der Antragsteller wird sich unverzüglich einer Zweitbegutachtung durch Herrn Dr. S. auf Kosten des Antragsgegners unterziehen. Ergibt das Gutachten Herrn Dr. S., dass der Antragsteller auch über den 31. März 2015 hinaus bis zum Erreichen seiner Altersgrenze berufsunfähig ist, so wird dem Antragsteller Berufsunfähigkeitsrente bis zum regelmäßigen Eintritt in den Ruhestand unter Anrechnung der Rente nach Nr. 1 gewährt.
3. Die Beteiligten sind sich einig, dass die Rente nach Nr. 1 dieses Vergleichs die Altersrente des Antragstellers nicht mindert, wenn ihm gemäß Nr. 2 Berufsunfähigkeitsrente gewährt wird.“
Dementsprechend setzte der Beklagte mit Bescheid vom 15. Juli 2015 die vorgezogene Altersrente auf monatlich 1150,85 € fest.
Dr. S. erstattete nach Untersuchung des Klägers vom 31. Juli 2015 am 9. August 2015 ein neurologisch-fachärztliches Gutachten. Er kommt zu dem Ergebnis, dass er vollschichtig, also acht Stunden mit den üblichen Pausen also zu 100 % in seinem Beruf als Rechtsanwalt arbeiten könne.
Der Kläger nahm hierzu mit Schreiben vom 20. August 2015 Stellung. Er beanstandete insbesondere, dass dem Gutachter verschiedene ärztliche Gutachten und Schreiben übermittelt worden seien, ohne dass er sich hiermit einverstanden erklärt habe. Das Gutachten sei daher unverwertbar.
Mit Bescheid vom 27. November 2015 lehnte der Beklagte die Weitergewährung der Berufsunfähigkeitsrente unter Hinweis auf das Gutachten von Dr. S. ab.
Der Kläger hat am 28. Dezember 2015 Klage erhoben.
Er trägt zur Begründung im Wesentlichen vor: Er habe den Vergleich nur wegen einer wirtschaftlichen Zwangslage geschlossen, denn er habe damals seit fünf Monaten keine Rentenzahlung erhalten. Er widerrufe diesen Vergleich, weil er über die Qualifikation und die Unabhängigkeit des Gutachters getäuscht worden sei. Dem Gutachter hätten die vorherigen ärztlichen Gutachten und Befundberichte sowie sonstige Unterlagen nicht ohne eine ausdrückliche Schweigepflichtentbindungserklärung bzw. seine Zustimmung überlassen werden dürfen. Eine stillschweigende Einwilligung durch den Abschluss des Vergleichs sei nicht anzunehmen. Konkludentes Handeln sei insoweit nicht ausreichend. Dies sei in der Rechtsprechung zu Gutachten zur Feststellung einer Dienstunfähigkeit geklärt. Eine Verpflichtung zur Entbindung von der Schweigepflicht bestehe nach der Rechtsprechung nur unter engen Voraussetzungen. Insbesondere bei psychischen Erkrankungen sei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in besonderer Weise zu beachten. Ob die Gutachten in seinem Interesse seien, müsse er selbst beurteilen können. Wegen des Eingriffes in das informationelle Selbstbestimmungsrecht bedürfte es einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage. Der Beklagte habe ihn noch nicht einmal aufgefordert, eine Schweigepflichtentbindungserklärung abzugeben. Das Gutachten von Dr. S. sei daher nicht verwertbar. Er habe davon ausgehen dürfen, dass das außergerichtliche Gutachten lediglich aufgrund der Untersuchung von Dr. S. erstattet werde. Dies sei für die Erstellung des Gutachtens auch ausreichend. Allenfalls habe er damit rechnen können, dass Dr. S. das übliche Informationsblatt für Gutachter übermittelt werde. Wenn ihm mitgeteilt worden wäre, dass diesem die gesamten Verwaltungsakten übermittelt werden, hätte er dem widersprochen. Dr. S. habe von dem Beklagten zudem offenbar den Auftrag erhalten, die anderen Gutachten abzuqualifizieren. Dr. S. habe ihm bei der Untersuchung auch erklärt, dass er noch nie die