Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 08.10.1990, Az.: 1 VAs 9/90
Voraussetzungen für die Preisgabe der Identität einer V-Person aus den Akten der Polizei
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 08.10.1990
- Aktenzeichen
- 1 VAs 9/90
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1990, 20839
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1990:1008.1VAS9.90.0A
Rechtsgrundlage
- § 96 StPO
Fundstellen
- DSB 1991, 10-11 (Kurzinformation)
- Kriminalistik 1991, 388
- NJW 1991, 856-857 (Volltext mit amtl. LS)
- NStZ 1991, 145 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Sperrerklärung
Der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle hat
auf den Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 23 ff EGGVG
gegen die Sperrerklärung des Antragsgegners vom 25. Mai 1990
nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft
am 8. Oktober 1990
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...
den Richter am Oberlandesgericht ... und
den Richter am Amtsgericht ...
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag wird auf Kosten des Antragstellers verworfen.
Der Geschäftswert beträgt 2.000 DM.
Gründe
I.
Gegen den Antragsteller ist vor dem erweiterten Schöffengericht ... ein Strafverfahren anhängig. Ihm wird vorgeworfen, in der Zeit vom Herbst 1987 bis zum 23. Oktober 1988 in ... fortgesetzt mit Betäubungsmitteln ohne Erlaubnis in nicht geringer Menge Handel getrieben zu haben. In diesem Verfahren wünscht der Antragsteller die Vernehmung derjenigen Person als Zeugen, die die Polizei auf den mutmaßlichen Abnehmer des Antragstellers ... hingewiesen hat, denn ... der daraufhin wegen Vergehens gegen das BtMG verfolgt wird, hat den Antragsteller belastet. Das dem Anliegen des Antragstellers entsprechende Ersuchen des Vorsitzenden des erweiterten Schöffengerichts ... um Preisgabe der Identität der bezeichneten Vertrauensperson hat der Antragsgegner durch Bescheid vom 25.05.1990 abgelehnt. Gegen diese Sperrerklärung richtet sich der Antrag auf gerichtliche Entscheidung (Anfechtungs- und Verpflichtungsantrag).
Der Antragsteller beantragt,
den Bescheid vom 25.05.1990 aufzuheben und die Bekanntgabe der Identität der Vertrauensperson anzuordnen,
hilfsweise,
die kommissarische Vernehmung der Vertrauensperson anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zu verwerfen.
II.
1.
Der Antrag ist zulässig, insbesondere ist der Rechtsweg zum Oberlandesgericht gegeben. Der Senat sieht keinen Anlaß, in dieser Frage von der ständigen Rechtsprechung des hiesigen 3. Strafsenats abzuweichen (vgl. dessen Entscheidungen StV 1983, 446; v. 22.05.1984 - 3 VAs 12/84 -; v. 28.03.1985 - 3 VAs 32/84 -; ebenso VG Darmstadt StV 1982, 415; OLG Hamm v. 26.08.1985 - 1 VAs 74/84 -). Dementgegen ist das Bundesverwaltungsgericht der Auffassung, Verwaltungsmaßnahmen, die im funktionellen Sinne als Justizverwaltungsmaßnahmen auf dem Gebiet der Strafrechtspflege einzuordnen seien, unterlägen nur dann der Rechtswegregelung des § 23 EGGVG, wenn die Behörde sie im Rahmen ihrer "spezifischen Aufgaben" erlassen habe; die Sperrerklärung zähle nicht dazu und unterliege deshalb der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel nach § 40 VwGO (BVerwG StV 1984, 278; StV 1986, 523; vgl. auch VG Wiesbaden StV 1982, 230). Das überzeugt nicht. Der Antragsgegner hat die Sperrerklärung als oberste Dienstbehörde der Polizeibeamten erlassen, die die fragliche V-Person führen, und zwar zum Zweck der Aufklärung und Verfolgung von Straftaten gegen das BtMG. Es handelt sich damit nicht nur um eine im funktionellen Sinn justizbehördliche Maßnahme, sondern auch um eine "spezifische Aufgabe" der Polizei, die aufgrund des hierarchischen Behördenaufbaus dem Antragsgegner zugeordnet werden muß. Daß der Antragsgegner und die Polizei das mittelbare Ziel verfolgen, zugleich künftige Straftaten gegen das BtMG zu verhindern und ihnen vorzubeugen, ist nicht maßgeblich. Im übrigen ist es auch sachlich geboten, daß zwischen den Erfordernissen der strafgerichtlichen Ermittlung der Wahrheit einerseits und der Verbrechensaufklärung und -verfolgung andererseits ein Strafgericht statt eines Verwaltungsgerichts abzuwägen und zu entscheiden hat.
