Landgericht Hildesheim
Beschl. v. 10.06.2021, Az.: 22 Qs 6/21

Auslagen der Landeskasse; Kosten für polizeiliche Transporte; Möglichkeiten und Grenzen der Pauschalierung im Kostenrecht

Bibliographie

Gericht
LG Hildesheim
Datum
10.06.2021
Aktenzeichen
22 Qs 6/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 72685
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hildesheim - 11.03.2021 - AZ: 112 OWi 33 Js 11410/20

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Die Erhebung einer Transportkostenpauschale (vollständige Kostentypisierung) ist vom GKG nicht gedeckt

  2. 2.

    Kosten für den Transport von Tatverdächtigen können aber in Niedersachsen nach den Tarifsätzen der AllGO erhoben werden.

Tenor:

Auf die Beschwerde der Landeskasse (Az. ...) wird unter Verwerfung des weitergehenden Rechtsmittels der Beschluss des Amtsgerichts Hildesheim vom 11. März 2021 (112 OWi 33 Js 11410/20) teilweise abgeändert und zur Klarstellung insgesamt wie folgt gefasst:

Ziffer 6 der Kostenrechnung der Staatsanwaltschaft Hildesheim vom 10. Dezember 2020 (..) wird um 14,40 € herabgesetzt, sodass der Betroffene insgesamt 595,01 € zu zahlen hat.

Die weitergehende Erinnerung des Betroffenen vom 14. Dezember 2020/6. Januar 2021 wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Mit Bußgeldbescheid des Landkreises Hildesheim vom 13. Februar 2020 war gegen den Betroffenen wegen Führens eines Kraftfahrzeuges mit einer Blutalkoholkonzentration von mehr als 0,5 g/Promille und unter Wirkung eines berauschenden Mittels (..) eine Geldbuße von 750 € festgesetzt und ein einmonatiges Fahrverbot angeordnet worden. Der Einspruch hiergegen hatte insoweit Erfolg, als das Amtsgericht die Geldbuße auf 120 € herabsetzte.

Mit der angefochtenen Kostenrechnung setzte die Kostenbeamtin der Staatsanwaltschaft insgesamt 609,41 € fest, darunter 96,99 € Auslagen für Sachverständigenentschädigung gemäß Nr. 9005 KV GKG und 331,92 € für Auslagen der Polizei für die Blutentnahme und -untersuchung gemäß Nr. 9016/9013 KV-GKG.

Mit seiner am 14. Dezember 2020 eingelegten und am 6. Januar 2021 erweiterten Erinnerung hat sich der Betroffene gegen diesen Kostenansatz gegen die Auslagen für die Sachverständigenentschädigung und als Transportkostenpauschale bezeichnete 50 € der angesetzten polizeilichen Auslagen gewandt.

Das Amtsgericht - Abteilung für Bußgeldsachen - hat die Erinnerung hinsichtlich der Sachverständigenkosten mit umfangreicher Begründung zurückgewiesen und ihr unter Zulassung der Beschwerde in Bezug auf die polizeilichen Auslagen stattgegeben.

Insoweit hat das Amtsgericht ausgeführt, dass zwar durch die Verbringung des Betroffenen vom Tatort zur Dienststelle dem Grunde nach Transportkosten entstanden seien, die nach Nr. 9013/9008 des KV-GKG auch gegen den Betroffenen festzusetzen seien. Festsetzbar sei nach den vorgenannten Bestimmungen aber nur der konkret entstandene Betrag und keine Pauschale. Die unterlassene Berechnung könne das Gericht nicht nachholen. Auch Nr. 108.1.5 der AllGO könne nicht herangezogen werden; die AllGO regele Gebühren für Einsätze nach dem Gefahrenabrecht und sehe zudem auch keine Transportkostenpauschale vor.