Berufsunfähigkeit eines Rechtsanwalts begutachtet habe. Es sei auch nicht nachvollziehbar, dass Dr. S. eine Berufsunfähigkeit nur bei Abgabe des Führerscheins für möglich halte. Dr. S. habe auch unzutreffend angenommen, dass er ein gerichtliches Gutachten erstelle. Die Einholung eines gerichtlichen Gutachtens sei in der Satzung des Beklagten nicht vorgesehen. Seine Berufsunfähigkeit stehe deshalb aufgrund des Gutachtens des Facharztes L. vom 9. Februar 2015 fest. Zudem habe die Rechtsanwaltskammer seine Zulassung als Rechtsanwalt bestandskräftig wegen der Berufsunfähigkeit widerrufen. Im vorliegenden Verfahren vertrete er sich auch nicht als Rechtsanwalt, so dass sich hieraus auch keine Rückschlüsse auf eine Berufsfähigkeit ergäben. Da sein Vortrag in Bezug auf das Gutachten überhaupt nicht berücksichtigt worden sei, fehle dem Bescheid vom 27. November 2015 außerdem die erforderliche Begründung. Auch das rechtliche Gehör sei ihm mithin nicht ausreichend gewährt worden. In Bezug auf den Antrag zu 2) sei darauf hinzuweisen, dass weiter die Gefahr bestehe, dass der Beklagte die Unterlagen erneut ohne seine Zustimmung an Dritte weitergebe. Der Beklagte räume auch die Rechtswidrigkeit der Überlassung der Unterlagen an den Gutachter nicht ein. Nach § 14 Abs. 8 seiner Satzung könne der Beklagte zudem jederzeit Nachuntersuchungen anordnen.
Der Kläger beantragt,
1. den Bescheid des Beklagten vom 27. November 2015 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihm für die Zeit vom 1. April 2015 bis zum 30. September 2016 eine Berufsunfähigkeitsrente zu bewilligen,
2. festzustellen, dass die Überlassung der Verwaltungsakte einschließlich des Gutachtens des Facharztes A. L. vom 9. Februar 2015, des Befundberichts des Krankenhauses Q. vom 2. November 2012, des Befundberichts der S.-Klinik … vom 19. September 2013, des Attestes des Facharztes A. L. vom 15. April 2013, des psychiatrischen Gutachtens von Frau Dr. B.-E. vom 19. Februar 2014, sowie der Schrift-sätze vom 17. und 30. Juni 2015 im Verfahren 7 B 2518/15 und des Schreibens an den Beklagten vom 24. Juli 2015 an Herrn Dr. S. rechtswidrig war.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er erwidert im Wesentlichen: Das ausführliche und überzeugende Gutachten von Dr. S. vom 9. August 2015 ergebe, dass der Kläger nicht berufsunfähig sei. Dr. S. habe schon mehrfach Gutachten für das Versorgungswerk erstellt, die von den Verwaltungsgerichten auch verwertet worden seien. Eine Weisung an den Gutachter habe es nicht gegeben. Der Kläger sei zudem gegen den Widerruf der Anwaltszulassung aus gesundheitlichen Gründen gerichtlich vorgegangen und habe erst zum 30. September 2015 auf die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft verzichtet. Auch die Klageschrift und der Schriftwechsel mit ihm, dem beklagten Versorgungswerk, sprächen für die Fähigkeit als Anwalt tätig zu sein. Da den Zweitgutachter er, der Beklagte, bestimme, könne der Kläger den Vergleich vom 10. Juli 2015 auch nicht widerrufen. Der Vergleich regle materiell abschließend, dass bei einer negativen Begutachtung durch Dr. S. kein Anspruch auf eine Berufsunfähigkeitsrente bestehe. Es sei auch nicht zutreffend, dass der Kläger über die Qualifikation und die Unabhängigkeit des Gutachters getäuscht worden wäre. Die Stellungnahme des Klägers vom 20. August 2015 befasste sich inhaltlich nicht mit dem Gutachten von Dr. S., so dass in dem Bescheid hierauf auch nicht einzugehen gewesen sei. Es sei zudem auch allgemein üblich und erforderlich, dass