2.
Der Antrag ist unbegründet.
Der Antragsgegner hat bei seiner Sperrerklärung mit Recht § 96 StPO entsprechend angewandt. Diese Bestimmung regelt die Auslieferung behördlicher Akten und Schriftstücke für die strafprozessualen Ermittlungen im Wege der Amtshilfe. Die Preisgabe der Identität einer Person aus den Akten der Polizei kann sachgerecht nur nach denselben Grundsätzen beurteilt werden. Die engen Voraussetzungen einer Ausnahme von dem grundsätzlichen Gebot, den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten im Wege der Amtshilfe die möglichst vollständige Aufklärung der Wahrheit zu ermöglichen, sind gegeben. Es würde dem Wohl des Landes ... erhebliche Nachteile bereiten, wenn es der Kriminalpolizei als Folge der Preisgabe der Identität der in die Ermittlungen gegen den Antragsteller verwickelten V-Person künftig nicht mehr gelänge, solche Personen zu finden und mit ihrer Hilfe Betäubungsmittelstraftaten aufzuklären.
Auf erhebliche Nachteile für das Land kommt es in beschränkender Auslegung des § 96 StPO an; kleinere Nachteile wären im Interesse einer rechtsstaatlichen Sachaufklärung hinzunehmen, da die verschiedenen Behörden einander nach Art. 35 Abs. 1 GG grundsätzlich zur Amtshilfe verpflichtet sind. Nur wenn erhebliche Nachteile drohen, kann eine Sperrerklärung rechtsstaatlich hingenommen werden (vgl. BVerfG 57, 250, 272 ff; BGH St 31, 149). An dem Ausmaß der drohenden Nachteile besteht indes kein Zweifel. Die von dem organisierten Drogenhandel ausgehenden Gefahren für einzelne gefährdete Personen wie für die Gesellschaft im ganzen sind so groß, daß auf den Einsatz von V-Leuten nicht verzichtet werden kann, um diese Form des Verbrechens durch Ermittlung möglichst auch seiner Organisatoren wirksam zu bekämpfen. Die Preisgabe der Identität einer V-Person hat unvermeidbar deren Enttarnung zur Folge. Solche Personen sind, wie der Antragsgegner mit Recht hervorhebt und gerichtsbekannt ist, erheblichen Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt. Die Voraussicht, daß eine Enttarnung in der vorliegenden Sache und die zu erwartenden Repressalien gegen sie den künftigen Einsatz von V-Leuten außerordentlich erschweren würde, drängt sich auf.
Bei der gebotenen Abwägung der einander gegenüberstehenden Interessen fällt schließlich zum Nachteil des Antragstellers der zusätzliche Umstand ins Gewicht, daß der Stellenwert dessen, was über die V-Personen in das Strafverfahren gegen ihn eingeflossen ist, verhältnismäßig gering ist. Nicht die V-Person hat den Antragsteller belastet, sondern der besonders verfolgte Zeuge ..., dessen Aussage überdies durch seine Verlobte, die Zeugin ... im Vorverfahren in einem wesentlichen Punkt Bestätigung gefunden hat.
3.
Auch der hilfsweise gestellte Antrag kann keinen Erfolg haben. Der Senat legt diesen Antrag dem Grundsatz des § 300 StPO entsprechend dahin aus, daß er die Preisgabe der Identität der V-Person "nur zum Zweck einer Vernehmung durch einen beauftragten oder ersuchten Richter nach § 223 f StPO" anordnen soll. Denn die Vernehmung selbst kann im Hauptverfahren nur das erkennende Gericht anordnen, nicht der Senat. Indes scheitert das Hilfsbegehren an denselben Gründen wie der Hauptantrag, weil es unausweichlich die Enttarnung der V-Person zur Folge hätte.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 30 Abs. 1 EGGVG,2 KostO. Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf §§ 30 Abs. 3 EGGVG, 30 KostO.