Mit ihrer (..) Beschwerde vom 6. Mai 2021 erstrebt die Landeskasse die Wiederherstellung der ursprünglichen Kostenrechnung. Dass nach Nr. 9008 Ziffer 1 KV-GKG Auslagen für die Beförderung in voller Höhe anzusetzen seien, bedeute nicht, dass lediglich konkret berechnete Kosten berücksichtigt werden könnten. Es seien die vom Dritten, hier der Polizei, mitgeteilten Kosten vollumfänglich anzusetzen.

Der Betroffene beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Nach Nr. 9013 KV-GKG seien nur neben Gebühren Auslagen an deutsche Behörden festsetzbar, die ihnen oder ihren Bediensteten als Auslagen der in den Nummern 9000-9011 bezeichneten Art zustünden. Solche Auslagen seien durch den Transport des Betroffenen nicht entstanden. Die Polizei könne nur Kosten in Rechnung stellen, für die es eine Ermächtigungsgrundlage gebe. Dies sei für das Straf- und Bußgeldverfahren nicht die die Gefahrenabwehr betreffende AllGO, die auch keine Transportkostenpauschale vorsehe.

II.

1. Die Kammer kann über die Beschwerde der Landeskasse entscheiden, obgleich das Amtsgericht entgegen § 66 Abs. 3 S. 1 GKG keine förmliche Nichtabhilfeentscheidung getroffen hat.

Abgesehen davon, dass die Aktenvorlage durch den Abteilungsrichter nach Gewährung rechtlichen Gehörs in Bezug auf die Beschwerdeschrift und die diesbezügliche Gegenerklärung erfolgte und damit noch als konkludente Nichtabhilfeentscheidung auszulegen sein könnte, ist eine solche Entscheidung keine Verfahrensvoraussetzung für die Entscheidung des Beschwerdegerichts (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 23. Februar 2010, 3 Ws 301/09, zit. n. juris, s. a. Beschluss der Kammer v. 22. Januar 2016, 22 Qs 9/15 zur Parallelregelung des § 33 Abs. 4 S. 1 RVG). Sie wäre im vorliegenden Fall ohnehin eine bloße Förmelei. Das Amtsgericht hat gegen seinen Beschluss die Beschwerde ausdrücklich wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen und die Beteiligten haben sodann weiter ihre Rechtsansichten austauscht. Der Zweck der Abhilfemöglichkeit, zur Verfahrensbeschleunigung das Beschwerdegericht von Verfahren zu entlasten, bei denen auch durch das Ausgangsgericht selbst seine Entscheidung berichtigen oder korrigieren kann, ist damit in diesem Verfahren ersichtlich nicht erreichbar.

2. Die Beschwerde der Landeskasse ist in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang begründet.

a) Das Amtsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass alle Kosten für die Beförderung von Personen in voller Höhe vom Kostenschuldner zu erheben sind (Nr. 9008 Ziff. 1 des KV-GKG, vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 27. Juni 2000, 2 Ws 90/00, NStZ-RR 2000, 320 und v. 23. Februar 2010, 3 Ws 301/09, zit. n. juris). Dies gilt auch dann, wenn die Beförderung von einer inländischen Behörde durchgeführt worden ist und auf die diesbezüglichen Auslagen von der Justiz keine Zahlungen zu leisten sind (Nr. 9013 KV-GKG).

Eine Behörde im vorgenannten Sinne ist die Polizei jedenfalls auch dann, wenn sie aus eigenem Entschluss und nicht auf Weisung oder mit ausdrücklicher Billigung der Staatsanwaltschaft Straftaten aufklärt (vgl. OLG Braunschweig, Beschl. v. 23. Mai 2013, 1 Ws 59/13, zit. n. juris; NK-GK/Volpert, 2. Aufl., Rn. 13 zu Nr. 9013 KV-GKG). Dies ist hier der Fall. Aus einer allgemeinen Verkehrskontrolle ergab sich gegen den Betroffenen unter anderem der Verdacht, unter Einfluss von Alkohol und Kokain ein Kraftfahrzeug, ein fragwürdiges Elektrokleinstfahrzeug, geführt zu haben. Der Betroffene wurde daher zu weiteren Untersuchungen und Ermittlungen vom Kontrollort in der Bahnhofsallee im Streifenwagen zur knapp 3 km entfernten Polizeidienststelle verbracht. Diese Fahrt dauerte 8 Minuten und wurde von der aus zwei Beamten im Dienstrang des Polizeikommissars beziehungsweise des Polizeikommissaranwärters bestehenden Streifenwagenbesatzung durchgeführt.

