Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 04.01.1991, Az.: HEs 78/90
Auswirkungen der einstweiligen Unterbringung auf die nachfolgende Untersuchungshaft; Gebotenheit der besonderen Haftprüfung durch das Oberlandesgericht; Beachtlichkeit der Gesamtdauer des Freiheitsentzuges durch Unterbringung und Untersuchungshaft für die Haftprüfung; Bedeutung des Erfordernisses eines unmittelbaren Überganges von Unterbringung zu Untersuchungshaft
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 04.01.1991
- Aktenzeichen
- HEs 78/90
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1991, 16206
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1991:0104.HES78.90.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- StA ... - AZ: 3 Js 2898/90
Rechtsgrundlagen
- § 112 StPO
- § 121 StPO
- § 122 StPO
- § 126 a StPO
- Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG
- Art. 5 Abs. 2 S. 3 MRK
Fundstellen
- MDR 1991, 663 (Volltext mit amtl. LS)
- NStZ 1991, 248 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
versuchte Vergewaltigung
Amtlicher Leitsatz
Ist der Untersuchungshaft eine wegen derselben Tat angeordnete einstweilige Unterbringung vorangegangen, so ist die besondere Haftprüfung durch das OLG schon geboten, wenn der Freiheitsentzug zusammen sechs Monate lang dauert. Auf einen lückenlosen Übergang von der Unterbringung zur Untersuchungshaft kommt es nicht an.
In dem Haftprüfungsverfahren
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle
nach §§ 121, 122 StPO am 4. Januar 1991
nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft, des Angeklagten und seines Verteidigers
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...
den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ... beschlossen:
Tenor:
Die Untersuchungshaft dauert fort.
Die weitere Haftprüfung wird für die Zeit bis zum 4. April 1991 dem Landgericht übertragen.
Gründe
I.
Der Angeklagte ist seit dem 12.09.1990 in Untersuchungshaft.
Durch den Haftbefehl des Amtsgerichts ... vom 24.08.1990 in der Fassung des Beschlusses des Landgerichts ... vom 06.09.1990 werden ihm drei Vergewaltigungsversuche vorgeworfen, und zwar zum Nachteil der Frauen ... Ende November 1989, ... Ende Januar 1990 und ... am 19.05.1990. Wegen derselben und weiterer Vorwürfe war der Angeklagte in der Zeit vom 26.05.1990 bis zum 24.08.1990 gemäß § 126 a StPO einstweilen im Niedersächsischen Landeskrankenhaus ... untergebracht. Die besondere Haftprüfung gemäß §§ 121, 122 StPO ergibt, daß die Untersuchungshaft fortdauern muß.
II.
1.
Die besondere Haftprüfung gemäß §§ 121, 122 StPO durch das Oberlandesgericht ist erforderlich, weil die Zeit der einstweiligen Unterbringung vom 26.05.1990 bis zum 24.08.1990 der Untersuchungshaft hinzuzurechnen ist; die regelmäßige Höchstdauer der Untersuchungshaft von 6 Monaten war deshalb bereits mit dem 13.12.1990 überschritten. Das Erfordernis der Zusammenrechnung ergibt sich aus dem Zweck der besonderen Haftprüfung, zu gewährleisten, daß das aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG sich ergebende und in Art. 5 Abs. 3 S. 2 MRK konkretisierte Beschleunigungsgebot beachtet wird (vgl. BT-Drs. IV 178, 25; Eb. Schmidt NJW 1968, 2209). Der Grundsatz, daß Haftsachen besonders beschleunigt bearbeitet werden müssen, damit der Schwebezustand des Freiheitsentzugs ohne rechtskräftiges Urteil "in angemessener Zeit" beendet wird, gilt für die einstweilige Unterbringung und die Untersuchungshaft gleichermaßen (vgl. Starke StV 1988, 223). Er erfordert es, den nach § 126 a StPO aufgrund derselben Tat angeordneten Freiheitsentzug bei der Errechnung der Sechsmonatsgrenze des § 121 Abs. 1 StPO mitzuberechnen.
2.