dem Gutachter die gesamte Rentenakte übersandt werde. So sei auch schon bei der Erstellung des Zweitgutachtens im Rahmen der erstmaligen Bewilligung der Berufsunfähigkeitsrente verfahren worden. Es müsse unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände geklärt werden, ob weiter eine Berufsunfähigkeit bestehe. Er, der Beklagte, müsse den Gutachter in der Lage versetzen, das Krankheitsbild umfassend zu beurteilen. Die Übersendung der Unterlagen sei sogar zugunsten des Klägers gewesen, da die bisherigen ärztlichen Gutachten der Auffassung gewesen seien, dass der Kläger berufsunfähig sei. Die Übermittlung von Schriftsätzen des Klägers sei erforderlich gewesen, damit der Gutachter beurteilen könne, ob der Kläger juristische Sachverhalte erfassen könne. Es sei nicht beabsichtigt, die Unterlagen anderen Dritten zugänglich zu machen. Es solle auch kein weiterer Gutachter beauftragt werden. Es bestehe deshalb keine Wiederholungsgefahr und daher für den Antrag zu 2) kein Rechtsschutzbedürfnis.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens sowie derjenigen des Rechtsstreits 7 B 2518/15 und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen; sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat für den streitigen Zeitraum bis zum Erreichen der regulären Altersgrenze keinen Anspruch auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente (Antrag zu 1.); auch war es nicht rechtswidrig, dass der Beklagte dem Zweitgutachter Dr. S. die Verwaltungsakte einschließlich darin enthaltener ärztlicher Stellungnahmen und vom Kläger verfasster Schreiben übermittelt hat (Antrag zu 2.)
Der Kläger kann die Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 27. November 2015 nicht aus formellen Gründen beanspruchen. Er enthält eine - wenn auch kurze – Begründung im Sinne der §§ 39 VwVfG, 1 Abs. 1 NVwVfG. Ob diese inhaltlich tragfähig ist, ist insoweit ohne maßgebliche rechtliche Bedeutung (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, Rn. 18 zu § 39). Ob der Beklagte den Kläger vor Erlass des Bescheides genügend angehört, insbesondere dessen Einwendungen hinreichend gewürdigt hat, ist ebenfalls nicht entscheidend. Denn in Verpflichtungssituationen wie hier ist eine Anhörung im Sinne der §§ 28 VwVfG, 1 Abs. 1 NVwVfG gesetzlich nicht vorgesehen. Sie ist nach der Vorschrift nämlich lediglich für Verwaltungsakte vorgeschrieben, die in Rechte des Beteiligten eingreifen (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Oktober 1982 – 3 C 46.81 – NJW 1983, 2044, 2045; Urteil vom 15. Dezember 1983 – 3 C 27.82 – NVwZ 1984, 577, 578). Der Beklagte hat keinen belastenden Verwaltungsakt erlassen, sondern lediglich die Gewährung einer Vergünstigung abgelehnt. Zudem handelt es sich bei der Frage, ob eine Berufsunfähigkeitsrente bewilligt wird, um eine gebundene Entscheidung ohne Ermessensspielraum, so dass Verfahrensfehler gemäß §§ 46 VwVfG, 1 Abs. 1 NVwVfG nicht zur Aufhebung eines Verwaltungsaktes führen würden.
Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 14 Abs. 1 Satz 1 der Satzung des Rechtsanwaltsversorgungswerks Niedersachsen in der hier maßgeblichen Fassung vom 15. Januar 2016 - SRVN. Danach erhält jedes Mitglied, das mindestens für einen Monat seine Beiträge geleistet hat und das infolge eines körperlichen Gebrechens oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufs unfähig ist und deshalb seine berufliche Tätigkeit einstellt, auf Antrag eine Berufsunfähigkeitsrente, wenn die Berufsunfähigkeit länger als 90 Tage dauert.