Im Übrigen sind auch die polizeilichen Auslagen grundsätzlich festsetzungsfähig, die aufgrund der Vorbereitung der öffentlichen Klage entstanden sind, also soweit Polizeibeamte als Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft tätig geworden sind (Nr. 9015 KV-GKG, vgl. NK-GK, a. a. O.).

b) Zu Recht geht das Amtsgericht auch davon aus, dass der Ansatz einer Transportkostenpauschale in Höhe von 50 € unzulässig ist.

Beförderungskosten sind nach Nr. 9008 S. 1 KV-GKG in voller Höhe anzusetzen. Maßgebend sind daher grundsätzlich - wie die Bezirksrevisorin in der Beschwerdebegründung ausführt - die der Justiz von Dritten in Rechnung gestellten Kosten (vgl. VG Halle, Urteil v. 22. September 2015, 1 A 318/14, zit. n. juris; NK-GK, a. a. O., Rn 3f. zu Nr. 9008 KV-GKG).

Das heißt aber nicht, dass dem Kostenschuldner jedwede Einwendungen gegen die von Dritten berechneten Kosten abgeschnitten wären und insbesondere von anderen Behörden berechnete Kosten keiner Rechtsgrundlage bedürften. Selbst gerichtliche Entscheidungen zur Höhe der von der Justiz zu erstattenden Auslagen haben für das Kostenfestsetzungsverfahren keine Bindungswirkung (NK-GK, a. a. O., Rn. 18f. zu § 66 GKG; Hartmann, KostenG, 47. Aufl., Rn. 20 zu § 66 GKG). Der Kostenschuldner hat nur zu zahlen, was die Justizkasse (bei eigener Zahlungspflicht gegenüber dem Rechnungsteller) richtigerweise hätte verauslagen müssen (vgl. Beschl. der hiesigen früheren Strafkammer 15 - 6. gr. Wirtschaftsstrafkammer vom 6. April 2010, 25 KLs 5181 Js 11299/97).

Mithin sind die im Einzelfall entstandenen Kosten nachvollziehbar zu berechnen. Eine generelle Transportkostenpauschale (vollständige Kostentypisierung) ohne Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles ist mit dem Gebot, die Kosten (nur) in voller Höhe zu erheben, nicht vereinbar. Dies schließt - wovon auch ersichtlich die Beteiligten ausgehen - selbstverständlich nicht aus, dass einzelne Faktoren dieser Kosten nach Tarifen, Durchschnittssätzen oder sonst typisiert berechnet werden. Dies entspricht gerade für Beförderungskosten der im Wirtschaftsleben allgemein üblichen und zur Vereinfachung und Nachvollziehbarkeit angezeigten Verfahrensweise und findet sich ebenso in diversen Regelungen, nicht nur im Justizkostenrecht oder Beamtenreisekostenrecht, sondern etwa auch im Steuerrecht (etwa km-bezogene Entfernungspauschale für Fahrten zwischen Wohnung und Tätigkeitsstätte, § 4 Abs. 5 und § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG).

c) Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts und des Betroffenen lassen sich die für seine polizeiliche Beförderung zu erhebenden Kosten ohne Weiteres unter jedenfalls entsprechender Anwendung der AllGO nach plausiblen, landesweit einheitlichen und damit vorhersehbaren, Durchschnittssätzen einzelfallbezogen mit 35,60 € berechnen.