Allerdings ist die besondere Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO gesetzlich nicht vorgesehen, wenn die einstweilige Unschlossen hat (vgl. OLG Köln NJW 1966, 1087 [OLG Köln 15.03.1966 - HEs 23/66]; KG JR 1976, 163; OLG Hamburg MDR 1976, 600; OLG Hamm JMBlNW 1977, 235; 86, 42; Senatsentscheidung MDR 1985, 694; OLG Düsseldorf NStZ 1987, 475 - anders noch MDR 1986, 956 -; KK-Boujong, StPO, 2. Aufl., § 121 Rdz. 7; KMR-Müller, StPO, 7. Aufl., § 121 Rdz. 3; LR-Wendisch, StPO, 24. Aufl., § 121 Rdz. 13). Ein besonderes Erfordernis des unmittelbaren Übergangs von der Unterbringung zur Untersuchungshaft ist in den aufgeführten Entscheidungen freilich nicht angenommen worden, weil es darauf nicht ankam. Indes hat das OLG Koblenz (MDR 1975, 422, 511) in dem Fehlen eines solchen unmittelbaren Übergangs ein Hindernis für die Zusammenrechnung gesehen. Wäre dieser Auffassung zu folgen, so würde das hier eine Zusammenrechnung hindern, denn der Angeklagte war vom 24.8. bis zum 12.09.1990 vom Vollzug der Untersuchungshaft verschont und in Freiheit. Die Auffassung des OLG Koblenz überzeugt jedoch nicht. So wie Unterbrechungen der Untersuchungshaft der Zusammenrechnung ihrer einzelnen Vollstreckungszeiten nicht entgegenstehen, gleichviel ob es sich um Unterbrechungen durch Straf- oder Maßregelvollstreckung oder um Unterbrechungen infolge Aussetzung des Vollzuges des Haftbefehls nach § 116 StPO handelt, ist auch eine Lücke zwischen Unterbringung und Untersuchungshaft folgenlos. Allein maßgeblich ist, daß beide Formen des Freiheitsentzugs dem Beschleunigungsgebot und der Verantwortung der deutschen Justiz unterliegen und daß ihre Summe die Grenze von 6 Monaten überschreitet. Deswegen kann es auch nicht - wie die Generalstaatsanwaltschaft meint - darauf ankommen, daß der Angeklagte sich vom 24.8. bis zum 12.09.1990 gegen den Willen der Staatsanwaltschaft auf freiem Fuß befand und erst auf deren Rechtsmittel erneut inhaftiert worden ist.
III.
1.
Die allgemeinen Voraussetzungen der Untersuchungshaft sind gegeben. Der dringende Tatverdacht (§ 112 Abs. 1 StPO) beruht auf dem in der zugelassenen Anklage vom 22.11.1990 zutreffend zusammengefaßten Ergebnis der Ermittlungen. Haftgrund ist die Gefahr weiterer erheblicher Straftaten gleicher Art (§ 112 a Abs. 1 Nr. 1 StPO). Der Senat hat dies bereits in seiner auf Haftbeschwerde ergangenen Entscheidung vom 28.09.1990 bejaht; es hat sich seitdem nichts geändert.
Durch Haftverschonung mit der Weisung einer stationären Behandlung in einem geeigneten Krankenhaus läßt der Zweck der Untersuchungshaft sich einstweilen nicht sicherstellen. Die ... klinik in ..., in die der Angeklagte sich begeben will, kann ihn erst am 22.01.1991 aufnehmen, wie ein Oberarzt dieses Krankenhauses dem Gericht und dem Büro des Verteidigers telefonisch mitgeteilt hat. Darüber, ob dies verwirklicht werden soll, wird das Landgericht zu gegebener Zeit zu befinden haben. Die weitere Untersuchungshaft steht auch zur Zeit nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und zu der zu erwartenden Strafe.
2.
Daß bisher noch kein Urteil ergangen ist, beruht im wesentlichen auf dem besonderen Umfang der Ermittlungen, vor allem, weil ein psychiatrisches Gutachten nebst testpsychologischem Zusatzgutachten einzuholen war. Allerdings hätte die Anklage nach dem Eingang des Gutachtens bei der Staatsanwaltschaft am 22.08.1990 bereits erheblich vor dem 22.11.1990 erhoben werden können und müssen. Das Versäumnis, schon für das Haftbeschwerdeverfahren im September 1990 Doppelakten anzulegen (vgl. Nrn. 12 Abs. 2, 54 Abs. 3 S. 2 RiStBV), hat das Verfahren verzögert. Indes könnte auch dann noch kein Urteil vorliegen, wenn die Anklage in angemessener Zeit etwa 6 Wochen eher erhoben worden wäre. Dies beruht auf der besonderen, durch Erkrankungen von Richtern verursachten Belastung der Strafkammer und auf dem Umstand, daß der psychiatrische Sachverständige ab Mitte Dezember 1990 Urlaub hatte. Dies ist ein wichtiger Grund i.S. des § 121 Abs. 1 StPO, der die weitere Untersuchungshaft rechtfertigt. Inzwischen ist Termin zur Hauptverhandlung auf den 17.01.1991 anberaumt.