Die Berufsunfähigkeit knüpft nicht an die vom betroffenen Mitglied zuletzt ausgeübte anwaltliche Tätigkeit an, sondern an die gesamte Bandbreite anwaltlicher Tätigkeiten. Berufsunfähig ist danach nicht, wer noch mindestens eine andere anwaltliche Tätigkeit übernehmen kann und daraus ein seine Existenz sicherndes Einkommen erzielen kann (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 2. Februar 2012 - 8 ME 153/11 - juris, Rn. 8; Urteil vom 26. April 2007 - 8 LB 212/05 - juris, Rn. 32). Dabei kann der Versorgungsempfänger nicht verlangen, dass er mit der Tätigkeit einen Ertrag erzielen kann, der über der zu erwartenden Berufsunfähigkeitsrente liegt (vgl. OVG Münster, Urteil vom 14. Dezember 2011 - 17 A 395/10 - NJW 2012, 1751, juris, Rn. 56).
Die Annahme der Berufsunfähigkeit eines Anwalts setzt mithin nicht voraus, dass er in der Lage ist, das gesamte Spektrum anwaltlicher Tätigkeitsbereiche abzudecken. Zu diesem Spektrum zählen sowohl die prozessuale und außergerichtliche Vertretung der Mandanten als auch deren Beratung in schriftlicher und mündlicher Form. Die Betätigungsmöglichkeiten müssen noch als eigenverantwortliche Rechtsvertretungs- bzw. Beratungstätigkeit qualifiziert werden können. Nach dieser Maßgabe kann es für eine anwaltliche Tätigkeit genügen, wenn im Rahmen der verbliebenen Leistungsmöglichkeiten allein schriftliche Tätigkeiten ausgeführt werden können, solange diese Arbeit jedenfalls noch in einer eigenverantwortlichen anwaltlichen Rechtsberatungstätigkeit besteht, grundsätzlich frei von fachlichen Weisungen erfolgt und es sich nicht lediglich um wissenschaftliche Hilfsdienste handelt (vgl. OVG Münster, Urteil vom 14. Dezember 2011, a.a.O.).
Zunächst steht die Berufsunfähigkeit des Klägers nicht bereits deshalb fest, weil die Rechtsanwaltskammer für den Oberlandesgerichtsbezirk Oldenburg seine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft mit Bescheid vom 3. Juni 2015 aus gesundheitlichen Gründen (§ 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO) widerrufen hat. Denn dieser Bescheid ist nicht bestandskräftig geworden. Der Kläger hat nämlich gegen diesen Klage beim Niedersächsischen Anwaltsgerichtshof erhoben. Bevor diese zurückgenommen worden ist, hat der Kläger mit Schreiben vom 26. August 2015 auf die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft verzichtet. Die Rechtsanwaltskammer hat daraufhin mit einem weiteren Bescheid vom 1. September 2015 die Anwaltszulassung wegen dieses Verzichts (§ 14 Abs. 2 Nr. 4 BRAO) widerrufen. Durch diesen seit dem 6. Oktober 2015 bestandskräftigen Bescheid ist die Verfügung vom 3. Juni 2015 gegenstandslos geworden. Abgesehen davon wäre der Beklagte an die inhaltliche Beurteilung der Rechtsanwaltskammer auch nicht gebunden, weil es sich um verschiedene Körperschaften handelt.
Zur Überzeugung des Einzelrichters steht auf Grund des Gutachtens von Dr. med. S. vom 9. August 2015 fest, dass der Kläger im streitigen Zeitraum nicht berufsunfähig gewesen ist.