Es trifft schon so pauschal nicht zu, dass die AllGO nur für im Rahmen der Gefahrenabwehr entstandene Kosten anwendbar wäre. Sie ist vielmehr nach ihrem § 1 die auf Grundlage der § 3 und § 14 NVwKostG erlassene allgemeine Gebührenordnung für Amtshandlungen und Leistungen von Landesbehörden sowie die Benutzung öffentlicher Einrichtungen und Gegenstände des Landes Niedersachsen.

Auf Grundlage des VwKostG und/oder einer Gebührenordnung ermittelte Gebühren und Auslagen sind ohne Weiteres nach KV-Nr. 9013 erstattungsfähige Kosten (NK-GK, a. a. O, Rn. 11 zu KV-Nr. 9013 GKG).

Für die Beförderung von Personen durch die Polizei sieht (Kosten-)Tarifziffer 108.1.5 der AllGO vor, dass für jeden mit dem Dienstfahrzeug gefahrenen Kilometer 0,70 € anzusetzen sind, hier mithin für 3 km 2,10 €.

Der Personalaufwand ist nach Zeit zu vergüten. Nach § 1 Abs. 4 Nr. 3 lit. c AllGO sind hierbei für jede angefangene Viertelstunde für jeden Beschäftigten der Laufbahngruppe 2 unterhalb des 2. Einstiegsamts (ehemaliger gehobener Dienst, also auch Polizeikommissare und diesbezügliche Anwärter) 16,75 € anzusetzen, also hier für die achtminütige Fahrt mit zwei Beamten 33,50 €.

Hierbei kann dahin stehen, ob die für Maßnahmen der Gefahrenabwehr nach § 11 NPOG vorgesehene vorgenannte Tarifziffer unmittelbar oder nur entsprechend anzuwenden ist. Für ihre unmittelbare Anwendung ließe sich anführen, dass die Verbringung eines berauschten Kraftfahrzeugführers zur Dienststelle nicht nur der weiteren Aufklärung der von diesem begangenen Verkehrsstraftat beziehungsweise Ordnungswidrigkeit dient, sondern zur Behebung einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung.

Jedenfalls ist die Regelung zur Berechnungs- und Verfahrensvereinfachung entgegen der Auffassung des Betroffenen entsprechend anwendbar. Nach der Bekanntmachung des MJ vom 26. November 2012 (4231-204.23, Nds. Rpfl. 370, 372) sind im Straf- und Bußgeldverfahren für polizeiliche Transporte von Personen innerhalb des Bezirks einer Polizeiinspektion die Auslagen nach Tarifnummer 108.1.5 AllGO, also eben nach landesweiten, plausiblen Tarifen, zu berechnen.

3. Mithin ist Nr. 6 der staatsanwaltschaftlichen Kostenrechnung im Ergebnis nicht um 50 € Transportkostenpauschale herabzusetzen, sondern nur um 14,40 € auf 317,52 € (331,92 € ./. 50 € + 35,60 €) und damit die gesamte Kostenrechnung entsprechend auf 595,01 €.

Zur Klarstellung hat die Kammer die etwas missverständliche Formel des angefochtenen Beschlusses in Gänze neu gefasst.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 66 Abs. 8 GKG.

Die weitere Beschwerde ist nicht nach § 66 Abs. 4 GKG zuzulassen.

Die weitere Beschwerde darf nur aus Rechtsgründen zugelassen werden. Eine grundsätzliche Bedeutung der aufgeworfenen Rechtsfragen (Erstattungsfähigkeit polizeilicher Beförderungskosten im Straf- und Bußgeldverfahren, Unzulässigkeit von Transportkostenpauschalen) ist aber zu verneinen. Diese Frage ist - wie ausgeführt - geklärt beziehungsweise anhand des Wortlauts des KV-GKG eindeutig zu beantworten. Die tatsächliche Frage, wie diese Kosten im Einzelnen zu berechnen sind, rechtfertigt die Zulassung der weiteren Beschwerde nicht, zumal auch sie sich auf Grundlage der vorgenannten Bekanntmachung des MJ ohne Weiteres eindeutig beantworten lässt.

Martin
Dr. Eikenberg
Bietendüwel