Es bestehen keine Zweifel an der Sachkunde des Gutachters. Er ist Facharzt für Neurologie und Chefarzt der neurologischen Abteilung einer Klinik. Auch aus dem Gutachten ergibt sich, dass er über die erforderlichen fachlichen Kenntnisse bezüglich psychischer Erkrankungen verfügt. Nach den nicht zweifelhaften Angaben des Beklagten, hat er auch schon in anderen Fällen die Berufsfähigkeit eines Rechtsanwalts beurteilt. Entgegen der Auffassung des Klägers bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte dem Gutachter inhaltliche Weisungen erteilt hätte. Dementsprechend hat der Kläger auch keine ausreichenden Gründe dafür, den Vergleich vom 10. Juli 2015, mit welchem die Beauftragung von Dr. S. vereinbart worden ist, anzufechten (§§ 62 Absatz 2 VwVfG, 1 Abs. 1 NVwVfG, 119, 123 BGB). Abgesehen davon ist der Beklagte gemäß § 14 Abs. 4 Satz 3 SRVN berechtigt zur Feststellung der Berufsunfähigkeit ein weiteres Gutachten eines von ihm zu bestimmenden ärztlichen Gutachters auf seine Kosten einzuholen. Diese Vorschrift gilt auch im Falle der Weiterbewilligung einer zunächst nur befristetet gewährten Berufsunfähigkeitsrente (vgl. VG Oldenburg, Urteil vom 21. Juni 2016 – 7 A 3393/15 - juris, Rn. 19).
Nach der überzeugenden Einschätzung des Gutachters (S. 60 f.) bestand bei dem Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt keine psychisch-seelische Erkrankung mehr. Vielmehr sei eine erhebliche Besserung der depressiven Episode unter antidepressiver Therapie eingetreten. Zudem habe der Kläger eine Psychotherapie nicht durchgeführt. Er sei nicht gehindert, juristische Sachverhalte zu erfassen und zu würdigen, Mandanten in ihren Rechtsangelegenheiten zu beraten und ihre Interessen zielgerichtet nach außen zu vertreten. Der Kläger könne pro Tag acht Stunden mit den üblichen Pausen arbeiten, sei also zu 100 % berufsfähig.
Der aufgrund einer längeren Anamnese ermittelte psychopathologische Befund ergab eine normale Bewusstseinslage, eine normale Orientierung, ein normales äußeres Erscheinungsbild, ein normales Verhalten, normalen Ausdruck, normale Affektivität, normalen Antrieb, normale Psychomotorik, normales Denken, normale kognitive Leistung, normale Gedächtnisfunktion, normale Wahrnehmung des Ich-Erlebens, altersgerechte intellektuelle Leistungsfähigkeit, keinen Anhalt für eine aktuelle depressive Episode, untadelige Körperhygiene und Körperpflege. Er nehme freundlich Kontakt auf und verabschiede sich auch freundlich, er verhalte sich insgesamt angemessen und kooperativ, sei normal schmerztolerant und bewältigte sämtliche gestellten Aufgaben und Anforderungen altersgemäß. Er kleidete sich normal an und aus, habe eine normale Hand- und Fußverschwielung, keine Atrophien, eine normale Spontanmotorik, eine normale Fähigkeit zum Stillsitzen und zur Konzentration. Er habe sich als sehr aufmerksam und auch nicht in der Aufmerksamkeitshaltung nachlassend gezeigt. Er sei zum Untersuchungszeitpunkt im Wesentlichen gelöst und ohne erkennbaren oder sichtbaren Leidensdruck gewesen. Er habe eine sehr gute Ausdauer gezeigt, obwohl er vor der Untersuchung drei Stunden Auto gefahren sei. Seine Konzentration sei sehr gut und eine Gedächtnisleistungsstörung sei nicht festzustellen. Die affektive Schwingungsfähigkeit sei voll erhalten. Es habe sich deshalb keine sozialmedizinisch relevante seelische Erkrankung ergeben, allenfalls eine Dystymie, bedingt durch die eigene finanzielle Situation. Die Affektregulation und der Antrieb seien nur gering beeinträchtigt. Es bestehe keine maßgebliche Beeinträchtigung des Erlebens, des Handelns, des Gestaltens und des Wollens. Eine leitliniengerechte psychiatrische oder psychopharmakologische Therapie sei nicht erkennbar. Eine ambulante Psychotherapie sei nicht durchgeführt worden. Es ergebe sich keine Kongruenz zwischen der subjektiven Leidensbeschreibung und den objektivierbaren klinischen Befunden. Es hätten sich zudem Diskrepanzen zwischen der subjektiv geschilderten Intensität der Beschwerden und ihrer Vagheit ergeben. Auch sei das psychosoziale Funktionsniveau bei der Alltagsbewältigung, den Aktivitäten des täglichen Lebens und dem plausibel nachvollziehbaren Freizeitverhalten nicht mit der subjektiven Einschätzung des Klägers in Einklang zu bringen. Es gebe auch keine Zeichen für einen längerfristigen Mindereinsatz der Hände, Arme und Füße. Auch sei das Ausmaß der geschilderten Beschwerden nicht damit in Einklang zu bringen, dass die Inanspruchnahme professioneller Unterstützung nur niedrigfrequent erfolgt sei. Es sei auch nicht nachvollziehbar, warum die antidepressive Medikation nicht angepasst werde, wenn sich nach subjektiver Einschätzung keine Verbesserung des Zustandes ergebe. Auch das Bestehen schwerer kognitiver Störungen sei nicht feststellbar. Diese seien insbesondere auch deshalb nicht gegeben, weil der Kläger uneingeschränkt ein Kraftfahrzeug führen könne. Es sei daher nicht nachvollziehbar, dass er keine juristischen Texte mehr lesen und verstehen könne. Dies gelte insbesondere deshalb, weil der Kläger am Tag auch weite Strecken zurücklegen könne und nach seinen Angaben in der Lage sei, sieben Stunden am Tag zu fahren (vgl. a.a.O. S. 51 ff.).
Hieraus ergibt sich, dass – entgegen der Auffassung des Klägers – die Fähigkeit, Kraftfahrzeuge zu führen nicht als Voraussetzung für die Annahme einer Berufsunfähigkeit angesehen worden ist. Der Umstand, dass der Kläger in der Lage ist an einem Tag mehre Stunden mit dem PKW zu fahren und ohne erkennbare Ermüdungserscheinungen an einer Untersuchung betreffend seines psychischen Gesundheitszustandes teilzunehmen, hat Herr Dr. S. jedoch auch für das Gericht nachvollziehbar als Anhaltspunkt dafür bewertet, dass der Kläger entgegen seiner eigenen Wahrnehmung nicht an erheblichen Konzentrationsschwierigkeiten und Einschränkungen der Belastbarkeit leidet. Dass der Gutachter versehentlich erwähnt hat, dass er im Auftrage eines Gerichts tätig sei, hat die fachliche Beurteilung offensichtlich nicht beeinflusst.
Das Gutachten von Frau Dr. B.-E. vom 19. Februar 2014 steht der Einschätzung vom Dr. S. nicht entgegen. Es beruht auf den damals vorhandenen Erkenntnissen und bezieht sich auf vergangene Zeiträume. Zudem wird auch von Frau Dr. B.-E. eine erfolgreiche Behandlung der Erkrankung des Klägers durch Antidepressiva bzw. ambulante Psychotherapien für möglich erachtet (S. 76 ff. des Gutachtens vom 19. Februar 2014).
Dr. S. (S. 3 ff. des Gutachtens vom 9. August 2015) setzt sich auch in nachvollziehbarer Weise mit dem aktuelleren Gutachten des Facharztes für Nervenheilkunde L. vom 9. Februar 2015 auseinander. Er führt insbesondere überzeugend an, dass er einerseits eine schwere depressive Episode diagnostiziere, andererseits aber von einer Chronifizierung der Krankheit ausgehe. Auch die Annahme, dass aufgrund des Alters des Klägers eine Psychotherapie nicht mehr erfolgversprechend sei, ist zu Recht als wenig sachgerecht bewertet worden.
Entgegen der Auffassung des Klägers ist es rechtlich auch nicht zu beanstanden, dass der Beklagte dem Sachverständigen die gesamten Verwaltungsvorgänge, insbesondere die darin enthaltenen ärztlichen Gutachten und Stellungnahmen und die vom Kläger gefertigten Schreiben, übermittelt hat. Nach § 1 Abs. 1 NVwVfG, 30 VwVfG haben die Beteiligten zwar Anspruch darauf, dass ihre Geheimnisse, insbesondere die zum persönlichen Lebensbereich gehörenden Geheimnisse, von der Behörde nicht unbefugt offenbart werden. Zu diesen vom informationellen Selbstbestimmungsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) geschützten Geheimnissen gehören insbesondere die Befunde über den Gesundheitszustandes des Klägers, insbesondere soweit sie Angaben über psychische Erkrankungen enthalten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Mai 2014 - 2 B 69.12 - juris, Rn. 13; Kallerhoff in: Stelkens u.a., VwVfG, Rn. 11 zu § 30).
Diese Offenbarung der Unterlagen an den Zweitgutachter war aber nicht unbefugt. Eine Befugnis zur Weitergabe besteht dann, wenn sich der Betroffene hiermit einverstanden erklärt hat. Ein solches Einverständnis muss nicht ausdrücklich erklärt werden, sondern kann sich auch aus dem Verhalten des Beteiligten (konkludent) ergeben (vgl. Kopp/Ramsauer a.a.O., Rn. 15 zu § 30; Kallerhoff a.a.O., Rn. 17).
Eine solche konkludente Einwilligung ist hier darin zu erkennen, dass der Kläger bei der vergleichsweisen Einigung im Verfahren 7 B 2518/15 nicht ausdrücklich der Weitergabe dieser Daten widersprochen hat. Es entspricht ständiger Praxis der Gerichte und Behörden bei Einholung eines zweiten Gutachtens dem weiteren Gutachter die bisher vorliegenden Befunde zu übermitteln, damit sich der Zweitgutachter neben der Untersuchung des Betroffenen ein umfassendes Bild von der Sachlage machen kann. Dementsprechend müssen dem Gutachter zur ordnungsgemäßen Durchführung des ihm erteilten Auftrags sämtliche Erkenntnisse, insbesondere auch Stellungnahmen behandelnder Ärzte, übermittelt werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Juni 2010 - 2 B 72/09 - juris, Rn. 6). Diese Praxis musste dem als Rechtsanwalt tätig gewesenen Kläger, dessen Zulassung im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses noch nicht bestandskräftig widerrufen war, bekannt sein. Zudem sieht § 14 Abs. 4 Satz 3 SRVN die Einholung eines weiteren Gutachtens ausdrücklich vor. Diese Regelung knüpft an die Obliegenheit des Rechtsanwalts, ein Gutachten über den Eintritt der Berufsunfähigkeit einzureichen (§ 14 Abs. 4 Satz 2 SRVN), an. Hier war dem Kläger zudem bekannt, dass bei der Zweitbegutachtung von Frau B.-E. vom 19. Februar 2014 ebenfalls zahlreiche Vorgutachten vorlagen. Bei Berücksichtigung dieser Umstände durfte der Beklagte aus dem Umstand, dass der Kläger in Bezug auf die Weitergabe der vorhandenen Unterlagen keine Einschränkungen gemacht hat, mithin schließen, dass dieser hiergegen keine Einwendungen erhebt. Dass der Kläger angibt, dass er bei Kenntnis dieser rechtlichen Beurteilung einer Weitergabe der Unterlagen widersprochen hätte, ändert nichts daran wie sein Verhalten bei objektiver Betrachtung verstanden werden musste.
Die vom Kläger angeführten beamtenrechtlichen Entscheidungen, bei denen für die Berücksichtigung von Vorgutachten eine ausdrückliche Schweigepflichtentbindungserklärung für erforderlich gehalten worden ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Februar 2012 - 2 B 24.12 -; Beschluss vom 26. Mai 2014 - 2 B 69.12 -; Beschluss vom 3. Juni 2014 - 2 B 105/12 - alle in juris), bezogen sich auf ärztliche Unterlagen, welche noch nicht in den Behördenakten vorhanden waren.
Selbst wenn man dies anders beurteilen und die Weitergabe der Unterlagen für rechtswidrig erachten würde, wäre das Gutachten von Dr. S. nicht unverwertbar. Es ist vielmehr auch bei rechtswidrig erlangten Informationen eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an einer umfassenden Sachverhaltsaufklärung und den berechtigten Geheimhaltungsinteressen des Betroffenen vorzunehmen (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 14. August 2008 – 12 ME 183/08 - juris, Rn. 6). Bei einem Verstoß gegen die Geheimhaltungspflichten des § 30 VwVfG überwiegt das Geheimhaltungsinteresse nur dann, wenn der Verstoß für eine Entscheidung ursächlich geworden ist (vgl. Kopp/Ramsauer a.a.O., Rn. 18 zu § 30; Pautsch in: Pautsch/Hoffmann, VwVfG, Rn. 20 zu § 30). Hier ist davon auszugehen, dass die Berücksichtigung der Unterlagen für die Bewertung des Gutachters nicht ausschlaggebend war. Denn Dr. S. ist im Wesentlichen aufgrund der eigenen Erkenntnisse zu seiner fachlichen Beurteilung gekommen. Die schon vorhandenen ärztlichen Gutachten, die der Kläger zudem selbst eingereicht hat, sprachen nämlich zu seinen Gunsten eher für eine Berufsunfähigkeit. Hier ist zudem im Rahmen der Abwägung in Rechnung zu stellen, dass der Kläger eine behördliche Leistung erstrebt, er also materiell beweispflichtig ist.
Darüber hinaus darf eine Verwertbarkeit von Informationen, die unter Verstoß gegen Rechtsvorschriften gewonnen würden, nicht bejaht werden, wo dies zu einer Begünstigung rechtswidriger Beweiserhebungen führen würde. Ein Beweisverwertungsverbot kann daher insbesondere nach schwerwiegenden, bewussten oder objektiv willkürlichen Rechtsverstößen, bei denen grundrechtliche Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind, geboten sein (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 2011 - 2 BvR 2500/09 u.a. - juris, Rn. 117; OVG Lüneburg a.a.O.; Kallerhoff a.a.O., Rn. 33 zu § 24). Davon ist hier aber nicht auszugehen.
Nur der Vollständigkeit sei darauf hingewiesen, dass - entgegen der Auffassung des Klägers - im Falle einer fehlenden Verwertbarkeit des Gutachtens von Dr. S., das Gericht gehalten wäre, ein weiteres Sachverständigengutachten (§§ 98 VwGO, 412 ZPO) einzuholen und nicht allein auf Grund des Gutachtens des Facharztes A. L. vom 9. Februar 2015 eine Berufsunfähigkeit des Klägers annehmen könnte.
Ob sich, wie der Beklagte vorträgt, Zweifel an einer Berufsunfähigkeit des Klägers auch wegen seines prozessualen Verhaltens im Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsverfahren ergeben, bedarf danach keiner Beurteilung.
Der Antrag zu 2) ist zulässig, insbesondere steht der isolierten Feststellung eines Verfahrensverstoßes die Regelung des § 44a VwGO nicht entgegen, weil Verstöße gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht eine selbständige Beschwer darstellen können (vgl. Kopp/Ramsauer a.a.O., Rn. 19 zu § 30; Kopp/Schenke, VwGO, Rn. 10 zu § 44a VwGO; Pautsch/Hoffmann a.a.O., Rn. 22 zu § 30).
Dieser Antrag ist jedoch aus den obigen Gründen unbegründet, weil danach durch die Weitergabe der Verwaltungsvorgänge an den Zweitgutachter die Regelung der §§ 30 VwVfG, 1 Abs. 1 NVwVfG nicht verletzt worden ist.